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(Ida Belle Wells-Barnett)
geboren am 16. Juli 1862 in Holly Springs (Mississippi),
gestorben am 25. März 1931 in Chicago
US-amerikanische Bürger- und Frauenrechtlerin, Journalistin
160. Geburtstag am 16. Juli 2022
Biografie
The people must know before they can act, and there is no educator to compare with the press.
(Die Leute müssen erst verstehen, bevor sie reagieren. Und es gibt keine bessere Erzieherin als die Presse)
Ida Belle wird im zweiten Jahr des amerikanischen Bürgerkriegs geboren. Ihre Eltern James und Lizzy sind Sklaven im Haushalt eines wohlhabenden weißen Architekten. Die kleine Ida ist also ebenfalls eine Sklavin. 1865 endet der Bürgerkrieg mit dem Sieg der Union.
Die Sklaverei der Südstaaten endet offiziell und Schwarze sind nun gleichberechtigte Bürger und dürfen wählen – nicht alle – nur die Männer.
Ida wächst unter vergleichsweise vorteilhaften Umständen auf. Ihre Eltern sind selbstbewusste Mitglieder der Black Community. Vater James ist aktiv in der Freedman Aid Society, die freigelassene Sklaven und Sklavinnen mit Bildungsangeboten unterstützt. Idas Eltern begreifen, dass Wissen Macht bedeutet, investieren ihr knappes Einkommen in Bildung und schicken ihre Kinder zur Schule. Ida liest den Eltern täglich die Zeitung vor– ihre erste Berührung mit der Presse. In ihrer Autobiographie Crusade for Justice schreibt sie, dass sie schon vom Ku-Klux Klan las, bevor sie verstand, um was es sich handelte. Und wie ihre Mutter abends angstvoll auf- und ablief, wenn Vater James an politischen Treffen teilnahm.
1878 versterben Idas Eltern an Gelbfieber; die Sechzehnjährige ist nun für die Versorgung ihrer fünf jüngeren Geschwister verantwortlich. Sie bewirbt sich bei der örtlichen Schulbehörde als Lehrerin, wofür sie sich zwei Jahre älter macht, um als volljährig zu gelten. Die Tätigkeit als Lehrerin bedeutet einen gesellschaftlichen Aufstieg: vom Sklavenmädchen zu „Miss Wells“. Die Anrede „Miss“ war zuvor ausschließlich weißen Frauen vorbehalten.
Ida B. Wells zieht 1882 nach Memphis zu ihrer Tante, wo sie sich im Kreis afro-amerikanischer Intellektueller bewegt. Sie arbeitet als Lehrerin in Shelby County, Tennessee, und bildet sich mit Kursen an der Fisk University in Nashville weiter.
Am 25. September 1883 reist Wells mit einem Erste-Klasse-Zugticket von ihrem Wohnort in Memphis zu ihrer Arbeitsstelle nach Shelby County. Sie nimmt Platz im „Ladies Car“, dem Waggon für Frauen ... weiße Frauen. Der Kontrolleur fordert sie auf, sich in den Erste-Klasse-Wagen für Schwarze zu begeben. Das schwarze Erste-Klasse-Abteil im Zug wurde von Weißen ungeniert zum Rauchen und Trinken benutzt; anschließend zogen sie sich in die ungestörte Behaglichkeit ihres weißen Abteils zurück. Wells weigert sich, in den unbequemen rauchverseuchten und zudem den Pöbeleien weißer Männer ausgesetzten schwarzen Waggon zu gehen. Als der Schaffner sie am Arm packt, beißt sie ihn kräftig in die Hand.
Der Schaffner holt Verstärkung. Mit Mühe zerren die zwei Männer die zierliche Frau aus dem Waggon, begleitet von dem begeisterten Gejohle der weißen Mitreisenden. Dieses Ereignis – übrigens 70 Jahre bevor Rosa Parks sich weigert, ihren Sitzplatz im Bus für einen Weißen abzugeben – prägt Wells. Sie denkt nicht daran, sich diese Demütigung gefallen zu lassen.
Sie verklagt die Chesapeake und Ohio Railway und erhält eine Entschädigung von 500 Dollar. Eine Zeitung in Tennessee berichtet über den Fall mit der Überschrift A Darky Mamsel obtains a verdict for damage.
In der damaligen Zeit war dieses Urteil wegbereitend und verhilft Wells zu Bekanntheit und Popularität. Vier Jahre später revidiert der Tennessee Supreme Court das Urteil und verurteilt Wells zur Zahlung von Gerichtsgebühren.
