(Heide Simonis, geb. Steinhardt)
geboren am 4. Juli 1943 in Bonn
gestorben am 12. Juli 2023 in Kiel
deutsche Politikerin (SPD) und Volkswirtin; Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein 1993-2005
80. Geburtstag am 4. Juli 2023
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
»Eene eenzige Frau regeert dat wunnerschöne Land ganz alleen. Oh ne, dat dörf doch nicht sin!« sagt ein älterer Mann kopfschüttelnd zu Heide Simonis auf einer Veranstaltung des Bauernverbandes, nachdem sie am 19. Mai 1993 überraschend Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein geworden ist.
Heide Simonis ist die einzige der begabten SPD-Frauen der ersten Nachkriegsgeneration, die es so weit nach oben schafft: jüngste Abgeordnete des Bundestages, einziges weibliches Mitglied des Haushaltsausschusses, erste Ministerpräsidentin der Republik.
In ihrem Buch Unter Männern (2003) formuliert sie engagiert und unterhaltsam ihre politischen Positionen, berichtet aber auch von der Demontage durch die eigenen Genossen: »Und schon beginnen die Geier über dem Stuhl zu kreisen, noch während man darauf sitzt.«
Heide Simonis, geb. Steinhardt, ist die älteste von drei Schwestern. Sie reagiert auf die Zumutungen der Nachkriegszeit (Entwurzelung, Enge, häufiger Krach mit der unglücklichen Mutter) mit schwerem Asthma. Deshalb verbringt sie seit ihrem 3. Geburtstag viele Monate in Kinderheimen:
Ich war in den meisten Heimen ganz gern und habe mich der neuen Umgebung schnell angepasst.
1962 macht sie an einem Mädchengymnasium Abitur und studiert Volkswirtschaft und Soziologie in Erlangen, Nürnberg und Kiel. 1967 besteht sie ihr Examen als Diplom-Volkswirtin. Im gleichen Jahr heiratet sie den Ökologie-Professor Dr. Udo E. Simonis. Sie folgt ihm nach Afrika (1967/68, Sambia) und Japan (1970-1972, Tokio).
Ich war es, die Udo den Heiratsantrag machte – einer musste ja die Sache in die Hand nehmen … Er hat kurz trocken geschluckt und dann Ja gesagt … Dieser Hochzeitstag! Er sitzt da, blass, klein, im dunklen Anzug und ich daneben mit einem Pillbox wie Jackie Kennedy und einem rosa-lila Ding von Kleid.
Die Asthma-Anfälle hören bald ganz auf. Ihr Mann ist einer »dieser paar Schätzchen unter den Männern«, der seine Frau ermutigt und ihre Karriere stützt. Auch ihr Vater und ihre beiden Schwestern sind Vertraute in schwierigen Situationen.
1969 tritt Heide Simonis in die SPD ein und beginnt die ›Ochsentour‹ nach oben. Sie hat bald begriffen, dass die eigentlichen Entscheidungen nach dem offiziellen Ende einer Sitzung in einem Hinterraum der Kneipe getroffen werden und harrt seitdem immer bis zum bitteren Ende aus, d.h. zwei, halb drei Uhr nachts.
Der Kinderwunsch hat für sie nie eine hohe Dringlichkeit gehabt:
Ich fürchtete wohl, das schwierige Verhältnis zu meiner Mutter könnte sich wiederholen.
Heide Simonis ist gern unter Menschen und liebt es, etwas zu bewegen.
Einige ihrer politischen Stationen: Mitglied im Kreisvorstand in Kiel, Mitglied der Kieler Ratsversammlung, Wahl in den Bundestag, Fraktionssprecherin im Haushaltsausschuss, Mitglied des Schleswig-Holsteinischen Landtages… Von 1988-1991 gehört sie dem Bundesvorstand der SPD an, von 1993-2005 ist sie Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein.
Unter ihrer Regierung wird »Schläfrig-Holstein« – trotz der schwierigen Finanzlage – zu einem modernen Land mit Zukunftsindustrien wie Biotechnologie und Medizintechnik. Sie treibt den Umbau der Verwaltungsstrukturen voran und scheut nicht vor unpopulären Maßnahmen zurück.
Im Jahr 2000 gehören ihrer Regierung in Kiel erstmals in Deutschland mehr Frauen als Männer an.
Trotz ihrer ungebrochenen Popularität sind es bei der Landtagswahl 2005 die eigenen Genossen, die ihr in vier Wahlgängen die Mehrheit verweigern.
