(Joan Maud Littlewood)
geboren am 6. Oktober 1914 in London
gestorben am 20. September 2002 in Paris
britische Regisseurin und Theaterleiterin
110. Geburtstag am 6. Oktober 2024
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen • Bildquellen
Biografie
Joan Littlewood wuchs als uneheliches Kind ihrer 16-jährigen Mutter zusammen mit ihren Tanten und Onkeln bei den Großeltern in einem Londoner Arbeiterviertel auf. Sie ist die Beste der Klasse, gewinnt ein Stipendium für eine weiterführende Schule und hütet die neuen drei Kleinkinder ihrer Mutter und ihrer Tante.
Mit 16 geht sie mit ihrer Kunstlehrerin nach Paris, die sie adoptieren und zur Malerin ausbilden lassen will. Sie bewirbt sich am RADA (Royal Academy of Dramatic Art) und wird angenommen, verlässt die Schule aber bald enttäuscht. Sie verdient Geld bei der BBC als Sprecherin und Interviewerin und begegnet Jimmy Miller, Sänger, Schauspieler, Stückeschreiber, Kommunist, der später unter dem Namen Ewan McColl bekannt wird. Durch ihn lernt sie sein »Theater of Action« kennen, linkes Agitprop-Theater, und beginnt in diesem Rahmen erfolgreich Regie zu führen. Auf einer Straßenbahnfahrt rempeln und zanken sie sich so lautstark, dass der Fahrer anhält und fragt, was los sei. »Er will mich heiraten«, sagt Littlewood, damals 21. »Nun«, sagt der Fahrer, »das sieht wie ein vielversprechender Anfang aus« und fährt weiter.
Sie heiraten und bauen ab Anfang der 1930er Jahre die Theatertruppe auf, der sich langsam die Leute anschließen, die jahrelang in unglaublicher Armut und unter größten Strapazen zusammenbleiben und sich zu dem berühmten Littlewood-Ensemble entwickeln, das seine Erfolge auf kleinsten, immer wechselnden Bühnen in England und im Ausland erleben wird. Das Establishment meidet sie als Kommunisten. Alle leben von »Nebenjobs«, reagieren aber immer mit klassischen und selbst geschriebenen Stücken auf aktuelle Ereignisse.
Es kommt zu ständigen Auseinandersetzungen mit offiziellen Stellen. Das Theater wird zeitweise geschlossen, und das jahrzehntelange Ringen um einen festen Standort und einen festen Schlafplatz für das Ensemble wird fortgesetzt. Gemeinsam machen sie die heruntergekommensten Theater bespielbar, putzen, entwerfen und bauen Kulissen, entwerfen und schneidern die Kostüme, machen Licht, fahren mit Bussen oder trampen zu ihren Einsatzorten, alles auf hohem Niveau, was ihnen immer wieder bestätigt wird, wenn ab und zu »richtige« Kritiker die kleinen Bühnen besuchen und sich wundern, dass diese fantastischen SchauspielerInnen, die mit Kusshand von großen Häusern genommen würden, bei der Truppe bleiben.
Der Krieg macht alles noch schwerer, auch psychisch, Liebesgeschichten entstehen kreuz und quer. Die jungen Männer werden eingezogen, viele sterben, andere desertieren, die Übrigen bleiben zusammen. Der damals 16-jährige Gerry Raffles schließt sich dem Ensemble an, wird etwas später der Geliebte von Joan Littlewood und bleibt bis zu seinem Tod 1975 ihr engster Freund und der Manager der Truppe, der nicht nur die ständig neuen Spielorte organisiert, sondern auch selbst spielt und schreibt.
Ab 1945 firmieren sie unter dem Namen »Theatre Workshop«. Sie haben Schwierigkeiten vom Arts Council als Theatergruppe anerkannt zu werden, weil sie so wenig verdienen, dass sie die Vergnügungssteuer nicht bezahlen können. Da hilft auch nicht, dass ein sehr guter Artikel über »die aufregendste Theatergruppe Englands« erscheint und sie als diejenigen gelten, die allein das sterbende englische Theater wieder beleben könnten. 1947 spielen sie vor den englischen Streitkräften in Deutschland und 1948 vor deutschem Publikum in vielen Städten. Jahre, bevor sie Anerkennung in England finden, werden sie gefeiert auf Tourneen in Deutschland, Frankreich, der CSSR, Norwegen, Schweden, Russland und - Schottland. In diesen Ländern werden sie als Vertreter Englands behandelt, schlafen in guten Häusern und bekommen genug zu essen.
Ihr erstes festes Haus beziehen sie 1953. Theatre Royal Stratford E 15. Das ist ihr Standort bis 1975. Sie werden noch erfolgreich um den Erhalt des Theaters kämpfen, das nicht eingeebnet werden sollte wie die Straßen drumherum.
Sie bringen alle zwei Wochen ein neues Stück heraus, unterrichten SchülerInnen, machen Kinder- und Tanztheater. 1955 lädt das internationale Theaterfestival sie nach Paris ein, das ihnen zu Füßen liegt. Alle anderen internationalen Theater werden staatlich gefördert, aber sie haben nicht mal das Geld für die Rückfahrt.
