(Louise von Gall, verh. Schücking; Johanna Udalrike Louise Gerhardine Freiin von Gall; frühes Pseudonym: Ludwig Leo)
geboren am 15. September 1815 in Darmstadt
gestorben am 16. März 1855 in Sassenberg, Westfalen
deutsche Schriftstellerin
Biografie • Literatur & Quellen
Biografie
In das enge, ständisch und ideologisch wohlgeordnete münsterländische Beziehungssystem der Annette von Droste-Hülshoff einzudringen, kann nicht gut gehen. Auch wenn die Droste mittlerweile fast ganzjährig am Bodensee wohnt und wirkt, muss sie die Entfremdung und der Verlust des liebsten Gespielen Levin Schücking verletzen.
Louise von Gall heiratet Levin Schücking und versucht mit ihm ab 1852 im münsterländischen Sassenberg Fuß zu fassen. Eine lebenslustige, bekannte und beliebte protestantische Schriftstellerin, die in den städtischen Salons in Darmstadt, Wien und Köln eine Rolle spielt, im dörflich-dumpfen, katholischen Sassenberg – im literarischen Umfeld nur Münster und die nicht gerade weltoffenen Kreise um die Droste, Elise Rüdiger und den blinden konservativen Philosophiedozenten Christoph Bernhard Schlüter. Das kann nicht gut gehen.
Der Vater Louise von Schückings ist der in den napoleonischen Freiheitskriegen ruhmreiche hessische Generalmajor und Kammerherr Ludwig Freiherr von Gall, der kurz vor Louises Geburt auf dem Weg nach Frankreich an einem Unfall verstirbt. Mit ihrer Mutter Friedericke von Gall versteht sich Louise bis zu deren überraschendem Tod in Wien ausgezeichnet, sie spricht von ihr wie von einer liebevollen älteren Schwester.
Louise erhält in Darmstadt eine gute Erziehung und Bildung, lernt Fremdsprachen, malt und hat Gesangsunterricht. Im Mannheimer Pensionat Schenkendorf, einem Institut für höhere Töchter wird ihr 1831/32 das nötige Rüstzeug einer Dame der Gesellschaft beigebracht, bevor sie mit ihrer Mutter nach Wien zieht, auch um ihre Gesangsausbildung zu vervollkommnen. Dort führt Friedericke von Gall – wie schon in Darmstadt – einen Salon, in dem Louise in das kulturelle Wien eingeführt wird. Sie schwankt zwischen einer Gesangskarriere - erste Auftritte in der Öffentlichkeit bestätigen ihr großes Talent - und der Schriftstellerei. Friedrich Witthauer, Redakteur der „Wiener Zeitung“ druckt erste Erzählungen, noch unter dem Pseudonym Ludwig Leo.
Ein sorgenfreies Leben der freiheitsliebenden Louise, das sie durch den plötzlichen Tod der Mutter 1841 nach Darmstadt zurückführt. Sie erholt sich von dem existenziellen Schock auf einer Reise durch Ungarn, zu der sie eine befreundete Familie einlädt.
Es erscheinen einige Novellen in der „Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode“, im „Frankfurter Korrespondenzblatt“ und in Cottas Stuttgart/Tübinger „Morgenblatt“. Schnell ist Louise von Gall als Novellistin eine beachtete und gern gelesene Autorin.
Im Darmstädter Salon der Luise von Ploennies lernt sie die frisch verheirateten Freiligraths kennen. Ida und Ferdinand befreunden sich rasch mit der selbstbewussten, für sie fast etwas zu emanzipierten Louise und laden sie zum Sommer 1942 in ihr Sommerrefugium unweit des Loreley-Felsens am Rhein ein, ins „Ihlium“ in Sankt Goar zu einem Poetentreffen in der durchaus kleinen Wohnung der Freiligraths im Haus des Apothekers Ihl, die allerdings einen großen terrassenförmigen Garten für gesellige Anlässe hat. Sie lässt für den Aufenthalt eigens ihren Flügel von Darmstadt per Schiff nach St. Goar transportieren, um für die Freunde musizieren zu können.
Louise lernt unter anderen den Landrat Karl Heuberger, die Autorin Adelheid von Stolterfoth, Karl Simrock, Emanuel Geibel und den amerikanischen Romantiker Henry Wadsworth Longfellow, der sich gerade in Europa aufhält, kennen. Dort erzählt ihr Freiligrath von seinem Freund Levin Schücking, und sie entschließt sich Ende des Jahres, mit diesem brieflich in Kontakt zu treten – etwas ungewöhnlich für eine junge Frau der guten Gesellschaft. Freiligrath hat seinem Freund Schücking die Louise von Gall wohl äußerst positiv dargestellt. Louise und Levin verstehen sich, und ohne eine persönliche Begegnung findet schnell brieflich die ferne Verlobung statt. Endlich ein erstes Kennenlernen in Darmstadt und ein gemeinsamer zweiter „Poetensommer“ bei den Freiligraths in St. Goar. Welch illustre Gesellschaft diesmal: natürlich wieder Emanuel Geibel, von Frankreich kommend ist Hans Christian Andersen zu Gast, die EngländerInnen Mary und William Howitt von ihrem Aufenthalt in Heidelberg, Justinus Kerner und Heinrich Hofmann von Fallersleben, der Musiker Ferdinand Hiller, Willibald Alexis, Berthold Auerbach, der österreichische Satiriker Moritz Gottlieb Saphir, der Balte Wilhelm Smets, Gottfried Kinkel und noch einige weitere Freunde genießen die Sommerfrische, das gute Essen und den Wein bei Freiligraths am Rhein. Neben Ida Freiligrath und der älteren Darmstädter Schriftstellerkollegin Louise von Ploennies ist Louise von Gall eine der wenigen Frauen in diesem Kreis berühmter Autoren und Kulturschaffender der 40er-Jahre. Was hier besprochen und verhandelt, welche politischen Themen diskutiert werden, wissen wir nicht. Dass Freiligraths Wende zum politischen Vormärzdichter 1844 hier einen Anstoß bekommt, ist wahrscheinlich. Zurück in Darmstadt heiraten Louise von Gall und Levin Schücking am 7. Oktober 1843, kein Jahr nach dem ersten brieflichen Kontakt. St. Goars Landrat Heuberger hat das dem in Louise ein wenig verliebten Henry Longfellow brieflich so beschrieben: „Das Merkwürdigste aber ist, dass das junge Paar nicht durch Blick und Wort und warmen Hauch ins Liebesfeuer geraten, sondern durch – Tinte.“
An den Haupt-Beteiligten der „Poetensommer am Rhein“ ist gut abzulesen, in welche auch gesellige und durchaus europäische und überseeische Gäste einbeziehende Netzwerke die Schriftstellerinnen und Schriftsteller des 19. Jahrhunderts häufig eingebunden sind. Hinter Erwähnungen, in welchem Salon eine verkehrt, an welcher Versammlung jemand teilnimmt, eröffnet sich häufig ein großes Beziehungsgefüge innerhalb der überschaubaren Kultureliten der Zeit.
