(Prof.in Dr.in Lore Kutschera. Geburtsname: Eleonore Belani)
geboren am 14. September 1917 in Villach
gestorben am 16. Oktober 2008 in Klagenfurt
österreichische Agrarwissenschaftlerin, Botanikerin und Ökologin
15. Todestag am 16. Oktober 2023
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Lore Kutscheras Fachgebiet war nur scheinbar exotisch oder gar abseitig: Ihre jahrzehntelange Erforschung der Pflanzenwurzeln, sowohl im Freiland als auch im Labor, befriedigte nicht nur akademische Neugier. Die Kenntnis der Pflanzenwurzeln in ihrer Anatomie und Morphologie, ihrer Verteilung im Boden in Abhängigkeit von verschiedenen Standortfaktoren – wie Bodenbeschaffenheit, Steilheit des Geländes, Klima oder Wasserverfügbarkeit – dient dem Verständnis der ökologischen Ansprüche der Pflanzenarten und ihrer Vergesellschaftung mit anderen Arten, also ob diese sich „vertragen“ und zusammenwirken oder eben nicht.
Aus nachvollziehbaren Gründen ist dies für die Landwirtschaft besonders bedeutsam, denn hier geht es darum, was den Ertrag steigert und was ihn hemmt. Selbst ein eintönig erscheinender Acker ist keine Monokultur, sondern beherbergt eine mehr oder weniger große Artenvielfalt. Kein Wunder ist es demnach, dass Lore Kutschera 1960 mit dem Wurzelatlas mitteleuropäischer Ackerunkräuter und Kulturpflanzen ihren internationalen Ruf als Wurzelforscherin und Angewandte Pflanzensoziologin begründete.
Die Pflanzensoziologie beschäftigt sich mit den Lebensgemeinschaften von Pflanzen, ihrem Aufbau, ihrer geschichtlichen Entwicklung, Anpassung an die Umgebung und Funktion ihrer einzelnen Bestandteile. „Angewandt“ ist sie dann, wenn sie Schlussfolgerungen für die Praxis zieht, z.B. für die Landwirtschaft, den Naturschutz oder die Landesplanung. Sowohl die Landwirtschaft als auch der Naturschutz waren stets ein großes Anliegen Kutscheras. Als langjährige Leiterin der Abteilung Botanik und Pflanzensoziologie der Bundesanstalt für alpenländische Landwirtschaft Gumpenstein in Irdning/Steiermark sowie als Gründerin des (privaten) Pflanzensoziologischen Instituts in Klagenfurt verfügte sie über die nötigen Ressourcen für ihr Engagement.
Geboren wurde Eleonore Belani in Villach, wo sie nach der Volksschule das Realgymnasium besuchte. Ihr Vater Eduard arbeitete als Hochbauingenieur bei den Österreichischen Bundesbahnen; der Beruf der Mutter Eleonore ist nicht bekannt. 1935 begann sie mit dem Studium der Landwirtschaft an der Hochschule für Bodenkultur in Wien, das sie 1939 als Diplomingenieurin abschloss. Schon bald darauf fand sie in ihrer Heimatstadt eine Stelle als wissenschaftliche Assistentin am Institut für Angewandte Pflanzensoziologie. Zu ihren ersten Aufgaben gehörte die Almverbesserung auf pflanzensoziologischer Grundlage. Bereits hier entwickelte sie die klimaabhängige Düngung, die sie – zunächst auf den Villacher Hausbergen Villacher Alpe und Gerlitze – schließlich auch einführte.
Am 9. Mai 1942 heiratete sie den Ingenieur Friedrich Wilhelm Kutschera, doch die Ehe währte nur kurz: Er kam von der Front nicht zurück und wurde im April 1945 für vermisst erklärt.
Von Mai 1944 an war das Institut für Angewandte Pflanzensoziologie vermutlich kriegsbedingt geschlossen, denn Lore Kutschera unterbrach ihre dortige Tätigkeit und unterrichtete stattdessen als landwirtschaftliche Lehrerin. Aber bereits im August 1945 wurde sie ans Institut zurückgerufen und übernahm für die nächsten drei Monate sogar dessen Leitung. Ab November 1945 war sie dann für die Kärntner Landesregierung tätig, zunächst wieder im Schuldienst und ab 1950 beim Landesplanungsamt. Ihr Auftrag war, das Keutschacher Moor-Seental zu kartieren und für dieses Gebiet einen Wirtschaftsplan zu erstellen. Mit dieser Arbeit legte Lore Kutschera den Grundstein für ihre folgende, Jahrzehnte andauernde Beschäftigung mit den Pflanzenwurzeln. Denn es stellte sich heraus, dass für ihre pflanzensoziologischen Studien die Untersuchung der von den Umwelteinflüssen abhängigen Pflanzenwurzeln unerlässlich war. Dabei klingt „Untersuchung der Pflanzenwurzeln“ einfacher als es tatsächlich ist, denn die Schwierigkeit besteht darin, größere Wurzelsysteme in ihrer gesamten Ausdehnung freizulegen, ohne ihre Lage zu verändern oder versehentlich die kleinsten Wurzelteile abzureißen. Das Fotografieren der freigelegten Wurzeln erwies sich zudem als unzureichend, da die Feinheiten hierbei verloren gehen. Somit mussten alle Details fein säuberlich mit Bleistiften unterschiedlicher Härte gezeichnet werden. Keine Aufgabe für ungeduldige ZeitgenossInnen.
