Biographien Leonora Christina, verh. Ulfeldt
(Leonora Christina von Dänemark, verh. Ulfeldt)
geboren am 8. Juli 1621 in Frederiksberg
gestorben am 16. März 1698 in Maribo
dänische Prinzessin, Schriftstellerin, Kunststickerin
325. Todestag am 16. März 2023
Biografie • Literatur & Quellen
Biografie
Geboren an einem Königshof, gestorben in einem Kloster und dazwischen 22 Jahre lang Gefangenschaft — was für ein Leben! Leonora Christina war die Tochter des dänischen Königs Christian IV., der in der ersten Hälfte des I7. Jahrhunderts über Dänemark und Norwegen herrschte. Sie war das Lieblingskind ihres Vaters und erhielt eine hervorragende Ausbildung. Im zarten Alter von neun Jahren wurde sie bereits mit Corfitz Ulfeldt, dem I4 Jahre älteren Sohn des Kanzlers verlobt, den sie sechs Jahre später heiratete. Ulfeldt besaß alle Voraussetzungen für eine glanzvolle Karriere als Diplomat und Staatsmann und wurde bald zum zweitmächtigsten Mann im Staat. Die Ehe zwischen Leonora und Corfitz war glücklich; trotz ständiger Schwangerschaften (Leonora gebar in den ersten 15 Jahren ihrer Ehe mindestens zehn Kinder) begleitete Leonora ihren Mann des öfteren auf seinen diplomatischen Reisen. In Kopenhagen führten die Ulfeldts ein großes Haus, und Leonora war als Tochter des Königs und als Ehefrau ihres einflussreichen Gatten die erste Dame ihres Landes.
Es konnte nicht ausbleiben, dass die bevorzugte Stellung der Ulfeldts beim übrigen Adel Neid erweckte. Hinzu kam, dass sich Corfitz durch seinen Ehrgeiz und seinen wachsenden Drang nach Selbständigkeit die anfängliche Gunst des Königs verscherzte. Auch dessen Nachfolger, Leonoras Halbbruder Fredrik III, misstraute aufgrund von ihm zugetragenen Gerüchten der Ulfeldtschen Amtsführung und ließ entsprechende Untersuchungen einleiten, deren Ergebnisse Corfitz und Leonora nicht abzuwarten wagten. Sie flohen an den schwedischen Hof, wo Königin Christina ihnen Schutz gewährte.
Es folgten Jahre der Heimatlosigkeit und des Umhergetriebenseins. Durch ihre Ehe mit Corfitz Ulfeldt wurde Leonora zwangsläufig hineingezogen in die politischen Affären ihres Mannes, wurde mit ihm zusammen Opfer von Verleumdungen, litt mit ihm unter der Anklage des Hochverrats, stand in diesen schweren Zeiten treu zu ihm und versuchte ihm zu helfen, wo sie nur konnte.
Die Gerüchte über umstürzlerische Pläne des Corfitz Ulfeldt verstummten nicht und führten schließlich dazu, dass er und Leonora verhaftet wurden. Corfitz gelang es zu fliehen, doch starb er auf der Flucht. Leonora wurde der Mitwisserschaft angeklagt und im August I663 im Blåtarn, dem „Blauen Turm“ des Kopenhagener Schlosses, eingesperrt. Brutaler kann ein Wechsel nicht sein: aus Weitläufigkeit in beschränkendste Enge, aus einem vornehmen und gepflegten Ambiente in ein primitives, schmutzstarrendes Verlies:
Es ist ein Wunder, dass meine Glieder nicht krumm und schief sind vom Liegen und Sitzen, dass meine Augen nicht stumpf, ja blind sind vom Weinen, vom Rauch und vom Dunst, dass ich nicht kurzatmig bin vom ewigen Russ und Qualm und Gestank und der stickigen Luft. Gott allein die Ehre.
