geboren am 3. Februar 1849 in Hamburg
gestorben am 2. Dezember 1908 in Genf
deutsche Schriftstellerin
175. Geburtstag am 3. Februar 2024
Biografie • Zitate • Literatur & Quellen
Biografie
„Intensive Betätigung aller positiven Kräfte, ohne Unterschied des Geschlechts, ohne Schranken, die das eine Geschlecht dem anderen ungerecht in den Weg stellt – das ist mein Programm!“ (zitiert nach Kraft-Schwenk 77). Als die unter dem Pseudonym Ilse Frapan bekannte Schriftstellerin dieses Bekenntnis im Jahr 1902 niederschrieb, hatte sie nicht nur eine ebenso umfangreiche wie vielfältige Literaturliste vorzuweisen, sondern setzte sich auch schon einige Jahre für Frauenemanzipation und Kinderwohl ein.
Wie ihre Biographin Christa Kraft-Schwenk an verschiedenen Beispielen zeigt, hielt Frapan selbst es in ihren autobiographischen Schriften mit der Wahrheit nicht immer ganz so genau. Fest steht jedenfalls, dass sie am 3. Februar 1849 in Hamburg geboren wurde und bei ihren Eltern Maria Therese Antoinette und Carl Levin aufwuchs. Ihn beschreibt die Biographin als „patriarchalischen Vater“, die Mutter als sein „nach Harmonie und Ausgleich“ strebendes „Pendant“ (ebd. 21). So musste ihre auf den Namen Elise Therese getaufte Tochter eine konservative Erziehung über sich ergehen lassen, die sie zur Anpassung an die für Frauen vorgesehene Rolle und Verhaltensweisen anhielt.
Kindheit und Jugend verbrachte das Mädchen in ihrer Geburtsstadt, wo sie mit zwanzig Jahren eine Tätigkeit als Lehrerin an dem Lyzeum Paulsenstift annahm; dort unterrichtete sie die vierte Klasse. Eine ihrer ersten Schülerinnen erinnert sich später, dass sie und ihre Klassenkameradinnen „einigermaßen enttäuscht [waren], als uns ein junges, blasses, ziemlich schüchternes Mädchen entgegentrat“ (zitiert nach ebd. 24). Doch „schon nach der ersten Stunde“ habe die neue Pädagogin „alle Herzen gewonnen“ (ebd.). Ihren Beruf als Lehrerin sollte Frapan fast anderthalb Jahrzehnte ausüben. Wenige Jahre darauf beschloss sie, ihren Lebensunterhalt ausschließlich als Schriftstellerin zu bestreiten.
Ihre ersten schriftstellerischen Versuche fielen allerdings schon in die Zeit ihrer Tätigkeit im Lehrkörper des Paulsenstifts. Einige von ihnen waren so gut, dass sie von verschiedenen Hamburger Zeitungen angenommen wurden.
Ihre älteste erhaltene Novellette Erste Liebe erschien 1882 im Deutschen Dichterheim noch unter ihrem Namen Ilse Levin. Doch schon bald legte sie sich das Pseudonym Ilse Frapan zu. Es war dies der Name, unter dem die meisten ihrer Werke erscheinen sollten, unter ihnen mehr als zehn Novellenbände, vier Romane, zwei Dramen, ein Band mit Märchen und Skizzen, des weiteren Gedichte und biographische Schriften über den Literaten Theodor Storm und den Philosophen Friedrich Theodor Vischer. Hinzu kamen Übersetzungen einiger Werke aus dem Russischen, etwa von Maxim Gorkij, vor allem aber von Lev Tolstoi.
Als Frapan sich entschloss, „Berufsschriftstellerin“ (ebd. 4) zu werden, schickte sie Textproben ihrer Werke an Edmund Dorer, Wilhelm Raabe, Theodor Storm und besagten Friedrich Theodor Vischer, die allesamt „wohlwollend[.] und aufmunternd[.]“ (ebd. 27) reagierten.
Bereits zur Zeit ihrer Tätigkeit am Hamburger Paulsenstift dürfte Frapan die 1858 geborene russischstämmige Malerin und Bildhauerin Emma Mandelbaum kennen gelernt haben, die mit Fug und Recht als ihre Lebensgefährtin bezeichnet werden darf, waren sie doch von da an unzertrennlich, bis sie 1908 gemeinsam aus dem Leben schieden. Kraft-Schwenk zufolge waren die beiden Freundinnen einander „Stütze und Halt, gaben sich Liebe, Wärme und Geborgenheit“ (ebd. 33). Es sei allerdings „nicht eindeutig, ob die beiden über ihre rein platonische Liebe hinaus eine sexuelle Beziehung zueinander hatten (ebd. 34). Jedenfalls widmete Frapan der Freundin mehrere Gedichte. Zumindest eines von ihnen, An Emma V. legt Kraft-Schwenk zufolge nahe, dass die beiden Freundinnen einander auch in körperlicher Liebe zugetan waren (vgl. ebd. 34).
