(Hirlanda Micheler geb. Unterguggenberger, genannt »die Rote Landa«)
geboren am 4. Juli 1924 in Obertilliach
gestorben am 20. Juli 2010 in Lienz
Tiroler Gemeindepolitikerin, mutige Kämpferin für Emanzipation und mehr Zivilcourage
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen • Bildquellen
Biografie
Als Hirlanda Micheler 1993 von den Seherinnen und Hörerinnen der damaligen ORF-Frauensendung VIVA in Österreich zur Frau des Jahres gewählt wurde, bat eine Maskenbildnerin sie in den Schminkraum. Doch Hirlanda blieb sich selbst treu. Die damals 69-Jährige wollte sich nicht »verschönern« lassen, wie sie sagte. Alle Überredungskünste der Regie nützten nichts. Sie blieb bei ihrer Meinung, wie so oft in ihrem Leben. Rückblickend meinte sie: »Ich freue mich und bin stolz darauf, dass ich diese Schicksalsschule in meinem Antlitz trage.«
Das Licht der Welt erblickte Hirlanda 1924 im Osttiroler Dorf Obertilliach. Sie war ein uneheliches Kind. Sie und ihre Mutter waren beide den Vorurteilen der Verwandten und der Dorfbevölkerung ausgesetzt. Vor allem ihre Mutter bekam es hart zu spüren, ein uneheliches Kind geboren zu haben. In der Familie, im Dorf, in der Kirche wurde mit Fingern auf ledige Mütter gezeigt. Nach einiger Zeit heirateten die Eltern Hirlandas, der Vater hatte allerdings schon bald ein Alkoholproblem, was der Familie das Leben erschwerte. Dies war auch einer der Gründe, warum Hirlanda bei ihren Tanten in Osttirol aufwuchs, während ihre Eltern in Innsbruck lebten und arbeiteten. In ihrer Biografie, die 2005 im Berenkamp Verlag erschien, schrieb sie: »Ein liebes Wort hörte ich nur selten, man schaute mich von der Seite an, viele behandelten mich, als wäre ich eine Aussätzige.« Dennoch war ihre Kindheit nicht nur von schlechten Erfahrungen geprägt. Sie besuchte gerne die Schule, las jedes Buch, das sie in die Hände bekam. Die Tanten standen dem Leseeifer des Mädchens skeptisch gegenüber. Besonderes Interesse entwickelte Hirlanda für die Fächer Geschichte und Musik. Eine längere Schulausbildung konnte sie nicht absolvieren. Ihr erging es so, wie es damals vielen jungen Mädchen erging, die gerne einen Beruf erlernt hätten: Sie musste gleich nach dem Hauptschulabschluss arbeiten gehen, um Geld nach Hause zu bringen und auf eigenen Beinen zu stehen.
Hirlanda Micheler war eine Jugendliche, als Adolf Hitler an die Macht kam. Anfänglich entwickelte sie große Begeisterung für den Führer und sein Reich. Er verstand es, armen Menschen eine sichere Zukunft und bessere Lebensbedingungen zu versprechen. Hirlandas Mutter war enttäuscht über die Begeisterung ihrer Tochter. In einem Brief schrieb sie: »Ich schäme mich, ein deutsches Mädchen geboren zu haben.« Die Mutter arbeitete bei einer jüdischen Familie in Innsbruck im Haushalt und kannte daher auch die andere Seite der Medaille. Im Brief an Hirlanda ging sie auf die Grausamkeiten, die Gewalt und den Terror des Dritten Reiches am Beispiel dieser Familie ein. Der Mann war in der Reichskristallnacht brutal ermordet worden, die Frau und der vierjährige Sohn blieben allein zurück. Dies ließ Hirlanda nicht unberührt. Von da an sah sie das Reich anders, kritisch. Der Pfarrer in Obertilliach war ein bekennender Nazigegner. In seinen Predigten warnte er vor dem menschenverachtenden System Hitlers. Als Hirlanda erfuhr, dass der Pfarrer abgeholt und abgeführt werden sollte, lief sie heimlich zum Pfarrwidum und warnte ihn.
Die Brutalität des Krieges erfuhr sie hautnah, als ihr Mann schwer verletzt in die Heimat zurückkam. Nach der Genesung verdiente er als Arbeiter den Unterhalt für die ständig wachsende Familie. Mit ihm hatte Hirlanda eine große Kinderschar, elf Kinder überlebten, zwei starben nach der Geburt. Das Geld in der Familie war stets knapp, waren doch viele hungrige Mäu-ler zu stopfen. Trotzdem wagten es Hirlanda und ihr Mann, ein Haus zu bauen. Jeder ersparte Groschen ging in das Haus.
