Biographien Hildegard von Bingen
geboren 1098 in Bermersheim b. Alzey
gestorben am 17. September 1179 in Bingen (Kloster Rupertsberg)
deutsche Mystikerin, Komponistin, Heilkundige, Äbtissin
845. Todestag am 17. September 2024
Biografie • Zitate • Literatur & Quellen
Biografie
Die Seherin, Prophetin, Theologin, Schriftstellerin, Komponistin, Äbtissin, Naturwissenschaftlerin und Heilkundige Hildegard von Bingen ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, welche Höhen (geniale) Frauen im christlichen Mittelalter trotz – oder auch gerade wegen – ihres niedrigen Status als “Töchter Evas” erreichen konnten. Ihr Charisma, die mystische Gottes-Schau, wurde ihr verliehen, weil die gelehrten männlichen Geistlichen “zur Beobachtung der Gerechtigkeit zu lau und schlaff sind”, wie ihr die Stimme Gottes am Anfang ihres ersten visionären Werkes, des Scivias (“Wisse die Wege” (des Herrn)), verkündet: “Erschließe ihnen den Schatz der Geheimnisse, den sie selbst in ihrer Verzagtheit in einem entlegenen Acker, wo er keine Frucht bringt, vergraben haben. Ströme also als wallender Quell so weit und ergieße dich so in mystischem Wissen, daß diejenigen, die dich wegen Evas Fehltritt als verächtlich hinstellen, von der Flut überwältigt werden, die von dir ihren Ausgang nimmt.”
Hildegard, das zehnte Kind adliger Eltern, war sich von früh auf ihrer hellseherischen Gabe bewußt – mit fünf Jahren soll sie die genauen Markierungen eines ungeborenen Kalbes vorausgesagt haben. Das sensible Mädchen wurde mit acht Jahren in die Klause auf dem Disibodenberg gebracht, wo sie von der Klausnerin Jutta von Sponheim erzogen wurde und Latein lernte. Hildegards weitere Ausbildung übernahm der Mönch Volmar vom Disibodenberg, der später ihr Sekretär wurde. Als Jutta starb, wählten die Nonnen des Klosters Hildegard zu ihrer Nachfolgerin. Erst fünf Jahre später begann Hildegard, einem Befehl Gottes folgend, ihre Visionen aufzuschreiben. Sie hatte sich bis dahin gesträubt, aus ihren mystischen Erlebnissen etwas zu machen, mußte aber so lange Schmerzen und Krankheiten ertragen, bis sie der prophetischen Berufung nachgab und ihr erstes Buch, Scivias, begann. Volmar und ihre Lieblingsnonne Richardis von Stade halfen ihr dabei. Hildegard suchte die Anerkennung der Kirche für die Gültigkeit ihrer Visionen, und sie bekam, auch unterstützt von Bernhard von Clairvaux, die Erlaubnis des Papstes zum Weiterschreiben. Von nun an wuchs ihr Ruhm ständig, und ihr Konvent zog so viele Postulantinnen an, daß das Kloster bald zu klein wurde. In einer ihrer Visionen erhielt Hildegard den Befehl, ein neues Kloster auf dem Rupertsberg zu gründen. Durch passiven Widerstand – sie wurde gelähmt und bettlägerig – überwand sie die Opposition der Mönche vom Disibodenberg, baute das neue Kloster und bezog es 1150 mit 18 ihrer Nonnen.
Hildegard hat insgesamt drei Bücher zu ihren Visionen geschrieben, sowie weitere, manchmal polemische Schriften zu theologischen Fragen der Zeit. Darüber hinaus verfaßte “die erste deutsche Naturwissenschaftlerin” zwei naturwissenschaftliche und heilkundliche Werke. Das erste, Physika, enthält eine umfangreiche Pflanzenkunde, eine Tier- und eine Gesteinskunde. Das zweite, Causae et Curae, ist ein Buch über Wesen und Heilung von Krankheiten. Für ihre Nonnen komponierte Hildegard etwa achtzig geistliche Gesänge sowie das erste liturgische Mysterienspiel, Ordo virtutum. Ihre innovativen Kompositionen, die den Rahmen der Ausdrucksmöglichkeiten mittelalterlicher Musik sprengten, wurden rekonstruiert und werden heute wieder aufgeführt.
