Eric Huybrechts via Wikimedia Commons
Anonym agierende Aktivistinnengruppe zur Erhöhung des Frauenanteils im Ausstellungsbereich, in der Popkultur, und zur Aufdeckung von Sexismus und Rassismus in der Kunst; gegründet 1985 in New York
Biografie • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Wenn die Kunst die höchsten Ideale und Errungenschaften einer Kultur widerspiegeln soll, was sagt es dann aus, wenn sie die Werke von Frauen und ethnische Minderheiten unsichtbar macht? Das fragten sich kunstinteressierte Frauen in den USA der 1980er Jahre. Und sie gründeten eine interventionistische fluide Gruppe.
Im Jahr 1985 gab es mal wieder eine große Ausstellung im Museum of Modern Art. Das MoMA stellte Kunstwerke von insgesamt 169 KünstlerInnen aus, nur 10% davon waren Frauen. Spontan formierte sich die Gruppe als Antwort auf den Ausschluss. Seitdem prangern sie mit phantasievollen provokativen Aktionen Sexismus und Rassismus in Kunst, Popkultur, Film und Politik an. Unkenntlich gemacht mit Gorilla-Masken wollen sie die glatte Fassade der Kunstwelt stören. Die Gruppe agiert relativ strukturlos. Es können sich auch Nichtmitglieder als Guerrilla Girl bezeichnen, wenn sie gleiche Ziele verfolgen. An den öffentlichen Aktionen mitmachen kann jedoch nur eine, die sich aktiv mit moderner Kunst beschäftigt und eingeladen wird.
In der Regel tragen die Guerrilla Girls bei den Aktionen zum Schutz der Identität Affenmasken, was anfänglich auf einem Hörfehler basierte. Die Idee gefiel und blieb, nach außen benennen sich die Gruppenmitglieder nach verstorbenen Künstlerinnen, etwa Frida Kahlo oder Georgia O'Keeffe Damit konnte auch unterstrichen werden, dass der Fokus nicht auf den Personen, sondern auf der Diskussion des Themas liegen sollte.
Zunächst klagten sie durch den Einsatz von (eingeschmuggelten) Postern Museen, KunsthändlerInnen, KuratorInnen, KritikerInnen, Galerien und einzelne Ateliers wegen ihrer ungerechten Behandlung von weiblichen und später auch anderen ausgegrenzten KünstlerInnen an, wie etwa People of Color (POC).
Ins kollektive Gedächtnis gelangte die Aktion mit dem Poster: „Do women have to be naked to get into the Met. Museum?“ von 1989 („Müssen Frauen nackt sein, um in das Metropolitan Museum zu kommen?“). Die Plakate hingen lange an New Yorker Bussen und waren in der ganzen Stadt präsent. Die Banner erlangten schnell einen Kultstatus und wurden im Laufe der Jahre immer wieder erneuert.
Weitere im Straßenraum plakatierte Fragen waren waren z.B. „Wie viele Museen in New York zeigen Einzelausstellungen von Frauen oder People Of Color?“ oder „Welches Kunstmagazin war letztes Jahr schlimmer für Frauen?“. Auch gab es Auflistungen von männlichen Künstlern, die es ihre Arbeit in Galerien ausstellten, die kaum oder gar keine Werke von Frauen und POCs zeigten, von KunstkritikerInnen, die nur männliche Künstler bewerteten oder von Museen die keine oder kaum diverse Kunst ausstellten. Die Poster ähnelten Werbeplakaten, und die Guerrilla-Girls behielten stets einen satirischen Ton bei. Außerdem schickten sie Briefe an GaleristInnen und FachautorInnen mit ironischen Nachrichten wie:
„Liebe KunstsammlerInnen. Wir sind darauf aufmerksam geworden, dass Ihre Sammlung, wie die meisten, nicht genügend Kunst von Frauen enthält. Wir wissen, dass Sie sich deswegen schrecklich fühlen und die Situation sofort korrigieren werden. In Liebe, Guerrilla Girls.” (Guerrilla Girls – 1986)
Schon 1985 beteiligten sich die Guerrilla Girls an Protesten wegen eines Femizids an der Künstlerin Ana Mendieta, für deren Tod der Ehemann angeklagt war, jedoch aufgrund von mangelnden Beweisen freigesprochen wurde. In den folgenden Jahren nahmen sie an vielen Demonstrationen teil, sei es für die Rechte von Frauen, POC, die LGBTIQ+-Community oder für Menschen mit Einschränkungen in der Kunstszene.
Sie bezeichneten sich bald als „das Gewissen der Kunstwelt“ (Tate 2018) und erhielten dadurch auch schnell große Aufmerksamkeit. Bald beschwerten sich KuratorInnen, KunstkritikerInnen, u.a. ihnen würde nicht genug Zeit zur Antwort auf die von den Guerrilla Girls veröffentlichte Kritik gegeben. Als Antwort organisierten die GGs 1986 im Cooper Union, einem College im East Village, mehrere Foren, um diesen den Raum zu geben, ihre Sichtweise zu teilen. Langfristig kam es immer öfter zur Kooperation zwischen Guerrilla Girls und Museen. 1987 wurde zeitgleich mit der Whitney Biennale die schlechte Bilanz des Museums bei der Ausstellung von Frauen und POC KünstlerInnen in einer Informationsausstellung aufgezeigt.
Auf Postkartenkampagnen oder Demonstrationen bei der Eröffnung des Guggenheim Museums in SoHo wurden Teilnehmende aufgerufen, Taschen mit aufgedruckten Gorillaköpfen zu tragen. AktivistInnen konzipierten neue auffällige Plakate und sandten Postkarten mit ihrer Kritik an das Museum.
