geboren am 16. Juni 1885 in Berlin
gestorben am 14. Dezember 1947 in Berlin
deutsche Architektin, Innenarchitektin, Möbel- und Mode-Designerin
75. Todestag am 14. Dezember 2022
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen • Bildquellen
Biografie
Hat sie ihn entworfen oder nicht? Seit Jahrzehnten fachsimpelt die Kunstwelt, ob der weltberühmte »Barcelona-Sessel« (1929) nicht auf Ludwig Mies van der Rohes Konto ging, wie dieser zeitlebens kolportierte, sondern von Lilly Reich kreiert wurde. So oder so: Reich ging ihren Weg. Auch ohne Mies. Sie setzte neue Maßstäbe fürs »Neue Wohnen« und »Neue Bauen«, wurde als Pionierin modernen Ausstellungsdesigns berühmt. Dass sie nach ihrem frühen Tod 1947 komplett aus dem Fokus der Kunsthistoriographie rutschte, ging allerdings tatsächlich auf Mies’ Konto. Anteilig zumindest.
»… die sein will, was sie ist«: Berlin – Wien – Berlin
Wesentlich sei, schrieb Lilly Reich 1922, dass »der Geist der Frau zur Sprache kommt, die sein will, was sie ist und nicht scheinen will, was sie nicht ist« (zit. n. Günther 1988, S. 87). Zwar zirkulierten ihre Ausführungen um vermeintlich banale Modefragen. Parallelen zur eigenen Biographie sind dennoch evident: Die selbstbewusste Tochter aus finanziell solide gepolstertem Berliner ElektrofabrikantInnen-Haus ging scheinbar unbeirrt ihren Weg. Nach dem Abitur ließ sie sich als Kurbelstickerin ausbilden, ein im Jugendstil beliebtes Handwerk, und schloss, angesichts der misslichen Ausbildungslage, die deutsche Akademien Studentinnen boten, einige Jahre des »learning by doing« an: 1908 wechselte sie nach Wien, in Josef Hoffmanns Wiener Werkstätte. Zurück in Berlin, 1910, war sie neben Else Oppler-Legband an der soeben eröffneten »Höheren Fachschule für Dekorationskunst« aktiv und pflegte rasch multiple Kontakte, u.a. zum damals omnipräsenten BaukünstlerInnen-Paar Anna und Hermann Muthesius. 1911 machte Reich mit dem ersten größeren Entwurf auf sich aufmerksam, einer Inneneinrichtung für ein Charlottenburger Jugendheim. Ein Jahr später, durchaus keine zu vernachlässigende Auszeichnung, nahm der Deutsche Werkbund (DWB) sie in seine Reihen auf. Es folgten weitere, vielbeachtete Entwürfe, beispielsweise 1912 eine ArbeiterInnenwohnung für die Berliner Ausstellung »Die Frau in Haus und Beruf«, 1914 ein Wohnzimmer und eine Schaufensterserie für das »Haus der Frau« auf der Kölner Werkbund-Ausstellung.
