The Irma Stern Trust Collection
geboren am 2. Oktober 1894 in Schweizer-Reneke, Südafrika
gestorben am 23. August 1966 in Kapstadt, Südafrika
südafrikanische Malerin, Graphikerin, Bildhauerin und Autorin
130. Geburtstag am 2. Oktober 2024
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen • Bildquellen
Biografie
„Wer schrieb mir dieses Leben? Ich mag es nicht! Neu schreiben!“ (zit. n. AK 1996). Dies, so fürchtete die südafrikanische Künstlerin Liz Crossley (*1949), könne Landsfrau und Kollegin Irma Stern ihr immerfort aus dem Jenseits zuraunen, als sie eine Installation zu deren Leben und Werk begann. Tatsächlich lässt sich Sterns eindringliches Œuvre – es umfasst mehr als 800 Ölgemälde, dazu unzählige Aquarelle, Graphiken, Zeichnungen, Plastiken und Keramiken – kaum in eine einzige Installation pressen. Zu viele, teils widersprüchliche Lesarten bieten die künstlerisch hochdifferenten Arbeiten – und erst recht Sterns schillernde Persönlichkeit. Allseits abgesegnet scheint dagegen der Konsens, Stern, die in Deutschland in den 1920er Jahren bekannter war als in ihrem Heimatland, im Zuge des Nationalsozialismus aber über sechs Dekaden nahezu unsichtbar blieb, als Moderne-Pionierin sondergleichen sowie maßgebliche Vorreiterin der „Gender and Race“-Debatte (vgl. Walker 2009) zu zelebrieren. Außerdem kann sie ganz nebenbei zu der noch immer spärlich kleinen Gruppe von Künstlerinnen gezählt werden, deren Werke regelmäßig erkleckliche zweistellige Millionenbeträge einbringen.
„Bei mir erwachte jegliches Interesse über die Augen“: Erste Schritte
Irma Stern verbrachte Kindheit und Jugend gleichermaßen in Südafrika wie in Europa: Als ältestes Kind deutsch-jüdischer MigrantInnen, die sich in der südafrikanischen Republik als FarmerInnen emporgearbeitet hatten, durchlitt sie 1901, als Siebenjährige, erste massive Entwurzelungsgefühle: Im Zuge des Zweiten Burenkrieges (1899-1902) musste sie mit ihrer Familie von Südafrika nach Berlin umsiedeln, wo die Familie, von kurzzeitigen Unterbrechungen abgesehen, bis 1920 ihren Hauptwohnsitz beibehielt.
„Bei mir erwachte jegliches Interesse über die Augen“ (Stern 1926, zit.n. AK, 1996), brachte Stern das Grundgefühl ihrer ersten Lebensjahre auf den Punkt. Immerzu habe sie gemalt und gezeichnet und sich bereits mit 11 Jahren in den Kopf gesetzt, Künstlerin zu werden. Als „Jahre meiner Versklavung“ (ebd.) empfand sie folgerichtig ihre widerwillig abgesessene Schulzeit. Da ihr im Wilhelminischen Kaiserreich als Frau der Zugang zur Kunstakademie versperrt blieb, begab sie sich 1912, ein Jahr nach der Reifeprüfung, an Albert Reimanns private Berliner Kunst- und Kunstgewerbeschule. Von den dortigen Masken- und Büsten-Nachzeichnereien rasch gelangweilt, und unterbrochen durch einen längeren Aufenthalt in der südafrikanischen Heimat, wechselte sie ein Jahr später nach Weimar – an die Frauenklasse der dortigen Hochschule für Bildende Kunst, wo sogleich die nächste Enttäuschung wartete: Zu „meinem blanken Entsetzen begann die gleiche Routine wieder von vorne – Gipsabgüsse (...), Totenmasken“, sogar der „Abguss eines ertrunkenen Mädchens“ sei ihr als Studienobjekt zugemutet worden (ebd.). Wenige Monate später aber glaubte sie an den Berliner „Studien-Ateliers für Malerei und Plastik“ (sog. Arthur Lewin-Funcke-Schule) in dem neoimpressionistisch-symbolistischen Maler Martin Brandenburg (1870-1919) endgültig den perfekten Lehrer gefunden zu haben.