Die Gruppe ist inzwischen vollkommen überfordert. Einige SchauspielerInnen verlassen sie. »The success is going to kill us!« Und der Erfolg kommt. Mit Brendan Behan, mit Shelagh Delaneys »A Taste of Honey«, und mit »Oh, What a Lovely War«. Ab Anfang der 1960er Jahre verliert Littlewood die Lust am Inszenieren und wendet sich ihrem großen letzten Projekt zu, dem kein Erfolg beschieden sein wird, dem FUN PALACE, Idee und Plan von dem Architekten Cedric Price. Dieses Projekt beschäftigt Littlewood jahrelang und führt sie mit Vorträgen darüber um die ganze Welt. FUN PALACE ist heute schwer zu erklären, weil FUN uns medial überschwemmt. Es ist ein Projekt über die Erkenntnislust, die bei den potentiellen BenutzerInnen vorausgesetzt wird.
Nach Gerry Raffles’ Tod geht sie nach Frankreich, wo sie in Baron Philippe de Rothschild, Winzer und Dichter, einen Freund findet und mit ihm seine Biografie schreibt: Milady Vine. Danach beginnt sie ihre eigene: Joan´s Book. Sie stirbt, fast 88-jährig, 2002 in Paris.
(Text von 2013)
Verfasserin: Helke Sander
Zitate
Littlewood picked up influences like a scholarly jackdaw, insisting that her company prepare properly. Her pre-rehearsal reading list for a production of Aristophanes in 1940 ran to four Greek plays, eight academic books, Thucydides’s account of the Peloponnesian war and a study of Greek theatrical history. Any other approach was ›mere philandering‹.
(John Ezard and Michael Billington, The Guardian 23-09-02)
Littlewood was the most important influence of my life. I owe her everything, even though sometimes what was achieved struggled through the mists of confusion – and was frequently acrimonious. Her encouragement stimulated me and transformed my work as an actor. She taught me to be truthful. She made me take risks – the high diving board was always in evidence.
(Sir Nigel Hawthorne in his autobiography Straight Face, pub. Hodder & Stoughton, 2002)
Links
Britische Theaterregisseurin Joan Littlewood tot. Schwäbische Zeitung, 23.09.2002, zuletzt geprüft am 29.09.2019.
WebCite®-Archivfassung: http://www.webcitation.org/6SNmZTK0M.
Quotes • Joan Littlewood | Rogues & Vagabonds on WordPress.com.
Online verfügbar unter http://roguesandvagabonds.wordpress.com/2013/02/15/quotes-%E2%80%A2-joan-littlewood-%E2%80%A2-1914-2002/, zuletzt geprüft am 29.09.2019.
WebCite®-Archivfassung: http://www.webcitation.org/6SSdiu19q.
Encyclopaedia Britannica: Joan Littlewood.
Online verfügbar unter http://www.britannica.com/EBchecked/topic/344266/Joan-Littlewood, zuletzt geprüft am 29.09.2019.
Ezard, John; Billington, Michael (2002): Joan Littlewood. Nachruf. The Guardian, Monday 23 September 2002.
Online verfügbar unter http://www.theguardian.com/news/2002/sep/23/guardianobituaries.arts, zuletzt geprüft am 29.09.2019.
Find A Grave Memorial: Joan Maud Littlewood (1914 - 2002).
Online verfügbar unter http://www.findagrave.com/cgi-bin/fg.cgi?page=gr&GRid=8464129, zuletzt geprüft am 29.09.2019.
Fletcher, Jackie: A Tribute to Joan Littlewood. The British Theatre Guide, zuletzt geprüft am 29.09.2019.
WebCite®-Archivfassung: http://www.webcitation.org/6SNkYSiWM.
Internet Movie Database: Joan Littlewood. Filme.
Online verfügbar unter http://www.imdb.com/name/nm0514763/, zuletzt geprüft am 29.09.2019.
National Portrait Gallery: Person - Joan Littlewood.
Online verfügbar unter http://www.npg.org.uk/collections/search/person/mp05516/joan-littlewood?search=sas&sText=Joan+Littlewood, zuletzt geprüft am 29.09.2019.
Theatre Royal Stratford East: History 1953 - 1979. Mit vielen Bildern, zuletzt geprüft am 29.09.2019.
WebCite®-Archivfassung: http://www.webcitation.org/6SNkPeLAN.
Literatur & Quellen
Werke
hilton, Charles; Littlewood, Joan (2000): Oh what a lovely war. Joan Littlewood's musical entertainment. Original version edited and introduced by Joan Littlewood. London. Methuen. (Methuen modern plays) ISBN 978-0-413-30210-6. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Goorney, Howard; MacColl, Ewan (1986): Agit-prop to Theatre Workshop. Political playscripts, 1930-50. Manchester UK, Dover NH USA. Manchester University Press; Manchester Univ. Pr. ISBN 0719017629. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Littlewood, Joan (2003): Joan's book. The autobiography of Joan Littlewood. London. Methuen. ISBN 0413773183. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Littlewood, Joan; Rothschild, Philippe de (1984): Milady Vine. The autobiography of Philippe de Rothschild. London. Cape. ISBN 0-224-02208-3. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Rothschild, Philippe; Littlewood, Joan (1984): Baron Philippe. The very candid autobiography of Baron Philippe de Rothschild. 1st American ed. New York. Crown Publishers. ISBN 0517555573. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Quellen
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Littlewood, Joan (1994): Joan's book. Joan Littlewood's peculiar history as she tells it. London. Methuen. ISBN 0-413-64070-1. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Weiterführende Literatur
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Holdsworth, Nadine (2011): Joan Littlewood's theatre. 1. publ. Cambridge. Cambridge Univ. Press. ISBN 978-0-521-11960-3. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
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Bildquellen
Simply Solar
BBC NEWS
DigitalArts
The Guardian
Wikipedia
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