Seit ihrem Ausscheiden aus dem Landesplanungsamt Ende 1953 arbeitete Lore Kutschera in dem von ihr selbst gegründeten Pflanzensoziologischen Institut in Klagenfurt, das ihr die Fortsetzung der wissenschaftlichen Arbeit in enger Verbindung mit der Praxis ermöglichte. Ihre Hauptaufgabe bestand in der Beratung von LandwirtInnen.
Auf Einladung des Verbandes der Akademikerinnen in den USA verbrachte Lore Kutschera 1954/55 ein halbes Jahr an der University of Nebraska. Während dieses Studienaufenthaltes konnte sie in Zusammenarbeit mit anderen WurzelexpertInnen ihre Kenntnisse erweitern und erhielt Anregungen für ihre eigene Forschungsarbeit. Denkanstöße erhielt sie aber nicht nur aus dem akademischen Umfeld, sondern auch im Austausch mit den Bäuerinnen und Bauern, deren Wissen sie in ihre Arbeiten einbezog. Aus dieser fruchtbaren Zusammenarbeit entstand 1960 der Wurzelatlas mitteleuropäischer Ackerunkräuter und Kulturpflanzen, der erste Band der Wurzelatlas-Reihe, dem noch sechs Bände folgen sollten – der letzte 2009 posthum über die Wurzeln der Kulturpflanzen gemäßigter Gebiete. Diese Reihe begründete Lore Kutscheras internationalen Ruf als Wurzelforscherin und gilt bis heute als Standardwerk der Wurzelforschung.
Trotz bisher fehlender akademischer Weihen leitete Lore Kutschera neben ihrem eigenen Pflanzensoziologischen Institut ab 1961 (bis 1982) die neu gegründete Abteilung „Botanik und Pflanzensoziologie“ an der Bundesanstalt für alpenländische Landwirtschaft Gumpenstein bei Irdning im Ennstal. Diese „Weihen“ holte sie rasch nach: 1962 wurde sie an der Hochschule für Bodenkultur in Wien promoviert. Am Botanischen Institut dieser Hochschule habilitierte sie sich 1969 und wurde 1978 zur Außerordentlichen Universitätsprofessorin ernannt.
An der Bundesanstalt in Gumpenstein hatte sie erstmals die Möglichkeit, im Labor das Innere der Pflanzen und ihrer Wurzeln zu untersuchen. Auf diese Weise gelang ihr das Rätsel des Geotropismus zu lösen, d.h. wie das durch die Schwerkraft verursachte Richtungswachstum der Wurzel und z.T. des Sprosses zustande kommt. Damit wiederum lässt sich die unterschiedliche räumliche Ausbildung der Einzelpflanze sowie der gesamten Pflanzendecke auf verschiedenen Böden und in verschiedenen Klimaten begreifen und gezielt beeinflussen.
Neben dem Schwerpunkt ihrer Arbeit, der Publikation weiterer Wurzelatlas-Bände, veröffentlichte Lore Kutschera zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten, häufig zu ökologischen Themen, wie z.B. zu Wurzelformen und -tiefe bei verschiedenen Standortfaktoren, zur biologischen Unkrautbekämpfung, zum Einfluss von Gülle auf die Pflanzenzusammensetzung oder zur Schädigung von Pflanzen durch Schwefeldioxid und andere Luftschadstoffe. Der praktischen Anwendung in der Landwirtschaft dienen ihre Anleitungen zu standortgemäßen Fruchtfolgen, Düngung und Pflegemaßnahmen zum günstigsten Zeitpunkt. Diese Erkenntnisse erwiesen sich auch als hilfreich bei der Zusammenstellung von Samenmischungen.
