Biographien Ilsa Barea-Kulcsar
(Geburtsname: Ilse Wilhelmine Elfriede Pollak, 1. Ehename: Ilse Kulcsar, 2. Ehename: Ilse Kulcsar de Barea)
geboren am 20. September 1902 in Wien, Österreich-Ungarn
gestorben am 1. Januar 1973 in Wien, Österreich
österreichisch-spanisch-britische Journalistin, Autorin und Übersetzerin
Biografie • Literatur & Quellen
Biografie
Ihr Leben war sowohl politisch als auch international geprägt: Von Österreich aus ging sie in die Tschechoslowakei ins Exil, sie nahm am Spanischen Bürgerkrieg teil, ging von dort nach Paris und in ihr letztes Exil Großbritannien, bevor sie wieder nach Österreich zurückkehrte.
Ihr Vater Valentin Pollak war Jude, überzeugter Sozialdemokrat und – als fortschrittlicher Pädagoge geltend – Direktor des Wiener Wasa-Gymnasiums, während ihre Mutter Alice von Ziegelmayer aus dem niedrigen Adel stammte. Ilse Pollak besuchte die Schwarzwaldschule, das erste Mädchengymnasium in Wien, das von der Pädagogin und Frauenrechtlerin Eugenie Schwarzwald gegründet worden war. Schon während ihrer Schulzeit engagierte sie sich in der sozialistischen Bewegung, wie auch später während ihres Studiums der Politik- und Rechtswissenschaften von 1920 bis 1928.
Bereits 1921 trat sie aus der SDAP (Sozialdemokratische Arbeiterpartei) aus, da sie gegen die Teilung der Internationale in drei Fraktionen war, und schloss sich der KPÖ (Kommunistische Partei Österreichs) an. Dort lernte sie Leopold Kulcsar kennen, den sie 1922 heiratete und mit dem sie eng zusammenarbeitete. Bei der kommunistischen Tageszeitung Die Rote Fahne arbeitete sie zu dieser Zeit als Wirtschaftsredakteurin; später schrieb sie von 1927 bis 1930 für die Arbeiterzeitung, die Parteizeitung der österreichischen Sozialdemokratie. Zumindest eine Veröffentlichung ist von 1929 auch in Die Unzufriedene, einer unabhängigen Wochenschrift für alle Frauen, nachzuweisen.
Aufgrund von innerparteilichen Differenzen wurde Leopold Kulcsar 1924 mit einem Jahr Publikationsverbot bestraft – und in Sippenhaft gleich auch seine Frau, woraufhin beide aus der Partei austraten. Ab 1926 wurden beide wieder Mitglied der SDAP.
Als Ilse Kulcsar im November 1936 nach Spanien ging, hatte sie nach eigenen Angaben fast 18 Jahre intensiver Tätigkeit in der österreichischen Arbeiterbewegung hinter sich. Wie sie im Nachwort zu ihrem Roman Telefónica schreibt: „Den größten Teil dieser Zeit hatte ich als Funktionärin, Rednerin und Journalistin in sozialdemokratischen Organisationen gearbeitet; auch in der Illegalität von 1934 und der nachfolgenden Emigration in der Tschechoslowakei hatte meine sozialistische Gruppe und die Vierteljahrsschrift, die ich redigierte, zum sozialdemokratischen Sektor im weiteren Sinne gezählt.“ Sie hielt sich dadurch und aufgrund ihrer zweimaligen Haft (in Ungarn unter Horthy und in Österreich unter Dollfuß, der für den „Austrofaschismus“ stand) für gefestigt und immun gegen viele Illusionen.
Am Spanischen Bürgerkrieg wollte sie teilnehmen, da sie meinte, dass dort der große Kampf zwischen Faschismus und Demokratie ausgetragen wurde und sie dank ihrer „Erfahrung in internationaler Publizistik und nach einem republikanischen Sieg vielleicht auch in der Arbeiterbildung etwas Positives zu geben hatte“.
An eine militärische Teilnahme dachte sie dabei nicht, sondern sie arbeitete ab November 1936 in der Zensurstelle für die Auslandspresse in Madrid, wobei ihr ihre Sprach- und Fachkenntnisse in Presseangelegenheiten zugutekamen. Geschickt vermittelte sie zwischen Spaniern und ausländischen Journalisten. Ihr Name wurde dort von Ilse zu Ilsa hispanisiert.
