Biographien Katharine Mary Briggs
(Dr. Katharine Mary Briggs)
geboren am 8. November 1898 in Hampstead, London, England
gestorben am 15. Oktober 1980 in St. Margaret’s Bay, England
britische Volkskundlerin, Wissenschaftlerin und Autorin
125. Geburtstag am 8. November 2023
Biografie • Literatur & Quellen
Biografie
Sie hatte eine Art und Weise, mit einer Geschichte umzugehen, die mich an die Macht von Geschichtenerzählern in früheren Zeiten und unter einfacheren Bedingungen erinnerte. Sie umwarb dich mit einer Erzählung. Ich höre noch diesen singenden Ton mit einem winzigen Lispeln, so leise, dass man sich nicht zu rühren wagte.
So erinnert sich eine Studienfreundin von Katharine Briggs aus ihrer Zeit an der Universität Oxford an das Wesentliche ihres Lebenswerks. Briggs ist heute für ein ehrgeiziges Projekt bekannt, das sie in den 1960er Jahren begann: Sie wollte alle britischen Volksmärchen in englischer Sprache, die sie finden konnte, sammeln und veröffentlichen. Als anerkannte Expertin für Volksmärchen und den Glauben an Feen und andere übernatürliche Wesen in der englischen Literatur war sie dieser Aufgabe mehr als gewachsen.
Von klein auf hatte Katharine Briggs eine Leidenschaft für das Geschichtenerzählen und eine besondere Neigung zur Welt der Phantasie. Ihr ganzes Leben lang zeigte sich diese Leidenschaft: in kreativen Kinderspielen, im Laientheater, in wissenschaftlichen Studien zur Volks- und Märchenkunde, in vielen Büchern und Artikeln für Erwachsene und Kinder sowie in ihrer vierbändigen Märchensammlung.
Frühe Jahre
Katharine Briggs wurde 1898 in Hampstead, London, geboren. Die Familie ihres Vaters stammte aus Yorkshire und war durch den Kohlebergbau reich geworden. Dadurch war Briggs ihr Leben lang finanziell unabhängig, wollte aber nie müßig sein. Im Gegenteil, sie arbeitete immer hart, einerlei, womit sie sich beschäftigte, und zeichnete sich auf verschiedenen Gebieten aus – Volkskunde, Literaturwissenschaft, Theaterarbeit.
Obwohl hochgebildet, vermied sie es, sich in akademischen Theorien und Textanalysen zu ergehen, sondern ergründete lieber Folklore und Literatur nach dem, was sie am meisten liebte, nach Geschichten, und bewahrte sie, für sich und andere.
Katharinas Vater, Ernest Briggs, war ein erfolgreicher Aquarellkünstler. Er kannte viele Volkssagen, Märchen und Legenden und liebte es, sie seinen Kindern – Katharine und ihren beiden jüngeren Schwestern Winifred und Elspeth – zu erzählen. Damit beeinflusste er alle drei stark und prägte Katharines kreative Fantasie und ihre Begeisterung für Volksmärchen, Balladen und Gedichte. Sie schätze sich glücklich, sagte sie später, einen Vater zu haben, der Künstler war, denn so war er (im Gegensatz zu anderen Vätern) fast immer für sie erreichbar. Auch stand ihr die umfangreiche Bibliothek ihres Vaters zur Verfügung – die Werke bekannter Volkskundler »prägten ihren Sinn für volkstümliche Erzählungen für den Rest ihres Lebens«.
Auch die Erzieherinnen der Schwestern trugen entscheidend dazu bei, dass Katherine später eine so begnadete Geschichtenerzählerin wurde: Sie ließen sie Geschichten vorlesen oder anhören und dann laut wiederholen, wodurch sie das Auswendiglernen förderten.
