geboren am 15. August 1940 in St. Bartholomä
gestorben am 18. Oktober 1977 in Stuttgart-Stammheim
deutsche politische Aktivistin
80. Geburtstag am 15. August 2020
Biografie • Zitate • Literatur & Quellen
Biografie
Nach dem Tod des 26-jährigen Studenten Benno Ohnesorg, erschossen von dem Polizisten Karl-Heinz Kurras auf einer Demonstration gegen den Schahbesuch in Berlin am 2. Juni 1967, trafen sich die aufgebrachten und ratlosen DemonstrationsteilnehmerInnen noch in der Nacht im Büro des SDS auf dem Kurfürstendamm. „Dieser faschistische Staat ist darauf aus, uns alle zu töten. Wir müssen Widerstand organisieren. Gewalt kann nur mit Gewalt beantwortet werden. Dies ist die Generation von Auschwitz – mit denen kann man nicht argumentieren.“
Die das sagte, war Gudrun Ensslin, Studentin der Philosophie, Anglistik und Germanistik, Stipendiatin der Studienstiftung des Deutschen Volkes, frühere SPD-Wahlkämpferin und Mutter eines gerade zwei Wochen alten Sohnes.
Das vierte von sieben Kindern einer Pfarrersfamilie, aufgewachsen am Ostrand der Schwäbischen Alb, hatte im aufgeklärten Elternhaus gelernt, dass Christentum auch politischen und soziales Handeln einschließt. Die vor einigen Jahren noch die Bibelarbeit in der evangelischen Gemeinde in Bad-Cannstatt geleitet hatte, wurde in ihrem politischen Handeln immer radikaler.
Am 2. April 1968 brannten in Frankfurt zwei Kaufhäuser. Die Brandstifter: Gudrun Ensslin, Thorwald Proll, Horst Söhnlein und Andreas Baader, den Ensslin im Sommer 1967 kennengelernt hatte. „Wir taten es aus Protest gegen die Gleichgültigkeit, mit der die Menschen dem Völkermord in Vietnam zusehen… Wir haben gelernt, dass Reden ohne Handeln unrecht ist“, sagte sie vor dem Richter. Die vier werden zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, von dem sie eines absitzen; der Reststrafe entziehen sie sich durch Flucht nach Frankreich und Italien.
„Wir führten endlose Diskussionen über die richtige Strategie und Taktik, das Verhältnis von Massenbewegungen und die Zuspitzung sozialer und politischer Widersprüche durch eine militante Gruppe“, erinnert sich Astrid Proll an diese Zeit. Im Februar 1970 tauchen Baader und Ensslin in Berlin unter. Nach der gewaltsamen Befreiung von Andreas Baader aus der Haftanstalt Berlin-Tegel am 14. Mai 1970 verschwindet die Gruppe um Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Andreas Baader in der Illegalität. Von Juni bis September 1970 werden sie in Syrien und Jordanien von Einheiten der palästinensischen Befreiungsbewegung in Guerillataktik unterwiesen. Die Revolutionäre Armee Fraktion war entstanden.
In Berlin und der BRD kommt es zu ersten Sprengstoffanschlägen und Banküberfällen. Schnell eskalierten die terroristischen Formen politischen Protests. 1972 sind alle Gründungsmitglieder der RAF verhaftet, als letzte wurde Gudrun Ensslin am 7. Juni 1972 festgenommen, in einer Boutique auf dem Hamburger Jungfernstieg. 1974 erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage gegen die fünf Kernmitglieder der Gruppe. In Stuttgart-Stammheim beginnt der längste, teuerste und zermürbendste Prozess in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Beschuldigten sind von der Haft schwer gezeichnet. Ihre Verwahrung im „toten Trakt“ und ihre „Isolationsfolter“ haben sie immer wieder mit Hungerstreiks beantwortet. „Unterschied toter Trakt und Isolation: Auschwitz zu Buchenwald. Der Unterschied ist einfach: Buchenwald haben mehr überlebt als Auschwitz“, sagt Gudrun Ensslin. Die Nacht vom 17. auf den 18. Oktober 1977 hat sie nicht überlebt. Mord oder Selbstmord? Die Antwort darauf ist bis heute strittig.
(Text von 1999)
Verfasserin: Susanne Gretter
Zitate
Na warte, die Kostüme der Müdigkeit – wie ich sie satt, wie ich sie gefressen habe, wie sie mir zum Hals raus zehntausendmal um die ganze Welt gehangen und mich erwürgt haben – die raunenden Pastoren, Pfadfinder, Tantchen, fressenden Weiber, Jüngelchen, uralte von Schminke erstickte leblose Wesen – wie ich das satt habe – Hunger!
(Gudrun Ensslin an Ulrike Meinhof, November 1974)
Literatur & Quellen
Aust, Stefan. 1997. Der Baader-Meinhof-Komplex. Stark erw. u. aktualis. Ausg. Hamburg. Hoffmann u. Campe.
Harenbergs Personenlexikon 20. Jahrhundert: Daten und Leistungen. 1991. Dortmund. Harenberg Lexikon-Verlag.
Proll, Astrid. 1998. Hans und Grete: Die RAF 1967-1977. Göttingen. Steidl.
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