(Dr. Hilde Palm, geborene Löwenstein [eigentlicher Name])
geboren am 27. Juli 1909 in Köln
gestorben am 22. Februar 2006 in Heidelberg
deutsche Lyrikerin, Autorin, Übersetzerin
115. Geburtstag am 27. Juli 2024
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen • Bildquellen
Biografie
Ihr Leben beschrieb sie später als »Sprachodyssee«, als Wandern von einer Sprache in die andere. Ihre Muttersprache Deutsch aber blieb durch die Jahre des Exils hindurch ihr unverlierbares Zuhause.
Aufgewachsen in einem großbürgerlichen jüdischen Elternhaus in Köln studierte Hilde Löwenstein zuerst Jura, später Philosophie und politische Wissenschaften in Heidelberg, Köln und Berlin. Beim zweiten Wechsel nach Heidelberg lernte sie im April 1931 den jüdischen Kaufmannsohn und Archäologiestudenten Erwin Walter Palm (1910-1988) kennen, dem sie im Oktober 1932 – gegen den Willen ihrer Eltern – nach Italien folgte.
Was als Auslandsstudium begann, wurde mit Hitlers Machtergreifung zum Exil. Hilde Löwenstein schrieb sich an den Universitäten in Rom und Florenz ein und schloss dort am 6. November 1935 ihr Studium ab. 1936 heiratete sie in Rom ihren Studienfreund. Das Paar lebte »wortwörtlich von der Sprache«: Hilde Palm gab Sprachunterricht und übersetzte die wissenschaftlichen Arbeiten ihres Mannes.
Im Frühjahr 1939 flohen die Palms über Paris nach Großbritannien, im Sommer 1940 über Kanada nach Santo Domingo. Hilde Palm übersetzte und gab Sprachunterricht, ihr Mann erhielt eine außerplanmäßige Professur für „besondere Aufgaben“ und mit der Position des Kurators der Kolonialkunst etablierte er sich als Spezialist für ibero-amerikanische Kunst- und Kulturgeschichte.
1942 starb Hilde Palms Vater im amerikanischen Exil, 1951 die Mutter in Deutschland. Unter dem Eindruck einer ernsten Ehekrise hatte Hilde Palm schon ab 1949 begonnen, eine eigene künstlerische Existenz aufzubauen. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland lenkte sie den Blick auf den Tod der Mutter. Hilde Palm begann auf Deutsch zu schreiben, und das war ihre Rettung, die »Alternative zum Selbstmord«. Ein Rückkehrstipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes ebnete dem Paar im Februar 1953 den Weg zurück nach Deutschland. Sieben Jahre pendelten sie zwischen München, Frankfurt und Madrid, bis Palm 1960 eine KW-Professur in Heidelberg erhielt.
Nach dem Ort, an dem sie zur Dichterin wurde, nannte sich Hilde Palm ab 1954 Hilde Domin. Sie veröffentlichte mehrere Gedichtbände (u. a. »Nur eine Rose als Stütze«, 1959; »Rückkehr der Schiffe«, 1962; »Ich will dich«, 1970), autobiographische Texte, einen Roman, poetologische, soziologische und literaturtheoretische Essays, führte eine »fast schwesterliche Korrespondenz« mit der im schwedischen Exil lebenden Nelly Sachs. Hilde Domin verfolgte das Konzept einer politisch engagierten, einer dialogischen Dichtung, deren Magie in ihrer Einfachheit steckt. Bei Lesungen trug sie jedes ihrer Gedichte zwei Mal vor. Ihre Gedichte wurden in mehr als 26 Sprachen übersetzt, sie selbst mit vielen Preisen geehrt, 2005 mit dem höchsten Orden der Dominikanischen Republik ausgezeichnet.
(2011 aktualisiert von Marion Tauschwitz)
Verfasserin: Sonja Hilzinger
Zitate
Besser ein Messer als ein Wort. Ein Messer kann stumpf sein. Ein Messer trifft oft am Herzen vorbei. Nicht das Wort.
(Hilde Domin)
Lyrik entsteht mehr aus Leid als aus Freude. Der Mensch kann sich durch das Schreiben von Gedichten befreien. Ich kann das nur vergleichen – obwohl es natürlich etwas anderes ist – mit der Beichte oder dem therapeutischen Gespräch beim Psychiater. Dabei teilen Sie mit, was in Ihnen ist. Bei Lyrik können Sie das noch mehr tun. Ich nenne es eine Gnade, wenn man kreativ werden kann.
(Befreiung durch Schreiben. Interview mit Hilde Domin ila-Informationsstelle Lateinamerika e.V., siehe Links)
Wozu Lyrik heute - ein Buch, dem, stammte es aus der Feder eines männlichen Theoretikers, sicher heute längst die Beachtung gezollt würde. die der Theoretikerin leider erst mit der zeitlichen Verzögerung zukommen wird, mit der die Öffentlichkeit in Deutschland noch immer auf Frauen reagiert, die beides vereinen: Gefühl und analytischen Verstand. Seit Benns Marburger Vortrag über “Probleme der Lyrik” (1951) ist dies wohl die bedeutendste Analyse eines Lyrikers über Lyrik, wobei Hilde Domin insofern über Benn hinausgeht, als sie weit in den gesellschaftlichen Raum hineindenkt, ihre Poetik auf ein gesellschaftliches Fundament stellt. Es ist auch daran zu erinnern, dass Hilde Domin dieses mächtige Plädoyer für das Gedicht 1967 hielt, ein Jahr bevor Enzensberger dessen Tod verkündete.
