(Louise Franziska Hartung)
geboren am 6. Januar 1905 in Münster
gestorben am 24. Februar 1965 in Berlin
deutsche Konzertsängerin, Musikpädagogin, Mitarbeiterin im Hauptjugendamt Berlin, Initiatorin der „Montagslesekreise“
120. Geburtstag am 5. Januar 2025
60. Todestag am 24. Februar 2025
Biografie • Literatur & Quellen
Biografie
In dem 2016 veröffentlichten Briefwechsel von Astrid Lindgren mit Louise Hartung scheint es fast, als ob Hartung persönlich dafür gesorgt hat, dass in Deutschland oder zumindest in Berlin alle das Werk von Astrid Lindgren kennenlernen. Umgekehrt wäre Louise Hartung fast in Vergessenheit geraten, wenn es diesen Briefwechsel nicht gäbe.
Geboren wurde sie als jüngstes von acht Geschwistern 1905 in Münster. Ihre Mutter starb bei der Geburt, und wenn sich auch ihre Geschwister und ihr Vater um sie kümmerten, so verbrachte sie doch auch viel Zeit allein. Schon vor der Einschulung (in die Freiherr-vom-Stein-Schule) brachte sie sich mit der Familienbibel selbst das Lesen bei.
Ihren eigentlichen Berufswunsch Gärtnerin verwarf sie und begann in den 1920er Jahren mit einer Gesangsausbildung (Schwerpunkt italienische Oper), anschließend dem modernen Kabarett und Liedern der deutschen Romantik. Studienaufenthalte führten sie nach Paris, Mailand und schließlich nach Berlin, wo sie sich 1925/26 niederließ. Dort lernte sie bald KünstlerInnen aus ganz Europa kennen und war Teil der Boheme. Besonders befreundet war sie mit Nell Walden, der Malerin, Organistin und Kunstsammlerin, durch die sie Kontakt zur Künstlervereinigung „Der Sturm“ hatte, und mit der Schauspielerin und Sängerin Lotte Lenya. 1928 wirkten sowohl Hartung als auch Lenya an der ersten Inszenierung der „Dreigroschenoper“ mit. Hartung galt zu dieser Zeit als talentiert; sie gab Konzerte und nahm mehrere Grammophonplatten auf. Nell Walden war es, die ihr sagte, sie sei zum Liedersingen geboren – weshalb sie ihre Opernkarriere aufgab und mit Nell 1932 nach Ascona fuhr, alles im Stich lassend. Sie sollte es nie bereuen.
Als der Komponist Kurt Weill, mit dem Lenya zu dieser Zeit noch verheiratet war, nach dem Reichstagsbrand im Februar 1933 gewarnt wurde, dass er Berlin verlassen sollte, packten Lenya und Hartung seine Sachen und fuhren ihn nach München. Von dort aus ging er ins Exil nach Frankreich. Als Weill und Lenya sich im gleichen Jahr scheiden ließen, vertrat Hartung die beiden zusammen mit Selma Stern Täubler, da die Beteiligten bereits im Ausland waren.
Auf Vermittlung von Lenya erhielt Hartung 1933 eine kleine Rolle in London am Savoy Theatre. Zurück in Berlin wurde sie aus der Kulturkammer ausgeschlossen und hatte mehrere Jahre Auftrittsverbot. Sie lebte immer in der Gefahr, denunziert zu werden. Hatte sie bis dahin ihren kommunistischen FreundInnen geholfen, so halfen diese jetzt ihr. Sie besorgte sich einen Presseausweis und arbeitete eine Zeitlang als Fotografin bei der Schauspielerin Lucie Höflich, mit der sie auch befreundet war, und die 1933/34 gemeinsam mit der Schauspielerin Ilka Grüning die Staatliche Schauspielschule in Berlin leitete. Mit der Pianistin Hertha Klust trat sie sie bei Liederabenden auf.
Mit ihrer Freundin, der Sopranistin Maria Schreker (Ehefrau des Komponisten Franz Schreker), und anderen Kolleginnen wurde Hartung während des Zweiten Weltkriegs gezwungen, bei Wehrmachtskonzerten mitzuwirken, mit ihr lebt sie während der Bombardierung Berlins zusammen. In ihrem Haus in Potsdam jedoch konnte sie jüdische FreundInnen verstecken.
Ab 1947 war Hartung beim Magistrat von Groß-Berlin angestellt und wurde SPD-Abgeordnete für ihren Wahlkreis Wilmersdorf, wo sie auch lebte. In den folgenden Jahren engagierte sie sich für den Wiederaufbau der Kunstszene in Berlin, anfangs im Bereich der klassischen Musik, wo sie u.a. an der Gründung von Orchestern, Chören, Musikfestivals und Konzertreihen mitwirkte, und die Leitung des Amtes für Musik übernahm.