Gegen offene Messer zu kämpfen ist nicht leicht, aber in der Politik manchmal notwendig. Gegen einen hinterhältigen Dolchstoß jedoch gibt es keine Abwehrmöglichkeiten.
Verbittert legt Heide Simonis alle politischen Ämter nieder und denkt zunächst auch über einen Austritt aus der SPD nach.
Anknüpfend an ihre Erfahrungen in Sambia (1967/68 war sie Lektorin für Deutsch an der Universität in Lusaka) wählt sie sich ein Tätigkeitsfeld in der Entwicklungshilfe und wird 2006 einstimmig zur ehrenamtlichen Bundesvorsitzenden von UNICEF Deutschland gewählt.
Deutschland hat eine Vollblutpolitikerin verloren.
(Text von 2007)
Verfasserin: Birgit-Elisabeth Rühe-Freist
Zitate
Der Frauenbewegung kommen ohne Zweifel große Verdienste zu. Der Feminismus hat die Öffentlichkeit wach gerüttelt, und auch die Selbsterfahrungsgruppen haben eine wichtige Bedeutung für den allgemeinen Bewusstseinswandel gehabt. Die wachsende Sensibilität kam später den Frauen zugute, die in den politischen Parteien und Institutionen arbeiteten. Ohne die Frauenbewegung hätte es zum Beispiel die Quote nicht gegeben – eine politische Forderung, die ich anfangs für überflüssig hielt, deren Notwendigkeit mir mit zunehmender Erfahrung aber immer einsichtiger wurde. Allerdings wollte ich selbst nie eine Quotenfrau sein, sondern mich als Individuum durchsetzen. Dennoch: Ohne ein Reißverschluss-System geht es nicht.
(Quelle: www.heide-simonis.de)
Das Angenehme am Älterwerden scheint zu sein, dass man ruhiger wird. Auch wenn ich noch immer einmal im Jahr ausraste, rege ich mich doch nicht mehr permanent so entsetzlich auf. Ich ertrage heute auch Macken der anderen gelassener. Und ich streite mich viel, viel weniger mit meinem Mann.
(Quelle: Interview mit Heide Simonis, in: EMMA Januar/Februar 2004)
Links
Heide-Simonis.de. Offizielle Webseite (Link aufrufen)
Katalog der Deutschen Nationalbibliothek: Simonis, Heide. Bücher und andere Medien. (Link aufrufen)
Perlentaucher: Heide Simonis. Rezensionen. (Link aufrufen)
Wikiquote: Heide Simonis. Zitate. (Link aufrufen)
Links geprüft am 7. Juli 2023 (AN)
derzeit nicht verwendbar (07.07.2023): Landtagsinformationssystem Schleswig-Holstein: Heide Simonis. Biografische Daten und politische Ämter. (Link aufrufen)
Literatur & Quellen
Werke
Beckmann, Reinhold; Diekmann, Kai et al. (2007): Auf Teufel komm raus. Von Wollust, Geiz und anderen Todsünden. Herausgegeben von Ulrike Murmann. Gütersloh. Gütersloher Verlagshaus. ISBN 978-3-579-06458-1.
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Ladurner, Ulrich; Stockmann, Wolfgang (2012): Was heißt hier alt! Keine Zukunft ohne Senioren. Mit Hannelore Hoger, Margot Käßmann, Heide Simonis, Rita Süssmuth, Henning Schwerf, Theo Sommer u.a. 2 CDs (150 Min.). München. Kunstmann. (Hörkunst bei Kunstmann) ISBN 978-3-88897-797-8.
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Leibrock, Felix (2007): Starke Frauen. Selbstbewusst - mutig - engagiert ; Weimarer Reden 2007. Margot Käßmann, Heide Simonis, Necla Kelek, Petra Gerster. Weimar. wtv. ISBN 9783939964032.
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Simonis, Heide (1995): Der Umbau des öffentlichen Sektors. Modernisierung von Staat und Verwaltung als Chance im Standortwettbewerb ; Vortrag vor dem Gesprächskreis Nord der Friedrich-Ebert-Stiftung, Kiel, 22. Februar 1995. Bonn. Friedrich-Ebert-Stiftung, Akad. der Politischen Bildung. ISBN 3860773771.
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Simonis, Heide (1997): Kein Blatt vorm Mund. Für eine aktive Bürgergesellschaft. 1. Aufl. Hamburg. Hoffmann und Campe. ISBN 3-455-11192-0.
