(Geburtsname: Helene Mosel)
geboren am 27. Juli 1906 in Skopje/Üsküb (Osmanisches Reich, heute: Nordmazedonien)
gestorben am 28. März 1994 in Hanover, New Hampshire, USA
deutsch-US-amerikanische Verlegerin und Schriftstellerin
30. Todestag am 28. März 2024
Biografie
Mit zwölf wurde Helene Mosel zur Vielleserin und las sich trotz nur rudimentär vorhandener Sprachkenntnisse in die englische Sprache ein, was ihr den Weg zur Übersetzerin und später legendären Verlegerin in den USA ebnete.
Helene wurde im Osmanischen Reich geboren, ihr Vater war ein gewalttätiger deutscher Unternehmer. Die Mutter, eine Österreicherin, floh mit ihr und den drei Geschwistern vor dem Balkankrieg nach Wien, später nach Berlin und während der Hungerjahre nach Oberammergau. Dort zogen sie in eine Wohnung, deren vorherige BewohnerInnen – ein US-amerikanisches Ehepaar – ihre Bibliothek zurückgelassen hatten, die für Helene Mosel der Zugang zur englischsprachigen Literatur wurde. In dieser Zeit entstand auch ihr Wunsch, in einem Verlag zu arbeiten.
Nachdem der Vater die Familie nach dem Ersten Weltkrieg verlassen hatte, sorgte die Mutter dafür, dass ihre vier Kinder eine gute Schulbildung erhielten. Helene Mosel machte nicht nur ihr Abitur, sondern galt auch als sprachliches und literarisches Ausnahmetalent. Dennoch musste sie erst einmal von 1924 bis 1928 in einer Frankfurter Familie als Kindermädchen arbeiten, bevor eine Freundin sie an den Kurt Wolff Verlag in München vermittelte, wo sie eine Stelle als Sekretärin und Übersetzerin aus dem Englischen bekam.
Vor allem übersetzte sie für den Kunstverlag Pantheon Casa Editrice S. A., an dem Kurt Wolff beteiligt und der seit 1924 in Florenz ansässig war. Wolff musste jedoch im Zuge der Weltwirtschaftskrise nicht nur seinen eigenen Verlag verkaufen, sondern 1930 auch seine Anteile an Pantheon Casa Editrice S. A. Helen Mosel blieb jedoch im Verlag und folgte John Holroyd-Reece, dem ehemaligen Partner Wolffs, nach Paris, lebte eine Zeitlang mit Kurt Wolff in Südfrankreich und galt seit 1931 als seine feste Partnerin, bevor sie ihn 1933 heiratete. Während es für ihn seine zweite Ehe war, war sie in Frankfurt mit dem Komponisten und Musiker Alfred von Beckerath verlobt gewesen.
Das Ehepaar lebte eine Zeitlang in der Toskana und führte anschließend eine Pension in Nizza, wo zahlreiche Bekannte und Familienmitglieder, die aus Deutschland geflohen waren, zu Gast waren, so beispielsweise Walter Hasenclever und Christa Winsloe. Dort wurde auch ihr Sohn Christian geboren.
Beide wurden 1940 interniert, Helen Wolff in Gurs, Kurt Wolff im Zwangsarbeiterlager Chambaraud, aber beiden gelang die Flucht. Mit Hilfe des Emergency Rescue Commitees war es ihnen 1941 möglich, in die USA ins Exil zu fliehen.
In New York gründeten sie im gleichen Jahr den Verlag Pantheon Books, in dem sie wichtige europäische Werke sowie Kunstbücher und Klassiker wissenschaftlicher Literatur herausgaben. Zu ihren Veröffentlichungen gehören beispielsweise Werke von Eduard Mörike, Max Frisch, Paul Claudel, Uwe Johnson, Günter Grass, Sigmund Freud und C. G. Jung, aber auch US-amerikanische Autorinnen wie Anne Morrow Lindbergh, mit der Helen Wolff eng befreundet war. 1959 verkauften die Wolffs ihre Anteile an dem Verlag, der später ein Imprint von Random House werden sollte, zogen zurück nach Europa, und ließen sich in Locarno nieder.
