(Ilse Essers geb. Kober)
geboren am 24. September 1898 in München
gestorben am 18. Februar 1994 in Aachen
deutsche Ingenieurin in der Frühzeit der Luftfahrttechnik
30. Todestag am 18. Februar 2024
Biografie • Literatur & Quellen
Biografie
Technik an meinem Lebensweg überschrieb Ilse Essers – bereits achtzigjährig – ihre Autobiografie für Kinder und Enkel. Möglicherweise noch vor C.G. Jung und Ernst-Peter Fischer sprach sie aus, “Technik hat Seele”. Technik besteht für Ilse Essers “nicht nur aus einer Kombination von Rechen- und Geometrieaufgaben”, “man muß auch … die Naturgesetze beobachten”; intuitiv erfaßte sie die Bionik lange vor deren offizieller Geburt.
Ilse Essers Erkenntnisse und Erfindungen sind heute selbstverständliches Basiswissen für Ingenieure im Maschinenbau, der Baukonstruktion und der Luftfahrttechnik in aller Welt. Für Ilse Essers hatte die Technik dem Menschen auch direkt zu dienen. Ihre Sorge um eine ordentliche Federung der Sanitätswagen zur Schonung der Verwundeten oder Verletzten beim Transport ins Krankenhaus oder ihre Überlegungen zur “Gestaltung des Baderaums im sozialen Wohnungsbau” von 1941/42 geben beredtes Zeugnis dieser ganz tief innen verspürten Verpflichtung zu Hilfe und Verbesserung.
Ilse Kober ist das zweite von fünf Kindern von Anne, geborene Boeltz, und Dipl.-Ing. Theodor Kober, beide aus angesehenen Stuttgarter Familien. Theodor Kober hatte, als Ilse geboren wurde, gerade die Konstruktionsstruktur und Lastverteilung für die Luftschiffe des Grafen Zeppelin erfunden, die sich als äußerst erfolgreich erweisen sollte.
Ilse Kobers Neigung und Begabung für Naturwissenschaft und Technik zeigte sich schon in der Schule. Während des ersten Weltkriegs, lange vor Beginn des Studiums der Technischen Physik an der TH München, erkannte sie die Grundzüge einer neuartigen Methode zur Berechnung von Maßnahmen gegen das Knicken von Stahlträgern, die, inzwischen ausgearbeitet, ihr in München “als Unsinn abgelehnt” wurde. Prof. Dr. Theodore von Karman in Aachen, wo sie nach dem Vordiplom im Fach Maschinenbau weiterstudierte, erkannte ihr diese inzwischen ausformulierte Arbeit 1926 spontan als Diplomarbeit an. Noch im selben Jahr begann Ilse Kober bei der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt (DVL) in Berlin in der Abteilung für Aerodynamik. Dort entwickelte sie den “Massenausgleich an Flügelklappen und -rudern” als Maßnahme gegen unerwünschte und gefährliche Flügelschwingungen. Die TH Berlin promovierte sie dafür am 22. Februar 1929 als erste Frau in der Fakultät Maschinenwesen zum Dr.-Ing.! Mit beiden Arbeiten leistete sie einen entscheidenden Beitrag zur Sicherheit in der Luftfahrt und im Maschinenbau.
1929 heiratete sie Dr.-Ing. Ernst Essers, den sie in Aachen während des Studiums kennengelernt hatte. Über Kiel (1929), Berlin (bis 1944) und Radolfzell am Bodensee führte ihr Lebensweg sie 1946 wieder nach Aachen; Ehemann Ernst hatte nach dem Krieg einen Ruf an die dortige Technische Hochschule erhalten. 1930 gebar sie das erste von vier Kindern, denen sie Vollzeit-Mutter sein wollte und wurde.
Nach 25 Jahren als “Hausfrau” bewies Ilse Essers in ihren fünfziger Jahren immer noch ungebrochene Bereitschaft und Leidenschaft, Neues in der Technik zu entdecken. Zur Erforschung der Gründe, weshalb LKW-Anhänger sich von ihren Zugmaschinen losreißen, leistete sie einen Schlüsselbeitrag. Wieder war ein ihr wohl vertrautes Schwingungsproblem zu lösen, und wieder fand sie die Ursache: An den Kupplungen nicht erwartete Schwingungsbelastungen extremen Ausmaßes.
Dem Anliegen, Leistungen der Vorfahren dem Vergessen zu entreißen, verdanken wir ein weiteres großes Vermächtnis Dr.-Ing. Ilse Essers. Prinz Heinrich von Preußen als Flieger und Erfinder und den beiden frühen deutschen Raketen- und Raumfahrt-Vordenkern und Pionieren Max Valier und Hermann Ganswindt setzte sie mit ihren Biografien ein bleibendes und nun in den Bibliotheken allgemein zugängliches Denkmal. Mit spürbarer Zuneigung beschrieb sie die Ideen, Erfindungen und Leistungen umfassend und wohlverständlich – in einem Alter, in dem sich andere längst zur Ruhe gesetzt hätten.
Hellwach und das Geschehen in Familie und Welt verfolgend und reflektierend, verbrachte Ilse Essers ihren Lebensabend in Aachen, wo sie am 18. Februar 1994 friedlich einschlief, für uns durch ihr Wesen und ihre Haltung und in ihren Leistungen weiterlebend.
Verfasserin: Peter F. Selinger
Literatur & Quellen
Arnauld de La Perière, G. von; Essers, Ilse (1983): Prinz Heinrich von Preußen. Admiral und Flieger. Herford. Koehler. ISBN 3782202856.
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Essers, Ilse (1929): Untersuchung von Flügelschwingungen im Windkanal. Zugl.: Berlin, Techn. Hochsch., Diss., 1929. München. Oldenbourg.
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Essers, Ilse (1968): Max Valier. Ein Pionier der Raumfahrt. Bozen. Verl.-Anst. Athesia. 1980. ISBN 8870141381.
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Essers, Ilse (1977): Hermann Ganswindt. Vorkämpfer der Raumfahrt mit seinem Weltenfahrzeug seit 1881. Düsseldorf. VDI-Verl. (Technikgeschichte in Einzeldarstellungen, 26) ISBN 3181500267.
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Essers, Ilse (2004): Technik an meinem Lebensweg. Als Frau und Ingenieur in der Frühzeit der Luftfahrttechnik. 2., völlig überarb. und erw. Neuaufl. Gnas. Weishaupt. ISBN 3705902016.
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Essers, Ernst; Essers, Ilse et al. (1957): Deichselkräfte an Lastzügen. Wiesbaden. VS Verlag für Sozialwissenschaften. (Forschungsberichte des Wirtschafts- und Verkehrsministeriums Nordrhein-Westfalen, 326) ISBN 3663035735.
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Hormann, Jörg-Michael und Zegenhagen, Evelyn (Hg.) (2008): Deutsche Luftfahrtpioniere. 1900 - 1950. Bielefeld. Delius Klasing. ISBN 978-3-7688-2484-2.
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Strohmeyr, Armin (Hg.) (2013): Verkannte Pioniere. Erfinder, Abenteurer, Visionäre. Wien. Styria Premium. ISBN 978-3-222-13394-7.
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