Bei der Arbeit lernte sie den Schriftsteller Arturo Barea kennen, der ab Januar 1937 Leiter der Zensurstelle wurde. Nach dem Tod von Leopold Kulcsar (1938) wurde Barea im Februar 1938 ihr zweiter Ehemann. Nur wenige Tage nach der Hochzeit fuhren die beiden völlig verarmt nach Paris, wo sie ein Jahr blieben. Zu zweit teilten sie sich eine Schreibmaschine, die sie abwechselnd benutzten. Arturo Bareas Schriftstellerkarriere war eng mit dem Spanischen Bürgerkrieg verbunden; er schrieb über diese Zeit eine dreiteilige Autobiografie, während Ilsa Barea in Paris begann, ihren Roman Telefónica über ihre Zeit bei der gleichnamigen Zensurstelle in Madrid zu schreiben.
Letztendlich gelang es ihnen durch einen Lottogewinn Schiffsfahrkarten zu kaufen, mit denen sie im Februar 1939 ihr endgültiges Exilland Großbritannien erreichten.
Nachdem sie erst in Puckeridge, Hertforshire lebten, wo sie ihren Roman beendete, wurden sie im August 1939 aufgefordert, nach Evesham in Worcester zu fahren. Dort sollte sie für den Monitoring Service, den Abhördienst der BBC, arbeiten. Ihren Eltern war es gerade noch rechtzeitig gelungen, Österreich zu verlassen, und im gleichen Monat kamen sie in Großbritannien an. Durch ihre Arbeit hatte Ilsa Barea einen großen Freundeskreis, aber man war in ständiger Geldnot, da sie alle vier von ihrem Einkommen leben mussten, während Arturo Barea seine Autobiografie beendete. Zusammen verfassten die beiden das Buch Spain in the Post-War World, das sich mit den deutsch-spanischen Beziehungen beschäftigt.
1947 zogen die vier nach Middle Lodge westlich von Oxford, wo ihnen der Spanienkämpfer und Labour-Abgeordnete Gavin Henderson ein kleines Haus auf seinem Anwesen zur Verfügung stellte. Im folgenden Jahr starben Ilsa Bareas Eltern kurz hintereinander.
In Middle Lodge widmete sich das Ehepaar weiterhin seinen schriftstellerischen und journalistischen Tätigkeiten, und Ilsa Barea trat in die Labour Party ein, deren linken Flügel sie unterstützte. 1948 nahm sie die britische Staatsbürgerschaft an, daher konnte sie für ihre Partei bei Wahlen antreten und wurde zeitweilig Gemeinderätin in ihrer Ortschaft. Ab 1948 war sie auch als Dolmetscherin auf internationalen Gewerkschaftskongressen tätig. Neben Deutsch, Spanisch und Englisch sprach sie auch Italienisch und konnte in beide Richtungen übersetzen. Auch an ihren schriftlichen Übersetzungen wird ihr Sprachtalent deutlich: Sie übersetzte zwischen zwei Sprachen (Spanisch und Englisch), die beide nicht ihre Muttersprache waren – eine sehr seltene Fähigkeit.
Nach dem Tod Arturo Bareas im Dezember 1957 zog Ilsa Barea nach London, wo sie neben ihrer Arbeit als Dolmetscherin und Übersetzerin auch ein Buch über Wien schrieb: Vienna. Legend and Reality (1966), das erst im Jahre 2021 in einer deutschen Übersetzung erscheinen sollte. Zudem begann sie wieder für deutschsprachige Medien zu schreiben.
Ab den frühen 1960er Jahren besuchte Ilsa Barea auf Einladung des Österreichischen Gewerkschaftsbundes ihr Geburtsland wieder und kehrte 1965 ganz zurück nach Wien, wo sie auch die österreichische Staatsbürgerschaft wieder annahm. Sie arbeitete dort als Bildungsfunktionärin der SPÖ Favoriten und war Mitglied des Favoriter Bildungsausschusses, auch veröffentlichte sie gelegentlich Artikel in Die Zukunft und Arbeit und Wirtschaft, meist Analysen oder Kommentare zur britischen Innen- und Sozialpolitik.
Sie war Vorstandsmitglied der „Vereinigung österreichischer Freiwilliger in der Spanischen Republik 1936 bis 1938 und der Freunde des demokratischen Spaniens“ und wurde 1970 vom Österreichischen Gewerkschaftsbund mit dem Josef-Luitpold-Stern-Preis für ihre Verdienste um die Arbeiterbildung ausgezeichnet.