Aufwachsen in Schottland
Ernest Briggs malte besonders gerne Wasserszenen; er und seine Familie fuhren in den Ferien oft nach Nordengland und Schottland, wo ihn dramatische Fluss- und Berglandschaften anzogen. Doch er war nicht gesund – ein Herzleiden hinderte ihn an anstrengenden Aktivitäten. Nach vielen Besuchen beschlossen er und seine Frau Mary 1911, nach Perthshire in Zentralschottland zu ziehen. Sie bauten ein großes Haus, das sie nach einem früheren Gebäude auf dem Gelände Dalbeathie House nannten. Leider lebte Ernest dort nur zwei Jahre lang, er erlag 1913 seinem Herzleiden. Nach seinem Tod sah sich Katharine als Mann in der Familie, half ihrer Mutter und kümmerte sich um ihre zwei jüngeren Schwestern.
Ausbildung: Edinburgh, Oxford
So sehr sie Dalbeathie liebten – das prächtige Haus und die idyllische Natur – so sehr waren die Briggs-Schwestern dort isoliert. Sie brauchten Unterhaltung. Ähnlich den Brontë-Schwestern 80 Jahre zuvor schufen Katharine und ihre Schwestern eigene Fantasiewelten. Eine davon war ein Spiel namensn Eric, das auf ihren ausgedachten Geschichten über königliche Familien beruhte. Jede Spielerin musste sich komplizierte Handlungsabläufe und komplexe historische Entwicklungen einprägen und Geschichten über die Figuren und Ereignisse erzählen. Als die Schwestern später getrennt waren, führten sie dieses Spiel in Briefen weiter. Briggs nannte es später weniger eine Flucht vor der Realität als vielmehr eine intellektuelle Übung.
Mit vierzehn Jahren kam Katharine Briggs in ein Internat in Edinburgh. Sie machte sich gut; und sie nutzte dort die Gelegenheit, in Theaterstücken mitzuspielen. Nach ihrem Abschluss trat sie in die Lady Margaret Hall in Oxford ein, die seit 1878 Studentinnen aufnahm (obwohl diese bis 1920 keine Abschlüsse machen durften). Während ihrer Zeit in Oxford war Briggs – wie sie sich später erinnerte – »wunschlos glücklich«, sie studierte Englisch, insbesondere Geschichte und Literatur des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts. 1922 erlangte sie einen Bachelor- und 1926 einen Masterabschluss.
Rückkehr nach Dalbeathie
Katherine Briggs kehrte nach Dalbeathie zurück und begann dort ein schöpferisches Leben, anstatt sich anderswo um eine einträgliche Stelle zu bemühen. Sie und Elspeth, die ebenfalls Schriftstellerin war, übten sich im Romanschreiben. Winifred, eher den Künsten zugeneigt, erwarb eine Druckerpresse und druckte kurze Theaterstücke ihrer Schwestern. Dalbeathie wurde zu einem Zentrum der Kunst, und andere Interessierte wurden eingeladen, hier an Theaterstücken zu arbeiten. Die Schwestern – die gute Schauspielerinnen waren – bildeten die Summer Players. Sie unternahmen zweiwöchige Tourneen durch England und Schottland, um ihre Stücke, aber auch Pantomimen und Balladen in Dorfsälen aufzuführen. Briggs engagierte sich darüber hinaus bei den Pfadfinderinnen, was ihr Gelegenheit gab, ihre Fähigkeiten als Geschichtenerzählerin weiter zu verfeinern. Für die Ausbildungsprogramme der Pfadfinderinnen reiste sie zu weit entfernten Orten wie Neufundland.