„Mein tiefes Mitgefühl für dieses Kind des Leids“: Abschied und Neubeginn
1916, Stern war knapp 22 Jahre alt, entstand während eines Besuchs bei den Großeltern im niedersächsischen Einbeck eines ihrer bis heute meistzitierten Werke: das sog. „Ewige Kind“ (Eternal Child / Pathetic Child, 1916). Das „Ewige Kind“, ein verhärmtes, auf hohem Holzstuhl kauerndes Mädchen mit derangiertem Sonntagskleid und todtraurigen, riesenhaften Augen, umgriff mit dürren Fingern einen prächtig blühenden Wildblumenstrauß – so, als wolle es sichergehen, wie Stern späterhin erläuterte, „dass ein Rest von Schönheit immer bleibt“ (Stern 1934, zit.n. AK 1996, S. 222). Auf den ersten Blick erinnert die Komposition an Paula Modersohn-Beckers (1876-1907) berühmtes „Worpsweder Bauernkind auf einem Stuhl sitzend“ (1905), ist aber als Allegorie auf eine von Hungersnot und Elend malträtierte Erste Weltkriegs-Kindheit angelegt. Wiederholt thematisierte Stern damals schmerzliche Weltkriegsbiographien per Gemälde, um „das Leid und die Qual, die der Krieg im Leben aller bedeutet“ (Stern 1934 zit. n. AK 1996) sichtbarer zu machen. Erst 1965, kurz vor ihrem Tode, gab sie „Das ewige Kind“ zum Verkauf frei, war es doch unbeabsichtigt zu einem Schlüsselwerk geraten, das gleichzeitig Abschied und Neubeginn markierte: Gemalt hatte sie das Bild, um ihr „tiefes Mitgefühl für dieses Kind des Leids“ (Stern 1926, zit. n. AK 1996) auszudrücken. Martin Brandenburg aber, ihr Lehrer, deutete das Ölgemälde als „kaltherzige, zynische Repräsentation menschlichen Elends“ (ebd.). Zu verwandt schien ihm das Werk mit dem seinerseits verabscheuten Expressionismus, wie er ihn in Berlin v.a. in Herwarth Waldens Galerie „Der Sturm“ ertragen musste. Stern stürzte in eine tiefe Schaffenskrise, an deren Ende der Entschluss stand, künftig neue künstlerische Pfade ohne jede Akademieanbindung zu wagen.
„Zu meiner größten Freude gefiel ihm alles“: Irma Stern und Max Pechstein
Im Juni 1917 nahm Stern allen Mut zusammen und legte dem ihrerzeit vielgepriesenen Brücke-Künstler Max Pechstein (1881-1955) ihre Mappe vor. „Zu meiner größten Freude gefiel ihm alles“ (ebd.), resümierte sie die folgenreiche Erstbegegnung. Ihm habe sie mehr „als sonst irgend jemandem“ zu verdanken: Er habe ihr „den Weg in die Öffentlichkeit“ geebnet – „ein Schritt, der aufgrund der enormen Konkurrenz unbeschreiblich schwer“ (ebd.) gewesen sei, insbesondere für sie, als Frau, auf dem männerbündlerischen Kunstmarkt. U.a. bahnte ihr der 13 Jahre ältere Pechstein die erste Einzelausstellung in der Galerie Gurlitt (1919), die sie mit Werken voll „expressionistische(r) Weltformung“ (1919, zit. n. Below 2000), bestückte und retrospektiv als „Sprungbrett in die Kunstszene Mitteleuropas“ (Stern 1926, zit. n. AK 1996) wertete. Daneben verdankte Stern Pechstein eine Einladung zur Mitgliedschaft in der künstlerisch wie politisch heterogenen Berliner „Novembergruppe“ – eine Anerkennung, wie sie nur wenigen Frauen, bspw. Emy Roeder und Hannah Höch, zuteil wurde. Umgekehrt profitierte Max Pechstein gleichermaßen von Stern: Bei der ersten Begegnung steckte er, vom Ersten Weltkrieg gezeichnet, in einer Krise. Seine Freundschaft mit Stern aber restabilisierte ihn künstlerisch wie privat mehrfach – nicht zuletzt, da beide – Pechstein war 1913/14 in die Südsee gereist – einer projektionsgeladenen Idealisierung entlegener, vermeintlich „unberührter“ Landstriche zugeneigt waren.
