(Bülow, Frieda Sophie Luise von; Buelow, Frieda von; Buelow, Frida von; Bülow, Frida von; Bülow, Frieda Freiin von)
geboren am 12. Oktober 1857 in Berlin
gestorben am 12. März 1909 in Jena
deutsche Schriftstellerin, Afrikareisende, Kolonialistin
115. Todestag am 12. März 2024
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen • Bildquellen
Biografie
Es lohnt sich, an Frieda von Bülow zu erinnern, wenn wir auch in Deutschland beginnen, unsere koloniale Vergangenheit in Afrika aufzuarbeiten und dabei koloniale Frauen entdecken. Frieda von Bülow gehört jedoch nicht zu jenen Frauen der deutschen Geschichte, die wir aus heutiger, vielleicht international und multikulturell aufgeschlossener Sicht leicht ins Herz schließen. Sie war mit der vollkommenen Selbstverständlichkeit der Bismarckzeit Rassistin, überzeugte Antisemitin, geradezu chauvinistische Nationalistin und ein Herrenmensch. Und doch war sie zugleich eine von jenen ungewöhnlich mutigen Frauen, die den engen Aktionsradius, der aller Weiblichkeit um 1900 gesteckt war, weit überschritt und damit als Vorkämpferin für neue Handlungsspielräume für Frauen gelten muss, von denen wir heute profitieren. Und schließlich können wir ja nicht – nach dem Vorbild der Linsenauslese im Aschenputtel-Märchen – nur die uns liebsamen Vorfahrinnen ins „Töpfchen“ der feministischen Annalen aufnehmen und die uns weniger liebsamen im „Kröpfchen“ des Vergessens verschwinden lassen.
Wer war sie also, diese durchaus mit Frauenthemen befasste, aber zugleich fest an die Überlegenheit der weißen Rasse und insbesondere der Deutschen glaubende, Ostafrika im Gebiet des heutigen Tansanias bereisende und dort als Organisatorin von Krankenstationen und als Plantagenbesitzerin arbeitende Schriftstellerin Frieda von Bülow? Und wie lässt sich ihre heute schwer nachvollziehbare Mischung aus Feminismus und Rassismus erklären?
Geboren wurde Frieda von Bülow in eine alte Adelsfamilie, die ihr klare Vorstellungen von einer nach Stand und Rasse hierarchisch unterteilten, „natürlichen“ Gesellschafts- und Weltordnung mit auf den Weg gab. Vater Hugo von Bülow war Legationsrat am preußischen Konsulat in Smyrna (dem heutigen Izmir in der Türkei), wo Frieda einen Teil ihrer Kindheit verbrachte. Als er 1869 starb, übersiedelte die Mutter Clotilde, geb. von Münchhausen, mit ihren fünf Kindern in die pietistische Herrnhuter Brüdergemeine in Neudietendorf in Thüringen. Der nicht besonders religiösen Frieda bot das nahegelegene Gut Ingersheim ihrer Großmutter und ihres Onkels von Münchhausen eine Fluchtburg, in der sie mit ihrer schriftstellerisch hochtalentierten und von Frieda als seelenverwandt geliebten Schwester Margarete nach Herzenslust lesen und Phantasiespielen nachgehen konnte. Beide gingen als junge Frauen für einige Zeit nach England und zogen 1881 mit der Großmutter und der dritten Schwester Sophie nach Berlin, wo die Enkelinnen – und das war unglaublich fortschrittlich für diese Zeit! – eine Ausbildung erhielten. Sie legten das Lehrerinnenexamen ab, und Frieda unterrichtete zeitweilig an einer Schule für höhere Töchter. Für sie begann in Berlin ein relativ selbständiges Leben – zum einen in Freundschaft mit politisch aktiven Frauen wie ihrer früheren Lehrerin Helene Lange, der später führenden Vertreterin der bürgerlichen Frauenbewegung, zum anderen in gehobenen Kreisen adlig-patriotischer Wohltätigkeit. Kaiserin Auguste Viktoria fand wohlgefällige Worte für sie, als sie sich im Berliner Augustakrankenhaus in Krankenpflege ausbilden ließ.
