(Karolina Rosina Friederike Ramann)
geboren am 24. Juli 1833 in Mainstockheim b. Würzburg
gestorben am 30. März 1912 in München
deutsche Pianistin, Schriftstellerin, Lehrerin und Sozialpädagogin, Musikwissenschaftlerin, Biographin und Herausgeberin
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Biografie • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Lina Ramann war einiges: Pianistin, Schriftstellerin, Lehrerin und Sozialpädagogin, Musikwissenschaftlerin, Biographin, Herausgeberin, außerdem politisch interessiert und mit einer gewissen Reiselust ausgestattet. Im Übrigen verwirklichte sie mit ihrer Lebensgefährtin Ida Volckmann ein für die damalige Zeit recht ungewöhnliches Lebensmodell.
In Nürnberg eröffneten diese beiden Musikerinnen eine erfolgreiche Musikschule, die ihre Räume nur wenig nördlich der Sebalduskirche bezog. Der 2. Weltkrieg hat leider sämtliche bauliche Spuren des musikpädagogischen Instituts verschwinden lassen. Das sehr stattliche Haus mit zweigeschossigem hölzernen Nürnberger Chörlein und aufwendigem Giebelschmuck ist einem eher zweckmäßigen Nachkriegs-Neubau gewichen. Eine gewisse Nähe zu Kunst und Kultur stellt heute lediglich das alteingesessene Auktionshaus nebenan und das Dürer-Denkmal wenige Meter entfernt dar.
Als Karolina Rosina Friederike Ramann wurde die spätere Musikerin 1833 in Mainstockheim, also im Unterfränkischen nahe Kitzingen, geboren. Lina wurde das Mädchen gerufen und bekam in Kindheit und Jugend ein wenig Musikunterricht. Den Großteil ihrer musikalischen Bildung brachte sie sich in diesen frühen Jahren jedoch selbständig bei. Erst als die Familie um 1850 nach Leipzig umgezogen war, erhielt Lina professionellen Klavierunterricht – da war sie schon 17 Jahre alt. Mit ihrer Lehrerin Lysinka Brendel hatte sie eine sehr gute Wahl getroffen, denn diese war die Ehefrau des umtriebigen Musikwissenschaftlers und -kritikers Franz Brendel, der u. a. 1844 von Robert Schumann die Redaktion der bis heute erscheinenden Neuen Zeitschrift für Musik (NZfM) übernommen hatte. In deren Haus ging aus und ein, wer am kulturellen und speziell musikalischen Leben Leipzigs teilnahm. Dort kam Lina Ramann auch erstmals mit der neudeutschen Schule (1) um Franz Liszt in Berührung und erlebte hautnah die sehr engagiert geführte Polemik um die Zukunft der Musik. Großen Eindruck scheinen auf sie auch Liszts pädagogische Ideen gemacht zu haben, deren soziale Ansätze sie später ebenfalls umzusetzen versucht.
1853, also mit 20, zog Lina Ramann nach Gera, um dort auf eigenen Beinen zu stehen. In der durch starke musikpädagogische Traditionen geprägten thüringischen Stadt mit damals noch florierendem Instrumentenbau (2) bot sie Klavierunterricht an und ihre Fähigkeiten als konzertierende Pianistin. Wenige Jahre später folgte sie einer Freundin, die in die Neue Welt heiratete. Den Briefen an die Eltern aus den Wochen vor dieser lebensverändernden Reise lässt sich entnehmen, dass es durchaus nicht nur Abenteuerlust war, die sie trieb, sondern dass die junge Frau hoffte, dort gute Arbeitsmöglichkeiten vorzufinden, die ihrer Freude an der pädagogischen Arbeit größeren Raum boten, als in ihrem Heimatland. Schließlich ließen die Eltern sie ziehen und unterstützten diese mutige Unternehmung ideell und finanziell.
