Biographien Henriette Hardenberg
(Geburtsname: Margarete Rosenberg, 1. Ehename: Margarete Wolfenstein, 2. Ehename: Margarete Frankenschwerth, auch: Margarete Frankenschwerth-Rosenberg. Pseudonym: Martha von Eschstruth)
geboren am 5. Februar 1894 in Berlin
gestorben am 26. Oktober 1993 in London
deutsch-britische Schriftstellerin und Dichterin
130. Geburtstag am 5. Februar 2024
Biografie • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
„Durch die Lahmlegung in den Hitler-Jahren und später durch die großen Schwierigkeiten nach der Auswanderung hatte ich für meine künstlerische Arbeit weder die notwendige Zeit noch Kraft.“ (zitiert nach Jürgens 1997)
Berlin – München – Berlin
Margarete Rosenberg wurde als zweites Kind des jüdischen Rechtsanwalts Hugo Rosenberg und seiner Frau Marie-Anne Rosenberg (geb. Rosenstein, von der nur bekannt ist, dass sie ein Gesangstudium absolvierte) 1894 in Berlin geboren. Ihr Bruder Hans war vier Jahre älter als sie. Sie besuchte die Auguste-Victoria-Schule sowie die Hesslingsche Mädchenschule. Ihre Kindheit bezeichnete sie rückblickend als glücklich und ihr Verhältnis zu den Eltern als gut. Schon früh wurde in der Familie ihr Interesse für Literatur, Malerei und Musik geweckt.
Die Familie gehörte keiner jüdischen Gemeinde an. Wie Henriette Hardenberg später betonte, fühlte sie sich nach dem, was den Juden später durch Hitler geschehen sei, jüdischer als je zuvor.
Bereits früh interessierte sich Margarete Rosenberg für Literatur, und mit 18 Jahren hatte sie ihre erste Veröffentlichung: 1913 erschien unter ihrem eigenen Namen in der Zeitschrift Die Aktion, der von Franz Pfemfert herausgegebenen literarisch-politischen Zeitschrift, die dem Expressionismus zum Durchbruch verhalf, ihr Gedicht „Wir werden herrlich aus Wunsch nach Freiheit“. Ihr Alter wurde dabei ausdrücklich genannt.
Als ihr Vater, der von dieser Veröffentlichung nichts wusste, von einem Klienten darauf angesprochen wurde, verbot er ihr das Veröffentlichen ihrer Werke unter ihrem eigenen Namen. Franz Pfemfert fand schnell eine Lösung und schlug die Pseudonyme „Henriette Hardenberg“ und „Martha von Eschstruth“ vor, die sie dann in verschiedenen avantgardistischen Zeitschriften verwendete. Ihre Lyrik- und auch Prosaveröffentlichungen waren danach beispielsweise in den Weißen Blättern, dem Wieland, der Schönen Rarität sowie den Neuen Blättern für Kunst und Dichtung zu finden.
Schon bald etablierte sie sich in den expressionistischen Zirkeln. Dort traf sie vor allem im Café des Westens mit namhaften DichterInnen und KünstlerInnen zusammen, so war sie u. a. mit der Dichterin Else Lasker-Schüler und der Schriftstellerin Claire Goll befreundet, vor allem aber gehörte die Mehrzahl der jungen expressionistischen Dichter und Maler zu ihrem Freundeskreis.
Außer für ihr Schreiben interessierte sich Henriette Hardenberg auch für den Ausdruckstanz. Sie besuchte die Dalcroze-Tanzschule in Berlin und nahm auch an Tanzaufführungen teil.
Als ausgesprochene Kriegsgegnerin arbeitete sie während des Ersten Weltkriegs als Hilfsschwester am Rudolf-Virchow-Krankenhaus. Ihre dortigen Erfahrungen verarbeitete sie in Gedichten wie beispielsweise „Kranker Soldat“; ihre Haltung zum Krieg wird deutlich in “Man mordet viele Jahre schon“.
1914 lernte sie den Dichter Alfred Wolfenstein kennen, den sie im Februar 1916 heiratete. Gemeinsam mit ihm zog sie nach München, wo im November 1916 ihr Sohn Frank geboren wurde.
Sie lebten im KünstlerInnenviertel Schwabing, wo zu ihren Bekannten u. a. Emmy Hennings, Rainer Maria Rilke, mit dem sie sich zu privaten Leseabenden traf, und Johannes R. Becher gehörten.