„ ... dann fliegen wir der Sonne entgegen“: Rückkehr nach Afrika
In Deutschland zunehmend erfolgreich, kehrte Irma Stern 1920 nach Kapstadt zurück. Beruflich blieb sie indes Europa treu und beteiligte sich in den Folgejahren an zahllosen Ausstellungen – u.a. in Berlin, Breslau, Brüssel, London, Amsterdam, Paris und Wien. 1927 gewann sie in Bordeaux bei der „Exposition Internationale des Beaux-Arts de la Ville de Bordeaux“ den Ehrenpreis – das „Diplome d’Honneur“. Daneben wurde sie mehrfach mit Einzelausstellungen bedacht.
„Dann fliegen wir der Sonne entgegen“ (zit. n. Below 2000), machte sich Stern 1920 Mut, bevor sie den Dampfer nach Kapstadt bestieg. Zurück in Südafrika, musste sie jedoch ein kleines Adaptionswunder vollbringen: Stets gegen vorgestrige Konventionen rebellierend, ging sie im damals berauschend vielfältigen Berlin unbefangen als zusehends hofierte Künstlerin durch den Tag. Ins gender-konservative südafrikanische elterliche Wohnhaus zwangszurückgekehrt, musste sie sich indes verstaubten Hierarchien beugen. Außerdem erhielt ihr seit Kindheitstagen prächtig verklärtes Afrika-Bild veritable Risse: „herrlich schön“ sei die Natur rund um Kapstadt, „aber alles was die Menschen hier gemacht haben“ sei „hässlich“ (Stern 1931, zit. n. AK 1996) konstatierte sie plötzlich. Denn der bisweilen verbohrte, weiße südafrikanische Geldadel machte ihr das Leben mächtig schwer: „Alles was neu ist – und fast alles ist diesen beschränkten Leuten hier Neu – wird einfach verspottet, belacht und nachher immitiert (sic!).“ (1922, zit. n. AK 1996), bilanzierte Stern, nachdem die Kapstädter Ashbeys Gallery im Februar zur ersten Stern-Ausstellung in Südafrika lud. Die überraschend gut besuchte Bilderschau „An Exhibition of Modern Art by Irma Stern“ war die erste, die in Südafrika mit dem Begriff „Modern Art“ operierte (vgl. Arnold 1996, S. 80) und trieb reaktionäre Weiße scharenweise auf die Barrikaden. Immerhin präsentierte Stern als erste weiße Künstlerin ihrer Breitengrade Indigene nicht als schmückendes Dekorum weißer Herrschaften oder, tiergleich, als ethnologische Studienobjekte, sondern als selbstbewusste Individuen – ein Kunstgriff, mit dem sich anfangs nur eine Handvoll liberaler weißer Südafrikaner*innen solidarisierte, allen voran Richard und Freda Feldman.