In Chambersburg (Pennsylvania), einer kleinen Stadt mit landwirtschaftlicher und auch früher industrieller Prägung, gab sie auf den Farmen der Umgebung Musikunterricht. Aus einem Brief an die Eltern können wir entnehmen, dass es ihr sehr gut gefallen hat: »Ich liebe Amerika immer mehr. Es ist ein prächtiges Land.«
Lina Ramann überwand die weiten Entfernungen zu Pferde, scheute keine Anstrengung, unterrichtete unterschiedlichste Instrumente wie Klavier, Violine, Posaune, schlug am Sonntag die Orgel für den Gottesdienst, arbeitete mit Chören, gab Konzerte für Interessierte und komponierte kleinere Gebrauchsmusiken. Dass ihr Körper nach einigen amerikanischen Jahren einem hartnäckigen Fieber nichts mehr entgegensetzen konnte, traf sie hart. Traurig kehrte Lina Ramann 1858 nach Deutschland zurück. Die Eltern waren unterdessen nach Glückstadt im heutigen Schleswig-Holstein umgezogen, und auch dort wird sich die Weitgereiste von nun an der Volksbildung widmen. Sie hielt Vorträge, berichtete von ihren Erfahrungen in Übersee und unterrichtete am Klavier. In freien Stunden bildete sie sich mit gewohntem Fleiß selbst fort und bestand daraufhin alle nötigen Prüfungen vor dem Holsteinischen Generalsuperintendenten, um noch im selben Jahr eine eigene Lehranstalt gründen zu dürfen. Vermutlich lernte Lina Ramann in diesem Zusammenhang Ida Volckmann kennen, die Gefährtin, die für den Rest ihres Lebens an ihrer Seite bleiben wird. Die neue Musikschule in Glückstadt wurde begeistert angenommen und die beiden Musikerinnen konnten sich über mangelnde Arbeit nicht beklagen.
Aber auch diesmal sollten die äußeren Umstände für einen weiteren Ortswechsel sorgen, denn im Frühjahr 1864 brach der Deutsch-Dänische Krieg aus. Und nun kommt Nürnberg ins Spiel. Lina kannte die Stadt, die von ihrem Geburtsort Mainstockheim nicht allzu weit entfernt lag, von Besuchen bei einer Tante. Gemeinsam mit Ida eröffnete sie also nun schon ihre zweite Bildungseinrichtung, die Ramann-Volckmann’sche Musik-Schule am Albrecht-Dürer-Platz 513 in Nürnberg.
In der fränkischen Stadt zeigten sich die Anfänge holprig, wollte man doch zunächst nichts von den modernen Vorstellungen der jungen Pädagoginnen wissen. Doch nach einiger Zeit gelang es den beiden, die Nürnberger Bevölkerung für sich zu gewinnen. Sie unterrichteten nach streng formulierten Richtlinien, die technische Fähigkeiten am Instrument ebenso berücksichtigten, wie eine gründliche theoretische Bildung. Ihre Schüler waren sowohl interessierte Laien, als auch junge zukünftige Profimusiker.
Schon 1860 waren Lina Ramanns Technische Studien für Pianoforte erschienen, die sie »Herrn Dr. Franz Liszt, dem Begründer einer neuen Aera des Klavierspiels« gewidmet hatte. Der Geehrte war von dem neuen Unterrichtswerk sehr angetan. Bis zum Tod des großen Klaviervirtuosen im Jahr 1886 fanden viele gegenseitige Besuche in Nürnberg und Weimar statt; und dem Zusammentreffen der beiden Ausnahmetalente auf ihrem jeweiligen Gebiet haben wir heute Lina Ramanns zahlreiche musikwissenschaftliche Schriften zu Liszts Leben und Werk zu verdanken. (3) Sie war es dann schließlich auch, die die erste, vom Meister in Auftrag gegebene und abgesegnete Liszt-Biografie schrieb. (4)
Lina Ramann verfolgte mit ihren Unterrichtsmethoden ein hehres Ziel: Nicht nur ein angenehmer Zeitvertreib sollte das Erlernen eines Instrumentes sein, kein Luxus für die Oberschicht, sondern ein probates Mittel zur Persönlichkeitsbildung. Ihre Unterrichtsmethoden würde man heute vielleicht »ganzheitliche Pädagogik« nennen, oder man könnte das Schlagwort »heterogene Lerngruppen« in den Ring werfen. Lina Ramann war ihrer Zeit voraus und hatte damit großen Erfolg; einige ihrer KlavierschülerInnen wurden erfolgreiche PianistInnen.