Mitte der 1880er Jahre zogen die beiden Freundinnen nach Stuttgart, wo Frapan am Polytechnikum bei Vischer Vorlesungen zur Literatur hörte. Doch nach einigen Jahren hielt es sie nicht länger in der Universitätsstadt am Neckar. Nach Vischers Tod 1887 zog es sie mit ihrer Freundin weiter nach München. Hier lernte Frapan Paul Heyse und den Herausgeber der Deutschen Rundschau Julius Rodenberg kennen, was ihre schriftstellerische Karriere weiter beförderte. Es folgten zahlreiche literarische Veröffentlichungen in regionalen Zeitungen und überregionalen teils hochangesehenen Kunst-, Literatur- und Wissenschaftszeitschriften, zu denen etwa Westermanns Monatshefte, Velhagen & Klasings Monatshefte, Die Jugend, die Deutsche Rundschau, die Deutsche Dichtung und die Deutsche Revue ebenso zählen wie Die Woche, die Leipziger Volkszeitung und ein Periodikum namens Daheim.
Schon nach gut zwei Jahre verließen Frapan und Mandelbaum die Isarmetropole wieder und gingen zurück nach Hamburg. Doch bereits zwei weitere Jahre darauf kehrten sie auch der Hansestadt endgültig den Rücken, da Frapan in Zürich ein naturwissenschaftliches Studium aufnehmen wollte, was einer Frau in Deutschland verwehrt war. In der Schweizer Hauptstadt arbeitete sie zudem an verschiedenen Zeitschriften mit und veröffentlichte in so renommierten Blättern wie der Neuen Zürcher Zeitung.
In der Stadt an der Limmat kam Frapan auch erstmals mit Vertreterinnen der Frauenbewegung in Kontakt. Da war sie immerhin schon 43 Jahre alt. Doch sollten diese Begegnungen prägend für ihren weiteren Weg sein, denn bald begann sie ein feministisches Bewusstsein zu entwickeln und wurde auf vielfältige Weise im Sinne der Frauenemanzipation tätig. So gründete sie etwa zusammen mit Emilie Kempin-Spyri und anderen den Zürcher Frauenrechtsschutzverein, in dem sie kostenlose Rechtsberatung erteilte. Außerdem war sie ebenso wie Anita Augspurg im Frauenbildungsverein aktiv und engagierte sich gleichermaßen in der Union für Frauenbestrebungen wie in der sich Martha-Verein nennenden Zürcher Sektion des Vereins der Freundinnen junger Mädchen, der sich gegen Frauenhandel einsetzte. Sein Name ging auf das Marthahaus zurück, in dem er jungen Frauen, die nach Zürich kamen, eine Unterkunft bot, um sie davor zu bewahren, von Zuhältern in die Prostitution gedrängt zu werden. Darüber hinaus half er ihnen, eine Arbeitsstelle zu finden. Neben ihrem umfassenden Engagement für Frauenrechte war Frapan auch an der Gründung des Zürcher Vereins für Kinderschutz beteiligt.
In ihren literarischen Werken setzte sich die Schriftstellerin fortan ebenfalls „für Frauen und ihre Ziele“ ein (ebd. 61). So schrieb sie etwa „über Problemkreise wie ‚freie Liebesbeziehung und Frage der Eheschließung’, ‚Unterdrückung der Frau in der Familie’, Mutterschaft und Mutterrolle’, ‚Beruf, Ausbildung und Verbindung von Ehe und Beruf’, ‚Stellung der weiblichen Dienstboten’ und schließlich sogar über ‚Prostitution’ […]“ (ebd.) „Äußeres Zeichen“ ihrer „neuen Identität“ als Frauenrechtlerin waren ihre „kurze[n] Haare“ (ebd.).
1898 lernte Frapan einen zwei Jahrzehnte jüngeren Armenier namens Iwan Akunoff kennen, den sie bald als ihren Ehemann ausgab, obwohl sie tatsächlich stets ledig blieb. Durch ihn wurde ihr Interesse an der ‚armenischen Frage’ geweckt, zu der sie in den folgenden Jahren einige essayistische Schriften veröffentlichte. Doch thematisierte sie in ihren fiktionalen Werken nach wie vor insbesondere Fragen der Frauenemanzipation und den Kampf der Arbeiterschaft, wie schon die Titel zweier ihrer bedeutendsten Romane zeigen, die „Ausdruck“ von Frapans „radikale[m] Denken[.]“ sind und ihr „literarisches Engagement“ (ebd. 67) bezeugen.