Über die Jahre intervenierten sie nicht mehr nur in den USA, sondern auch in Ländern wie China, Island oder Mexico. Thematisch fokussierten sie sich nicht länger auf die Kunstszene, sondern veröffentlichten auch Statements zu allgemeinpolitischen Themen wie dem Recht auf Abtreibung oder dem Klimawandel.
Auch in Deutschland waren die AktivistInnen wiederholt präsent: 2015 kooperierten die Guerrilla Girls mit dem Museum Ludwig in Köln, - hier hängten sie außen ein großes Plakat an die Museumswand mit der Aufschrift: „Die Vorteile ein eigenes Kunstmuseum zu besitzen“. Im Jahr 2023 wurden sie eingeladen, die Nichtachtung von Künstlerinnen, vor allem Grafikerinnen, im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg, spielerisch aufzuzeigen. Ein riesiges Plakat mit der Aufschrift: „Dieses Franzbrötchen repräsentiert die 400.000 grafischen Arbeiten im MK&G. Dieser Krümel steht für die Arbeiten von Frauen: 1,5%“ provozierte außen am Gebäude und lud zur Beschäftigung mit der Thematik ein. U.a. wurden mehrere Hundert Zines von Frauen gezeigt.
Ihr erstes Buch erschien 1995 unter dem Titel „Confessions Of The Guerrilla Girls“, es enthält persönliche Geschichten, Poster und fachliche Beiträge. Es folgten viele weitere Veröffentlichungen wie „The Guerrilla Girls‘ Bedside Companion To The History of Western Art“ oder „Guerrilla Girls. The Art of Behaving Badly“. 2015 begannen sie, ihre Botschaften und Essays in Videoform auf YouTube zu veröffentlichen.
Die Aktivistinnen brachten die Museumsleitungen vor Ort spürbar dazu, die eigenen Bestände, vor allem auch Depots auf Kunstwerke von Frauen hin zu durchforschen und diese sowohl statistisch zu erfassen als auch häufiger auszustellen.
Bis heute produzieren die GG Bücher, Poster, Reels oder Sticker und engagieren sich aktiv gegen Diskriminierung durch Performances, Auftritte, Workshops, Demonstrationen und Ausstellungen.
(Text von 2024)
Verfasserin: Irene Franken und Anna Seregin
Links
https://www.guerrillagirls.com/ Dokumente und eigenen Statements:
The Met “Do Women Have To Be Naked To Get Into the Met. Museum?”, 1989, https://www.metmuseum.org/art/collection/search/849438 .
Street, A., L.L.C.: „Document 8: Guerrilla Girls, Cooper Union Advertisement, 1986, in: Confessions of the Guerrilla Girls, by the Guerrilla Girls (whoever they really are) New York: Harper Perennial, 1995), p. 42.“ , erreichbar unter: https://documents.alexanderstreet.com/d/1000676708.
Manchester, E. (2005): „What Do These Artists Have In Common?“, Tate, erreichbar unter: https://www.tate.org.uk/art/artworks/guerrilla-girls-what-do-these-artists-have-in-common-p78809.
Guerrilla Girls (2024) “BOOKS BY THE GUERRILLA GIRLS” https://www.guerrillagirls.com/books
Guerrilla Girls (2024) “OUR STORY” https://www.guerrillagirls.com/our-story
Guerrilla Girls (2024) “POSTERS, STICKERS, BILLBOARDS, VIDEOS, ACTIONS: 1985-2023”, https://www.guerrillagirls.com/projects
Tate: “Who are the Guerrilla Girls?”, www.tate.org.uk/art/artists/guerrilla-girls-6858/who-are-guerrilla-girls.
Filme:
Youtube z.B. Guerrilla Girls – 'You Have to Question What You See' | Artist Interview | TateShots https://www.youtube.com/watch?v=8uKg7hb2yoo (Stand 02.03.2024).
Arte (2018): “Guerrilla Girls - Ikonen des Kunstaktivismus“, https://www.arte.tv/de/videos/084820-016-A/guerrilla-girls-ikonen-des-kunstaktivismus/ (Stand 02.03.2024).
Literatur & Quellen
Bonin, Wibke von (1992): Die Guerrilla Girls, in: EMMA, Heft: 1, S. 12-18.
Caldwell, E. C. (2015): “The Guerrilla Girls Turn 30”, https://daily.jstor.org/the-guerrilla-girls-turn-30/.
Confessions Of The Guerrilla Girls by the Guerrilla Girls (whoever they really are) (1995), New York: Harper Perennial.
Guerrilla Girls (Hg.) (1998): The Guerrilla Girls' bedside companion to the history of western art, Penguin Books.
Guerilla Girls (2003): Bitches, Bimbos and Ballbreakers. The Guerrilla Girls' Illustrated Guide to Female Stereotypes, Penguin Books.
Grande, V; Rossetti, E. (2022): „Frauen, die die Kunst revolutioniert haben“, Laurence King Verlag (Teil einer Graphic Novel).
Lindner, I. (1994): „Prickelnd bis ätzend: Interventionsstrategien der Guerrilla Girls.“, in: FKW//Zeitschrift für Geschlechterforschung und visuelle Kultur.
Knöfel, U. (2018): „Guerillas unter Gorilla-Masken“, in: https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/guerrilla-girls-feministische-vorkaempferinnen-unter-gorilla-masken-a-1189914.html .
Schößler,Franziska (2012): “Wer hat Angst vor Josephine Beuys?” Die Guerrilla Girls sprengen den (US-amerikanischen Kunstmarkt), in: Rebellisch verzweifelt infam. Das böse Mädchen als ästhetische Figur, Aisthesis, S. 491-508.
Wüst, Florian (1994): Guerrilla Girls. Conscience of the Art World, in: Frauen in der Literaturwissenschaft, Heft: 43 , S. 19-20.
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