Nach 25 Jahren wurde es dann wiederum Zeit für einen Ortswechsel. Mit Lina Ramanns Gesundheit stand es nie zum Besten. Seit ihrer amerikanischen Zeit litt sie immer wieder an Lungenbeschwerden, und so zog es die beiden Frauen etwas weiter in den Süden, dorthin, wo die Luft hoffentlich krankheitsmildernd wirken wird. Lina Ramann und Ida Volckmann übergaben im Jahr 1890 ihr erfolgreiches Musikinstitut in die jüngeren Hände zweier Schüler und ließen sich in der Nähe von München nieder, im damaligen ruhigen Villenvorort Nymphenburg. Auch hier im Ruhestand versammelten sich schnell verwandte Geister um die beiden Musikerinnen, und das Leben gestaltete sich angenehm. Lina Ramanns 70. Geburtstag wurde für sie unerwartet in vielen Zeitungen zu einem ausführlichen Bericht genutzt, und es erreichte sie Glückwunschpost von nah und fern.
Am 30. März 1912 starb Lina Ramann im Schlaf. Ihre Lebensgefährtin Ida Volckmann folgte ihr nach 10 noch immer arbeitsreichen Jahren, in denen sie sich auch weiterhin um die Schriften ihrer Freundin bemühte, am 18. März 1922.
(Text von 2024)
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(1) Eine neue Strömung innerhalb der Musikentwicklung, die erste Schritte in Richtung Programmmusik unternahm. Der Begriff wurde von Brendel geprägt.
(2) Friederici-Klaviere aus Gera besaßen beispielsweise die Familien Mozart und Goethe.
(3) Lina Raman übersetzte auch viele von Liszts Schriften aus der von ihm bevorzugten französischen Sprache ins Deutsche.
(4) Franz Liszt als Künstler und Mensch (1880–1894) und die Studie Franz Liszt als Psalmensänger und die früheren Meister (1886)
Verfasserin: Anja Weinberger
Links
http://mugi.hfmt-hamburg.de/artikel/Lina_Ramann
Literatur & Quellen
Ille-Beeg, Marie. 1914. Lina Ramann - Lebensbild einer bedeutenden Frau auf dem Gebiete der Musik. Biografie. Korn, Nürnberg.
Rieger, Eva. 1986. “So schlecht wie ihr Ruf? Die Liszt–Biographin Lina Ramann”, Neue Zeitschrift für Musik 7/8 (1986); S. 16-20.
Eva Rieger, Artikel „Lina Ramann“, in: MUGI. Musikvermittlung und Genderforschung: Lexikon und multimediale Präsentationen, hg. von Beatrix Borchard, Nina Noeske und Silke Wenzel, HfMT Hamburg, 2003ff. und HfM Weimar, 2022ff. Stand vom 17. April 2018, online verfügbar unter https://mugi.hfmt-hamburg.de/receive/mugi_person_00000659, zuletzt abgerufen am 7. August 2024.
Weitere Frauenbiografien der Autorin finden Sie in diesem Buch:
Weinberger, Anja (2023): Frauengeschichten: Kulturgeschichten aus Kunst und Musik. 1. Auflage. Grieskirchen. Der Leiermann. ISBN 978-3-903388-41-3.
(Zum Buch)
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