»My real heart … is in building«: Festschreibungen und Brüche
Angesichts der dramatischen Auftragslage fuhr Reich in der Nachkriegszeit genretechnisch mehrgleisig: Im Westen Berlins unterhielt sie ein Atelier für Innenraumgestaltung, Dekorationskunst und Mode. Textilprodukte blieben über Jahre ihr zweites Standbein: Sie designte Kleidung und Stoffe, publizierte über die Haute und Basse Couture, gestaltete themenrelevante Ausstellungen, z.B. »Kunsthandwerk in der Mode« für das Berliner Kunstgewerbemuseum (1920). Ob sich Lilly Reich eingangs aus purer Überzeugung oder reiner Verzweiflung in ihrerzeit als »frauengemäß« verschriene Gefilde – Kleidermode, Schaufenster- und Textilgestaltung – stürzte, ist unbekannt. Zumindest später, 1928, räumte sie ein, »My real heart … is in building« (zit. n. Droste 1996, S. 55). Diesem Bekenntnis brutal entgegen stand das bis zum Ende ihrer Karriere unausrottbare Vorurteil, »Du denkst doch nicht etwa, dass eine Frau ein Haus bauen kann« (Zsuzska Bánki, 1931, zit. n. Hansen-Schaberg 2012, S. 165). Schon zwei Jahrzehnte zuvor hatte Elisabeth von Knobelsdorff als erste Frau im Kaiserreich ein Architektur-Diplom erworben. In der Weimarer Republik avancierte das Architekturstudium an den Technischen Hochschulen unter Studentinnen schnell zu einer der begehrtesten Fachrichtungen, und Fachzeitschriften bildeten immer mehr Bauwerke von Architektinnen ab. Parallel aber wurde der Glaube an die Unvereinbarkeit von Weiblichkeit und Bauberuf hartnäckig in Formalin getaucht: Ada Schmidt-Beil beispielsweise deklinierte sich in ihrem Buch »Die Kultur der Frau« (1931) durch alle erdenklichen Frauenberufe. Das Kapitel »Baukunst« aber sparte sie aus. Innenarchitektur und Möbelbau galt es gleichermaßen als männliche Territorien zu verteidigen: Dass Lilly Reich Vitrinen nicht bloß mit hübschen Spitzendeckchen ausstaffierte, sondern gleich den ganzen Schrank dazu entwarf, verkaufte das »Fachblatt für Holzarbeiter« noch 1915 als Exotikum – es präsentierte Reichs Möbelentwürfe unter dem Titel »Die Frau als Möbelbauerin«. Fünf Jahre später, 1920, drang Reich erneut in männliches Gebiet: Sie ließ sich als erste Frau in den Werkbund-Vorstand wählen.
»Es ist schwieriger, einen guten Stuhl zu bauen als einen Wolkenkratzer«: Frankfurt/Main – Stuttgart – Berlin
1924 wechselte Reich an den Main, als Ausstellungsgestalterin der Werkbund-Kommission des Frankfurter Messeamtes. Daneben führte sie ein Atelier für Ausstellungsgestaltung und Mode. »Von der Faser zum Gewebe« (1926) hieß ihre bis dahin erfolgreichste Schau, die wegen ihrer künstlerischen Vereinheitlichungstendenz, quasi einer Frühform des Corporate Design, als Archetypus progressiven Textilausstellungsdesigns gehandelt wurde. 1927, mit 42 Jahren, folgten noch gewaltigere Meriten: Reich war bei der Stuttgarter DWB-Schau »Die Wohnung«, der bis dahin ambitioniertesten Werkbund-Ausstellung, u.a. verantwortlich für das von Siegfried Kracauer hochgelobte, nüchtern-sachliche Ausstellungsdesign der Gewerbehalle. Außerdem oblag ihr die gepriesene, hochreduzierte Appartementausstattung in Ludwig Mies van der Rohes Weißenhofsiedlungs-Wohnblock. Mies, der hochbetagt darlegte, es sei schwieriger, »einen guten Stuhl zu bauen als einen Wolkenkratzer« (zit. n. Reuter / Schulte 2008), fungierte als Gesamtleiter der Weißenhofsiedlung, die eigens für die DWB-Ausstellung aus dem Boden gestampft wurde, um die Ziele des »Neuen Bauens« und »Neuen Wohnens« griffig zu visualisieren. Schon damals galten jene 21, von rein männlicher Architektenschaft konzipierten Wohnhäuser vielen als Urknall der Moderne, anderen als verabscheuungswürdiges Zeugnis modern frisierter, bourgeoiser Lebenskultur. Reich war die einzige Weißenhof-Künstlerin, die eine vollständige Wohnungseinrichtung kreieren durfte und nicht in vermeintlich genderkonforme Gebiete, kurz: Küche und Haushaltsorganisation, gezwungen wurde. Auf Stuttgart ließ Reich zahllose weitere Möbel- und Innenraumentwürfe folgen, die ihren Ruf als Vorzeige-Innenarchitektin und -Möbeldesignerin festigten. U.a. prägte sie eine Stahlrohrmöbel-Serie – mutmaßlich als erste Frau ihrer Zeit. Daneben arbeitete sie zusammen mit Ludwig Mies van der Rohe am mehreren Projekten für eine betuchte Klientel – z.B. die Innenausstattung für die Krefelder Häuser Lange und Esters (1927-30) sowie das Haus Tugendhat in Brünn (1930, heute: Brno). Außerdem saß sie gemeinsam mit Mies an den Plänen für das »Café Samt & Seide« der Berliner Ausstellung »Die Mode der Dame« (1927), für den Deutschen Pavillon der Weltausstellung in Barcelona 1929 und für die Bauausstellung 1931 in Berlin, wo Reich erstmalig – unabhängig von Mies – als Architektin in Erscheinung trat. Reich kannte den ein Jahr jüngeren Mies seit 1924. Ein Jahr später wurde auch er in den DWB-Vorstand gewählt, doch waren sich beide offenbar erst 1926/27 in Stuttgart nähergekommen. Beruflich wie privat.