Lore Kutscheras Forschungstätigkeit beschränkte sich nicht nur auf den Alpenraum. Ausgedehnte Forschungsreisen unternahm sie u.a. auf die Kanarischen Inseln, nach Südfrankreich, Griechenland, Schweden, Argentinien, Südafrika und vor allem in Gegenden mit extremen Klimabedingungen, wie z.B. in die Wüsten Gobi und Namib, nach Australien, Kasachstan und Tadschikistan. Sie gehörte mehreren wissenschaftlichen Vereinigungen an, unter anderem der Deutschen Botanischen Gesellschaft und der Internationalen Vereinigung für Vegetationskunde. Um den Austausch mit FachkollegInnen zu fördern, gründete sie 1982 die International Society of Root Research, zu deren Vizepräsidentin sie gewählt wurde und für die sie mehrere Kongresse organisierte. Für interessierte Lai/inn/en hielt sie öffentliche Vorträge und führte zahlreiche Exkursionen durch.
Für besondere Verdienste auf wissenschaftlichem Gebiet wurde sie 1991 mit der Ehrenurkunde der Landeshauptstadt Klagenfurt ausgezeichnet. Zu weiteren Ehrungen gehörten u.a. die Goldene Medaille der Landeshauptstadt Klagenfurt und das Ehrenzeichen des Landes Kärnten. Anlässlich ihres 80. Geburtstages richtete das Biologiezentrum des Oberösterreichischen Landesmuseums eine Wurzelausstellung aus und widmete ihr die Festschrift Wurzeln. Einblicke in verborgene Welten.
Am 16. Oktober 2008 starb Lore Kutschera nach kurzer schwerer Krankheit in Klagenfurt.
(Text von 2015)
Verfasserin: Christine Schmidt
Zitate
Ich will nichts Halbes in meinem Leben haben und tun. Wir wollen doch alle nichts Halbes sein. Also müssen wir uns als Botaniker mit dem Ganzen befassen.
Die Wurzel ist ein seltsam Ding,
das kommt bald jemand in den Sinn.
Zu deuten ist sie aber schwer,
das kommt von ihrem Wesen her.
Sie ist gewiss ein Teil der Pflanze,
doch das ist lange nicht das Ganze.
Der Pflanze gibt sie Halt und Kraft
und regelt ihren Lebenssaft.
Dem Menschen ist sie ein Symbol
für Sicherheit und Lebenswohl.
Wer standhaft ist, der ist verwurzelt.
Wer schwankt, der alsbald gänzlich purzelt.
Entwurzelt ist er, sag’n die Leut,
verdammt in alle Ewigkeit.Doch der, erbost ob diesem Sagen,
beginnt erneut, Wurzeln zu schlagen.
Er stehet da, fester als zuvor,
und nennt den Spötter einen Tor.
So hilft die Wurzel jedermann,
der ihrer sich bedienen kann.
Doch erst vermag sie all das Ganze,
seit aus dem Wasser stieg die Pflanze.
Von hellem Sonnenlicht umgeben,
muss Zucker im Überschuss entstehen.
Den Überschuss nimmt als Neu-Organ die Wurzel auf
und sichert so der Landpflanze den Lebenslauf.(Lore Kutschera & Erwin Lichtenegger)
Links
Pflanzensoziologisches Institut: Publikationen
http://www.wurzelforschung.at/publikationen.html
Links geprüft und korrigiert am 13. Oktober 2023 (AN)
Literatur & Quellen
Quellen
Böhm, Wolfgang: Lore Kutschera. Ein Leben für die Wurzelforschung. Göttingen 2010 (Auretim Verlag)
Jürgens, Karin & Schmitt, Mathilde: Lore Kutschera. Wurzelforscherin und Pflanzensoziologin. In: Inhetveen, Heide (Hg.): Pionierinnen des Landbaus. Uetersen 2000, S. 111-115 (C.D.C. Heydorn Verlag)
Sobotik, Monika & Eberwein, Roland K.: Univ.-Prof. DI Dr. Lore Kutschera (14.9.1917 – 16.10.2008). In: Carinthia II (= Mitteilungen des Naturwissenschaftlichen Vereins für Kärnten, Jg. 119, Teil 1), Klagenfurt 2009, S. 267-275
Speta, Franz: Zur Geschichte der Wurzelforschung mit besonderer Berücksichtigung der Aktivitäten in Österreich. In: Oberösterreichisches Landesmuseum (Hg.): Wurzeln. Einblicke in verborgene Welten (= Stapfia, Bd. 50), Linz 1997, S. 257-259
Literatur (Auswahl)
Kutschera, Lore: Wurzelatlas mitteleuropäischer Ackerunkräuter und Kulturpflanzen. Frankfurt a.M. 1960 (DLG-Verlag)