(Ulla Hahn in Emma, Juli/August 2009, S. 66)
Das Gedicht als “Ort der Freiheit”, als “magischer Gebrauchsgegenstand”, das Poetische als “unspezifische Genauigkeit”, dies sind nur einige der geglückten Begriffsbildungen, die der Kanonisierung wert wären. Und weil Domin sich so vorbildlich auf die Kunst der Reflexion des eigenen Handwerks ... versteht, möchte ich sie auch an die Seite stellen von Ricarda Huch, Virginia Woolf und Hannah Arendt.
(Ulla Hahn in Emma, Juli/August 2009, S. 67)
Links
Hilde Domin auf der Literaturlandkarte. Was lesen Menschen, die Hilde Domin mögen, sonst noch?
Online verfügbar unter http://www.literaturlandkarte.de/hilde+domin.html, zuletzt geprüft am 19.02.2021.
Ich will Dich – der Film. Seite zum Dokumentarfilm von Anna Ditges über Leben und Werk von Hilde Domin, mit vielen Bildern und Informationen.
Online verfügbar unter http://www.ichwilldich-derfilm.de/, zuletzt geprüft am 19.02.2021.
Bach, Aya: Interview mit Hilde Domin (Juni 1996, gesendet am 17.04.2007). Audiobeitrag (mp3), ca. 23 min. Deutsche Welle.
Online verfügbar unter http://www.dw-world.de/dw/article/0,,2340168,00.html?maca=de-podcast_zeitreise-schriftsteller-1835-xml-mrss, zuletzt geprüft am 19.02.2021.
Eisenbürger, Gert: Befreiung durch Schreiben. Interview mit Hilde Domin im Juli 1994. ila-Informationsstelle Lateinamerika e.V.
Online verfügbar unter https://www.ila-web.de/ausgaben/180/befreiung-durch-schreiben, zuletzt geprüft am 19.02.2021.
Internet Movie Database: Hilde Domin. Filme.
Online verfügbar unter https://www.imdb.com/name/nm2246995, zuletzt geprüft am 19.02.2021.
Literatur & Quellen
Braun, Michael (1994): Exil und Engagement. Untersuchungen zur Lyrik und Poetik Hilde Domins. Frankfurt am Main, Berlin, Bern. Lang (Literarhistorische Untersuchungen, 23). ISBN 3-631-47065-7. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Domin, Hilde (1993): Gesammelte Essays. Heimat in der Sprache. Frankfurt am Main. S. Fischer. ISBN 3-10-015315-4. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Domin, Hilde (2005): Gesammelte autobiographische Schriften. Fast ein Lebenslauf. Frankfurt am Main. Fischer-Taschenbuch-Verl. (Fischer, 14071). ISBN 3-596-14071-4. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Domin, Hilde (2006): Gesammelte Gedichte. Frankfurt am Main. S. Fischer; Fischer. ISBN 3-10-015304-9. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Karsch, Margret (2007): »Das Dennoch jedes Buchstabens«. Hilde Domins Gedichte im Diskurs um Lyrik nach Auschwitz. Bielefeld. Transcript (Lettre). ISBN 978-3-89942-744-8. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Lehr-Rosenberg, Stephanie (2003): »Ich setzte den Fuß in die Luft, und sie trug«. Umgang mit Fremde und Heimat in Gedichten Hilde Domins. Würzburg. Königshausen & Neumann. ISBN 3-8260-2398-6. (WorldCat-Suche)
Lermen, Birgit; Braun, Michael (1997): Hilde Domin. »Hand in Hand mit der Sprache«. Bonn. Bouvier (Lebensspuren, 1). ISBN 3-416-02693-4. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Loretan-Saladin, Franziska (2008): Dass die Sprache stimmt. Eine homiletische Rezeption der dichtungstheoretischen Reflexionen von Hilde Domin. Fribourg. Acad. Press (Praktische Theologie im Dialog, 32). ISBN 978-3-7278-1617-8. (WorldCat-Suche)
Scheidgen, Ilka (2006): Hilde Domin. Dichterin des Dennoch. Eine Biografie. Ilka Scheidgen. Lahr. Kaufmann, 2007. ISBN 3-7806-3012-5. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Tauschwitz, Marion (Hg.) (2009): Unerhört nah. Erinnerungen an Hilde Domin. Heidelberg. Kurpfälzischer Verlag. ISBN 978-3-924566-33-3. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Tauschwitz, Marion (2010): Hilde Domin. Dass ich sein kann, wie ich bin ; Biografie. Umfassend bearb. und aktualisierte Ausg. Mainz am Rhein. VAT Thiele. ISBN 978-3-940884-09-1. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Wangenheim, Bettina von und Metz, Ilseluise (Hg.) (1998): Vokabular der Erinnerungen. Zum Werk von Hilde Domin. Frankfurt am Main. Fischer-Taschenbuch-Verl. (Fischer Forum Wissenschaft Literatur & Kunst, 13479). ISBN 3-596-13479-X. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Wu, Jianguang (2000): Das lyrische Werk Hilde Domins im Kontext der deutschen Literatur nach 1945. Frankfurt am Main. Lang (Bochumer Schriften zur deutschen Literatur, 56). ISBN 3-631-35802-4. (WorldCat-Suche)
Bildquellen
Ich will Dich – der Film – Herzlichen Dank an Anna Ditges für die freundliche Erlaubnis, die Filmstills zu verwenden.
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