Henriette Hardenbergs erster Lyrikband erschien 1918 unter dem Titel Neigungen im Münchener Roland Verlag. Er gilt heute als einer der wichtigsten Lyrikbände des „weiblichen Expressionismus“ und wurde damals zwar vereinzelt lobend erwähnt, fand aber in der zeitgenössischen Kritik wenig Beachtung. Betont wurden vor allem ihre Landschaftsbeschreibungen, die Musikalität ihrer Sprache sowie die Intensität ihrer Bilder. Bemerkenswert ist, dass sie häufig aus der Perspektive eines männlichen Protagonisten schreibt, beispielsweise aus der eines Soldaten, Flüchtlings und Kranken.
Nach Erscheinen dieses Buches veröffentlichte sie in verschiedenen Zeitschriften, wandte sich aber zu dieser Zeit auch anderen Arbeiten zu, um Geld zu verdienen. So wirkte sie in einem Skifilm mit und führte Mode vor. Auch wenn das Schreiben nicht ihren Alltag bestimmte, so war sie dennoch durchaus produktiv
Das Ehepaar kehrte 1924 nach Berlin zurück, wo Henriette Hardenberg wiederum einige Gedichte und Prosastücke veröffentlichen konnte sowie in Rundfunksendungen las. Wie bereits in München arbeitete sie weiterhin in der Film- und Modebranche. Auch wenn sich das Paar 1930 scheiden ließ, so blieben sie sich doch weiterhin freundschaftlich verbunden. Hardenberg sollte sich später um das literarische Erbe ihres früheren Ehemanns kümmern und der Forschung zugänglich machen.
Ihr Schreiben sah sie nicht als Beruf, auch wenn ihr Werk in KünstlerInnen- und LiteratInnenkreisen durchaus Beachtung und Anerkennung fand. Dem Druck und Zwang des Schreibens wollte sie sich nicht unterwerfen. Dennoch veröffentlichte sie weiterhin; so erschienen neben ihren Gedichten auch kleine Prosastücke beispielsweise in der Neuen Rundschau und der Vossischen Zeitung.
Um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, arbeitete sie ab Ende der 1920er Jahre als Privatsekretärin des österreichisch-US-amerikanischen Kunstprofessors Richard Offner. Während der nächsten dreißig Jahre betreute sie sein mehrbändiges Werk über die frühe Florentinische Malerei, das ab 1930 in New York erschien.
Dass sie sich als Jüdin bereits Anfang der 1930er Jahre mit der Frage nach einem möglichen Exil beschäftigte (Alfred Wolfstein war bereits nach Prag geflohen, ihr Sohn Frank hatte das Land 1933 verlassen), zeigt sich an ihrem Gedicht „Einsam“ von 1932, in dem es heißt:
Wie kann ich fort – wo soll ich hin?
Das nahe Grab ist noch zu weit …
Wem darf ich sagen, wer ich bin?
Niemand ist da – nur Luft der welken Zeit.
Großbritannien
Richard Offner hatte bereits 1935 sein Projekt in Berlin aufgegeben und verschaffte Henriette Hardenberg, die als Jüdin ihres Lebens in Deutschland nicht mehr sicher war, eine Arbeitserlaubnis in Großbritannien, wodurch sie 1937 dorthin ins Exil gehen konnte. Auch ihr Bruder lebte bereits dort.
Nachdem das gesamte Material des Projektes – fünf Bände waren bereits in Berlin fertiggestellt worden – dorthin gebracht wurde, konnte sie ihre Arbeit daran bis zum Ausbruch des Krieges fortsetzen.
Bereits 1922 hatte Henriette Hardenberg den Innenarchitekten und Dichter Kurt Frankenschwerth in Berlin kennengelernt, mit dem sie in den 1930er Jahren dort – wie auch später in London – bereits zusammenlebte und den sie 1938 heirateten sollte.
Während des 2. Weltkriegs arbeitete sie in einem Fotogeschäft in London – wo sie auch den Blitz miterleben musste –, sowie bei einem Bilderrahmenhersteller, bis sie nach Kriegsende ihre Tätigkeit bei dem Projekt von Richard Offner fortsetzen konnte.
Daneben betätigte sie sich ab 1945 auch als Übersetzerin, beispielsweise übersetzte sie für die Zeitschrift Blick in die Welt Erzählungen von Sally Benson und Charles Dickens. Für den Film The Seventh Veil (Deutscher Titel: Der letzte Schleier) von 1945 verfasste sie die Untertitel.
Von 1947 bis 1957 lebte das Ehepaar in Barnhurst in Kent, zog dann aber zurück nach London, wo Henriette Hardenberg den Rest ihres Lebens verbrachte.