»… deine reich komme«? Bauhaus Dessau – Bauhaus Berlin
Keinen leichten Stand hatte Lilly Reich am Bauhaus: Als sie im Januar 1932, mit 46 Jahren, in Dessau die Leitung der Weberei und sog. Ausbauabteilung, einer Fusion von Metall-, Möbel- und Wandmalerei-Werkstatt, übernahm, plante sie vielerlei Innovation. Die Kunstschule aber war zu diesem Zeitpunkt von gravierenden wirtschaftlichen, politischen und persönlichen Querelen zermürbt; fernerhin trauerte ein Gros der SchülerInnen Reichs Interims-Vorgängerin [url=https://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/Otti Berger]otti-berger[/url] hinterher. Reich, längst international arriviert, konnte es sich leisten, lukrative Angebote wie den Direktorinnen-Posten der heutigen Meisterschule für Mode in München auszuschlagen. Am Bauhaus aber zog es mancheR vor, sie auf die »Frau an Mies’ Seite« zu verkürzen. Mies hatte 1930 das Direktorat übernommen und nie einen Hehl daraus gemacht, Reich als Webereileiterin zu präferieren. So scherzte Oskar Schlemmer bereits 1930 in Richtung Gunta Stölzl, der damaligen Webereileiterin, »deine reich komme« (zit. n. Stölzl 1997, S. 58). Dass sich Mies auf Reichs Fähigkeiten als Künstlerin fokussierte, wollten die wenigsten der überwiegend traditionellen Geschlechtsstereotypen verpflichteten Mitglieder anerkennen. Dabei bediente sich Mies im Grunde einer Bauhaus-üblichen Praxis: Seine Vorgänger Gropius und Meyer besetzten vakante Positionen ebenso mit engen Vertrauten, allerdings mit männlichen. Ob Lilly Reich aktiv Dissonanzen säte – Magdalena Droste mutmaßte, Reich habe Otti Berger systematisch hinausgeekelt –, oder ob sie (auch posthum in der Literatur) zum Opfer misogyner Verleumdungskampagnen wurde, lässt sich anhand der derzeitigen Quellenlage schwer beurteilen. 1932, während das Bauhaus vor reaktionären Dessauer Mächten als Privatunternehmen nach Berlin floh, empörte sich Hinnerk Scheper, Leiter der Wandmalerei, lautstark bei seiner Frau Lou Scheper-Berkenkamp über Reich. Sie sei eine »kalte, geschäftstüchtige Frau«, der es »vollkommen gleichgültig (sei, A.B.), wie andere Menschen durchkommen« (zit. n. Hahn 1985, S. 105ff.). Oft zitiert, jedoch meist dekontextualisiert, entglitten Scheper diese Äußerungen gleichwohl nach wochenlangen, zähen Verhandlungen um seine berufliche Zukunft am finanziell schwer angeschlagenen Bauhaus. Sekündlich fürchtete er um seine Entlassung und machte zunächst Mies als »kalt(en) und hartherzig(en)« (Hahn 1985, S. 107) Drahtzieher allen Übels aus, schließlich Lilly Reich, war sie doch seine direkte Vorgesetzte und Mitglied der Finanzkommission. Bald darauf kam ohnedies alles anders: Am 20. Juli 1933, wenige Monate nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler, lösten Mies und seine KollegInnen das Bauhaus auf.
