Biographien Hildegard Hamm-Brücher
(Dr. Dr. h.c. Hildegard Hamm-Brücher, geb. Brücher)
geboren am 11. Mai 1921 in Essen
gestorben am 7. Dezember 2016 in München
deutsche Politikerin (FDP), Chemikerin, Redakteurin, Publizistin
5. Todestag am 7. Dezember 2021
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen • Bildquellen
Biografie
»Gesinnungsliberale« und »Grand Dame der Liberalen« sind die Etiketten, die Hildegard Hamm-Brücher schon vor Jahrzehnten angeheftet wurden. Der Demokratie als Staats- und Lebensform gilt ihre vorrangige Passion, parteipolitische Interessen sind für sie nachrangig. Als erste Frau kandidierte sie für das Amt der Bundespräsidentin.
Hildegard Brücher wird als drittes von fünf Kindern einer Fabrikantentochter und eines leitenden Angestellten geboren. Ihre ersten Lebensjahre verbringt sie in Berlin. Als sie elf Jahre alt ist, sterben die Eltern, und sie wächst gemeinsam mit drei weiteren Geschwistern bei ihrer Großmutter Else Pick in Dresden auf. Das Internat in Salem muß Hildegard Brücher wegen ihrer »nichtarischen« Herkunft bereits nach einem Jahr wieder verlassen. Dabei ist die Familie ihrer Großmutter bereits seit langem evangelisch getauft und assimiliert, aber das interessiert die Nazis nicht. Kurz vor ihrem Abtransport in ein Konzentrationslager nimmt sich Else Pick 1942 das Leben.
Da Hildegard Brücher als »Halbjüdin« gilt, kann sie ihr Abitur nur auf Umwegen ablegen. Ab 1940 studiert sie Chemie in München, u.a. bei dem Nobelpreisträger Heinrich Wieland, der ihr eine Sondergenehmigung zur Aufnahme des Studiums verschafft und bei dem sie 1945 auch promoviert. Während des Studiums schließt sie Bekanntschaft mit den Geschwistern Scholl und weiteren Beteiligten des Widerstandskreises »Weiße Rose«. Einer drohenden Verhaftung durch die Gestapo entgeht sie durch die Intervention Heinrich Wielands.
Nach Kriegsende arbeitet Hildegard Brücher drei Jahre lang als Redakteurin bei der Münchner »Neuen Zeitung«. Während eines Interviews 1948 läßt sie sich von Theodor Heuss, der ein Jahr später zum ersten Bundespräsidenten gewählt wird, zum Eintritt in die FDP überreden. Bereits im selben Jahr wird sie als jüngstes Mitglied in den Münchner Stadtrat gewählt, dem sie die nächsten sechs Jahre angehört. 1956 heiratet sie den CSU-Stadtrat Erwin Hamm und nimmt – ungewöhnlich für diese Zeit – den Doppelnamen Hamm-Brücher an. Die Kinder Florian und Verena werden 1954 und 1959 geboren.
Von 1950 bis 1966 gehört Hildegard Hamm-Brücher als Abgeordnete dem bayerischen Landtag an. 1964 initiiert sie den Rücktritt des bayerischen Kultusministers Theodor Maunz, der während der NS-Zeit in seinen Schriften die judenfeindlichen Bestimmungen und Gesetze als rechtmäßig begründet hatte und auch noch nach dem Krieg die Gestapo als »rechtsstaatlich unbedenklich« einstuft. Zwei Jahre später organisiert Hamm-Brücher das erste bayerische Volksbegehren gegen die Konfessions- und für die Gemeinschaftsschule, das allerdings erst im zweiten Anlauf 1969 zum Erfolg führt. Zudem tritt sie für eine umfassende Bildungsreform ein. 1967–69 ist sie Staatssekretärin im hessischen Kultusministerium, anschließend in der sozialliberalen Koalition unter Bundeskanzler Willy Brandt Staatssekretärin im Bundesbildungsministerium. 1972 kehrt sie als Abgeordnete in den bayerischen Landtag zurück, wo sie das Amt der FDP-Fraktionsvorsitzenden übernimmt.
Seit 1976 (bis 1990) ist Hildegard Hamm-Brücher Mitglied des Deutschen Bundestages. Sie spricht sich nachdrücklich für die sozialliberale Koalition aus. Als Staatsministerin im Auswärtigen Amt ist sie für die auswärtige Kulturpolitik zuständig. Mit ihrer – auch in der Öffentlichkeit beachteten – Rede gegen das Mißtrauensvotum im Herbst 1982 gegen Bundeskanzler Helmut Schmidt stellt sie sich gegen ihre eigene Fraktion, kann aber die »Wende« hin zu Helmut Kohl nicht verhindern. Anders als einige andere KritikerInnen bleibt sie jedoch weiterhin in der FDP.
Sie setzt sich vergeblich für eine Verschärfung des Parteienfinanzierungsgesetzes und für eine Parlamentsreform ein, engagiert sich für mehr BürgerInnendemokratie, kritisiert Fraktionszwang, Parteienbürokratie und mangelndes Gesetzesbewußtsein der Abgeordneten. 1994 kandidiert sie als erste Frau für das Amt der Bundespräsidentin, tritt aber nach dem zweiten Wahlgang zurück, nachdem der CDU-Kandidat Roman Herzog auch von ihren eigenen ParteikollegInnen gewählt werden soll.