Durch „Tinte“, im Briefwechsel, sind Louise und Levin ein Paar geworden und „Tinte“ wünschen die beiden sich als verbindendes Element der Ehe, sie wollen eine gleichberechtigte „Poetenehe“ führen. Doch dies ist leichter gesagt als getan.
Da ist Levin Schücking, der durch die Einkünfte in guten Redakteursstellen den Lebensunterhalt bestreitet, von 1843-45 in der „Allgemeinen Zeitung“ von Cotta in Augsburg und von 1845-52 als Feuilletonchef der „Kölnischen Zeitung“. Sein schriftstellerischer Erfolg kommt nach „Das malerische und romantische Westphalen“ gemeinsam mit Ferdinand Freiligrath, und „Der Dom zu Köln und seine Vollendung“ 1842, zu beidem hat die mütterliche Freundin Annette von Droste-Hülhoff anonym Beiträge geliefert, und „Ein Schloß am Meer“ das in 2 Bänden bei Cotta in Stuttgart 1843 erscheint, zum Teil in Zusammenarbeit mit seiner Louise. Das ungeklärte Verhältnis zur Droste, die den Verlust ihres „Pferdchens“ befürchtet und ihn vor der Ehe mit Louise von Gall warnt – er solle sich zehnmal bedenken, ehe er sich bindet – belastet natürlich das Verhältnis zwischen Levin und Louise. Diese ist durch ihre Pflichten als Hausfrau und sehr schnell als Mutter von 5 Kindern gebunden – der erste Sohn Lothar Carl Levin kommt 1844 zur Welt. Mit ihrem Mann in Augsburg und Köln sowie auf seinen längeren Auslandsreisen nach Rom und Paris ist sie voll ausgelastet.
Trotzdem findet sie Zeit, zu schreiben. Neben Novellen und den drei Lustspielen „Ich hab’s gewagt“, „Die gnädige Frau“, „Ein schlechtes Gewissen“ entstehen die Romane „Gegen den Strom“ 1851, und „Der neue Kreuzritter“ 1853, sowie mit Levin Schücking zusammen die Erzählbände „Familienbilder“ und „Familien-Geschichten“, jeweils in 2 Bänden 1854. Die Werke, die sie in den etwa 15 schriftstellerisch fruchtbaren Jahren verfasst, gehören zu den literarischen Schätzen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die unbedingt größere Beachtung verdienen.
Als Louise versucht, dem Sassenbergischen Familiensitz der Schückings wieder nach Darmstadt oder Köln zu entkommen, wird ihre Tochter Adolfine geboren, die schon nach drei Monaten, am 9. Dezember 1854 stirbt. Louise ist in der nebelfeuchten Luft Sassenbergs und dem Kindbett krank geworden und stirbt am 16. März 1855. Gegen ihren Willen wird sie auf dem Sassenberger Friedhof an der Kirche beigesetzt.
Alle größeren Zeitungen im Deutschen Bund bringen fast gleichlautend die Todesnachricht der berühmten Louise von Gall; hier die Nachricht unter der Rubrik „Preußen“ im Münchener „Bayerischen Landboten“ vom Freitag, den 23. März 1855:
(Text von 2024 aus dem Buch “...immer Luise”; mit freundlicher Genehmigung des Verfassers).
Verfasserin: Siegfried Carl
Literatur & Quellen
Beuys, Barbara. 1999. “Blamieren mag ich mich nicht”: Das Leben der Annette von Droste-Hülshoff. München; Wien. Hanser.
Broer, Werner. 1997. Neues zu Levin Schücking, Katharina Busch und Louise von Gall. Grabbe-Jahrbuch. 16/1997. S. 226-228.
Powell, Hugh. 1994. Louise von Gall: Her World and Work. Columbia, SC. Camden House.
Schmidt, Agnes (2009): Darmstädterinnen unterwegs. Reiseberichte von Luise Büchner, Luise von Ploennies, Alice von Hessen und bei Rhein, Louise von Gall, Marie zu Erbach-Schönberg und Hermione von Preuschen. Darmstadt. Justus-von-Liebig-Verl. (Hessische Beiträge zur deutschen Literatur) ISBN 978-3-87390-269-5.
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