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geboren am 3. März 1928 in Wichlstadt / Ostböhmen
gestorben am 23. Januar 2020
deutsche Schriftstellerin
Biografie
Gudrun Pausewang zum 90. Geburtstag
Sie war unsere erste Lehrerin. Wir ihre erste Klasse. Sie hat uns Lesen, Schreiben und Rechnen beigebracht. Als wir im dritten Schuljahr waren, sagte sie uns, wir bekämen jetzt eine neue Lehrerin, denn sie würde für längere Zeit ganz weit weg reisen. Aber wir könnten ihr Briefe schreiben, an die Deutsche Schule in Temuco, Chile.
Das habe ich wohl getan, denn im März 1958 kam ein dünner Luftpostbrief, in dem sie mir für meine Geburtstagsglückwünsche dankte und von einer mehrmonatigen Reise durchs Amazonasgebiet erzählte.
Es kamen noch viele Briefe mit Schilderungen abenteuerlicher Reisen und dem Leben am anderen Ende der Welt; heute bin ich sicher, dass sie meine eigene Leidenschaft für ferne Länder geschürt haben. Für ein Erdkunde-Referat schickte sie mir Fotos; und als auch ich die hessische Kleinstadt und den europäischen Kontinent verlassen hatte, ging unsere Korrespondenz zwischen Afrika und Südamerika weiter.
Inzwischen war sie von Chile nach Venezuela gezogen, unterrichtete und schrieb Bücher.
Beide kehrten wir Ende 1963 nach Deutschland zurück, wir trafen uns auch, aber für mich war sie eine fremde Frau, die ich nicht mit den Briefen in Verbindung brachte - ich schrieb ihr nicht mehr. Aber ich las ihre Bücher, versuchte mich auch an einer Besprechung von „Aufstieg und Untergang der Insel Delfina“, ihrem neunten und bis dahin erfolgreichsten Buch.
Mit dem Lesen kam ich kaum nach: jedes Jahr erschienen zwei bis drei Bücher von ihr. Sie hatte ihr Talent für Kinder- und Jugendliteratur entdeckt und eroberte den Buchmarkt und die Klassenzimmer. „Die letzten Kinder von Schewenborn“ wurde ein internationaler Bestseller, und Gudrun Pausewang mit diesem Roman über die Folgen eines Atombombenabwurfes auf Deutschland zur Ikone der Friedensbewegung der 1980er Jahre. In dem Ich-Erzähler, dem Teenager Roland, finden sich die Kriegstraumata der Autorin wieder: Als sie 15 Jahre alt war, fiel ihr Vater; im Sommer 1945 flüchtete sie mit ihrer Mutter und fünf jüngeren Geschwistern aus ihrer böhmischen Heimat. Monatelang waren sie zu Fuß mit einem Handwagen, dann mit der Eisenbahn unterwegs - beschrieben und zornig reflektiert ist das in dem Buch „Fern von der Rosinkawiese“. Dieses Buch erschien 1989, dem Jahr ihrer Pensionierung.
Nun konnte sie noch mehr schreiben und noch häufiger reisen. Gerade hatte sie für „Die Wolke“ den Deutschen Jugendliteraturpreis bekommen und war entsprechend gefragt. So fuhr sie zu Einladungen im In- und Ausland, entdeckte neue Welten wie Nordamerika, Russland und China. Sie kehrte auch zu Besuch auf die böhmische „Rosinkawiese“ zurück, wo sie geboren und aufgewachsen war. Vom Leben in dieser schwierigen aber selbstbestimmten alternativen Idylle gibt es Berichte ihrer Mutter Elfriede Pausewang, die Tochter Gudrun 1983 veröffentlichte.
Die Umweltbewegung und die Grünen waren ihre politische Heimat in den 1980er Jahren, jener Zeit, in der wir unseren Briefwechsel wieder aufnahmen: Meine „Bantu-Märchen“, die ich ihr schickte, sah sie kritisch: sie sei allergisch gegen schriftlich fixierte Märchen, und ich erlaubte mir, als ich sie besuchte, eine kleine Spitze: warum ihr Haus dann ausgerechnet im „Brüder-Grimm-Weg“ stehe.
Sie könne gar nicht so schnell schreiben, wie ihr die Ideen und Themen zufielen, sagte sie damals.
Mehrere ihrer Bücher beschäftigen sich auch mit dem Nationalsozialismus, unter dem sie aufwuchs.
An die hundert Bücher hat Gudrun Pausewang verfasst, darunter auch eine Dissertation über vergessene Jugendbuchautoren, mit der sie als Siebzigjährige den Dr. phil. der Universität Frankfurt am Main erwarb. Vorher schon war ihr Werk Gegenstand einer Promotion gewesen.
Fünfzehn bemerkenswerte Auszeichnungen ehren sie, darunter das Bundesverdienstkreuz und der Deutsche Jugendliteraturpreis für ihr Lebenswerk, das eine Gemeinsamkeit hat: Menschen jeden Alters mit spannenden Geschichten zu erfreuen und zugleich vor den Geißeln unserer Zeit zu warnen: Totalitarismus, Umweltzerstörung und Krieg.
Ihre letzten Lebensjahre verbrachte Gudrun Pausewang in einer Seniorenresidenz in Franken, liebevoll umsorgt von Sohn, Schwiegertochter und sieben Enkelkindern.
(Text von 2018, aktualisiert im Januar 2020)
Verfasserin: Almut Seiler-Dietrich
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