(Dame Iris Murdoch DBE)
geboren am 15. Juli 1919 in Dublin
gestorben am 8. Februar 1999 in Oxford
britische Schriftstellerin und Philosophin
105. Geburtstag am 15. Juli 2024
Biografie • Literatur & Quellen
Biografie
Dass eine Frau, die in ihrem fast 80jährigen Leben nicht weniger als 26 Romane schreibt, neben Dramen, Gedichten und vor allem philosophischen Schriften, in den letzten fünf Jahren ihres Lebens an Alzheimer leidet und schließlich nicht einmal mehr weiß, wer sie ist, hat nicht nur die literarische Welt erschüttert.
Iris wird als Tochter einer Irin und eines Briten in Dublin geboren. Bald zieht die Familie nach London, von wo Iris später ins Mädcheninternat Badminton bei Bristol geschickt wird. Den Eltern ist die Ausbildung ihres einzigen Kindes so wichtig, dass sie sogar Schulden machen. Iris sagt einmal, dass sie es wahrscheinlich schlechter getroffen hätte, wären noch Geschwister, vor allem Jungen gekommen. Die besondere emotionale Nähe, die sie später selbst als “Dreieinigkeit der Liebe” bezeichnet, war wahrscheinlich für ihren freundlichen und warmen Charakter verantwortlich.
Mit neunzehn nimmt sie am Somerville College in Oxford das Studium der klassischen Philologie, alten Geschichte und Philosophie auf. Es werden unbeschwerte und ereignisreiche Jahre für Iris. Obwohl sie keineswegs dem gängigen Schönheitsideal entspricht, hat sie viele Bewunderer, erhält auch Heiratsanträge, in einem Frühjahr angeblich sechs, die sie alle ablehnt. Als sie mit vierundzwanzig Jahren zum erstenmal Sex hat, rät sie einer Freundin, es ihr gleichzutun: “Es ist eine Technik, die gelernt werden muss.”
In den Kriegsjahren arbeitet sie im Schatzamt in London und später in der Flüchtlingshilfe in Österreich. Unter anderem hierfür wird sie 1987 zur “Dame of the British Empire” geadelt. 1940 trifft sie Sartre, den sie sehr bewundert, in den sie möglicherweise verliebt ist und über dessen Existentialismus sie eine ausgewogene, nicht unkritische philosophische Abhandlung schreibt. In dieser Zeit hat sie viele Affären, u. a. mit dem Schriftsteller und späteren Nobelpreisträger Elias Canetti.
Sie kehrt nach Oxford zurück, studiert als Stipendiatin bei Wittgenstein und wirkt als Tutorin am St. Anne's College.
Als sie ihren späteren Ehemann, John Bayley, Englischprofessor, Schriftsteller und Kritiker, kennenlernt, hat sie bereits drei Romane veröffentlicht. Die beiden AkademikerInnen führen einen berüchtigt chaotischen, charmant verwahrlosten Haushalt, was es Iris aber ermöglicht, gleichberechtigt mit John ihrem Schreiben nachzugehen. Kinder kommen für beide nicht in Frage.
In seiner liebevollen und bemerkenswert offenen Biographie Elegie für Iris (erfolgreich verfilmt mit Judi Dench, Kate Winslet und Jim Broadbent, die dafür 2002 zwei Oscar-Nominierungen bzw. den Oscar bekamen (Broadbent)) beschreibt Bayley Iris' freizügige sexuelle Einstellung, ihr geradezu beschwingtes Verhältnis zum Sex und ihre außerehelichen Beziehungen, die lesbische Erfahrungen einschließt. John toleriert diese und spricht dennoch von einer glücklichen Ehe.
Mit dem angesehenen, mit 50.000 Pfund dotierten Booker Prize, der jedes Jahr für den besten englischsprachigen Roman einer BürgerIn des britischen Commonwealth verliehen wird, erhält sie 1978 eine ihrer größten literarischen Ehrungen für The Sea, the Sea.
Sie ist eine langsame Schreiberin. Bevor sie mit dem Schreiben beginnt, plant sie jedes Detail, sogar die Dialoge. Trotzdem bringt sie fast jedes Jahr einen Roman heraus. Auf die Frage, wie lange sie sich zwischen zwei Büchern frei nimmt, antwortet sie: eine halbe Stunde. Überrascht vom finanziellen Erfolg spendet sie Teile ihrer Tantiemen an Wohltätigkeitseinrichtungen. In Plastiktüten liefert sie ihre Manuskripte an den Verlag, mit unleserlicher Schrift verfasst, denn elektronische Textverarbeitung sieht sie als Übel der Moderne an.
Mit ihren Romanen will Murdoch alle möglichen LeserInnen erreichen. Sie wählt dazu alltägliche ethische und moralische Themen, manchmal in mythischem Licht. Ihre Charaktere sind in ihrer Suche nach dem Sinn des Lebens realistisch porträtiert, trotz der Elemente aus Phantasie und Schauerroman.
Als die Alzheimer-Krankheit in ihren letzten Lebensjahren schon ausgebrochen ist, vergleicht John sie mit einem “netten dreijährigen Kind”, das er liebevoll und aufopfernd bis zum Tod pflegt.
(Text von 2003)
Verfasserin: Cornelia Heuer
Literatur & Quellen
Bayley, John. 2000. Iris and Her Friends: A Memoir of Memory and Desire. New York. Norton.
Bayley, John. 2002. Das Haus des Witwers [= The Widower's house]. Aus dem Engl. von Barbara Rojahn-Deyk. München. Beck.
Bayley, John. 2002. Elegie für Iris. Aus dem Engl. von Barbara Rojahn-Deyk. München. dtv TB 8560.
Conradi, Peter J. 2002. Iris Murdoch: Ein Leben. Aus dem Engl. von Juliane Gräbener-Müller & Marion Balkenhol. Wien; Frankfurt/M. Deuticke.
Gerig, Karin. 2000. Fragmentarität: Identität und Textualität bei Margaret Atwood, Iris Murdoch und Doris Lessing. Mannheimer Beiträge zur Sprach- und Literaturwissenschaft Bd. 47. [Diss. Univ. Mannheim]. Tübingen. Narr.
Murdoch, Iris. 2000 [1977]. Das Meer, das Meer: Roman [=The Sea, the Sea]. Aus dem Engl. von Stefanie Schaffer-de Vries. München. Deuticke.
Murdoch, Iris2000 [1973]. Der schwarze Prinz: Roman [=The black prince]. Aus dem Engl. von Stefanie Schaffer-de Vries. München; Zürich. Serie Piper 2958.
Spear, Hilda D. 1995. Iris Murdoch. New York. St. Martin's Press.
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