Unsicheres Terrain: Lilly Reich im Nationalsozialismus
Wenig redselig zeigt sich die Forschung mitunter zu Reichs Aktivitäten zwischen 1933 und 1945. Im Gegensatz zu Mies, dessen wiederholte NS-Anbiederei in den USA mehrfach angeprangert, in Deutschland jedoch gern heruntergespielt wird, unterzeichnete Lilly Reich den umstrittenen »Aufruf der Kulturschaffenden« (1934) – einem öffentlichen Bekenntnis zu »des Führers Gefolgschaft« – nicht. Gleichwohl stimmte sie 1933, als das NSDAP-Mitglied Carl Christoph Lörcher den DWB-Präsidentenstuhl erklomm und dessen sog. Gleichschaltung einleitete, allen Änderungen zu. Daneben sympathisierte Reich mit der Idee eines neuen Bauhauses unter NS-Vorzeichen. Bisher ist kein Dokument aufgetaucht, das Reichs Verhältnis zum NS-Regime eindeutig belegt. Allerdings stellte sie sich wiederholt in den Dienst der NS-Propaganda. Ob aus materieller/ideeller Not oder aus Überzeugung – sie war 1934 im Rahmen der Berliner Ausstellung »Deutsches Volk – deutsche Arbeit«, für die Abteilung Glas, Keramik und Porzellan verantwortlich, designte u.a. die Ecke »Lichte Erde, gebrannte Erde«. Danach entwickelte sie gemeinsam mit Mies u.a. Pläne für die Berliner »Reichsausstellung der Deutschen Textil- und Bekleidungswirtschaft« (1937) bzw. für die Textilindustrie-Abteilung der Pariser »Exposition internationale des arts et techniques appliqués de la vie moderne« (1937). Neben Mies und Bauhaus-Begründer Gropius beteiligte sich manch weitereR Ex-BauhäuslerIn an genannten NS-Propaganda-Ausstellungen. Auf einen modernen Duktus musste – vorerst – niemand verzichten. Bei Industrie-, Ausstellungs- und Alltagsdesign anfangs zwischen den künstlerischen Lagern pendelnd, ließ sich selbst Adolf Hitler – noch 1938 – auf einem kühn-modernen Thonet-Stahlrohrfreischwinger Miesscher (und Reichscher?) Prägung ablichten, den Allerwertesten freilich wohlig abgestützt auf einem heimeligen Kissen. (Abb. in: Nerdinger 1993, S. 20). Gegen Ende der 1930er Jahre war Reich nahezu auftragslos. 1939 besuchte sie Mies van der Rohe in Chicago, seit 1938 dessen neue Heimat. Sie kehrte aber, angeblich, wegen eines Urheberrechtsstreits, dessen Regelung sie für Mies und sich über die Bühne bringen wollte, zurück nach Deutschland. In den letzten Kriegsjahren arbeitete sie für den Ex-Bauhäusler Ernst Neufert, Albert Speers Beauftragten für Normungsfragen. 1943 ging Reichs Atelier während eines Bombenangriffs in Flammen auf.