Die Kriegsjahre
Trotz Mary Briggs' starker Verbundenheit mit Dalbeathie House wurde ihr das aufregende Leben dort schließlich zu anstrengend. Sie und ihre Töchter beschlossen, ein Haus in den Cotswolds in England, unweit von Oxford, zu kaufen. Sie fanden eines in der Stadt Burford und zogen in das so genannte Barn House. 1939 begann jedoch der Zweite Weltkrieg, und die Schwestern arbeiteten viel mit den Flüchtlingen, die nach Dalbeathie geschickt wurden, und erledigten andere Aufgaben im Zusammenhang mit dem Krieg. 1941 überraschte Katherine ihre Familie und Freunde, indem sie sich der Women's Auxiliary Air Force anschloss, wo sie eine Zeit lang als Sanitäterin arbeitete. Zum ersten Mal traf sie Menschen mit einem anderen sozialen Hintergrund als ihrem eigenen, von Privilegien und Reichtum geprägten. Schließlich gelang es ihr, Lesungen und Spiele als Unterhaltung für die einberufenen Männer und Frauen einzuführen.
Rückkehr nach Oxford; Märchenbücher
Nach Kriegsende kehrte Briggs nach Burford zurück und vertiefte sich, wie um die verlorene Zeit aufzuholen, in ihre Studien. Sie kehrte für einen höheren Abschluss nach Oxford zurück und schrieb ihre Dissertation über Volkskunde und Literatur des siebzehnten Jahrhunderts. Katharine Briggs wurde 1952 zum Doktor der Philosophie promoviert. Obwohl die Familie Briggs zu den Unitariern gehörte, hatte Katherine einige Jahre zuvor beschlossen, Mitglied der Kirche von England zu werden, möglicherweise aufgrund ihrer religiösen und mystischen Ausrichtung.
Eines von Briggs' Hauptinteressen war die Erforschung des Übernatürlichen und insbesondere der Feen. Nicht, dass sie selbst geglaubt hätte, es gäbe wirklich Feen. Sie erklärte:
VolkskundlerInnen interessieren sich mehr für den Ursprung des Feenglaubens; was für sie wichtig ist, ist nicht so sehr, ob die Feen wirklich existieren, sondern ob ihre Existenz von den Menschen, die von ihnen erzählen, tatsächlich geglaubt wird.
Sie kritisierte die hübschen, sentimentalisierten Feen, die sich in die Kinderliteratur eingeschlichen hatten, im Gegensatz zu den mächtigeren, robusteren Feen der einheimischen britischen Tradition, wie Puck und Whuppity Stoorie.
1953 veröffentlichte Briggs The Personnel of Fairyland, eine Sammlung von Geschichten, einfach erzählt, über einheimische britische Feen, die die Menschen den Kindern erzählen sollten. In den nächsten anderthalb Jahrzehnten schrieb sie drei wissenschaftliche Bücher über den britischen Glauben an übernatürliche Wesen und die Art und Weise, wie er sich in der Literatur der damaligen Zeit widerspiegelte – The Anatomy of Puck (1959), Pale Hecate's Team (1962) und The Fairies in English Tradition and Literature (1967). Es handelt sich durchweg um gut lesbare, tiefgründige, großzügig mit Fußnoten versehene Studien über Feenglauben und verwandte Glaubensrichtungen, die diese ausführlich beschreiben und ihre verschiedenen Verwendungen durch Dichter und Dramatiker zitieren. Die amerikanische Folkloristin Stith Thompson stellte in einer Rezension von The Anatomy of Puck fest:
Dr. Briggs ist in ihrer Erforschung der englischen Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts weit über frühere Märchen-ForscherInnen hinausgegangen. Sie konnte zeigen, wie sehr sich die SchriftstellerInnen aller Ränge… für die Ausarbeitung dieser Ideen interessierten…. Diese Studie hätte eine langweilige Lektüre werden können, aber die Autorin ist mit viel literarischem Geschick vorgegangen, zumal sie es nie versäumt hat, die Auswirkungen dieser Ideen auf die Literatur des Zeitalters aufzuzeigen.