Auch wenn sie in ihrem neuen Heimatland nicht als Schriftstellerin bekannt war, schrieb sie nach einer Pause in den 1930er und 1940er Jahren weiter und zwar weiterhin auf Deutsch. Einige ihrer Gedichte erschienen in Deutschland in Anthologien, wie der von Gottfried Benn herausgegebenen Anthologie Lyrik des expressionistischen Jahrzehnts (1955), aber erst die beiden von Hartmut Vollmer herausgegebenen Bände Dichtungen (1988) und Südliches Herz. Nachgelassene Dichtungen (1994) führten zu einer größeren Sichtbarkeit und Bekanntheit.
1948 nahm Henriette Hardenberg die britische Staatsbürgerschaft an. Nach Deutschland fuhr sie nur noch selten, da ihr die vergangenen nationalsozialistischen Schrecken unvergesslich blieben. Diese machten es ihr unmöglich, dort ein neues Leben anzufangen. Zur Eröffnung des Wolfenstein-Archivs in der Akademie der Künste kam sie jedoch 1965 nach West-Berlin. Ihr Sohn Frank, der bereits 1933 in die Tschechoslowakei emigriert war, kurze Zeit in den Niederlanden und Schweden gelebt hatte, dann nach Palästina ausgewandert war, lebte ab 1952 mit seiner Familie in England.
Zwei Tage nach dem Tod ihres Sohnes Frank starb Henriette Hardenberg am 26. Oktober 1993 im Alter von fast 100 Jahren.
(Text von 2023)
Links
Henriette Hardenberg in der Deutschen Nationalbibliothek
Literatur & Quellen
Literatur über Henriette Hardenberg:
Budke, Petra und Jutta Schulze: Schriftstellerinnen in Berlin 1871 bis 1945. Ein Lexikon zu Leben und Werk. Reihe: Der andere Blick. Frauenstudien in Wissenschaft und Kunst. Berlin, Orlanda Frauenverlag, 1995, S. 159-160
Hermanns, Doris: „Und alles ist hier fremd.“ Deutschsprachige Schriftstellerinnen im britischen Exil. Berlin, AvivA, 2022
Jürgens, Claudia: Henriette Hardenberg. Aspekte des Lebens und Werks. Marburg, Philipps-Universität, Magister-Hausarbeit, 1996
Jürgens, Claudia: Zwischen Freiheitsstreben und der Suche nach Heimat in der Sprache. Henriette Hardenberg (1894-1993). In: Ariadne. Almanach des Archivs der deutschen Frauenbewegung. 1997. Heft 31: Avantgarde und Tradition: Schriftstellerinnen zwischen den Weltkriegen. S. 38-41
Krug, Marina: Henriette Hardenbergs Gedichtband „Neigungen“. Lyrik des expressionistischen Jahrzehnts. München, GRIN, 2020 (Masterarbeit aus dem Jahr 2020 im Fachbereich Germanistik – Neue Deutsche Literatur, Bergische Universität Wuppertal)
Meyer, Imke: Die Lyrik von Henriette Hardenberg. München, GRIN, 2011 (Studienarbeit aus dem Jahr 2009 im Fachbereich Germanistik – Neue Deutsche Literatur, Universität Paderborn)
Rheinsberg, Anna: Henriette Hardenberg. In: Dies.: Wie bunt entfaltet sich mein Anderssein. Lyrikerinnen der zwanziger Jahre. Gedichte und Portraits. Mannheim, Persona, 1993, S. 37-40
Vollmer, Hartmut: „Im Straffen beben wir vor innerem Gefühl.“ Über die expressionistische Dichterin Henriette Hardenberg. In: Denny Hirschbach und Sonia Nowoselsky. Zeichen und Spuren, Bremen 1993, S. 165-169
Vollmer, Hartmut: Henriette Hardenberg. In: Britta Jürgs (Hg.): Wie eine Nilbraut, die man in die Wellen wirft. Portraits expressionistischer Künstlerinnen und Schriftstellerinnen. Grambin, AvivA, 1998, S. 76-92
Wall, Renate: Lexikon deutschsprachiger Schriftstellerinnen im Exil 1933-1945. Band 1. Freiburg i. Br., Kore, 1995, S. 80
Werke von Henriette Hardenberg:
Neigungen. Gedichte. München, Roland-Verlag, Die neue Reihe, 1918. 12. Neuauflage: Nendeln/Liechtenstein, Kraus Reprint 1973
Dichtungen. Zürich, Arche, 1988. Hg. von Hartmut Vollmer. Arche-Editionen des Expressionismus
Südliches Herz. Nachgelassene Dichtungen. Zürich, Arche, 1994. Hg. von Hartmut Vollmer. Arche-Editionen des Expressionismus
Henriette Hardenberg. Verssporen – Heft für lyrische Reize. Nr. 52. Hg. von Tom Riebe. Jena, Edition Poesie schmeckt gut, 2022.
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