Die Rede ist von dem 1903 erschienen Roman Arbeit, der sich Barbara W. Wanske zufolge auch als Roman einer Frauenemanzipation lesen lässt (vgl. Wanske 126), und dem Roman Wir Frauen haben kein Vaterland (1899), dessen Titel deutlich auf die berühmte Sentenz des Kommunistischen Manifests anspielt, die besagt, dass das Proletariat kein Vaterland habe. Der im Untertitel als Monolog einer Fledermaus firmierende Roman beginnt im Zürich des Jahres 1888 und handelt von zwei Studentinnen, der namenlosen Ich-Erzählerin und der eigentlichen Protagonistin Lilie Halmschlag. Diese ist eine begabte Einzelgängerin, die am Universitätsbetrieb und an den lebensfernen und -fremden Lehrinhalten ihres Jurastudiums verzweifelt, schließlich aus finanziellen Gründen eine Tätigkeit in einer Kartonagefabrik aufnimmt und sich der proletarischen Bewegung anschließt, wie die Ich-Erzählerin aus den ihr zugespielten Aufzeichnungen Lilies erfährt, in denen diese ihr Leben von Kindesbeinen an schilderte.
Wie die Literaturwissenschaftlerin Inge Stephan darlegt, setzt sich der Roman „für eine intellektuelle Ausbildung von Frauen“ ein und „zeigt die schwierigen Bedingungen, mit denen die ersten Studentinnen zu kämpfen hatten“. Zugleich „thematisiert“ er „die weibliche Traditionslosigkeit in einer patriarchalisch strukturierten Gesellschaft“ und, so Stephan weiter, „[nimmt] den Entwurf eines ‚feministischen Sozialismus’ vorweg“ (Stephan 2006, 146).
In ihrem nicht weniger feministischen Theaterstück Die Retter der Moral zog Frapan 1905 nachdrücklich gegen die gesellschaftliche Doppelmoral zu Felde, die zwar die Prostituierten stigmatisiert, nicht aber die Männer, die sie aufsuchen. Wohl nicht zuletzt wegen der deutlichen Worte, mit der sie ihre Anklage formulierte, wurde es nur ein einziges Mal aufgeführt.
Nicht weniger bedeutend ist allerdings auch ihr 1898 erschienener und 2016 dankenswerterweise neu aufgelegter Roman Die Betrogenen, dessen Hauptfiguren sich „am Ende von ihren – nicht selten fragwürdigen – Idealen betrogen“ (Löchel 198) sehen.
1901 (nach anderen Angaben 1902) zog Ilse Frapan mit ihrer Lebensgefährtin in das südwestlich von Genf gelegene und damals keine 300 Einheimischen zählende Örtchen Onex, wo die beiden Freundinnen gemeinsam mit Akunoff „in einer Art ‚Landkommune’“ (Praske) lebten. Frapan führte ihre frauenemanzipatorische Agitation in Schriften und in Vorträgen nun von hier aus fort und blieb auch ihrem Credo der „radikalen Selbstbestimmung“ (Kraft Schenk 94) bis in den Tod treu.
In ihren letzten Jahren war Frapan an Magenkrebs erkrankt. Als ihr Leiden unerträglich wurde, bat sie Emma Mandelbaum, sie zu erschießen. Am 2. Dezember 1908 leistete diese den Freundschaftsdienst und folgte ihrer Lebensgefährtin anschließend in den Tod.
Heute ist die zu ihrer Zeit vielgelesene und hoch gelobte Literatin weithin vergessen, die von dem damals an der Washington University lehrenden Germanisten Otto Heller zu den „Schriftstellerinnen“ gezählt wurde, die sich um die Hebung des litterarischen Geschmacks verdient machen“ (Heller, 264). In Kreisen der Frauenbewegung ist ihr Name aufgrund ihres feministischen Engagements hingegen auch im 21. Jahrhundert nach wie vor geläufig.
[Der Text ist eine wesentlich erweiterte Fassung meines Portraits von Ilse Frapan im Kalender Berühmte Frauen 2024]
Verfasserin: Rolf Löchel
Zitate
“Wer sich nicht empört gegen die Brutalität seiner Zeit, der ist an der Brutalität seiner Zeit mitschuldig!“
zitiert nach: Tanja Praske: Ilse Frapan – Kämpferin für Frauenrechte und soziale Gerechtigkeit
(https://blog.muenchner-stadtbibliothek.de/ilse-frapan-kaempferin-fuer-frauenrechte/).