„The Pechstein of Africa“: Durchbruch
Wenige Monate nach den Tumulten um ihre erste Kapstadter Ausstellung reiste Stern an die südafrikanische Ostküste, wo eines ihrer inzwischen meistbesprochenen Kunstwerke – das Reisetagebuch „Umgababa“ (1922/23) entstand, das insbesondere weibliche Indigene in ihrem Arbeits- und Lebensalltag fernab der Großstädte skizzierte. Daneben fertigte sie mehrere, damals „native studies“ (Stern 1933) genannte großformatige Kompositionen, die sie anfangs ausschließlich in Europa präsentierte (vgl. Stern 1933). War es ursprünglich Sterns erklärter Wunsch, „Afrika unverwässert von europäischen Einflüssen zu finden“ (zit.n. AK 1996), löste sich Stern nach ihrer Umgababa-Reise schrittweise von ihrem – teilweise – exotistisch-verklärenden Duktus und begann „Afrika als eine von der Zivilisation und dem europäischen Kolonialismus bedrohte Kulturlandschaft“ (Below 1997) darzustellen. Es folgten viele Reisen über den afrikanischen Kontinent, u.a. nach Zululand (Provinz KwaZulu-Natal), Pondoland (heute: Provinz Ostkap/Südafrika) und Swasiland. – Und es folgten weitere Reisetagebücher: 1942 „Congo“ und 1948 „Zanzibar“. „In dieser Zeit war mein einziger Wunsch, meine glühende Liebe zu Afrika auszudrücken“, erklärte sie später. „Ich fühlte mich wie eine Forscherin“ (zit. n. AK 1996).
Sterns Leben zwischen den Kulturen war ebenso schmerzvoll wie bereichernd und ermöglichte ihr letztlich eine unverwechselbare, gleichermaßen von Expressionismen wie Africana sowie steten stilistischen und motivischen Wechseln getragene Handschrift. Wenngleich sie zu Beginn oft genug auf überholungsbedürftige Traditionen rekurrierte und indigene SüdafrikanerInnen in verhübschte, vermeintlich paradiesische Landschaften packte, portraitierte sie seit Mitte der 1920er Jahre zunehmend moderne – teils in sich ruhende, teils sichtlich ausgebeutete – Großstadtmenschen unterschiedlichster Herkunft. Damit schuf sie ein zeitgemäßes Kaleidoskop afrikanischer Metropolen, das von ethnischer, sozialer und kultureller Vielfalt kündete und schlussendlich europäische Afrika-Stereotype ad absurdum führte. Bereits 1926 bekannte sie, „Ich schätze mich glücklich, behaupten zu können, dass meine Arbeit immer noch meine größte Freude im Leben ist“ (zit. n. AK 1996): Nach ersten rigiden Anfeindungen in Südafrika war sie peu à peu zur erfolgreichen „Pechstein of Africa“ (Braude 2011) avanciert – wenngleich sie längst dessen Ductus und Exotismen abgeschüttelt hatte. Parallel unternahm Stern einen Komplettumbau ihrer Farbpalette (vgl. Stern 1933) und verschrieb sich psychologischen Studien. Portraits von FreundInnen und Verwandten entstanden, zudem eine Vielzahl lebendiger Stillleben und Landschaftsgemälde – Werke, die sie nach 1930 immer häufiger außerhalb Afrikas anfertigte, z.B. auf Madeira, wo sie 1931 mehrere Monate verbrachte.