»Es ist mir doch irgendwie allmählich meine ganze Existenz genommen«: Verdrehungen, Kleinschreibungen, Auslassungen
Lilly Reich starb früh, 1947, mit 62 Jahren, kurz nachdem sie euphorisch einen Neustart des Werkbundes erwirkt und einen Lehrauftrag an der Berliner Hochschule für Bildende Künste übernommen hatte. Ludwig Mies van der Rohe schwieg ihren Namen fortan tot. Hatte sie beider – also auch seine – Vorkriegsentwürfe fein säuberlich in Kisten verpackt, um sie vor den Nazis zu verstecken, ließ er ihren Nachlass, er erhielt ihn 1963, bis zum eigenen Tode 1969 unberührt. Schon 1940 klagte Lilly Reich angesichts der desolaten Auftragslage und der Trennung von Mies, »(e)s ist mir doch irgendwie allmählich meine ganze Existenz genommen, sowohl die sachliche als auch die persönliche« (zit. n. Lange 2008, S. 206). Nun aber folgte erst recht eine Rezeptionsgeschichte der Verdrehungen, Kleinschreibungen und Auslassungen: »War’s Lilly?« titelte 1977 endlich das Magazin DER SPIEGEL, bis dato nicht zwingend für gendersensitive Berichterstattung berühmt. Der Anlass: Ludwig Glaeser, Leiter des Mies-van-der-Rohe-Archivs, plagten acht kurze Jahre nach Mies’ Tod massive Zweifel: Ging der Mies zugeschriebene, edel belederte sog. »Barcelona-Sessel« (1929 für den Deutschen Pavillon der Weltausstellung in Barcelona als Sitzgelegenheit für das spanische Königspaar entworfen) gemeinsam mit vielen weiteren Innenraum-Objekten vermeintlich Miesscher Provenienz, z.B. der Bestseller MR 10, in Wahrheit auf Lilly Reichs Konto? Glaeser war aufgefallen, dass ausnahmslos alle Möbel, die der Architekturautodidakt Ludwig Mies van der Rohe jemals schuf, in die Spanne seiner Kooperation mit Lilly Reich fielen. Vorher gab’s keine Miesschen Möbel. Danach durchweg Adaptionen. Jahre später, 1986, lieferte Reichs ehemalige DWB-Kollegin Mia Seeger, erneuten Zündstoff. Sie behauptete, »viele Anregungen, Entwürfe« seien auf Lilly Reich zurückzuführen: So wisse sie »zum Beispiel sicher, dass der Stuhl für das Haus Tugendhat, der unter Mies’ Namen läuft, ihr Entwurf war« (zit. n. Günther 1988, S. 13). Mies’ Phlegma und Einsilbigkeit sind legendär. Reichs Eloquenz und Zielstrebigkeit ebenso. Angeblich war sie es, die ihn immerzu puschte, seine partiell konfusen Gedankenfetzen in geordnete Bahnen lenkte.
Während die endgültige AutorInnenschaft des Barcelona-Sessels weiterhin der Aufklärung harrt, förderten in jüngster Zeit forensische Schriftvergleiche zutage, dass zahlreiche andere, traditionell ausschließlich Mies zugeordnete Entwürfe definitiv unter Lilly Reichs (federführender?) Co-Urheberinnenschaft entstanden; darunter einige Inkunabeln der Kunstgeschichte, z.B. die Innenausstattung des Hauses Tugendhat in Brünn/Brno und der Häuser Lange und Esters in Krefeld. Nahezu eindeutig belegt scheint außerdem, dass die bis heute von der US-Firma Knoll unter Mies Namen vertriebene Liege »Daybed« von Lilly Reich entwickelt wurde. Am Ende bleibt die Frage, warum sich Reich, kühn und selbstsicher wie sie angeblich war, urheberrechtlich freiwillig in Luft auflöste. Ludwig Glaesers These jedenfalls, Reich habe Mies, der immer wieder von schleppender Auftragslage gepeinigt war, dieses tantiemenreiche Zubrot gegönnt, muss als reine Spekulation gelten.
»… more than just a footnote« (Albert Pfeiffer): Überfällige Neubewertung
Genderkompetente WissenschaftlerInnen weisen seit Jahren auf Reichs herausragenden Beitrag zum »Neuen Wohnen«, »Neuen Bauen« und modernen Ausstellungsdesign hin. Daneben stapeln sich zusehends mehr Indizien für eine – zumindest gleichberechtigte – Urheberinnenschaft bei den Reich- Mies-Projekten. Die sog. Standardwerke zu Architektur und Werkbund unterschlagen Reichs Stellenwert dennoch unbeirrt, lassen sie, wie Albert Pfeiffer schon 2008 mahnte, die inadäquate Existenz einer Fußnote fristen, oder sie schrumpfen sie zu einer Art »Farb- und Materialberaterin« Mies van der Rohes zusammen. Als sich vor über 25 Jahren Sonja Günther um die erste Reich-Monographie verdient machte, streute sie Sätze ein wie »(Reichs) Interieurs waren unnachahmlich schick mit Textilien ausgestattet«, ihre Räume »bildschön eingerichtet«. Mies’ MonographInnen dagegen bliesen und blasen dessen – bisweilen unter Reichs verschwiegener Beteiligung konzipiertes – Œuvre nicht selten zu hehrem Meilensteintum der Kunstgeschichte auf. Progressive Architekturhistoriographie sollte anders klingen.
