(Charlotte Reiniger [eigentlicher Name])
geboren am 2. Juni 1899 in Berlin
gestorben am 19. Juni 1981 in Dettenhausen
deutsch-englische Scherenschnittkünstlerin, Silhouettenfilmerin und Trickfilmpionierin
125. Geburtstag am 2. Juni 2024
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen • Bildquellen
Biografie
Eigentlich wollte Lotte Reiniger Filmschauspielerin werden – undenkbar für eine Berliner Bankierstochter! –, und zum Film kam sie dann auch: auf Umwegen und anders als gedacht, aber zielstrebig.
So erreichte sie es zunächst, dass sie die Schauspielschule Max Reinhardts am Deutschen Theater besuchen konnte. Auch wenn es nur zu Statistenrollen reichte, so war doch diese Lehrzeit mit hervorragenden Bühnenbildnern, Ausstattern, SchauspielerInnen und Regisseuren prägend für ihr ganzes zukünftiges Schaffen und lebenslanges Interesse an Film und Theater, entwickelte ihren Sinn für Szenenaufbau und plastische Darstellung, ausdrucksvoll-typische Gestik, differenzierte Bühnenbilder.
Heimlich besuchte sie die Proben und schnitt dann zu Hause Porträtsilhouetten der großen KünstlerInnen in für sie charakteristischen Szenen – »nicht nur bedeutsame … Kunstwerke, sondern … auch wichtige Dokumente der Theatergeschichte« –, vor allem von Paul Wegener. Er wurde denn auch bald auf das spezielle Talent dieses »verrückte(n) Silhouettenmädchen(s)« aufmerksam, beauftragte sie mit der Herstellung von (Zwischen-)Titeln zu zweien seiner Filme und regte sie zu ihrem – dem! – ersten Trickfilm , Das Ornament der verliebten Herzen, mit bewegten Silhouetten (1919) an.
Nach Werbefilmen, einer Bühnenausstattung für Heinz Hilpert und ersten Märchenverfilmungen arbeitete sie von 1923 bis 1926 an ihrem wohl berühmtesten und dem ersten abendfüllenden Trickfilm, dem bezaubernden Die Abenteuer des Prinzen Achmed, der ihr auch die Bekanntschaft mit Bela Balacs, Bert Brecht, Willy Haas und Jean Renoir vermittelte. Es folgen weitere Märchenfilme (Grimm, Andersen u.a.), eine köstliche Carmen-Parodie und ihre erste Auseinandersetzung mit dem geliebten Mozart (Zehn Minuten Mozart 1931); weiterhin entstanden neben Scherenschnittserien zu Mozartopern 1936 Papageno als erster farbiger Silhouettenfilm, 1958 Seraglio und die von ihr selbst besonders geliebte Zauberflöte für große Schattenbühne (London 1973).
Gleich zu Beginn der Nazi-Diktatur verließ Lotte Reiniger Deutschland, da ihr »diese Hitler-Veranstaltung nicht paßte und weil ich sehr viele jüdsche Freunde hatte, die ich nun nicht mehr Freunde nennen durfte« und arbeitete schließlich in England; 1980 kehrte sie nach Deutschland zurück, wo sie 1981, hochgeehrt, starb. Insgesamt schuf sie 40 Silhouettenfilme; nur 30 von ihnen sind verfügbar; ein Teil ist verschollen.
(Text von 1998)
Verfasserin: Swantje Koch-Kanz
Zitate
»geeignete Geschichten für Schattenspiele … Die besten Themen sind solche, die nicht mit lebenden Schauspielern aufgeführt werden können, also insbesondere Märchen, Sagen, Fabeln, fantastische Gedichte oder Spiele. Ich empfehle die Einbeziehung von Tieren. In einem Schattentheater stehen Tier und Mensch auf gleicher Ebene …«
»Bis zuletzt reiste die große und immer jung gebliebene Dame des Films um die Welt, hielt sie Vorträge und Seminare über ihre Arbeit ab, … arbeitete an neuen Filmen. Unruhe und Naivität waren ihre Motoren, und die Tatsache, selbst ein Stück Filmgeschichte geworden zu sein, nahm sie mit erstaunter Ungläubigkeit zur Kenntnis.«
»Lotte Reiniger benutzt die ideale Technik: den Silhouettenfilm. Die Silhouette ist nicht so wirklichkeitsnah wie ein plastisches Ding, und sei es noch so phantastisch erdacht; sie bewahrt dadurch den Zuschauer, besonders den kindlichen, vor dem Entsetzen, das sich einstellt, wenn Märchenhaftes bis über einen gewissen Grad der Anschaulichkeit hinaus greifbare Wirklichkeit wird. Die bewegliche Silhouette hält mit Charme ganz die richtige Grenze zwischen Kunstprodukt und Leben; man glaubt ihr genug, um gefesselt zu werden, und man glaubt ihr nicht genug, um bei dem Erlebnis des Übernatürlichen eine Gänsehaut zu kriegen.«
(Weltbühne, Nr. 52, 24.12.1928; gefunden hier)
Links
Absolut Medien: Booklet-Innenteil zur DVD »Die Abenteuer des Prinzen Achmed«. Mit Biografie und vielen weiteren Informationen. PDF-Datei, 20 Seiten, mit vielen Bildern.