I felt so disappointed because I had hoped such great things from my suit for my people generally. I have firmly believed all along that the law was on our side and would, when we appealed to it, give us justice. I feel shorn of that belief and utterly discouraged, and just now, if it were possible, would gather my race in my arms and fly away with them. O God, is there no redress, no peace, no justice in this land for us? (Tagebucheintrag, Zitat aus Crusade for Justice).
Ich war so enttäuscht. Ich hatte mir von dem Urteil großartige Dinge für meine Leute erwartet. Ich hatte fest daran geglaubt, dass das Recht auf unserer Seite wäre und uns Gerechtigkeit geben würde. Dieser Glaube ist nun zerstört und fühle mich vollkommen mutlos. Wenn ich könnte, würde ich meine ganze Rasse in meine Arme nehmen und mit ihnen davonfliegen. Mein Gott, gibt es denn in diesem Land für uns keine Wiedergutmachung, keinen Frieden, keine Gerechtigkeit?
In der Tat werden die Dinge für Afroamerikaner und Afroamerikanerinnen in den Südstaaten nicht besser, sondern schlechter. Ab 1896 werden die „Jim-Crow-Gesetze“ eingeführt. „Jim Crow“ („Jim die Krähe“) ist eine diffamierende Parodie eines tanzenden und singenden Schwarzen als verschlagene diebische Krähe, vermutlich um 1832 geschaffen vom Komiker Thomas D. Rice. Ebenso wird die Segregation - „separate but equal“ – „getrennt aber gleich“. legalisiert. Mit dem Grundsatz sollten weiße und schwarze Amerikaner gleichen Zugang zu Einrichtungen (Schulen, Hotels und eben auch Eisenbahnabteilen) haben, die gleichwertig waren aber nach Hautfarbe getrennt. Was in der Praxis bedeutete, dass die Einrichtungen für Schwarze deutlich minderwertiger waren als die für Weiße. Schulen für Schwarze erhielten keine staatliche Förderung usw.
Wells beginnt gegen die Rassentrennung anzuschreiben. Sie veröffentlich Kolumnen in Zeitungen, die der schwarzen Bürgerrechtsbewegung nahestehen, „Evening Star“ und „Memphis Free Speech“. Sie schreibt kurz, sachlich und bewusst einfach, damit auch Leute mit begrenzter Bildung ihre Artikel verstehen. Mit ihren Schilderungen der täglich erlebten Ungerechtigkeiten und Demütigungen spricht sie der schwarzen Gemeinschaft aus der Seele. In einem Beitrag prangert sie die schlechten Schulen für Schwarze an, woraufhin sie als Lehrerin entlassen wird. Sie widmet sich ganz ihrer journalistischen Tätigkeit und wird Mitverlegerin und Teilhaberin der „Memphis Free Speech“. Sie beginnt sich zu radikalisieren. Auf die Frage, wie ein Schwarzer/eine Schwarze auf ungleiche Behandlung reagieren solle, erwidert sie, dass in jedem schwarzen Haushalt ein Winchester Gewehr griffbereit sein muss, um den Schutz zu gewähren, den das Gesetz verweigert.
Zwischen 1877 und 1950 herrscht in den Südstaaten die Hochphase der Lynchjustiz*.
Weiße Bürgerwehren ermorden Schwarze, Asiaten, Latinos (und auch Weiße) mit der Begründung, dass diese ethnischen Minderheiten Vergehen begangen hätten, die vom Staat nicht geahndet würden. Deswegen müssten sich eben die Bürger darum kümmern. Wells erlebt einen Fall von Lynchmord in ihrem engen Freundeskreis. Thomas Moss, ein guter Freund und Vater von Wells' Patenkind, betreibt mit Partnern ein Lebensmittelgeschäft. Ein weißer Konkurrent stört sich daran und versucht mit Unterstützung, Moss‘ Laden zu zerstören. Moss und sein Compagnon wehren sich, wobei ein Weißer verletzt wird.
Die schwarzen Ladenbetreiber kommen in Untersuchungshaft. In der Nacht stürmt ein weißer Lynchmob – ungehindert von der Polizei – das Gefängnis, verschleppt die Männer und ermordet sie. Wells konzentriert sich in ihrer journalistischen Arbeit auf diese Lynchmorde und die zur Rechtfertigung geschaffene Legende, dass schwarze Männer gemeinschaftlich weiße Frauen vergewaltigten. 1892 – Wells ist gerade in New York – wird das Verlagsgebäude der „Memphis Free Speech“ von Weißen angezündet und brennt ab. Aus Ida B. Wells wird eine Investigativ-Journalistin. Unter Lebensgefahr, zur Selbstverteidigung mit einer Pistole bewaffnet, reist sie in den Süden und dokumentiert, fotografiert und recherchiert über 700 Lynchmorde. Die Ergebnisse ihrer Arbeit publiziert sie 1892 in ihrem Buch Southern Horrors.