Hier ein Beispiel für ihre lebhafte Prosa. Briggs schreibt über die Größe der Feen in Shakespeares Stücken:
In jedem Stück, in dem Shakespeare die Feen erwähnte, warf er ein etwas anderes Licht auf sie. Sogar die Königin Mab von »Romeo und Julia«, eine weitere winzige Fee, unterscheidet sich so weit wie möglich von Titania [in »Ein Sommernachtstraum«], einer ganz und gar unwürdigen Person. Ihr Name ist urwüchsiger als der von Titania; sie hat die elfenhafte Eigenschaft, Schlösser zu knüpfen und Elfensteigbügel in Pferdemähnen zu machen … Die walisischen und schottischen Feen hatten Minipferde, auch die winzigen irischen Feen … aber Shakespeares Königin Mab fuhr in einer von Ameisen gezogenen Haselnuss.
In dem selben Kapitel, in dem Briggs über Der Sturm schreibt (der mit einem mysteriösen Schiffbruch auf einer Insel irgendwo zwischen Italien und Afrika beginnt), vermutet Briggs, dass Shakespeares Darstellung der Feen dort auf der basiert, die er aus England kannte. Briggs' eigene Sympathie für ihre Magie ist offensichtlich, wenn sie folgendes beschreibt:
[…] die Feen der Insel, Ariels Gefährten. Er teilt mit ihnen die Liebe einer Fee zu Blumen. Sie sind Naturfeen, ›Elfen der Hügel, Bäche, stehenden Seen und Haine‹. Sie scheinen auf der unbewohnten Insel kaum heimisch zu sein […] Tatsächlich sind sie die Naturfeen eines Agrarlandes mit Dörfern in Hörweite, zum Beispiel Warwickshire [die Grafschaft von Shakespeares Geburt] [… Die Feen] geistern durch ›Haine und Grün, Brunnen klar und funkelnd sternenklar‹; sie ruhen zwischen Blumen; sie können nach Belieben sichtbar oder unsichtbar sein; so klein sie auch sind, Entfernung ist für sie nichts….die ganze Insel pulsiert mit ihnen, ein Zauber, der zugleich natürlich und unnahbar ist.
In The Anatomy of Puck erörtert Briggs viele Arten von Feen, die in den Werken bekannter und weniger bekannter SchriftstellerInnen vorkommen. Andere Kapitel befassen sich mit Vertretern der Magie, Meerjungfrauen und Monstern sowie spirituellen Wesen wie Engeln. In The Fairies in English Tradition and Literature setzt Briggs ihr Studium der Feen in der Literatur bis zum zwanzigsten Jahrhundert fort. Das Buch ist so informativ wie Puck und, für ein breiteres Publikum geschrieben, sogar noch fesselnder, mit Kapiteln über Kobolde und Wichtel, Feenhebammen und Wechselbälger, Feenfrauen und -liebhaber und vieles mehr. Andererseits befasst sich Pale Hecate's Team mit dem Hexenglauben und der Hexerei, wie er sich in der Literatur widerspiegelt, mit den dunklen Seiten solcher Überzeugungen während des 16. und 17. Jahrhunderts, einer düsteren Zeit für viele Menschen, meist Frauen, die im realen Leben wegen Hexerei angeklagt und hingerichtet wurden.
Unterdessen wurde Briggs vom Unglück heimgesucht. 1956 starb ihre Mutter. Ihre Schwester Elspeth, der sie immer besonders nahe gestanden hatte, starb 1961 an einem Herzinfarkt. Der Tod von Elspeth war ein schwerer Schlag für Katharine Briggs. Ein Freund meinte, der Verlust sei »die größte Tragödie in Katharines Leben« und zitierte sie: »Es war, als wäre man verwitwet«. Als Winifred fünf Jahre später an einem Schlaganfall starb, blieb Briggs auf sich allein gestellt in Burford zurück. Sie hatte 1958 einen schweren Autounfall, dem später zwei weitere Unfälle folgten. Sie war danach gelähmt, aber noch in der Lage, sich mit einem Stock fortzubewegen, und unverzagt.
