(Go-Fukakusa-in no Nijô, wörtl. „Ex-Kaiser Go-Fukakusas Nijô“ / literal translation: Ex-emperor Go-Fukakusa’s Nijô )
geboren 1258
Todesdatum unbekannt; nach 1307
japanische Schriftstellerin
Biografie • Literatur & Quellen
Biografie
Im Jahre 1940 fiel dem Gelehrten Yamagishi Tokuhei 山岸徳平 (1893–1987) beim Durchforsten der Geographieabteilung der kaiserlichen Hofbibliothek in Tokyo per Zufall ein falsch eingeordnetes, bis dato unbekanntes Manuskript in die Hände, das den Titel Towazugatari (wörtlich: „eine Geschichte, nach der Niemand gefragt hat“) trug. Das aus der Kamakura-Zeit (1185–1333) stammende autobiographische Werk – verschollen über mehr als 600 Jahre – zog großes Interesse von Seiten der japanischen Literat*innen auf sich, da es sich bei der höfischen Literatur der Kamakura-Zeit sonst zumeist um sogenannte giko monogatari擬古物語 („pseudoklassische Erzählungen“) handelte; im Gegensatz zu diesen Imitationen von früheren Geschichten kreierte die Autorin des Towazugatari, Nijô, ein erfrischend neues, originelles Werk, das sowohl von narrativer Finesse als auch von psychologischem Scharfsinn zeugt.
Da über das Leben der Autorin keinerlei historische Aufzeichnungen existieren, gewährt die Entdeckung des Werkes einen Einblick in das Leben einer bemerkenswerten Persönlichkeit am Hof der Kamakura-Zeit. Der historische Bezugsrahmen und somit auch die Faktizität des Towazugatari ist jedoch durch die übermittelten Daten der damaligen – vor allem männlichen – Personen in ihrem Leben belegt.
Geboren als Tochter des Oberkabinettsrats Koga Masatada 久我雅忠 (1223–1272), einem Nachkommen des Minamoto-Klans, und einer Tochter des Oberkabinettsrats Shijô Takachika 四條隆親 (1203 – 1279), war Nijô von aristokratischer Abstammung. Im Alter von zwei Jahren verlor Nijô ihre Mutter, und sie wuchs in der Folge unter der Obhut des damaligen Ex-Kaisers Go-Fukakusa 後深草院 (1243–1304; reg. 1246–1259) als Adoptivtochter der Kaiserinmutter Kitayama 北山 (1195–1302) am Kaiserhof auf. Mit dem Ex-Kaiser Go-Fukakusa war Nijô von Geburt an in zweifacher Hinsicht verbunden: Ihr Vater hatte schon Go-Fukakusas Vater Go-Saga 後嵯峨 (1220 – 1272; reg. 1242 – 1246) gedient, ihre Mutter war Go-Fukakusas Amme gewesen und führte ihn später in die Kunst der Liebe ein. Infolge einer Absprache mit ihrem Vater machte Go-Fukakusa die 14-jährige Nijô zu seiner Konkubine. Sodann trat sie am Hof in seine Dienste. Es war zu dieser Zeit üblich, dass den Hofdamen am kaiserlichen Hof je nach Rang Straßennamen zugeordnet wurden. „Nijô“ bedeutet somit wörtlich „zweite Straße“; ihr Geburtsname ist nicht übermittelt. Obwohl Go-Fukakusa ihr besondere Aufmerksamkeit widmete und sie favorisierte, weil er schon ihre Mutter geliebt hatte, wurde sie keine offizielle Ehefrau, womit sich ihre Stellung am Hof nie wirklich festigte. Möglicherweise trugen der frühe Tod ihres Vaters – Nijô war 15 Jahre alt – und der Tod des einzigen Sohnes, den sie Go-Fukakusa gebar, dazu bei, dass sie nicht in diesen Rang aufstieg. Laut eigener Aussage wurde sie auf Betreiben der Ex-Kaiserin Higashi-Nijô 東二条院 (1232–1304), der eifersüchtigen Hauptfrau Go-Fukakusas, als 25-Jährige 1283 vom Hof verbannt. Dem letzten Wunsch ihres verstorbenen Vaters folgend, wird Nijô buddhistische Nonne und pilgert fortan durch das Land, besucht verschiedene Tempel, Klöster und Schreine, kopiert buddhistische Sutren und widmet sich dem Schreiben ihrer Memoiren.
Bei der Lektüre des Towazugatari gewinnt die Leserin den Eindruck, dass Nijôs Absicht hinter dem Verfassen des Towazugatari nicht die möglichst wahrheitsgetreue Wiedergabe des eigenen Lebens ist, sondern vielmehr das Bedürfnis, ein Zeugnis ihrer persönlichen Version der Ereignisse zu hinterlassen. So bot sich ihr die Möglichkeit, ihren Ruf zu verteidigen. Mit großer Wahrscheinlichkeit war ihr daran gelegen, ein positives und bedeutsames Bild von sich zu schaffen, den Familiennamen – auch in literarischer Hinsicht – zu bewahren sowie sich und ihre Familie durch die enge Assoziation mit dem Ex-Kaiser zu verewigen. Nijô beendet ihre Erzählungen mit folgendem Satz: „That all my dreams might not prove empty, I have been writing this useless account – though I doubt it will long survive me” (zitiert aus “Confessions of Lady Nijô”, der englischen Übersetzung des Towazugatari). Ihre Memoiren überdauerten sie jedoch sehr wohl und werden heute, gut 700 Jahre später, von Gelehrten aus der ganzen Welt als eines der wertvollsten literarischen Zeugnisse der klassischen japanischen Literaturgeschichte geschätzt.
Verfasserin: Hanna Schmidts
Literatur & Quellen
Kenreimonin Ukyô no Daibu shû; Towazugatari建礼門院右京大夫集; とはずがたり; Kubota Jun (Anm., Übers. 久保田淳 (校注/訳)). 2. Auflage [I1999]. Tôkyô: Shôgakukan, 2006 (= Shinpen Nihon koten bungaku zenshû; 47).
The Confessions of Lady Nijô; übers. von Karen Brazell. OT: Towazugatari
Mostow, Joshua S.: „On Becoming Ukifune: Autobiographical Heroines in Heian and Kamakura Literature“, in: Crossing the Bridge: Comparative Essays on Medieval European and Heian Japanese Women Writers; hrsg. von Barbara Stevenson und Cynthia O. Ho. New York [u.a.]: Palgrave, 2000, S. 45–60.
Sarra, Edith: „Towazugatari: Unruly Tales from a Dutiful Daughter“, in: The Father-Daughter Plot: Japanese Literary Women and the Law of the Father; hrsg. von Rebecca L. Copeland und Esperanza Ramirez-Christensen. Honolulu: University of Hawai'i Press, 2001, S. 89–114.
Tonomura, Hitomi: „Coercive Sex in the Medieval Japanese Court: Lady Nijô’s Memoir”, in: Monumenta Nipponica 61:3, 2006, S. 283–338.
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