geboren am 29. Februar 1896 in Bernburg
gestorben am 30. September 1961 in der Heil- und Pflegeanstalt Münsingen
Schweizer Malerin
60. Todestag am 30. September 2021
Biografie • Zitate • Literatur & Quellen
Biografie
Das Behandlungsprogramm, das Gertrud P. in 40 Jahren in Schweizer Irrenanstalten erleiden musste, liest sich wie ein Folterszenario: Wachsaal (mit Fesselung), Isolierzimmer, Dauerbad, Schlaf- und Insulinkuren, Elektroschocks und schließlich 1953 - trotz aller Gegenwehr - die Leukotomie, die Hirnoperation. Genützt haben diese Quälereien nichts; von 1921, dem Jahr ihrer Einlieferung, bis zu ihrem Tod blieb sie verfolgt von Angstgefühlen, “verbotenen” (d.h. sexuellen) Vorstellungen und unkontrollierbaren Erregungszuständen. Sie schwankte ständig zwischen freundlicher, sanfter Liebenswürdigkeit und wütender, gegen sich selbst und andere gerichteter Aggressivität; die Diagnose lautete Schizophrenie.
Die “schwachen Nerven” lagen in der Familie. Der Vater starb, als sie 4 Jahre alt war, nach einem Hirnschlag in einer Irrenanstalt, ein Onkel und später die Schwester begingen Selbstmord. Die Mutter, eine “strenge, tüchtige und gottesfürchtige Pfarrerstochter” (Pulver) kämpfte um die Wahrung der bürgerlichen Fassade. Mit ihren drei Kindern zog sie nach dem Tod des Mannes nach Bern. Gertrud, die Jüngste, setzte durch, dass sie privaten Zeichenunterricht bei der Malerin Marguerite Frey nehmen durfte, die sie für hochbegabt hielt und weiterempfahl an Paul Klee. Von ihm wurde sie in Bern und München unterrichtet. Doch weder finanziell noch emotional konnte sie sich von der Familienabhängigkeit befreien.
Als die Stadt Bern ihr 1920 ein Stipendium für Paris bewilligte, war sie voller Vorfreude, aber auch ängstlich, weil sie allein reisen musste und kein Französisch sprach. Sie machte sich Gedanken, ob die Mutter sich nicht einsam fühlen würde, und versprach dem Bruder, ganz bald zurückzukehren. Das tat sie dann auch; ein gutes Jahr später wurde sie - für immer - in die Anstalt eingeliefert. Gertrud P. (ihr voller Name wird bis heute - auf Wunsch der Familie? - geheimgehalten) wurde der Öffentlichkeit erst kürzlich bekanntgemacht - durch eine von Corinne Pulver organisierte Ausstellung im Berner Casino 1987 sowie einen Fernsehfilm und eine Biographie, ebenfalls von Pulver.
(Text von 1995)
Verfasserin: Andrea Schweers
Zitate
Sie hat also in der Klinik mehr Freiheiten gehabt, als sie draußen gehabt hätte (...). (Dr. Rolf Kaiser, Oberarzt Münsingen)
Ich will und möchte nun wirklich nicht länger mehr hierbleiben. (Gertrud P. in einem Brief an ihre Mutter, 5.11.1923)
Literatur & Quellen
Pulver, Corinne. 1988. Gertrud P.: Das Drama einer begabten Frau. Kreuzlingen; Bern. Edition Erpf bei Neptun.
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