Literatur & Quellen
Von Ilse Frapan, Auswahl
Ilse Frapan: Hamburger Novellen. Otto Meißner. Hamburg 1886.
Ilse Frapan Bescheidene Liebesgeschichten. Hamburger Novellen. Neue Folge. Otto Meißner. Hamburg 1888.
Ilse Frapan: Vischer-Erinnerungen und -worte. Ein Beitrag zur Biographie Friedrich Theodor Vischers. G. J. Göschensche Verlagsbuchhandlung. Stuttgart. 1888.
Ilse Frapan: Zwischen Elbe und Alster. Hamburger Novellen. Gebrüder Paetel. Berlin 1890.
Ilse Frapan: Flügel auf! Novellen. Gebrüder Paetel. Berlin. 1895.
Ilse Frapan: Vom ewig Neuen. Novellen. Gebrüder Paetel, Berlin 1896.
Ilse Frapan: Die Betrogenen. Roman F. Fontane & Co. Berlin. 1898. [Neuausgabe: Igel Verlag. Hamburg. 2016]
Ilse Frapan: Wir Frauen haben kein Vaterland. Monolog einer Fledermaus. Gebrüder Paetel. Berlin. 1899 (Neuausgabe: Courage Buch. Berlin. 1983)
Ilse Frapan: Schreie. Novellen und Skizzen. Gebrüder Paetel. Berlin. 1901.
Ilse Frapan: Altmodische Leute. Eine Erzählung. Verlag des Volksbildungsvereins, Wiesbaden 1902.
Ilse Frapan: Arbeit. Roman. Gebrüder Paetel. Berlin. 1903.
Ilse Frapan: Wandlung. Fräulein Doktor. Erzählungen. Verlag der Frauen-Rundschau. Leipzig. 1903.
Ilse Frapan: Der Retter der Moral. Drama in drei Aufzügen und einem Vorspiel. Philipp Reclam. Leipzig. 1905
Ilse Frapan: Schönwettermärchen. Märchen, Erzählungen Skizzen und Novellen. Gebrüder Paetel. Berlin. 1908
Ilse Frapan: Milch und Blut. Erzählung. Mit Erlaubnis des Verlags der Deutschen Rundschau. Verein zur Verbreitung guter Schriften. Zürich. 1910 [Nachlassveröffentlichung]
Über Ilse Frapan
Otto Heller. Die deutsche Schriftstellerin von gestern und heute. In: Pädagogische Monatshefte. Sep./Okt., 1903, Jg. 4, Band 8/9. S. 251-264.
Christa Kraft-Schwenk. Ilse Frapan. Eine Schriftstellerin zwischen Anpassung und Emanzipation. Königshausen + Neumann. Würzburg. 1985.
Christa Kraft-Schwenk: Ilse Frapan (1849-1908). Leben, Werk und öffentliches Wirken. Königshausen & Neumann, Würzburg 2023.
Rolf Löchel. “Rückenmark versus Großhirnrinde. Nach mehr als einem Jahrhundert seit Erscheinen der Erstausgabe wurde Ilse Frapans Roman Die Betrogenen endlich neu herausgegeben”. In literaturkritik.de Jg., 18. Heft 10. Verlag LiteraturWissenschaft. Marburg. 2016. S. 191-198. (https://literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=22469; letzter Zugriff am 22.1.2024)
Tanja Praske. Ilse Frapan – Kämpferin für Frauenrechte und soziale Gerechtigkeit (https://blog.muenchner-stadtbibliothek.de/ilse-frapan-kaempferin-fuer-frauenrechte/ letzter Zugriff am 18.8.2022)
Inge Stephan. Wir Frauen haben kein Vaterland. Monolog einer Fledermaus. (1899). In: Gudrun Loster-Schneider und Gaby Pailer (Hg): Lexikon deutschsprachiger Epik und Dramatik von Autorinnen (1730- 1900). Francke Verlag. Tübingen und Basel. 2006, S. 145-147.
Gudrun Wedel. Autobiographien von Frauen. Ein Lexikon. Böhlau Verlag. Köln, Weimar, Wien 2010. S. 241-243.
Barbara Wonneken Wanske. Giving Birth and/to the New Science of Obstetrics: Fin-de-Siècle German Women Writers’ Perception of the Birthing Experience. The Ohio State University 2015.
Sollten Sie RechteinhaberIn eines Bildes und mit der Verwendung auf dieser Seite nicht einverstanden sein, setzen Sie sich bitte mit Fembio in Verbindung.