„ ... eine völlig eigene Stellung in der Kunstwelt“: Afrikanerin in Europa – Europäerin in Afrika
1927 wurde Stern in Deutschland die bemerkenswerte Ehre zuteil, zu den sieben Künstlerinnen zählen zu dürfen, die – neben 56 männliche Kollegen gestellt – von der ihrerzeit populären Buch-Reihe „Junge Kunst“ einen eigenen Band erhielten. Max Osborn, der Autor jener ersten deutschsprachigen, von zeittypischer Kolonialherrengestik keineswegs freien Stern-Monographie, betonte, Stern sei als gebürtige Südafrikanerin strikt von den Massen fernwehfiebriger, Gauguin imitierender KollegInnen zu differenzieren. Schließlich habe sie nicht als Gast „die uns fernste Landschaft (...) durchstreift“, sondern sie könne selbige schlicht als ihre „Heimat“ bezeichnen. „Das war es, das ihr eine völlig eigene Stellung in der Kunstwelt gab“ (Osborn S. 6/7), resümierte er, wobei ihm Sterns eigentliche Innovation keinesfalls verborgen blieb: Wenngleich er diesen Schritt in genderstereotyper Voreingenommenheit mit Sterns „tiefem fraulichen Gefühl“ (ebd.) legitimierte, honorierte Osborn explizit, dass sie u.a. in ihrem Tagebuch „Umgababa“ (1922/23) indigene SüdafrikanerInnen nicht mehr als „die Dienenden“ (ebd.) präsentierte. – Damit habe sie einen Aufsehen erregend neuartigen Blick entwickelt, der zuvor „wohl noch keine(m) von den Weißen in Südafrika“ (Osborn 1927, S. 10) geglückt sei. Dass Sterns Afrika-Bilder nachfolgend einmal mehr als „authentische“ InsiderInnen-Werke hofiert wurden, entsprach durchaus Sterns ausgeklügelter Doppel-Selbstvermarktungsstrategie – als Afrikanerin in Europa und Europäerin in Afrika. So wählte sie für deutsche Ausstellungen, bspw. für die Großen Berliner Kunstausstellungen seit 1927 (vgl. Hörstmann 2016), gezielt vorrangig afrikanische Motive, um sich umgekehrt in Afrika in selbstverfassten Publikationen – kaum weniger berechtigt – als europäisch sozialisierte Malerin darzutun.
Ebenfalls 1927, im selben Jahr, in dem Sterns erste Monographie in Deutschland erschien, heiratete sie in Südafrika den deutschen Germanistik-Professor Johannes Prinz – aus Liebe, aber mit dem erfreulichen Nebeneffekt, den rigiden elterlichen Kontrollblicken zu entrinnen. Stern und Prinz bezogen bald darauf „The Firs“ (Die Tannen), ein Wohnhaus nahe der Kapstadter Universität, in dem die vielseitige Künstlerin, auch nach vollzogener Scheidung im Jahre 1934, bis zu ihrem Lebensende wohnen blieb und in dem sich heute das Irma Stern-Museum befindet.
„so viel Hass – der überwunden werden muss“: Stern nach 1933
Knapp drei Monate nach Machtübergabe an das NS-Regime, notierte Stern: „Ich bekomme furchtbare Angstgefühle, wenn ich an Deutschlands Zukunft denke. – so viel Hass – der überwunden werden muss (...) Ich gehe zu den ‚Wilden’ und werde wohl dort kultivierte Menschen treffen.“ (Stern 1933, zit. n. AK 1996). Während Stern in Deutschland seit 1933 jede Ausstellungsmöglichkeit verwehrt und auch nach 1945 fast fünf Jahrzehnte nahezu unerwähnt blieb, wurde sie in Südafrika bereits in den 1940er Jahren als „erste moderne Künstlerin der Nation“ (Walker 2009) identifiziert. Seit 1948, mit Beginn der staatlich legitimierten Apartheid, suchte sie ihre Motive dennoch nur selten auf dem afrikanischen Kontinent – für Stern-Wiederentdeckerin Below u.a. ein Hinweis auf Sterns Sorge, „in fatale Nähe zu der Ideologie der Apartheid“ (vgl. Below 1997) gerückt zu werden. Gleichwohl vertrat die bis ins hohe Alter umtriebige Künstlerin Südafrika mehrfach als „liberales Aushängeschild“ (ebd.), z.B. auf den Biennalen in Venedig (1948, 1950, 1958) und Sao Paulo (1957). Daneben wurde sie wiederholt mit Retrospektiven gewürdigt und erhielt 1960, als letzte größere Auszeichnung, den Guggenheim International Art Prize.