Sie reist ein Jahr als Vortragende durch Europa und gewinnt die Unterstützung der weißen Sozialreformer. Auf der Weltausstellung in Chicago 1894 kritisiert sie unüberhörbar die mangelnde Erwähnung und Wertschätzung der Leistung von Afroamerikanern. Hier lernt sie ihren späteren Ehemann, den Anwalt, Publizisten und Aktivisten Ferdinand Barnett kennen. Die 1895 geschlossene Ehe ist für die damalige Zeit sehr ungewöhnlich. Wells nimmt einen Doppelnamen an, Wells-Barnett. Barnett reduziert seine Arbeitszeit und versorgt die vier Kinder, damit Wells weiterhin zu den Lynchmorden arbeiten kann. Sie gründet die „Negro Fellowship League“, eine Hilfsorganisation, die von den Süd- nach den Nordstaaten ausgewanderten Afroamerikanern Unterstützung bei Wohnungs- und Arbeitssuche bietet.
Allmählich findet eine Veränderung unter den schwarzen Bürgerrechtlern statt. Schließlich sind die Rechte der Schwarzen rechtlich verankert, werden aber ständig verletzt. Man will durch Beschreitung des Rechtswegs gegen diese Verletzungen kämpfen – und nicht mit dem Winchester Gewehr. Wells' Haltung wird von der schwarzen Bürgerrechtsbewegung des 19. und 20. Jahrhunderts als zu radikal und nicht zielführend empfunden. Wells findet sich zunehmend auf einsamem Posten. 1909 wird in New York die NAACP (National Association for the Advancement of Colored People) gegründet, ein Verband von weißen und schwarzen Sozialreformern. Wells gehört zwar zu den Gründungsmitgliedern, wird aber in der Gründungsurkunde nicht namentlich aufgeführt – der Zenith ihres Einflusses ist vorbei.
1913 gründet Wells eine Organisation, die sich für das Frauenwahlrecht einsetzt, den „Alpha Suffrage Club“. Eine vorherige Zusammenarbeit mit weißen Frauen für das Wahlrecht scheiterte, weil Wells sich für deren Geschmack zu militant auf die Situation schwarzer Frauen bezog. In den 1920er Jahren hört man den Namen Ida Wells-Barnett nur noch selten in der Presse. Wells zieht sich aus der Öffentlichkeit zurück und arbeitet als Bewährungshelferin.
Sie stirbt mit 68 Jahren in Chicago. Ihre Autobiographie Crusade for Justice erscheint vierzig Jahre nach ihrem Tod. Von der New York Times wurde sie zu Lebzeiten als „ slanderous and nasty-nasty-minded Mulattress” beschimpft. 2018 würdigt eben diese Zeitung Ida B. Wells als Pionierin der Berichterstattungstechniken, die nach wie vor die Grundsätze des modernen Journalismus darstellen.
Das Ida B. Wells-Barnett-Museum (Cultural Centre of African American History) in Holly Springs widmet sich dem Leben von Ida B. Wells.
Wells' Urenkelin, die Professorin, Autorin und Historikerin Michelle Duster, setzt sich in Chicago für die Erinnerung an die Leistungen ihrer Urgroßmutter ein. 2019 wurde der Congress Parkway in Chicago in Ida-B.-Wells-Drive umbenannt. Im Oktober 2021 wurde das Ida B. Wells National Monument in Chicago enthüllt.
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*(englisch to lynch, zugrunde liegt der Familienname Lynch, vielleicht der eines W. Lynch, des Vorsitzenden eines selbst ernannten Bürgergerichts in Virginia (USA) gegen Ende des 18. Jahrhunderts. (Duden.de).
Verfasserin: Karin Müller
Links
https://de.wikipedia.org/wiki/Ida_B._Wells
https://www.br.de/mediathek/podcast/radiowissen/ida-b-wells-kaempferin-gegen-die-lynchjustiz/1846403
https://interactive.wttw.com/chicago-stories/ida-b-wells/how-ida-b-wells-began-her-fight-for-justice
http://www.tianaferrell.com/the-ladies-car/
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