(Text von 2021)
Verfasserin: Doris Hermanns
Literatur & Quellen
Literatur über Ilsa Barea-Kulcsar:
Bidwell-Steiner, Marlen u. a.: Der Spanische Bürgerkrieg als (Anti)Humanistisches Laboratorium. Literarische und mediale Narrative aus Spanien, Italien und Österreich. Göttingen, V&R Unipress, 2019
Pichler, Georg: Das größte Erlebnis unserer Generation. Ilsa Barea-Kulcsar und ihr Roman Telefónica. In: Ilsa Barea-Kulcsar: Telefónica. Wien, Edition Atelier, 2019
Pichler, Georg: Mittendrin. Ilsa Barea-Kulcsar als Übersetzerin und Kulturmittlerin – eine biografische Spurensuche. In: Julia Kölbl, Iryna Orlova, Michaela Wolf (Hg.): ¿Pasarán? Kommunikation im Spanischen Bürgerkrieg. Interacting in the Spanish Civil War. Wien, Hamburg, new academic press, 2020
Schütz, Edgar: Österreichische JournalistInnen und PublizistInnen im Spanischen Bürgerkrieg 1936-1939. Medienpolitik und Presse der Internationalen Brigaden. Wien, LIT, 2016
Vaill, Amanda: Hotel Florida. Wahrheit, Liebe und Verrat im Spanischen Bürgerkrieg. Übersetzung: Susanne Held. Stuttgart, Klett-Cotta, 2015.
Ilsa Barea-Kulczar in der Österreichischen National Bibliothek
Ilsa Barea-Kulczar in der Deutschen National Bibliothek
Werke von Ilsa Barea-Kulczar:
Kulczar, Ilse: Die Großmächte der Finanz und Industrie: Konkurrenz und Monopol im modernen Kapitalismus. Wien, Wiener Volksbuchhandlung, 1930
Barea, Ilsa and Arturo Barea: Spain in the Post-War World. London. Fabian Publications, Victor Gollancz, 1945
Barea, Ilsa (General editor): Four Square Classics, No. 1001. London. New English Library 1962
Barea, Ilsa: Vienna: Legend and Reality. London, Secker & Warburg, 1966. Deutsche Ausgabe: Wien: Legende und Wirklichkeit. Wien, Edition Atelier, 2021
Barea-Kulczar, Ilsa: Telefónica. Roman. Wien, Edition Atelier, 2019. Hg. und mit einem Nachwort versehen von Georg Pichler
Übersetzungen von Ilsa Barea-Kulczar:
Arbo, Sebastián Juan: Cervantes: Adventurer, Idealist, and Destiny’s Fool. London, Thames & Hudson, 1955
Barea, Arturo: The Track. London, Faber & Faber, 1943
Barea, Arturo: The Forge. London, Faber & Faber, 1946
Barea, Arturo: The Clash. London, Faber & Faber, 1946
Barea, Arturo: The Broken Root. London, Faber & Faber, 1951
Barea, Arturo (written in collaboration with Ilsa Barea, who also translated it): Unamuno. Cambridge, Bowes & Bowes, 1952. Studies in modern European literature and thought
Barea, Arturo: Lorca: the Poet and his People. New York, Grove, 1958. Evergreen Book E-128
Barea, Arturo: The Forging of a Rebel. London, Davis-Poynter, 1972
González, Valentín (calling himself El Campesion) and Julian Gorkin: El Campesino. Life and Death in Soviet Russia. New York, Putnam’s, 1952
Halperin, Ernst: The Triumph Heretic: Tito’s Struggle against Stalin. London, Heinemann, 1958
Hortelano, Juan Garcia: Summer Storm. London, Weidenfeld & Nicolson, 1962
Lera, Ángel Maria de: The Horns of Fear. London, New English Library, 1966
Molina, Tirsa de: Three Husbands Hoaxed. London, Rodale, 1955
Pellicer, Alejandro: Tàpies, 1954-1964. London, Methuen, 1965
Schnitzler, Arthur: Casanova’s Return to Venice. London, Pushkin, 1998
Ugarte, Ricardo Fernández de la Reguera: In the Darkness of My Fury. London, Oswald Wolff, 1959
Ugarte, Ricardo Fernández de la Reguera: Reach for the Ground. London, Abelard-Schuman, 1964
Sollten Sie RechteinhaberIn eines Bildes und mit der Verwendung auf dieser Seite nicht einverstanden sein, setzen Sie sich bitte mit Fembio in Verbindung.