Aus Protest gegen die Koalitionsaussage der bayerischen FDP zugunsten der CSU bei der Landtagswahl verläßt Hildegard Hamm-Brücher 1998 die bayerische FDP, bleibt aber weiterhin Mitglied der Bundes-FDP. Bis 2001 ist sie Vorsitzende der von ihr mitinitiierten Theodor-Heuss-Stiftung, die alljährlich den Theodor-Heuss-Preis für Zivilcourage und bürgerschaftliches Engagement verleiht.
Hildegard Hamm-Brücher wird u.a. mit der Bayerischen Verfassungsmedaille in Gold, dem Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband sowie der Ehrendoktorwürde der Friedrich-Schiller-Universität Jena ausgezeichnet. Als erste Frau wird sie 1995 Ehrenbürgerin der Stadt München. Im Herbst 2002 tritt sie wegen fortgesetzter rechtspopulistischer und antijüdischer Äußerungen des Parteivize Jürgen W. Möllemann unter Duldung des Parteivorsitzenden Westerwelle nach 54 Jahren Parteizugehörigkeit auch aus der Bundes-FDP aus.
Verfasserin: Christine Schmidt
Zitate
»Ich meine: Wenn es zutrifft, daß die Bodenschätze, die Energie- und Lebensmittelvorräte unserer Welt nicht unerschöpflich sind, dann wird es doch höchste Zeit, immer mehr Menschen zu befähigen, ihre geistigen Kräfte und ihr Verhalten auf die Erhaltung unserer Welt zu richten, statt auf den Raubbau an ihr.« […]
»Eine demokratische Leistungsgesellschaft kann gewiß nicht dadurch kaputtgehen, daß mehr Menschen bessere Bildungsmöglichkeiten und damit bessere Lebenschancen erhalten…«
(Aus ihrem Buch »Bildung ist kein Luxus«, 1976)
»Ich finde, daß beide dies nicht verdient haben, Helmut Schmidt, ohne Wählervotum gestürzt zu werden, und Sie, Helmut Kohl, ohne Wählervotum zur Kanzlerschaft zu gelangen. Zweifellos sind beide sich bedingenden Vorgänge verfassungskonform. Aber sie haben nach meinem Empfinden doch das Odium des verletzten demokratischen Anstands.«
(Aus der Widerspruchsrede gegen den Mißtrauensantrag der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion gegen Bundeskanzler Helmut Schmidt am 1. Oktober 1982)
»Sicher kann einem niemand genau sagen, wie man es schaffen soll, »ein Vertreter des ganzen Volkes« zu sein. Aber ebenso sicher ist, daß dies ganz bestimmt nicht heißen kann, ausschließlich nur Vertreter von Parteiinteressen zu sein.« […]
»Jedenfalls ist das politische Gewissen der Frauen, das stelle ich immer wieder fest, generell sensibler, und dies ist unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit und ihrem femininen Selbstverständnis. So ist es auch zu erklären, daß Politikerinnen zumeist mehr Vertrauen bei den Bürgern genießen als ihre männlichen Kollegen. Schon deshalb ist die Forderung, mehr Frauen gehörten in die Parlamente, sehr berechtigt.«
(Aus ihrem Buch »Der Politiker und sein Gewissen«, 1983)
»Es sind traditionell männliche Prinzipien, die auf Macht und Vorteil bedacht sind und nicht auf Ausgleich und Fairneß. Das muß ja die Verkümmerung seelischer Kräfte zur Folge haben. Von »Partnerschaft« wird da allenfalls in Sonntagsreden gesprochen.«
(Aus einem Vortrag vor Frauenorganisationen in Luzern, 1985)
»Darum bin ich gegen Quoten, denn ich glaube nicht, daß sie wirklich helfen. Keiner Frau bleibt die individuelle Emanzipation erspart – neben den gesetzlichen Voraussetzungen, die ihr den Zugang ermöglichen. Aber die eigentlichen Schritte, sich zu behaupten, sich einzubringen, die muß jede Frau selber tun.«
(Im Gespräch »Zeugen des Jahrhunderts«, 1993)
Links
Hildegard Hamm-Brüchers Brief an Guido Westerwelle (2002).
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Katalog der Deutschen Nationalbibliothek: Hamm-Brücher, Hildegard, 1921-. Literatur und Medien.
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Wikimedia Commons: Hildegard Hamm-Brücher. Fotos aus dem Bundesarchiv.
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Nachrufe
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Literatur & Quellen
Quellen
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Weiterführende Literatur
Hinweis: Dies sind keine Literaturempfehlungen, sondern die zum Thema erschienenen Titel – ohne Wertung unsererseits.
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Hamm-Brücher, Hildegard (1983): Der Politiker und sein Gewissen. Eine Streitschrift für mehr parlamentarische Demokratie. Erweiterte Neuausgabe. München, Zürich. Piper. 1991. (Serie Piper, 437 : Aktuell) ISBN 3-492-10437-1. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
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Hamm-Brücher, Hildegard (1997): Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit. Die »Weiße Rose« und unsere Zeit. . Herausgegeben von Wilhelm von Sternburg Berlin. Aufbau. (Aufbau-Taschenbücher, 8515 : Aufbau-Thema) ISBN 3-7466-8515-X. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
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Bildquellen
- Gymnasium Nonnenwerth
- MSN
- Christopher Thomas
- Zabert Sandmann Verlag
- Spiegel online
- Wikimedia Commons
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