Trotz ihrer gebrechlichen Konstitution unternahm Hildegard vier Predigtreisen in verschiedene Städte, eine für eine Frau unerhörte Tat, und schrieb über 300 Briefe an die großen und kleinen Menschen ihrer Zeit, unter ihnen Bernhard von Clairvaux und Friedrich Barbarossa, den sie wegen seiner Ernennung eines Gegenpapstes scharf ermahnte.Nach ihrem Tod wurde Hildegard wie eine Heilige verehrt. Papst Gregor IX. leitete 1233 den Heiligsprechungsprozeß ein, der aber aus formalen Gründen nie zu Ende geführt wurde. Hildegard erlebt seit etwa 25 Jahren eine enorme Renaissance: Ihre Werke und Kompositionen werden gedruckt, studiert und aufgeführt. Nach 800 Jahren ertönt “die Trompete Gottes” wieder.
Verfasserin: Joey Horsley
Zitate
Das Licht also, das ich schaue, ist nicht räumlich, sondern viel, viel heller als die Wolke, die die Sonne trägt. ... Und was ich schreibe, schaue und höre ich in der Vision. Und ich schreibe keine anderen Worte nieder als die, die ich höre, denn man lehrt mich in dieser Vision nicht, so zu schreiben, wie die Philosophen schreiben. Und die Worte in dieser Vision sind nicht die Worte, die in Menschenmund erklingen, sondern wie eine helle Flamme oder eine Wolke, die am klaren Himmel einherzieht. ....In diesem Licht schaue ich manchmal – doch nicht oft – ein anderes Licht, das man mir als “Lux vivens – lebendiges Licht” bezeichnet hat. Und ich kann nicht in Worte fassen, wann und wie ich es schaue; doch wenn ich es schaue, wird alle Traurigkeit und alle Angst von mir genommen, so daß mir dann zumute ist wie einem einfachen Mädchen und nicht wie einer alten Frau.
(Die 77jährige Hildegard in einem Brief an den Mönch Guibert von Gembloux, ihren späteren Sekretär).
Ich liebte deine edle Gesittung, deine Weisheit und Keuschheit, deine Seele und dein ganzes Leben, so daß viele sagten: “Was tust du?” Jetzt können alle mit mir klagen, alle die ein Leid tragen wie ich es trage, die in der Liebe zu Gott dieselbe Liebe in ihrem Herzen und Geist für einen Menschen fühlten wie ich sie für dich fühlte - für einen Menschen, der ihnen ganz plötzlich entrissen wurde, so wie du mir entrissen wurdest.
(Hildegard in einem Brief an ihre geliebte Sekretärin, die Nonne Richardis von Stade, als diese Äbtissin eines Nonnenklosters in Bassum bei Bremen wurde. (zitiert nach Kraft, 111))
Literatur & Quellen
Feldmann, Christian. 1995. Hildegard von Bingen: Nonne und Genie. Freiburg. Herder.
Flanagan, Sabina. 1989. Hildegard of Bingen, 1098-1179: A Visionary Life. New York. Routledge.
Hildegard von Bingen: Prophetin durch die Zeiten. Zum 900. Geburtstag. hg. von Edeltraud Forster und dem Konvent der Benedikterinnenabtei St. Hildegard. Freiburg. Herder. 1997.
Kraft, Kent. 1984. “The German Visionary Hildegard of Bingen”, in: Wilson, Katharina M. 1984. Medieval Women Writers. Manchester. Manchester Univ. Press. S. 109-29.
Newman, Barbara. 1987. Sister of Wisdom: St. Hildegard's Theology of the Feminine. Berkeley. University of California Press.
Newman, Barbara, et al. 1995. Vision: The Life And Music of Hildegard von Bingen. Zusammenstellg. u. Hg Jane Bobko. Text Barbara Newman. Kommentar Matthew Fox. New York. Penguin Studio.
Schipperges, Heinrich. 1995. Hildegard von Bingen. München. Beck.
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