„... die wichtigste Malerin ihrer Generation“: Resonanzen und Dissonanzen
Irma Stern schuf als eine der ersten weißen KünstlerInnen europäischen Ursprungs respektvolle – partiell genderbewusste – Portraits von AfrikanerInnen, in denen sich viele Indigene bis in die Gegenwart exzellent gespiegelt sehen (vgl. Walker 2009). Und doch fragte Liz Crossley bereits in den 1990er Jahren keinesfalls grundlos „Wie rassistisch war Irma Stern?“ (AK 1996, S. 135, 139). Wer sich in Sterns Vita, und erst recht in deren Rezeption vertieft, stolpert rasch über fulminante Widersprüche: Deckungsgleich mit vielen weißen VertreterInnen ihrer Zunft in Afrika, etwa Germaine Krull, waren auch Stern diskriminierende Untertöne keineswegs fremd: So attestierte sie z.B. in ihrem Artikel „Meine exotischen Modelle“ (1926), indigenen südafrikanischen Kindern „eine an Tiere gemahnende (...) Schönheit“ (ebd.), um am Ende über die „einfache, kindliche und doch so reiche Seele der Schwarzen“ (ebd.) zu sinnieren. Daneben entglitten Stern, vor allem gegen Lebensende, mitunter manifeste Rassismen, über die sich manch liberaler Förderer, allen voran Richard Feldman, beträchtlich echauffierte (vgl. AK 1996).
So widersprüchlich Stern aus heutiger Perspektive anmuten mag, so wenig differenzierungsbereit scheinen allerdings mitunter auch ihre RezipientInnen: Eine Glanzleistung androzentrisch-diskreditierender, psychologisierender Kunstbetrachtung offeriert v.a. Neville Dubow: Der Gründungsdirektor des Kapstadter Irma-Stern-Museums wertete die Künstlerin zwar als „unbestritten ... wichtigste Malerin ihrer Generation“ (AK 1996) in Südafrika, sprach ihr im selben Atemzug jedoch jedes politische Bewusstsein ab. In bester Tradition misogyner Künstlerinnen-Rezeption diagnostizierte er statt Talent und Intellekt „Instinkt und Intuition“ (Dubow, AK 1996). Er warnte vor einer feministischen Vereinnahmung und redete den schreiend hohen Prozentsatz Sternscher Frauenportraits zur nackten Triebsublimierung klein: „Sie war schließlich eine extrem sinnesbezogene Person mit einem gewaltigen Appetit auf Leben“ (ebd.). Dieser habe sich in ihren Bildern entladen, da sie ihn im realen Leben nicht habe stillen können. Die Bildhauerin Merle Freund, seit ihrem Kunststudium in Kapstadt mit Irma Stern bekannt, zeichnete ein respektvolleres Bild: Im Gegensatz zu Dubow verlor sie sich nicht in Spekulationen über die vermeintliche Geltungssucht der Künstlerin, sondern bescheinigte Stern eine gehörige Portion eigenwilligen Humors. Freund erinnerte an zahllose, betörend festlich inszenierte Abende im Hause Stern, an denen die 1,50 Meter kleine Gastgeberin, in schreiend bunte Kaftane gehüllt, „glanzvoll in Erscheinung“ (Freund, AK 1996) getreten sei und ihre hungrigen Gäste mit köstlichen Speisen verwöhnte. Analog zu manch männlichem, zum strahlenden Bohemien oder Lebenskünstler schöngeredeten Kollegen, liebte Stern offenbar den glorreichen Auftritt, war als Frau jedoch anderen Bewertungsmaßstäben ausgeliefert.