Katharine Briggs war in ihrer Auseinandersetzung mit der Welt des Feenglaubens äußerst vielseitig. Sie war nicht nur Gelehrte und Geschichtenerzählerin, sondern auch Sammlerin und Romanschriftstellerin. Sie schrieb und veröffentlichte zwei belletristische Bücher, hauptsächlich für Kinder, aber auch für Erwachsene, zu diesem Thema. Hobberdy Dick (1955) handelt von einem Kobold, der seit Hunderten von Jahren als unsichtbarer Wächter im Haus einer feenfreundlichen Familie lebt, aber in Schwierigkeiten gerät, als das Haus an eine Familie von PuritanerInnen verkauft wird, die Feen mit Teufeln gleichsetzt. Kate Crackernuts (1963), basierend auf einem alten Volksmärchen, handelt von zwei Schwestern mit einer klischeeartigen, hexenähnlichen Stiefmutter, deren bösen Zauber gegen eine der Schwestern die andere Schwester rückgängig zu machen versucht. Beide gelten als Klassiker der Kinderliteratur.
Jahre später kombinierte und erweiterte Briggs die Feenglossare, die sie ihren früheren Büchern beigefügt hatte, in ihrem entzückenden und sehr populären A Dictionary of Fairies, das 1976 veröffentlicht wurde. Das reich bebilderte Buch enthält nicht nur Beschreibungen aller Arten von Feen – Banshees, Brownies, Goblins, Will o' the Wisps und viele andere –, sondern auch Diskussionen über menschliche Interaktionen mit Feen, einschließlich der Möglichkeiten, sich vor Feen zu schützen (wie z.B. durch Umstülpen der Kleidung), ihre Vorliebe für menschliche Kinder und stillende Mütter (und ihre Neigung, sie zu stehlen), sowie Zaubersprüche, um Macht über Feen zu erlangen.
Briggs bemerkt:
Wie oft auch immer sie als verschwunden gemeldet werden, die Feen sind immer noch da. In Irland gehört der Feenglaube noch immer zur normalen Struktur des Lebens; im Hochland und auf den Inseln werden die Traditionen fortgesetzt. Nicht nur in den keltischen Gebieten, sondern in ganz England tauchen immer wieder verstreute Feen-Anekdoten auf.
Ihre Biografin, die Volkskundlerin Hilda Ellis Davidson, bezeichnet das Buch als
… eine verdientermaßen beliebte Schatzkammer der Feenkunde. Es war, als ob Briggs eine seltene neue Welt unerschöpflicher Reichtümer entdeckt hätte.
Ein Rezensent riet, Bibliotheken sollten
… mindestens zwei Exemplare dieses bezaubernden Werkes kaufen – eines könnte weggeschlossen werden, für den Fall, dass das andere gestohlen wird. Und es wird oder sollte gestohlen werden […] Es ist sehr schwierig, ein paar Minuten damit zu verbringen. Die [Autorin] hat eine kleine Scheherazade in sich.
Lexikon der Volksmärchen
In den 1960er Jahren war Katharine Briggs mit einem anderen, verwandten Projekt befasst. Neben ihrer umfangreichen Arbeit über Feen ist sie wohl am besten bekannt durch ihre monumentale, vierbändige Sammlung von Volksmärchen, A Dictionary of British Folk-Tales in English (1970-71). Sie erachtete eine solche Sammlung als unerlässlich. Schon lange hatte sie es bedauert, dass die Briten – vor allem die Kinder – auch dank des ernüchternden Einflusses des Puritanismus nicht mehr mit ihren eigenen Heimatmärchen vertraut waren; stattdessen kannten sie Märchen aus fremden Ländern wie die von den Gebrüdern Grimm gesammelten deutschen Märchen und die Märchen des französischen Schriftstellers Charles Perrault. Sie drückte es so aus:
Auf zwanzig Leute, die Aschenputtel, Rumpelstilzchen und Blaubart kennen, kommt einer, der Tattercoats und Tom Tit Tot und Mr. Fox kennt.