Online verfügbar unter http://www.absolutmedien.de/bilddatenbank/bilder/750/reiniger_booklett_innen_s.pdf, zuletzt geprüft am 21.05.2019.
Absolut Medien: lottereiniger.de. Eine Webseite zu Ehren der großen alten Dame des Silhouettenfilms. Informative Seite u.a. mit Biografie, Kritiken, Bibliografie, Links und vielen Bildern.
Online verfügbar unter http://www.lottereiniger.de/, zuletzt geprüft am 21.05.2019.
DIF: filmportal.de. Lotte Reiniger (Charlotte Reiniger). Filmografie (deutsch). DIF.
Online verfügbar unter https://www.filmportal.de/person/lotte-reiniger_c94c9327f5cc4ce8ac33debaf05e27e0, zuletzt geprüft am 21.05.2019.
Internet Movie Database: Lotte Reiniger. Filmografie.
Online verfügbar unter http://www.imdb.com/name/nm0718201/, zuletzt geprüft am 21.05.2019.
Katalog der Deutschen Nationalbibliothek: Reiniger, Lotte, 1899-1981. Bücher und Medien.
Online verfügbar unter http://d-nb.info/gnd/118599445, zuletzt geprüft am 21.05.2019.
Stadtmuseum Tübingen: Lotte Reiniger. Die Welt in Licht und Schatten: Scherenschnitt, Schattentheater, Silhouettenfilm. Dauerausstellung.
Online verfügbar unter https://www.tuebingen.de/reiniger, zuletzt geprüft am 21.05.2019.
Literatur & Quellen
Quellen
Happ, Alfred (1982): Lotte Reiniger. Schauspieler-Silhouetten, Mozart-Opern, Andersen-Märchen. Aspekte eines Lebenswerks. Ausstellungskatalog. Herausgegeben von Kulturamt der Stadt Tübingen. Tübingen. Heliopolis. (Tübinger Kataloge, 17) (WorldCat-Suche)
Lyon, Christopher und Doll, Susan (Hg.) (1986): Directors/filmmakers. Chicago. St. James Press. (The international dictionary of films and filmmakers, 2) ISBN 0-947752-80-3.
(Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Reiniger, Lotte (1981): Schattentheater, Schattenpuppen, Schattenfilm. 1. Aufl. Tübingen. Texte-Verlag. ISBN 3-88213-014-8.
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Strobel, Christel; Strobel, Hans (1993): Lotte Reiniger. Materialien zu ihren Märchen- und Musikfilmen. Darin Verzeichnis ihrer Filme und verfügbarer Videokopien. 2. Aufl. München, Duisburg. Atlas-Film; Av. (Atlas-Forum) ISBN 3-88932-450-9.
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DVDs
Koch, Carl (2012): Lotte Reiniger. Tanz der Schatten : Porträt der Pionierin des künstlerischen Trickfilms. DVD. Tübingen, Berlin. Eberhard Karls Universität und Eikon Südwest Art & Design; Absolut Medien. (Arte Edition) ISBN 3-8488-3002-7.
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Reiniger, Lotte (2004): Die Abenteuer des Prinzen Achmed. DVD-Video, 71 min. Berlin. Absolut Medien. (Die Klassiker von Lotte Reiniger, 1) ISBN 978-3-89848-750-4.
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Reiniger, Lotte (2006): Märchen und Fabeln. 17 Silhouetten-Animationsfilme. 2 DVDs, 369 min. Restaurierte Fassung / vom Deutschen Filminstitut Frankfurt am Main. Berlin. Absolut Medien. (Die Klassiker von Lotte Reiniger, 2) ISBN 978-3-89848-784-9.
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Reiniger, Lotte (2007): Doktor Dolittle & Archivschätze. 16 Werke. 2 DVDs, 133 und 218 min. Berlin. Absolut Medien. (Die Klassiker von Lotte Reiniger, 4) ISBN 978-3-89848-821-1.
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Reiniger, Lotte (2007): Musik und Zaubereien. Berlin. Absolut Medien. (Die Klassiker von Lotte Reiniger, 3) ISBN 3-89848-785-7.
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Reiniger, Lotte (2008): Gesamtausgabe. 4 DVDs. Berlin. Absolut Medien. (Absolut Medien. Stummfilm Edition, 784-785, 821, 898) ISBN 978-3-89848-873-0.
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Reiniger, Lotte (2009): Lotte Reinigers schönste Filme. Enth.: Doktor Dolittle und seine Tiere, Der scheintote Chinese, Harlekin, Carmen, Papageno, Der Graf von Carabas/Der gestiefelte Kater, Der Heuschreck und die Ameise, Kalif Storch, Das tapfere Schneiderlein, Aladin und die Wunderlampe, Die Rose und der Ring. DVD, 160 min. Berlin. Absolut-Medien. ISBN 978-3-89848-899-0.