In den anfänglichen demütigenden Verhören kämpft Leonora hartnäckig, aber vergeblich um ihre Rechtfertigung. Nach dreiwöchigem Hungerstreik erkennt sie die Sinnlosigkeit ihres Widerstandes und akzeptiert ihr Schicksal. Alles konnte man ihr nehmen, nicht aber ihre Würde, die sie auf bewundernswerte Weise während ihrer 22-jährigen Gefangenschaft unter Beweis stellt. Leonora passt sich den Gegebenheiten an, und zwar in einer Weise, die sie selbst bestimmt.
Hier in ihrer Zelle wird sie zur Autorin von höchstem Rang, zur „größten Schriftstellerin Dänemarks“. Um ihre Gefangenschaft psychisch zu überstehen, schreibt sie Jammers Minde (Erinnerung an das Elend), das später „das bedeutendste Prosawerk der dänischen Literatur im 17. Jahrhundert” genannt werden wird. Mit diesem - ursprünglich als Vermächtnis für ihre Kinder geschriebenen - Buch, in dem sie ausführlich alle Einzelheiten ihres Gefangenendaseins schildert, gelingt ihr, wie es im Rückblick heißt, „auf sprachlich-literarischer Ebene ein Durchbruch zu einem neuen künstlerischen Realismus, der in diesem Jahrhundert ohne Beispiel ist“.
Erst nach dem Tode Frederiks III. bessern sich Leonoras Lebensbedingungen; u. a. wird ihr eine kleine Jahresrente ausgesetzt, die es ihr ermöglicht, Arbeitsutensilien für ihre Stickereien und vor allem Bücher zu erwerben. Sie beginnt nun mit ihren Studien zu Hältinners Pryd (Heldinnen-Zier). Fest überzeugt von der Ebenbürtigkeit der Geschlechter, setzt sie heldischen Frauen in ihrem Werk ein Denkmal. Ist sie wohl deshalb „Dänemarks erste Feministin“ genannt worden?
Nur einer so außergewöhnlich starken Frau, wie Leonora es war, konnte es gelingen, der Eintönigkeit und Hoffnungslosigkeit ihrer Gefangenschaft geistige und seelische Kräfte entgegenzusetzen, mit deren Hilfe sie diese 22 Jahre überlebte, ohne den Verstand zu verlieren.
Als ihr endlich — am 19. Mai 1685 — mitgeteilt wird, dass sie frei ist und das Gefängnis verlassen könne, kehrt Leonora dem Ort ihrer langjährigen Leiden ohne Hast würdevoll den Rücken.
Die letzten Jahre ihres bemerkenswert vielschichtigen Lebens verbringt Leonora in Maribo, einem ehemaligen Kloster, das ihr als Altersruhesitz zugewiesen worden war. Auch hier bleibt sie aktiv, schreibt weiter an Hältinners Pryd, liest, stickt und drechselt. Drei ihrer zehn Kinder leben noch und besuchen sie in Maribo. Dank einer gut bemessenen Jahresrente und einer „standesgemäßen“ Dienerschaft kann Leonora nach ihrem wechselvollen Leben noch ein paar Jahre der Ruhe genießen.
Am 16. März starb 1698 Leonora im Alter von 76 Jahren. Auf eigenen Wunsch wurde sie in aller Stille in der Klosterkirche beigesetzt.
(Text von 1997)
Verfasserin: Irmela Schmidts
Literatur & Quellen
Acta Jutlandica LVIII. 1983. Leonora Christina: Historien om en heltinde. Århus. Arkona.
Lunde, Katrin & Luise F. Pusch. 1988. “Leonora Christina (1621-1698), die Tochter von König Christian IV. von Dänemark und Norwegen: Dänemarks erste Feministin?”, in: Pusch, Luise F. Hg. 1988. Töchter berühmter Männer: Neun biographische Portraits. Frankfurt/M. Insel TB 979. S. 47-116.
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