1958 veröffentlichte Briggs einen Brief in der Zeitschrift der London Folklore Society, in dem sie ihre Absicht bekundete, eine solche Sammlung durchzuführen, und die Leser um Beiträge bat:
Ich nehme die Arbeit an einem Lexikon der britischen Volksmärchen auf und habe bereits einige wichtige Materialien von Societymitgliedern erhalten. Ich wäre sehr dankbar, wenn alle Mitglieder, die unveröffentlichte Märchen oder Varianten davon kennen, so freundlich wären, mich auf die Spur dieser Märchen zu bringen.
Briggs hatte viele Quellen, mit denen sie arbeiten konnte. Die Aarne-Thompson-Märchentypen- und Motivindizes internationaler Märchen waren verfügbar und für Wissenschaftler äußerst nützlich, aber einige fanden die Einträge zu abstrakt und “skelettartig”, zu weit entfernt von den Märchen selbst. Briggs hingegen wollte in ihrer Arbeit die Geschichten “als Geschichten” nicht aus den Augen verlieren. Sie nutzte Quellen wie die Archive der School of Scottish Studies in Edinburgh und Sammlungen der Universität Leeds. Sie stützte sich weitgehend auf gedrucktes Material, sammelte aber auch Märchen von Sängerinnen und Sängern traditioneller Lieder, von anderen Volkskundlern und von Geschichtenerzählern – einschließlich Sinti und Roma und Reisenden – und lernte, mit einem Tonbandgerät umzugehen.
Katharine Briggs brauchte zehn Jahre für die Fertigstellung des Dictionary of British Folk-tales. Es enthält etwa 2000 Geschichten, die in zwei Bänden für die Teile A (Volkserzählungen) und B (Volkslegenden) veröffentlicht wurden. Teil A wurde 2011 als Folk Tales of Britain wiederveröffentlicht und wird vom britischen Schriftsteller Phillip Pullman in seiner Einleitung als »die umfassendste und maßgebliche Sammlung britischer Volkserzählungen, die es gibt« bezeichnet. Zu jeder Geschichte werden die Quelle und, wo möglich, die Motivreferenz angegeben. Hier zwei typische Beispiele für lokale Legenden in Teil B:
Der Fiedler und die Mägde
In Stanton Drew gibt es drei Steinkreise. Der kleinste wird »Der Fiedler und die Mägde« genannt, […] Es wird erzählt, dass sich an einem Samstagabend eine Hochzeitsgesellschaft auf dem Kirchenfeld unterhalb von Dundry Hill versammelte. Der Harfenist des Ortes spielte für sie bis kurz vor Mitternacht und erinnerte sie dann daran, dass es bald Sonntag sein würde. Sie waren jedoch sehr fröhlich, und einer von ihnen schrie, dass sie weiter tanzen würden, selbst wenn sie den Teufel selbst zum Spielen bringen müssten. Der Musiker stellte seine Harfe ab und wandte sich zum Gehen, hörte aber hinter sich ein Pfeifen und sah im Zurückblicken, dass sich ein großer Pfeifer der Gesellschaft angeschlossen hatte. Er pfiff schneller und schneller, so dass sie weiter tanzten, ob sie wollten oder nicht. Ihr Schreien, Kreischen und Fluchen war die ganze Nacht zu hören, aber am Morgen war von ihnen nichts zu sehen als die drei Steinringe.
Eine Legende der Burg Weem
Es gab einen Gutsherrn von Weem, der seine erste Frau verloren hatte und eine zweite heiratete. Seine erste Frau hatte eine Tochter, und seine zweite Frau hatte eine Tochter, und die Mädchen hatten sich sehr lieb, aber die zweite Frau war sehr eifersüchtig auf ihre Stieftochter und wollte sie aus dem Weg haben. Nun gab es einen wilden Mann, eine Art Einsiedler auf dem Weem-Hügel, und er traf die Dame und versprach, ihre Stieftochter zu töten, aber die beiden Mädchen waren immer beisammen. Also sagte die Stiefmutter, sie würde ihrer Stieftochter ein Armband geben, und er sollte diejenige töten, die das Armband trug.