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Reiniger, Lotte (2011): Die Abenteuer des Prinzen Achmed. [Stummfilm]. 1 DVD-Video (ca. 66 Min.). Hamburg. Warner Home Video. (Süddeutsche Zeitung - Junge Cinemathek. Trickfilm, 11) ISBN 9783866159181.
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Weiterführende Literatur
Blattner, Evamarie (Hg.) (2010): Lotte Reiniger – »Mit zaubernden Händen geboren«. Drei Scherenschnittfolgen. (=Born with enchanting hands) Katalog zur Ausstellung. Tübingen [u.a.]. Wasmuth. ISBN 9783803033529.
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Blattner, Evamarie und Bieberstein, Rada (Hg.) (2015): Animation und Avantgarde. Lotte Reiniger und der absolute Film. Ausstellungskatalog. Düsseldorf. Filmmuseum. (Tübinger Kataloge, 101) ISBN 3-941818-27-9.
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Blattner, Evamarie, Desinger, Bernd und Knop, Matthias, et al. (Hg.) (2015): Lotte Reiniger. Filmstills. Tübingen. Wasmuth. ISBN 9783803033772.
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Borowsky, Kay (1982): Und schon geht sie auf die Reise. Annas 1. Lebensjahr. 72 Gedichte. Mit 24 Scherenschnitten von Lotte Reiniger. Tübingen. Heliopolis. ISBN 3-87324-053-X.
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Downar, Margit (Hg.) (1979): Lotte Reiniger. Silhouettenfilm und Schattentheater. Ausstellungskatalog. München. Lipp. ISBN 3-87490-532-2. (WorldCat-Suche)
Fitzner, Frauke (Hg.) (2011): Lotte Reiniger im Kontext der europäischen Medienavantgarde. Publikation der Beiträge des Lotte-Reiniger-Workshops im Stadtmuseum Tübingen 2009. Tübingen. Stadtmuseum. (Lotte Reiniger-Schriften, 1) ISBN 978-3-941818-05-7. (WorldCat-Suche)
Fitzner, Frauke (2011): Lotte Reiniger. Zur Rolle der Musik im frühen Film. Zugl.: Tübingen, Univ., Masterarbeit. Tübingen. Dt. Seminar, Univ. (Lotte-Reiniger-Schriften, 2) ISBN 9783941818125. (WorldCat-Suche)
Gassen, Heiner (Hg.) (1994): Lotte Reiniger, Carl Koch, Jean Renoir. Szenen einer Freundschaft. Ausstellungskatalog. Stadtmuseum München. CICIM. (Revue CICIM, 39/40) ISBN 3-920727-09-6.
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Grace, Whitney (2017): Lotte Reiniger. Pioneer of film animation. Jefferson, North Carolina. McFarland and Company, Inc. ISBN 978-1-4766-6206-0.
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Green, Roger Lancelyn (1992): König Arthur und seine Ritter der Tafelrunde. Aus den alten Legenden von Roger Lancelyn Green nacherzählt und von Lotte Reiniger illustriert. Aus dem Englischen übersetzt von Harry Watson und Gisela Schöner. Dt. Erstaufl. Höhr-Grenzhausen. Saint-Germain-Starczewski-Verlag. ISBN 3-925612-20-3.
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Happ, Alfred (Hg.) (1999): Lotte Reiniger. Die Hochzeit des Figaro. Ausstellungskatalog. Stadtmuseum Tübingen / Kulturamt Tübingen. Kulturamt. (Tübinger Kataloge, 52) ISBN 3-910090-31-1.
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Happ, Alfred (2004): Lotte Reiniger 1899 – 1981. Schöpferin einer neuen Silhouettenkunst. Begleitbuch zum Lotte-Reiniger-Museum im Stadtmuseum Tübingen. Tübingen. Kulturamt. (Tübinger Kataloge, 67) ISBN 3-910090-56-7. (WorldCat-Suche)
Happ, Helga und Happ, Alfred (Hg.) (2007): Von Herzen! Lotte Reiniger und ihre Zeit in Dettenhausen. Erinnerungen an die Meisterin des Scherenschnitts. Tübingen. Verlag Schwäbisches Tagblatt. ISBN 978-3-928011-60-0.
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Müller, André und Semmer, Gerd (Hg.) (1980): Geschichten vom Herrn B. Gesammelte Brecht-Anekdoten. Die Karikaturen und Zeichnungen stammen von Lotte Reiniger u.a. Frankfurt am Main. Ullstein. (Ullstein-Buch, 20054) ISBN 3-548-20054-0.
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Reiniger, Lotte (1972): Die Abenteuer des Prinzen Achmed. 35 Bilder aus dem Silhouetten-Film. Mit einer Erzählung des Inhalts. 2. Aufl. Tübingen. Wasmuth. 1985. ISBN 3-8030-3015-3.
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Reiniger, Lotte (1988): Mozart, die grossen Opern in Scherenschnitten. Einleitung von Joachim Kaiser. Herausgegeben von Alfred Happ. Tübingen. Heliopolis. ISBN 3-87324-060-2.
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Bildquellen
Salzburger Museum Carolino Augusteum
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