Anfang der 1950er Jahre wurde sie dem Hauptjugendamt unter der Leitung der SPD-Politikerin Ella Kay unterstellt, einem Amt, „in dem die Kinder recht kriegen“ sollten. Zur Zeit des Wiederaufbaus wurde dort eine Pädagogik vertreten, die einen respektvollen Blick auf Kinder und Jugendliche und ihre Erziehung vertrat. Hauptziel war es, die Bedingungen für eine demokratische Entwicklung in Deutschland zu schaffen, bei all dem sollte die Überwindung des Nationalsozialismus und der Rassendiskriminierung im Vordergrund stehen. Hartung war vor allem für die Leseförderung zuständig. Sie richtete die „Montags-Lesekreise“ ein, an denen Kinder in ausgewählten Einrichtungen von Erwachsenen Kinderbücher vorgelesen bekamen. Im „Tip“, einem vom Jugendamt herausgegebenen Heft mit kulturellen Angeboten für Kinder in Westberlin, schrieb Hartung oft über die von ihr empfohlenen Bücher. Seit sie „Pippi Langstrumpf“ gelesen hatte, das sie für das beste Buch der Welt hielt, waren es häufig Bücher der schwedischen Autorin Astrid Lindgren.
In den 1950er Jahren arbeitete Hartung neben ihrer Stelle im Hauptjugendamt auch für die FSK (Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft) und war im Prämierungsausschuss für den Kinder- und Jugendfilmpreis des Bundesministeriums.
Maßgeblich beteiligt war Hartung auch am Aufbau der Fürsorge zur Betreuung von verwaisten, kriegstraumatisierten und kriminellen Kindern und Jugendlichen in Berlin. Die Eltern regte sie zu einer Spielgemeinschaft mit ihren Kindern unter dem Motto „Und sonntags spielt die ganze Familie“ an.
Rückblickend stellte sie fest, dass sie 25 Jahre etwas studiert habe: zwei Jahre Tanz und Gymnastik, acht Jahre Musik, drei Jahre Schauspiel und Regieklasse am Deutschen Theater, ein Jahr Italienisch, ein Jahr Russisch, ein Jahr Schwedisch, drei Jahre Psychologie, drei Jahre Jura und drei Jahre Verwaltungswissenschaften.
Mehrere Auslandsangebote lehnte sie ab, so u.a. für die UNO. Sie wollte sich lieber um die Vermittlung und Verbreitung der Bücher Astrid Lindgrens in Deutschland kümmern.
Im Oktober 1953 lernte Hartung die Schriftstellerin persönlich kennen, als diese auf Einladung des Hauptjugendamtes nach Berlin kam. Auf deren Wunsch hin machten sie eine Autofahrt durch die zerstörte Stadt nach Ost-Berlin, bei der Hartung ihr die Plätze ihres früheren Lebens zeigte und davon erzählte. Aus diesem Besuch entstand eine innige Freundschaft und ein elfjähriger Briefwechsel bis zu Hartungs Tod, intensiviert durch Besuche und gemeinsame Reisen. Hartung verliebte sich in Lindgren, und wenn diese Hartungs Liebe auch nicht erwidern konnte, so machte sie ihr doch immer wieder deutlich, wie wichtig sie ihr war und nahm sich immer wieder Zeit für sie. Hartung kümmerte sich währenddessen um die Verbreitung von Lindgrens Werken in Deutschland, griff zum Teil auch in Übersetzungen ein und wurde eine treue Ratgeberin für die Autorin, die sie immer wieder um Rat bat und ihr absolut vertraute.
Als Hartung 1964 mit einem Tumor ins Virchow-Krankenhaus eingeliefert wurde, besuchte Lindgren sie. Es war Dezember - ihre letzte Begegnung. Gertraud Lemke, ihre langjährige Freundin, nahm Hartung im Februar 1965 gegen den Willen der Ärzte mit zu sich nach Hause, wo sie vier Tage später starb.
(Text von 2017)
Verfasserin: Doris Hermanns
Literatur & Quellen
Andersen, Jens und Jette Glargaard (Hg.): Astrid Lindgren und Louise Hartung. Ich habe auch gelebt! Briefe einer Freundschaft. Berlin, Ullstein, 2016
Michalski, Bettina: Louise Schroeders Schwestern: Berliner Sozialdemokratinnen der Nachkriegszeit. Berlin, Dietz, 1996
Symonette, Lys & Kim H. Kowalke (Hg. & Übersetzung): Sprich leise, wenn du Liebe sagst: Der Briefwechsel Kurt Weill/Lotte Lenya. Köln, KiWi, 1998
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