Sie gab dem Mädchen ein schönes Armband und sagte ihr, sie solle es gut bewahren und immer tragen. Dann schickte sie die beiden Mädchen auf den Hügel, um nach einem verirrten Kalb zu suchen. Als sie gingen, bewunderte die Tochter der Dame das Armband so sehr, dass ihre Stiefschwester es ihr lieh. Der wilde Mann sprang auf sie zu und trug die Tochter der Dame mit dem Armband am Arm fort. Die andere versuchte zu folgen, aber er jagte sie fort, und sie rannte nach Hause. Als die Dame begriff, dass ihre eigene Tochter ermordet worden war, wurde sie verrückt, und es heißt, sie habe sich umgebracht.
(Briggs weist darauf hin, dass »es im Motivindex kein Motiv für die Liebe zwischen Stiefschwestern und Stiefbrüdern gibt, obwohl dies in traditionellen Erzählungen recht häufig vorkommt, wie z.B. in ›Kate Crackernuts‹«, der oben erwähnten Geschichte, die Briggs schrieb).
Die Folklore-Society
In den späten 1960er und 1970er Jahren war Briggs verhältnismäßig frei von häuslicher Verantwortung und ehrgeizigen schriftstellerischen Bestrebungen. Sie begann ihren Wirkungskreis zu erweitern, etwa in die London Folklore Society, und reiste in andere Länder – einschließlich der Vereinigten Staaten –, um an Universitäten Vorträge zu halten und Konferenzen zu besuchen.
Sie war der London Folklore Society 1927 beigetreten, aber bislang nicht aktiv gewesen, auch wenn sie die Bibliothek der Society für ihre Bücher über Feen und Literatur und ihr Lexikon der Volksmärchen genutzt hatte. Nun beteiligte sie sich stärker, nahm an Treffen teil, hielt Vorträge und beteiligte sich an der Vereinspolitik – die Society befand sich aufgrund administrativer Differenzen auf einem Tiefpunkt. Briggs' Besonnenheit, ihr Taktgefühl und ihr diplomatisches Geschick führten zu einer Wiederbelebung der Society und zu ihrer Wahl als Präsidentin im Jahr 1967, einem Amt, das sie drei Jahre lang innehatte. 1969 erhielt sie den Doktortitel für Literatur aus Oxford, was sie mit Genugtuung erfüllte. Um Briggs zu ehren, wurde ein Volkskundepreis nach ihr benannt.
Letzte Jahre
Mit der Zeit verschlechterte sich der Gesundheitszustand von Katharine Briggs. 1975 verkaufte sie ihr Haus in Burford und zog mit Hilfe von Freunden nach St. Margaret's Bay in der Nähe von Dover in Südengland. Während der Jahre, die sie dort verbrachte, schrieb sie drei weitere Bücher, darunter eines über die Geschichte der Katzen, da sie ihr ganzes Leben lang eine Katzenliebhaberin war. Sie behielt ihre lebenslange Energie und gute Laune und ließ sich sogar an ihrem achtzigsten Geburtstag die Ohren piercen, damit sie die Perlenohrringe tragen konnte, die sie geschenkt bekommen hatte. Sie arbeitete an Kindheitserinnerungen, als sie im Oktober 1980 plötzlich starb.
Briggs' Leben und Schaffen zusammenfassend schrieb Hilda Davidson:
Man könnte sie eine Traditionsträgerin nennen, und zwar eine aktive, die Geschichten aus verschiedenen Quellen sammelt und sie einem breiten Publikum erzählt, in einer Welt, in der das Erzählen von Geschichten nicht mehr zu den wichtigsten Bestandteilen unserer Kultur gehört.
