geboren am 10. Juli 1968 in Constantine, Algerien
algerische Leichtathletin und Geschäftsfrau
55. Geburtstag am 10. Juli 2023
Biografie • Literatur & Quellen
Biografie
„Ich widme meinen Sieg den Frauen Algeriens“, sagte Boulmerka am 31. August 1995 in Göteborg, als sie zum zweiten Mal den Weltmeistertitel über 1.500 m gewann. Bis dahin hatte die Spezialistin für 800 m, 1 Meile und 1.500 m einen steinigen Weg zurückgelegt.
Mit sechzehn Jahren taucht Boulmerka zum ersten Mal mit persönlichen Bestzeiten in den Leichtathletikstatistiken auf; erste internationale Wettkämpfe bestritt sie 1986. Ein Jahr später war sie algerische Meisterin über 800 m und 1.500 m, genauso 1988. Zwar schied sie bei den Olympischen Spielen in Seoul in den Vorläufen aus, aber sie gewann die Afrikameisterschaften und zeigte auch im Folgejahr ihre Klasse als beste Läuferin des afrikanischen Kontinents. Insgesamt stellte sie sieben Afrikarekorde auf und errang zahlreiche Landesmeisterschaften und –rekorde.
Als sie im August 1991 in Tokio Weltmeisterin über 1.500 m wurde, verblüffte sie die JournalistInnen. Ihre ersten Worte nach dem Sieg waren: „Algeriens Frauen verdienen Respekt. Wir haben Pflichten, aber wir haben auch Rechte.“
Nach ihrer Rückkehr in die Heimat wurde sie als Heldin gefeiert, als Vorbild für alle Frauen, die aus der traditionellen Rolle ausbrechen wollten. Sie war die erste Algerierin und die erste Muslimin überhaupt, die einen Weltmeistertitel in der Leichtathletik gewann.
Aber es gab nicht nur positive Stimmen. Die religiösen Führer kritisierten sie öffentlich, weil sie „mit nackten Beinen vor den Augen Tausender Männer laufe“. Sie erhielt immer wieder Todesdrohungen. Ans Aufgeben dachte sie nie. „Man muss den Willen haben, sich über die religiösen Hindernisse hinwegzusetzen“, sagte Boulmerka, die nicht akzeptierte, dass Frauen sich nur in verhüllenden Gewändern zeigen sollten.
Aus Sicherheitsgründen verlegte sie ihr Training jedoch nach Italien. Sie wollte sich in Ruhe auf die Olympischen Spiele vorbereiten. Mit einem unglaublichen Endspurt gewann sie in Barcelona 1992 die Goldmedaille über 1.500 m, ein Sieg, den sie auch für die Frauen Algeriens holte.
Boulmerka hat mit ihrem Sport immer politische Ziele verbunden. 1992 gründete sie eine Gesellschaft mit dem Namen „Solidarität Algerien“, mit der sie auf die Probleme in ihrem Heimatland aufmerksam machen wollte: auf soziale Unterdrückung ihrer Landsleute, zunehmenden Fundamentalismus, Verschleppung und Vergewaltigung von Frauen, Terrorismus.
In ihrem Land tobte der Bürgerkrieg, als sie 1995 in Göteborg zur Weltmeisterschaft antrat. Die Veranstalter hatten die Sicherheitsvorkehrungen für sie verschärft. Sie ging nicht als Favoritin an den Start, aber sie gewann ihren zweiten Titel.
1996 wurde Boulmerka Herausgeberin einer algerischen Sportzeitung, 1999 wurde sie als Athletenvertreterin ins Internationale Olympische Komitee gewählt. Bewegen konnte sie dort zu ihrer großen Enttäuschung nichts. „Das IOK war nie wirklich demokratisch“, sagte sie in einem Interview mit der NZZ. „Es standen immense Summen zur Verfügung, um die Frauen im Sport zu fördern, aber passiert ist nichts.“ Boulmerka, die Unbequeme, hat versucht, daran etwas zu ändern. 2000 setzte der algerische Präsident deshalb eigenmächtig einen Mann auf die Wahlliste. „Die Intoleranz hat gesiegt“, sagte die Algerierin dazu.
Heute ist Hassiba Boulmerka eine erfolgreiche Geschäftsfrau. Sie hat eine eigene Firma, die Medikamente vertreibt. Vermutlich ist sie die einzige Frau in Algerien, die Shorts trägt. Und bis heute ist die unbeugsame, 1,65 m große Frau den Fundamentalisten ein Dorn im Auge. Dennoch läuft sie immer noch regelmäßig durch Algier. In kurzen Hosen, mit einer Waffe und zwei Leibwächtern.
Verfasserin: Andrea C. Busch
Literatur & Quellen
Quellen: Munzinger Sportarchiv 1996/1999 „Leichtathletik gegen Terror und Intoleranz“ von Remo Gaiser, Neue Zürcher Zeitung vom 4.8.02 „Die Sportlerin Hassiba Boulmerka“ von Günter Schroth, SWR4 Baden-Württemberg; Fragestunde, 10.8.05
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