(Hilde Charlotte Schneider)
geboren am 12. November 1916 in Hannover
gestorben am 24. Januar 2008 in Kronberg (Taunus)
deutsche Jüdin, NS-Verfolgte, Gefängnispfarrerin, gläubige Christin
15. Todestag am 24. Januar 2023
Biografie • Literatur & Quellen
Biografie
Christin jüdischer Herkunft, Diakonisse, Ghetto- und KZ-Häftling, Gefängnispfarrerin, - so heißt es im Titel der Biographie „Zwischen Riga und Locarno: Bericht über Hilde Schneider“ von Hartmut Schmidt. Passt das zusammen? Alles trifft in verschiedenen Lebensabschnitten auf sie zu, eine gläubige Christin war sie ihr Leben lang.
Dass sie Jüdin war, wurde ihr erst bewußt, als sie die „humanistische Abteilung der Studienanstalt der Sophienschule“ 1934 ohne Abitur verlassen musste. Bei einer Reise zur Familie der Mutter nach Breslau hatte sie die jüdischen Verwandten zwar getroffen, aber Breslau war weit weg. Und hier in Hannover besuchte die Familie die evangelische Kirche, alle Mitglieder des gutbürgerlichen Arzthaushaltes waren getauft.
An ein Medizinstudium war nicht mehr zu denken, so wollte Hilde Schneider wenigstens Krankenschwester werden. Am 2. Januar 1935 nahm das Henriettenstift sie als Vorprobeschwester zur Diakonissenausbildung auf. Sie hatte, wie sie sagte, wirklich den Wunsch, ihr Leben in den Dienst Christi zu stellen, und am evangelischen Krankenhaus war man überzeugt, ihr Eintritt in das Mutterhaus geschehe aus innerer Berufung. Andererseits war sie in einer Notlage, denn andere Schwesternschaften hätten sie nicht zugelassen. Mit drei jüdischen Großeltern galt sie nach den Nürnberger Rassegesetzen als Volljüdin. Vier Jahre später allerdings war die Henriettenstiftung nationalsozialistisch ausgerichtet. Man drängte sie hinaus und riet ihr zur Auswanderung; die beiden von ihr unternommenen Versuche scheiterten allerdings. Ohne Examen und ohne als Diakonissin eingesegnet worden zu sein, musste sie die Einrichtung verlassen; kurz darauf bekam sie sogar Gottesdienstverbot. Am jüdischen Krankenhaus in der Ellernstraße legte sie ein ausgezeichnetes Schwesternexamen ab. Sie fand Unterkunft im „Lydiahof - Mägdeheim für alleinstehende, stellungssuchende und durchreisende Frauen und Mädchen“ in der Hinüberstr. 19. Dort wurde 2014 ein Stolperstein für sie verlegt. Obwohl sie, um nicht aufzufallen, ihre Arbeitsstelle häufig wechselte, entkam sie nicht. Nach einer Vorladung bei der Gestapo wurde Hilde Sarah Schneider am 10.12.1941 verhaftet und ins Sammellager in der Israelitischen Gartenbauschule in Ahlem gebracht.
Als am 15.12.1941 mit dem ersten Transport aus Hannover 1001 jüdische Personen ins Ghetto Riga deportiert wurden, war Hilde Schneider darunter. Sie hatte Glück; verschiedene Aufgaben auf der Sanitätsstation und das Putzen von Soldatenunterkünften sicherten ihr Bleiben dort bis zur Auflösung des Ghettos im April 1943. Dann allerdings kam auch sie in ein Konzentrationslager; von jetzt an war sie nur noch eine Nummer in Uniform mit abgeschorenen Haaren. Ihre erste Station war das KZ Kaiserwald bei Riga, dann Thorn, ein Außenlager des KZ Stutthof bei Danzig. Hier wurde sie von der russischen Armee befreit.
Bis zur Kapitulation Deutschlands arbeitete sie in einem russischen Krankenhaus. Dann fing erneut die Verfolgung an – sie galt der Deutschen, nicht mehr der Jüdin. Am 22. Mai 1945 begann, gemeinsam mit „arischen“ Frauen, Hilde Schneiders abenteuerliche Flucht, an deren Ende sie schließlich, von Krankheit gezeichnet, Hannover erreichte.
Aber in ihrer Heimatstadt war sie nicht willkommen. Für keines der Hilfsprogramme erfüllte sie die Kriterien. Einer Christin, obwohl in der NS-Zeit als Jüdin verfolgt, gewährten jüdische Einrichtungen keine Unterstützung. Die evangelische Kirche betreute sie zwar seelsorgerisch, aber man unterstellte den getauften Juden, ihnen gehe es lediglich um besondere Zuweisungen an Lebensmitteln oder Kleidung. Private Unterstützung von Freunden aus der Vorkriegszeit sicherten ihr Überleben.