Seit Ende der 1940er Jahre war Helen Wolff eng mit der aus Deutschland stammenden Philosophin Hannah Arendt befreundet, mit der sie nur Deutsch sprach und mit der sie die Liebe zu deutscher Literatur teilte, wie auch die Erfahrungen im französischen Exil. Allerdings hatten sie sich erst in den USA kennen gelernt.
1961 – nun wieder in den USA – gründete das Ehepaar die Reihe Helen und Kurt Wolff Books im Verlag Harcourt, Brace & World, für die Helen Wolff nach dem Tod ihres Mannes 1963 allein verantwortlich war und den sie mit großem Erfolg weiterführte. Aus seinem Schatten brauchte sie nicht herauszutreten, denn „I never saw myself in his shadow, I always saw myself in his light”, d. h. sie hatte sich nicht in seinem Schatten gesehen, sondern in seinem Licht.
„A Helen and Kurt Wolff Book“ galt in den USA als eine Art „Gütesiegel“ für europäische Literatur. Die Kontakte zu den von ihr vermittelten Autoren wurden enger, sie fühlten sich bei ihr aufgehoben, auch in schwierigen Zeiten, vielen eröffnete Helen Wolff den Zugang zum US-amerikanischen Buchmarkt. Erst im Alter von 75 zog sie sich aus dem Verlagsleben zurück.
Als Verlegerin ist sie bekannt geworden, aber erst jetzt ist sie auch als Autorin zu entdecken. Ihre Großnichte Marion Detjen fand im privaten Nachlass Helen Wolffs einige Manuskripte von Theaterstücken und Romanen, die von ihren frühen literarischen Versuchen zeugen, aber mit dem Hinweis versehen waren, dass sie nach ihrem Tod verbrannt oder zumindest ungelesen weggeworfen werden sollten. Daran hat sich Detjen zum Glück nicht gehalten und den Roman Hintergrund für Liebe veröffentlicht, einen wunderbar leichten Sommerroman, der unverkennbar autobiografische Züge trägt, die sie in einem ausführlichen Nachwort erläutert. Gleichzeitig Verlegerin und Autorin zu sein, war für Helen Wolff undenkbar.
In den USA wird jährlich der Helen und Kurt Wolff Translator’s Prize verliehen, mit dem eine hervorragende Übersetzung aus dem Deutschen ins Englische ausgezeichnet wird.
(Text von 2020)
Auszeichnungen:
1977: Verlegerpreis des US-amerikanischen PEN
1981: Inter Nationes Award for Literature and the Arts
1985: Goethe-Medaille des Goethe-Instituts
1994: posthum der Friedrich-Gundolf-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, zu dem Günter Grass die Laudatio hielt, die gleichzeitig ihr Nachruf war: https://www.goethe.de/ins/us/en/kul/bks/hkw.html
Verfasserin: Doris Hermanns
Links
Arendt, Hannah (2019): Wie ich einmal ohne Dich leben soll, mag ich mir nicht vorstellen. Briefwechsel mit den Freundinnen Charlotte Beradt, Rose Feitelson, Hilde Fränkel, Anne Weil und Helen Wolff. Hg. von Ingeborg Nordmann und Ursula Ludz. München, Piper
Detjen, Marion (2020): Zum Hintergrund des Hintergrunds. In: Helen Wolff: Hintergrund für Liebe. Bonn, Weidle
Grass, Günter und Helen Wolff (2003): Briefe 1959-1994. Hg. von Daniela Hermes. Göttingen, Steidl
Herweg, Nikola (2015): Spuren 106: Kurt und Helen Wolff in Marbach. Marbach am Neckar, Deutsche Schillergesellschaft
Ziegler, Edda (2014): Helen Wolff, die Ideal-Verlegerin. In: Edda Ziegler: Buchfrauen. Frauen in der Geschichte des deutschen Buchhandels. Göttingen, Wallstein
Helen Wolff in der Deutschen Nationalbibliothek
Von Helen Wolff:
Hintergrund für Liebe. (2020) Hg. und mit einem Essay von Marion Detjen zum Hintergrund des Hintergrunds. Bonn, Weidle
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