Uneinigkeit herrscht nicht zuletzt über Sterns Verhältnis zur Apartheid: Während einige Forscherinnen monieren, Stern habe – statt sich offiziell von der südafrikanischen National Party zu distanzieren – mit ihren Indigenen-Portraits mehrfach weltweit auf Biennalen ein Alibi für den vermeintlich emanzipatorischen Impetus des Apartheid-Regimes geschaffen, mahnte Irene Below zu größerer Fairness: Sterns Briefe der letzten Lebensjahre hätten das Bild eines politisch wachsamen, sensiblen, aber gesundheitlich angeschlagenen Menschen gezeichnet, der die Anti-Apartheidsbewegung befürwortet habe, damit aber „öffentlich nicht zu sehr identifiziert werden will“ (Below 2006). Notwendig scheint zudem eine Präzisierung des historischen Kontexts: Als in Südafrika mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges die massiv grassierenden Antisemitismen abflauten, lösten sich die unverändert existenten, zugrunde liegenden Aggressionen keinesfalls auf. Vielmehr wurden sie fortan v.a. in die rassistische Segregation von Schwarz und Weiß gelenkt (vgl. Augustin 2015). Nach überlebter Shoah und großer Angst vor der Renaissance antijüdischer Hetze, brachte dabei realiter nur eine Minorität südafrikanischer JüdInnen die Kraft auf, sich offiziell gegen die Apartheid zu positionieren. Der Rest schwieg, oder adaptierte – wie bisweilen Irma Stern – rassistische Ressentiments (vgl. Augustin 2015). Erst die südafrikanische Studierendenbewegung der späten 1960er Jahre rebellierte gegen dieses Phänomen. Diese Zeit allerdings erlebte Irma Stern nicht mehr: Sie starb am 23. August 1966 in Kapstadt.
Verfasserin: Annette Bußman
Zitate
Ich sagte mir, wenn Du einmal groß bist, wirst Du das alles malen! ... Ich hegte den Gedanken, eine Kunstakademie zu besuchen ... Durch die ganze, lange Schulzeit hindurch – die Jahre meiner Versklavung – hielt ich mich an diesem einen Wort ‚Akademie’ fest. Es bedeutete für mich die Erfüllung eines Traumes und dadurch Freiheit.
(Irma Stern: How I began to Paint. In: The Cape Argus 19.06.1926; dt. Übersetzung nach AK 1996, S. 207ff.)
Mit ihrer (= Irma Sterns, A.B.) Biographie und ihrer künstlerischen Existenz zwischen Afrika und Europa, zwischen Peripherie und Zentrum präfiguriert sie einen neuen Künstlertypus, der durch Migration – sei dies Auswanderung, Flucht oder Exil – zwischen den Kunstzentren in Europa und Nordamerika und dem ‚Rest der Welt’ vermittelt.
(Below 2006)
Die von (Okwui, A.B.) Enwezor beschriebene Spannung zwischen ‚seeing eye’ und ‚remembering mind’, also dem aktuellen Blick und der Erinnerung an ein Anderswo, die ihn begleitet und einfärbt, war für Irma Stern dabei von Anfang an bestimmend. Lebte sie in Afrika, war die Erinnerung an Europa lebendig, war sie in Berlin, so träumte sie von „ihrem“ Afrika. Im Lauf der Zeit änderten sich diese Vorstellungen und Erinnerungen, doch die Grundstruktur blieb gleich: Lebte und arbeitete sie an dem einen Ort, hatte sie zugleich den anderen vor ihrem geistigen Auge. So entwickelte sie einen doppelten und zugleich gespaltenen Blick, ein Zugehörigkeitsgefühl und eine Fremdheit gegenüber beiden Lebenswirklichkeiten gleichermaßen. Das Leben zwischen den beiden unterschiedlichen Welten bildete die Grundlage ihrer Selbstkonzeption und den Ausgangspunkt für ihre künstlerische Tätigkeit.
(Below 2006)
Links
Irma Stern Museum.
Online verfügbar unter http://www.irmastern.co.za/, zuletzt geprüft am 03.10.2019.