Sie drückte als 30jährige wieder die Schulbank, legte das Abitur und das Examen als Gemeindehelferin ab. Schließlich erreichte sie ihr Ziel, ein Theologiestudium in Göttingen. Krankenhausaufenthalte wegen Polyarthritis und Rheuma, Folgen der langen Haftzeit, führten zu häufigen Unterbrechungen. Hilfe brachte 1950 die Einladung der „Casa Locarno“. In einem Refugium oberhalb des Genfer Sees ermöglichte der Ökumenische Rat der Kirchen in Genf und das Hilfswerk der Ev. Kirchen der Schweiz Menschen aus aller Welt Erholung und geistigen Austausch.
Obwohl sie beide theologischen Prüfungen abgelegt hatte, wurde sie nicht zur Pfarrerin ordiniert, sondern nur Hilfsvikarin in Bremerhaven, in einem ihrer Gesundheit abträglichen Klima. In Niedersachsen ebnete erst Ende 1963 das „Pastorinnengesetz“ Frauen den Weg ins Pfarramt; die völlige Gleichstellung kam sogar erst 1978. Hessen war fortschrittlicher - am 1. November 1959 trat sie die neu eingerichtete Stelle einer Gefängnisseelsorgerin in Frankfurt an. Bis zu ihrem aus gesundheitlichen Gründen frühen Ruhestand blieb sie 14 Jahre im Frauengefängnis Preungesheim. Danach lebte sie im Altkönigstift in Kronberg/Taunus, wo sie mit 92 Jahren starb.
Hilde Schneider besaß eine große Versöhnungsbereitschaft. Ihr ganzes Leben blieb sie der Henriettenstiftung verbunden und spendete jährlich zu Weihnachten größere Summen. Trotz des schließlich freundschaftlichen Kontakts lehnte sie alle Angebote für eine Übersiedlung nach Hannover ab. Erst nach ihrem Tod kehrte sie zurück: ihre Urne wurde auf dem Salemsfriedhof in Kirchrode, dem Diakonissenfriedhof der Henriettenschwestern, bestattet. Eine Erinnerungstafel steht neben ihrem Grab, auf dessen Platte zu lesen ist:
Ihr gedachtet’s böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen
(1. Moses 50,20)
Die Henriettenstiftung benannte das Pflege- und Therapiezentrum in der Fischerstraße nach ihr, und die Stadt Hannover ehrt sie. Die Elkartallee, Verbindung zwischen Hildesheimer Straße und Stresemannallee, wurde im Juli 2016 in „Hilde-Schneider-Allee“ umbenannt.
(Text von 2017)
Verfasserin: Barbara Fleischer
Literatur & Quellen
Berlit-Jackstien, Julia: Die Deportation der Christin jüdischer Herkunft Hilde Schneider ins Ghetto Riga. In: Abgeschoben in den Tod, die Deportation von 1001 jüdischen Hannoveranerinnen und Hannoveraner am 15. Dezember 1941 nach Riga (Ausstellungskat.). Hrsg. von Julia Berlit-Jackstien und Karljosef Kreter. Hannover, Verl. Hansche Buchh. 2011. darin: S. 71 und S. 242-257.
Bewahren ohne Bekennen? Die hannoversche Landeskirche im Nationalsozialismus. Hrsg. von Heinrich W. Grosse, Hans Otte und Joachim Perels. Hannover, Lutherhaus Verl. 1996.
Hilde Schneider und die Henriettenstiftung
https://www.diakovere.de/fileadmin/Henriettenstiftung/Leben-im-Alter/Dokumente/Infoblatt_Hilde_Schneider.pdf
Die Henriettenstiftung trauert um Hilde Schneider. Pressemitteilung vom 25. Januar 2008
https://www.landeskirche-hannovers.de/evlka-de/presse-und-medien/nachrichten/2008/01/25-7681
Lindemann, Gerhard: „Typisch jüdisch“. Die Stellung der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers zu Antijudaismus, Judenfeindschaft und Antisemitismus 1919-1949. Berlin, Duncker Humboldt, 1998. ISBN 3-428-09312-7. (Schriftenreihe der Gesellschaft für Deutschlandforschung, Bd. 63). Darin: Teil 3, V. Die Christen jüdischer Herkunft. S. 828-833.
Perels, Joachim: Die Hannoversche Landeskirche im Nationalsozialismus 1935-1945. Kritik eines Selbstbildes. Bremen Verl. Junge Kirche. Beilage zu Junge Kirche – Zeitschrift europäischer Christinnen und Christen, Jg. 56. Heft 9/95.
Schmidt, Hartmut: Hilde Schneider. In: Dem Himmel so nah, dem Pfarramt so weit. Erste evangelische Theologinnen im geistlichen Amt. Bearb. von Heike Köhler, Dagmar Herbeck, Hannelore Erhart u.a. Neunkirchen-Vluyn, 1966. ISBN 3-7887-1576-6. S. 129-131.
Schmidt, Hartmut: Zwischen Riga und Locarno: Bericht über Hilde Schneider, Christin jüdischer Herkunft, Diakonisse, Ghetto- und KZ-Häftling, Gefängnispfarrerin. Berlin, Wichern-Verl., 2000. ISBN 3-88981-124-8.
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