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Simonis, Heide (2010): Verzockt! Warum die Karten von Markt und Staat neu gemischt werden müssen. Göttingen. Vandenhoeck & Ruprecht. ISBN 978-3-525-30002-2.
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Simonis, Heide (erscheint Sommer 2013): Alles Märchen! Insider packen aus. Cartoons von Steffen Butz. Hannover. Lutherisches Verlagshaus. ISBN 978-3-7859-1059-7.
Simonis, Heide; Autzen, Rainer et al. (1980): Stadtentwicklung, Stadterneuerung. Eine Auswahlbibliographie zur städtischen Lebensqualität. Frankfurt am Main, Bern. Lang. (Beiträge zur kommunalen und regionalen Planung, 4) ISBN 3-8204-6168-X.
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Simonis, Heide; Maletzke, Erich (2007): Ausgeteilt, eingesteckt. Leben mit und ohne Politik. Springe. Zu Klampen! ISBN 3-86674-012-3.
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Simonis, Heide und Simonis, Udo E. (Hg.) (1971): Socioeconomic development in dual economies. The example of Zambia. Sozialökonomische Entwicklung in dualistischen Wirtschaften. Das Beispiel Zambia. Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung München. Weltforum Verlag. (Afrika-Studien, 71) ISBN 3-8039-0057-3.
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Simonis, Heide und Simonis, Udo E. (Hg.) (1974): Japan. Wirtschaftswachstum und soziale Wohlfahrt : Studien zur sozialökonomischen Entwicklung. Frankfurt. Herder & Herder. ISBN 3-585-32105-4.
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Simonis, Heide; Simonis, Udo E. (1976): Lebensqualität. Zielgewinnung und Zielbestimmung. Kiel. Bibliothek des Instuts für Weltwirtschaft, Zentralbibliothek der Wirtschaftswissenschaften in der Bundesrepublik Deutschland. (Kieler Schrifttumskunden zu Wirtschaft und Gesellschaft, 21)
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Simonis, Heide; Steinhardt, Doris et al. (2008): Drei Rheintöchter. Kindheit am Rhein nach 1945. Bonn. Bouvier. ISBN 978-3-416-03234-6.
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Quellen
Heide-Simonis.de. Offizielle Webseite (Link aufrufen)
Koelbl, Herlinde (1999): Spuren der Macht. Die Verwandlung des Menschen durch das Amt : eine Langzeitstudie. Orig.-Ausg. München. Knesebeck. ISBN 3-89660-057-5.
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Munzinger, Ludwig (Hg.): Munzinger Archiv : Internationales biographisches Archiv. Ravensburg.
Simonis, Heide (2003): Unter Männern. Mein Leben in der Politik. München. Beck. ISBN 3-406-50959-2.
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UNICEF Deutschland: Informationen zu Heide Simonis vom 07.07.2006.
Weiterführende Literatur
Albrecht, Ulrich; Lock, Peter et al. (1978): Arbeitsplätze durch Rüstung? Warnung vor falschen Hoffnungen. Mit einem Exkurs der drei Bundestagsabgeordneten Norbert Gansel, Horst Jungmann, Heide Simonis. Originalausgabe. Reinbek bei Hamburg. Rowohlt. (Rororo) ISBN 3-499-14266-X.
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Gaus, Günter (1998): Zur Person. Reinhard Höppner, Oskar Lafontaine, Johannes Rau, Berndt Seite, Heide Simonis, Bernhard Vogel, Wolfgang Clement. Berlin. Edition Ost. ISBN 3-932180-21-6.
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Meyer, Antje (1994): Heide Simonis. Deutschlands erste Ministerpräsidentin. Ein Porträt. Orig.-Ausg. Bergisch Gladbach. Bastei Lübbe. (Bastei Lübbe, 61297) ISBN 3-404-61297-3.
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Munimus, Bettina (2010): Heide Simonis. Aufstieg und Fall der ersten Ministerpräsidentin Deutschlands. Stuttgart. Ibidem-Verl. (Göttinger junge Forschung, 5) ISBN 978-3-8382-0170-2. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Pörksen, Bernhard und Krischke, Wolfgang (Hg.) (2010): Die Casting-Gesellschaft. Die Sucht nach Aufmerksamkeit und das Tribunal der Medien. Köln. Halem. (Edition Medienpraxis, 8) ISBN 978-3-86962-014-5. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Richter, Regina (2012): Angela Merkel und andere kluge Frauen. Selbst- und Fremdbilder von Frauen in politischen Spitzenpositionen. Saarbrücken. AV Akademikerverlag. ISBN 978-3-639-41332-8. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
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