Dubow, Neville (1991): Paradise: the Journal and Letters (1917-1933) of Irma Stern. Onlinefassung (ohne Text des Herausgebers usw.).
Online verfügbar unter http://www.irmastern.co.za/view.asp?pg=artwork&pgsub=journal1&opt=j1, zuletzt geprüft am 03.10.2019.
Stern, Irma: Irma Stern’s early biography as written by her. SA Life and the Woman’s Forum, December 7th 1933. And Interview with Irma Stern on Radio Mirror, 1959 (format: WAV, size: 40mb). Hg. v. The Irma Stern Trust Collection.
Online verfügbar unter http://www.irmasterntrust.org.za/view.asp?pg=biography, zuletzt geprüft am 03.10.2019.
The Irma Stern Trust Collection.
Online verfügbar unter http://www.irmasterntrust.org.za/, zuletzt geprüft am 03.10.2019.
Walker; Michele, LaNitra (2009): Pictures That Satisfy: Modernist Discourses and the Politics of Race, Gender, and Nation in the Art of Irma Stern (1894-1966). Dissertation zum Download (PDF, 145 MB). Unter Mitarbeit von Powell, Richard J, Antliff, Mark, Harris, Michael D et al. Duke University Libraries.
Online verfügbar unter https://hdl.handle.net/10161/1066, zuletzt geprüft am 03.10.2019.
Literatur & Quellen
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Arnold, Marion I. (1996): Women and art in South Africa. Cape Town. Philip. ISBN 0312165862.
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Augustin, Anna-Carolin (2015): Jenseits von Deutschland – Diesseits von Afrika – »Deutsch-jüdisches Kulturerbe« in Südafrika. In: Kotowski, Elke-Vera (Hg.): Das Kulturerbe deutschsprachiger Juden. Eine Spurensuche in den Ursprungs-, Transit- und Emigrationsländern. Berlin [u.a.]. De Gruyter Oldenbourg (Europäisch-jüdische Studien. Beiträge, Band 9). ISBN 978-3-11-030479-4. S. 288–309.
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Below, Irene (1997): Irma Stern (1894 - 1966). Afrika mit den Augen einer weißen Malerin moderne Kunst zwischen Europa und Afrika Zentrum und Peripherie und die Debatte um moderne Kunst in nicht-westlichen Lñdern. In: Kritische Berichte – Zeitschrift für Kunst- und Kulturwissenschaften, Jg. 25, 3. S. 42–68.
Below, Irene (2000): “… wird es mir eine Freude sein, Ihnen Ihren eigenen Weg zu zeigen”. Irma Stern und Max Pechstein. In: Berger, Renate (Hg.): Liebe Macht Kunst. Künstlerpaare im 20. Jahrhundert. Köln [u.a.]. ISBN 3-412-08400-X. S. 35–64.
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Below, Irene (2000): Hidden treasures. Irma Stern : her books, painted book covers and bookplates. Cape Town. Society of Bibliophiles in Cape Town. ISBN 0620267275.
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Below, Irene (2004): Kulturelle Vielfalt und künstlerische Selbstkonzeption. Die Exlibris von Irma Stern. In: DEG-Jahrbuch … Exlibriskunst und Graphik. S. 91–102.
Below, Irene (2006): Zwischen den Kulturen. “Umgababa” : Irma Sterns erstes Reisebuch. In: Georgen, Theresa; Muysers, Carola (Hg.): Bühnen des Selbst. Zur Autobiographie in den Künsten des 20. und 21. Jahrhunderts. Kiel. Muthesius Kunsthochschule (Gestalt und Diskurs, 6). ISBN 978-3-9808798-6-6. S. 221–244.
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Smuts, Helene (2007): At home with Irma Stern. A guide book to the UCT Irma Stern Museum. Herausgegeben von Jeremy Gordin. Cape Town South Africa. Committee of the Irma Stern Museum; Trustees of the Irma Stern Trust. ISBN 0620397020.
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Bildquellen
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