Sie beherrschte das gesprochene Wort außergewöhnlich gut und sprach damit unmittelbar diejenigen aller Altersgruppen und Herkunft an, die zuzuhören wussten, doch ihre Begabung ging darüber hinaus; sie fing in ihren Büchern einen großen Teil des Reichtums der Phantasiewelt wieder ein, die [die Menschen] seit der Zeit, als die Geschichten zum ersten Mal erzählt wurden, geschaffen haben. Sie brachte uns Vergessenes zurück und hinterließ uns einen Schatz an Erzählungen und Legenden, damit wir die Träume und Visionen jenseits der gewöhnlichen menschlichen Erfahrung nicht zu unserem Schaden vernachlässigen.
Verfasserin: Dorian Brooks
Literatur & Quellen
Werkausgabe
Briggs, Katharine Mary (2003): Collected works. 13 Bände. London. Routledge. ISBN 0-415-29147-X.
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Briggs, Katharine Mary (2007): The anatomy of Puck. An examination of fairy beliefs among Shakespeare's contemporaries and successors. London, New York. Routledge. (Katharine Briggs : collected works, 1) ISBN 0-415-29148-8.
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Briggs, Katharine Mary (2003): Pale Hecate's team. An examination of the beliefs on witchcraft and magic among Shakespeare's contemporaries and his immediate successors. London, New York. Routledge. (Katharine Briggs : collected works, 2) ISBN 0-415-29149-6.
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Briggs, Katharine Mary; Tongue, Ruth L. (2003): Folktales of England. London, New York. Routledge. (Katharine Briggs : collected works, 3) ISBN 0-415-29150-X.
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Briggs, Katharine Mary (2003): The fairies in tradition and literature. London, New York. Routledge. (Katharine Briggs : collected works, 4) ISBN 0-415-29151-8.
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Briggs, Katharine Mary; Norton, F. J. (2003): A dictionary of British folk-tales in the English language. Part A: Folktales vol. I. London, New York. Routledge. (Katharine Briggs : collected works, 5) ISBN 0-415-29152-6.
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Briggs, Katharine Mary (2003): Dictionary of British folk-tales in the English language. Part A: Folktales vol. II. London. Routledge and Kegan Paul. (Katharine Briggs : collected works, 6) ISBN 0-415-29153-4.
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Briggs, Katharine M. (2003): A Dictionary of British Folktales. Part B: Folk Legends vol. I. London. Routledge. (Katharine Briggs : collected works, 7) ISBN 0-415-29154-2.
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Briggs, Katharine M. (2003): A Dictionary of British Folktales. Part B: Folk Legends vol. II. London. Routledge. (Katharine Briggs : collected works, 8) ISBN 0-415-29155-0.
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Briggs, Katharine Mary (2003): The folklore of the Cotswolds. London. Routledge and Kegan Paul. (Katharine Briggs : collected works, 9) ISBN 0-415-29156-9.
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Briggs, Katharine Mary (2003): A dictionary of fairies. Hobgoblins, brownies, bogies, and other supernatural creatures. London, New York. Routledge. (Katharine Briggs : collected works, 10) ISBN 0-415-29157-7.
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Briggs, Katharine Mary (2003): The vanishing people. A study of traditional fairy beliefs. London. Routledge. (Katharine Briggs : collected works, 11) ISBN 0-415-29158-5.
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Briggs, Katharine Mary (2003): Abbey lubbers, banshees, and boggarts. An illustrated encyclopedia of fairies. London, New York. Routledge. (Katharine Briggs : collected works, 12) ISBN 0-415-29159-3.
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Briggs, Katharine Mary (2003): Nine lives. The folklore of cats. London, New York. Routledge. (Katharine Briggs : collected works, 13) ISBN 0-415-29160-7.
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Deutsche Ausgaben
Briggs, Katharine (Hg.) (1990): Englische Volksmärchen. Übersetzung: Uta Schier. Düsseldorf. Diederichs. (Märchen der Weltliteratur, 87) ISBN 3424002631.
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Briggs, Katharine (Hg.) (1993): Englische Märchen. Reinbek bei Hamburg. Rowohlt. (Rororo, 35022 : Diederichs Märchen der Weltliteratur) ISBN 9783499350221.
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