1954 fand in Obertilliach der erste Kinderfaschingsumzug statt, organisiert von Hirlanda Micheler. Sie überredete andere Mütter, wie sie für die Kinder Kostüme zu nähen. Ihr politisches Engagement begann sie, als ihr Mann keine Rente zugesprochen bekam. Das machte sie wütend, und sie spürte, dass es etwas zu tun galt, nicht für ihn, sondern für viele andere Menschen in derselben Situation. Zuerst trat sie der Volkspartei bei, dann war sie bei den Sozialisten. Man warf ihr vor, sich zu drehen wie eine Fahne im Wind, weil sie die Partei wechselte.
Doch damit nicht genug: Als erste Frau Österreichs trat sie bei den Gemeinderatswahlen im Jahr 1974 mit einer eigenen Frauenliste an. Sie war der Meinung, dass die Frauen endlich in der Politik mitreden sollten. Doch die Idee stieß nicht nur auf Resonanz. Einige Ehemänner verboten ihren Frauen einfach zu kandidieren. In Hirlanda Michelers Buch, das den Titel »Die rote Landa« trägt, schreibt ein Bekannter aus Obertilliach, dass Landa, wie sie meist genannt wurde, auch bei den Frauen keinen guten Stand hatte, »weil sie ins Dorf ging, Karten spielte und Alkohol trank, während ihr Mann zuhause die Kinder hütete und die Hausarbeit erledigte«.
Obwohl ihre Verhaltensweisen anscheinend bei Männern und bei Frauen nicht gut ankamen, erhielt sie viele Stimmen und verfehlte den Einzug in den Gemeinderat nur knapp. Nur vier Stimmen fehlten, 1980 kandidierte sie wiederum, dann auf einer Dorfliste, und zog für diese in den Gemeinderat ein. Zwölf Jahre lang war sie Gemeinderätin und versuchte, sich für ihren Ort und seine Menschen einzusetzen. Da sie als mutige, streitbare Kämpferin und Sozialistin bekannt war, die sich nicht unterkriegen ließ und laut ihre Meinung sagte, wurde sie auch über Obertilliach hinaus bekannt und erhielt den Beinamen »rote Landa«. Einmal landete sie sogar im Gefängnis, weil sie einen ihrer politischen Aushänge an die Kirchentür genagelt hatte.
1993 wurde sie von den Hörerinnen des ORF-Radio österreichweit zur Frau des Jahres gewählt. Viele Frauen waren damals begeistert von ihrer Entschlossenheit, ihrem Gerechtigkeitssinn, aber auch ihrem nicht zu bändigenden Temperament. Im Juli 2010, im Alter von 86 Jahren, endete das Leben der roten Landa – einer besonderen Frau, die nicht unumstritten war, die aber in allem, was sie tat, ein großes Herz und tiefe Leidenschaft zeigte.
Verfasserin: Barbara Stocker
Zitate
Für uns Frauen war und ist die rote Landa ein herausragendes Beispiel für Unbeugsamkeit und ein großes Vorbild für den Mut, den Frauen aufbringen müssen, wollen sie etwas verändern. Ihr Vermächtnis sehen wir als Auftrag, in unserer Zeit für unsere Forderungen einzustehen und nicht nachzugeben im Kampf für eine gerechtere Welt, in der Frauen und Männer die gleichen Chancen haben. (Gisela Wurm, Vorsitzende der SPÖ Frauen Tirol)
Links
oesterreich.ORF.at (2005): »Die rote Landa« aus Obertilliach. Buchvorstellung. (Link aufrufen)
imZoom.info (2010): Die Rote Landa ist nicht mehr! Nachruf. (Link aufrufen)
meinbezirk.at: Vorreiterin der Frauenpolitik. Nachruf. Regionalmedien Austria. (Link aufrufen)
oesterreich.ORF.at (2010): Die »Rote Landa« ist nicht mehr. Nachruf. (Link aufrufen)
ASPETOS Trauerportal: Hirlanda Micheler - Traueranzeige und Parte † 20.07.2010 (Link aufrufen)
trauerhilfe.at: Hirlanda Micheler. Traueranzeige mit Kondolenzbuch. (Link aufrufen)
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Literatur & Quellen
Micheler, Hirlanda; Czapski, Peter (2005): Die rote Landa. ›Nicht alle hundert Jahre bastelt der Herrgott so ein Exemplar‹ : Lebenserinnerungen einer aussergewöhnlichen Frau. Innsbruck. Berenkamp. ISBN 978-3-85093-198-4. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Bildquellen
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