Kutschera, Lore & Lichtenegger, Erwin: Wurzelatlas mitteleuropäischer Grünlandpflanzen, Bd. 1: Monocotyledoneae). Stuttgart / New York 1982 (Gustav Fischer Verlag)
Kutschera, Lore & Lichtenegger, Erwin: Wurzelatlas mitteleuropäischer Grünlandpflanzen, Bd. 2: Pteridophyta und Dicotyledoneae (Magnoliopsida), Teil I: Morphologie, Anatomie, Ökologie, Verbreitung, Soziologie, Wirtschaft. Stuttgart / Jena / New York 1992a (Gustav Fischer Verlag)
Kutschera, Lore & Sobotik, Monika: Wurzelatlas mitteleuropäischer Grünlandpflanzen, Bd. 2: Pteridophyta und Dicotyledoneae (Magnoliopsida), Teil II: Anatomie. Stuttgart / Jena / New York 1992b (Gustav Fischer Verlag)
Kutschera, Lore u.a.: Bewurzelung von Pflanzen in verschiedenen Lebensräumen (Hg. Oberösterreichisches Landesmuseum Linz (= Stapfia, Bd. 49)). Linz 1997
Kutschera, Lore u.a.: Wurzelatlas mitteleuropäischer Waldbäume und Sträucher. Graz / Stuttgart 2002 (Leopold Stocker Verlag)
Kutschera, Lore u.a.: Wurzelatlas der Kulturpflanzen gemäßigter Gebiete mit Arten des Feldgemüsebaues. Frankfurt a.M. 2009 (DLG-Verlag)
Kutschera, Lore: Erfolgreiche Landwirtschaft durch Pflanzensoziologie. Klagenfurt 1961
Kutschera, Lore: Biologische Unkrautbekämpfung auf pflanzensoziologischer Grundlage. In: Versuchsergebnisse der Bundesversuchsanstalt für alpenländische Landwirtschaft. Gumpenstein, Irdning 1966, S. 107-111
Kutschera, Lore: Erklärung des geotropen Wachstums aus Standort und Bau der Pflanzen. In: Land- u. Forstwissenschaftliche Forschung in Österreich, Bd. 5, 1972, S. 35-89
Kutschera, Lore: Die Entwicklung der Gülleflora und ihre Ursachen im Bau der Arten (Bestimmung der Schadwirkung der Gülle durch den Wurzeltest). In: Bericht der 6. Arbeitstagung „Fragen der Güllerei“ (1974). Gumpenstein, Irdning 1975, S. 49-69
Kutschera, Lore: Beeinflussung der Pflanzengesellschaften durch die Düngung. In: Symposium Biologische Landwirtschaft (1977) (Hg. Initiativkreis Biologische Landwirtschaft). Klagenfurt 1978, S. 70-78 (Eigenverlag)
Kutschera, Lore: Landschaftsökologische Bedeutung der Almwirtschaft. In: Der Alm- und Bergbauer, Bd. 29, 1979, S. 403-421
Kutschera, Lore: Tiefe der Bodendurchwurzelung in Abhängigkeit von Klima und Boden. In: Mitteilungen der Österreichischen Bodenkundlichen Gesellschaft, Sonderheft Nr. 3, 1981, S. 45-52
Kutschera, Lore: Pflanzenschäden durch SO2, Autoabgase und luftgetragene Chlorkohlenwasserstoffe – ihre Merkmale. In: Hercynia N.F., Bd. 24, 1987, S. 358-364
Kutschera, Lore: Wege zur Minderung von Dürreschäden auf Acker- und Grünland. In: Der Förderungsdienst, Bd. 40/12, 1992, S. 336-342
Kutschera, Lore: Standorte und Wuchsformen kennzeichnender Arten des Mittelmeerraumes auf Malta. In: Dissertationes Botanicae, Bd. 196, 1993, S. 136-153
Kutschera, Lore u.a.: Die Wurzel – das neue Organ, ihre Bedeutung für das Leben von Welwitschia mirabilis und anderer Arten der Namib sowie von Arten angrenzender Gebiete mit Erklärung des geotropen Wachstums der Pflanzen. Klagenfurt 1997 (Eigenverlag)
Kutschera, Lore u.a.: Die Wurzelbilder der drei mitteleuropäischen Erlenarten. Root illustrations of the three Central European Alnus species. In: Jahrbuch der Gesellschaft für Ingenieurbiologie e.V., Bd. 7, 1998, S. 45-64
Kutschera, Lore: Wurzelformen auf zeitweise überfluteten Standorten. In: Tagungsband 11. Österreichisches Botanikertreffen, Institut für Botanik der Universität Wien, 2004, S. 28-29
Kutschera, Lore & Lichtenegger, Erwin: Sturmschäden auf sauren Standorten häufiger? In: AFZ – Der Wald, Bd. 59, H. 15, 2004, S. 835
Sollten Sie RechteinhaberIn eines Bildes und mit der Verwendung auf dieser Seite nicht einverstanden sein, setzen Sie sich bitte mit Fembio in Verbindung.