Inhalt des Audiobeitrags: Presented by the Modern Women’s Project, this program features Matilda McQuaid, Deputy Curatorial Director, Cooper-Hewitt National Design Museum, who prioritizes Reich’s work and experience at the Bauhaus and external projects undertaken during Mies Van Der Rohe’s tenure as Director. Following this talk, Maria Makela, Professor, Visual Studies, California College of the Arts, speaks about the emergence and significance of artificial fabrics in Germany during this period, and Despina Stratigakos, Assistant Professor, Department of Architecture, University at Buffalo, State University of New York, addresses the educational and professional structures available to aspiring female architects before the War, when Reich came of age. Adrian Sudhalter, Assistant Research Curator, Department of Painting and Sculpture, moderates the conversation. Quelle: MoMa Multimedia)
(Text von 2015)
Verfasserin: Annette Bußmann
Zitate
»Sie hat ihn gezwungen, etwas zu tun. Ohne Lilly Reich wäre bei Mies nicht so viel rausgekommen.«
(Werkbund-Kollegin Mia Seeger, 1973, zit. n. Lange, 2012, S. 72)
»Lilly Reich war gefürchtet, weil sie alles abgewimmelt hat, was nicht einwandfrei war. Sie war eine Persönlichkeit, die mit großer Konsequenz gegen alles angegangen ist, was (gestalterisch, A.B.) unbedeutend war«
(DWB-Kollege Hans Warnecke, 1980, zit. n. Lange, 2012, S. 71)
»…she was very very good. Everybody, I think, liked the course she gave.«
(Betty J. Blum, 1983; 1939 kurzzeitig Reichs Schülerin in Chicago, zit. n. Lange, 2006, S. 97)
Links
Bauhaus-Archiv.
Online verfügbar unter https://www.bauhaus.de/de/bauhaus-archiv/, zuletzt geprüft am 11.12.2017.
Villa Tugendhat.
Online verfügbar unter http://www.tugendhat.eu/, zuletzt geprüft am 11.12.2017.
Wars Lilly? DER SPIEGEL 14/1977, S. 234-235.
Online verfügbar unter http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-40941691.html, zuletzt geprüft am 11.12.2017.
archINFORM – Sascha Hendel: Lilly Reich.
Online verfügbar unter http://deu.archinform.net/arch/3440.htm, zuletzt geprüft am 11.12.2017.
Art Directory: Lilly Reich. Biografie - Informationen - Kauf-Angebote.
Online verfügbar unter http://www.lilly-reich.de/, zuletzt geprüft am 11.12.2017.
Lange, Christiane (2011): »Café Samt & Seide«, Die Mode der Dame, Berlin 1927. Ludwig Mies van der Rohe und Lilly Reich. Projekt MIK.
Online verfügbar unter http://projektmik.com/moderne-in-krefeld/mies-in-krefeld/cafe-samt-seide-1927/, zuletzt geprüft am 11.12.2017.
Pfeiffer, Albert: Lilly Reich. Association of Women Industrial Designers.
Online verfügbar unter http://www.core77.com/posts/55200/Lilly-Reich-Was-More-Than-Miess-Collaborator, zuletzt geprüft am 11.12.2017.
Werkbundarchiv - Museum der Dinge: Protagonisten • Lilly Reich.
Online verfügbar unter http://www.museumderdinge.de/werkbund_archiv/protagonisten/lilly_reich.php, zuletzt geprüft am 11.12.2017.
Literatur & Quellen
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