geboren am 11. August 1919 in Paris
gestorben (abgestürzt) am 28. Oktober 1949 über den Azoren
französische Geigerin
105. Geburtstag am 11. August 2024
75. Todestag am 28. Oktober 2024
Biografie • Zitate • Literatur & Quellen
Biografie
Ginette Neveu war eine Geigerin von unerhörter Ausdruckskraft und großer Souveränität und ihrer Zeit weit voraus, war doch ihr Spiel stilbildend für nachfolgende Generationen. Sie war eine Frau von herber Schönheit, zupackender Intelligenz und profunder Bildung.
Manchem Kritiker war ihr Spiel nicht “weiblich” genug. Sie sagte: “Das Wichtigste für den Künstler ist die Individualität, die sich immer weiter steigern muß.” Wir hören heute – auf den wenigen verbliebenen Tondokumenten – einen sonoren, fast aggressiven Ton, der niemals “gewalttätig” ist, konnte sie doch auch mit einer wundervoll zarten Kantilene aufwarten.
Ich meine, daß sich die Frage nach einer geschlechtsspezifischen Spielweise bei so großer Kunst verbietet. Kein besseres Beispiel für diese Kunst ist denkbar als die Aufnahme des Violinkonzertes von Brahms, die am 3. Mai 1948 in der Hamburger Musikhalle entstand. Dieser einzige Mitschnitt eines Neveu-Konzertes – alle anderen Aufnahmen sind Studio-Produktionen – übertrifft bei weitem die Einspielung vom August 1946 in London, weil die ebenfalls unglaubliche Dynamik des Dirigenten Hans Schmidt-Isserstedt (mit dem Sinfonieorchester des damaligen NWDR) ein Zusammenwirken ermöglichte, das seinesgleichen sucht. Es ist die wohl dramatischste Interpretation dieses Werkes, erfüllt von intensivster Lust am Espressivo.
Neveu machte eine erstaunliche Karriere. Im Alter von fünf Jahren begann sie, bei ihrer Mutter, das Violinspiel. Zunächst in Frankreich nicht beachtet, erregte die erst Neunjährige Aufsehen in Berlin. Mit elf errang sie das Abschlußdiplom des Pariser Konservatoriums. 1931 wurde sie Schülerin von Carl Flesch. 1935 gewann sie, gerade sechzehn Jahre alt, den ersten Preis beim Wieniawski-Wettbewerb in Warschau – vor dem elf Jahre älteren David Oistrach.
Eine Weltkarriere begann, wurde unterbrochen durch den zweiten Weltkrieg und danach triumphal fortgesetzt – und war jäh zu Ende am 28. Oktober 1949, als sie bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam. Mit ihr starben ihr Bruder Jean-Paul Neveu, der sie so oft und so glänzend am Klavier begleitet hatte, und Edith Piafs große Liebe, der Ex-Boxweltmeister Marcel Cerdan.
Ende Oktober 1949 beging die 58jährige Wienerin Margarete Frömel Selbstmord, weil Neveu gestorben war. In der Zeitungsnotiz (Erstausgabe der FAZ, 1. Nov. 1949) hieß es, die beiden seien befreundet gewesen.
Was wäre geschehen, wenn ...? Zulässig ist nur eine Antwort: Ginette Neveu ist eine der ganz großen MusikerInnen unseres Jahrhunderts.
Für FemBio aktualisiert von Luise F. Pusch
Verfasserin: Jürgen Speckmann (1944-2003)
Zitate
Mein Kind, du bist mit einer Gottesgabe beschenkt, die ich gar nicht anrühren möchte. Alles, was ich machen kann, ist, dir ein paar technische Ratschläge zu geben. (Carl Flesch, ihr Lehrer von 1931 bis 1935)
Ginette Neveu zu ihrem Lehrer George Enescu, der von ihr einen bestimmten Strich wünscht: “Ich tue, was ich verstehe, nicht was mir entgeht.”
Literatur & Quellen
Ginette Neveu: Brahms, Violinkonzert, Mitschnitt aus Hamburg. ACANTA Compact Disc, 43314.
Hartnack, Joachim W. 1983. Große Geiger unserer Zeit. Zürich. Atlantis.
Roeseler, Albrecht. 1987. Große Geiger des Jahrhunderts. München. Piper.
Ronze-Neveu, M. J. 1956 (1952). Ginette Neveu. London.
Roth, Henry. 1982. Master Violinists in Performance. Neptune City, NJ. Paganiniana Publications.
The Complete Recorded Legacy of Ginette Neveu. EMI RLS 739 (4 record set 153-53743/&M): Sibelius, Brahms, Chausson, R. Strauss, Debussy, Ravel - hieraus: Die Violinkonzerte von Brahms und Sibelius: EMI Compact Disc CDH 7610112.
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