Jedoch brach im Winter 1884 für Frieda von Bülow eine Welt zusammen: die Lieblingsschwester Margarete ertrank im Rummelsburger See bei Berlin, nachdem sie ein ins Eis eingebrochenes Kind gerettet hatte. Mit dieser Schwester ging Frieda eine Geistes-, Gefühls- und Seelenverbindung verloren, die sie nie wieder finden sollte, und die sie kurz vor ihrem Tod in dem Roman Die Schwestern. Geschichte einer Mädchenjugend (1909) literarisch verarbeitete. 1891 starb die Mutter, 1893 beging ihr Bruder Kuno infolge einer unglücklichen Liebesgeschichte Selbstmord, und der andere Bruder Albrecht fiel schon im Jahr zuvor als Kompanieführer der Kaiserlichen Schutztruppe am Kilimandscharo in Ostafrika und hinterließ seinen Schwestern Frieda und Sophie eine Palmenpflanzung und einen Kalkbruch in der Nähe der ostafrikanischen Hafenstadt Tanga. Mit beiden Brüdern hatte Frieda das große Interesse für Afrika geteilt.
Nach dem erschütternden Tod von Margarete suchte Frieda von Bülow einen neuen Lebenssinn und fand ihn im Einsatz für die koloniale Sache. Nach einer Italienreise, die sie auf andere Gedanken bringen sollte, und kurz nach der berühmten Kongo-Konferenz, die Reichskanzler Bismarck 1884 in Berlin ausrichtete, und auf der die europäischen Kolonialmächte Afrika unter sich aufteilten, lernte Frieda von Bülow im Jahr 1885 Carl Peters (1856-1918) kennen und verliebte sich in ihn. Peters war zu dieser Zeit einer der populärsten Fürsprecher für die Etablierung deutscher Kolonien und Mitbegründer der Gesellschaft für deutsche Kolonisation, aus der dann die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft (DOAG) entstand. Mit ihm und Martha und Eva von Pfeil gründete Frieda von Bülow 1886 zielstrebig und erfolgreich die Evangelische Missionsgesellschaft für Deutsch-Ostafrika und (ohne Peters, aber mit seiner Unterstützung) den Deutsch-nationalen Frauenbund zur Krankenpflege in den Kolonien.
Als einzige weibliche Vorstandsmitglieder unter 18 Männern überzeugten Martha von Pfeil und Frieda von Bülow die Missionsgesellschaft, ihre kolonialen Bemühungen vorerst nicht auf Missionsarbeit, sondern auf Krankenpflege zu konzentrieren und Frieda von Bülow nach Ostafrika zu schicken, um in jenem Teil des dortigen Festlands, der mit diplomatischem und militärischem Nachdruck bereits unter deutschen “Schutz” gestellt worden war, Krankenstationen aufzubauen. Zum Zweck des “fund raisings” dafür wurden Theaterabende, Bälle und Bazars ausgerichtet – oftmals im Berliner Heim der Bülows. Krankenpflege verstand Frieda von Bülow allerdings keineswegs, wie damals sonst üblich, als eine gottgefällige Verpflichtung von Krankenschwestern zur Selbstaufopferung, sondern als eine Möglichkeit der respektablen Arbeit für Frauen des Adels und Bürgertums. Und sich selbst sah sie in Deutsch-Ostafrika weniger in der Rolle der Krankenpflegerin als in der Position der leitenden Organisatorin von Krankenstationen und Einführerin moderner Pflegemethoden und Hygiene. Obwohl diese Krankenstationen natürlich für weiße Deutsche vorgesehen waren, muss hier zu Bülows Ehrenrettung erwähnt werden, dass sie und ihre Mitarbeiterin regelmäßig auch AraberInnen, InderInnen und schwarze AfrikanerInnen behandelten – so lesen wir zumindest in Bülows Werken.
In Begleitung der Krankenschwester Bertha Wilke also reiste Frieda von Bülow von Mai 1887 bis April 1888 im Auftrag der Missionsgesellschaft und des Deutsch-nationalen Frauenbundes nach Deutsch-Ostafrika. Ihre einmonatige Reise führte sie abwechselnd per Zug und Schiff erst durch den St. Gotthard, dann von Venedig nach Alexandria und Suez (Ägypten) und schließlich über Lamu und Mombasa (heute Kenia) auf die Insel Sansibar vor der ostafrikanischen Küste. Hier fand sie eine Mischung aus Kolonialabenteurern, Kolonialbeamten, Vertretern von Handelsunternehmen, MissionarInnen und Militärs aus allen europäischen Ländern vor, die sich im Gerangel um Vormachtstellungen in Afrika bei vergnüglichen Empfängen und Exkursionen teils skeptisch beäugten, teils solidarisch unterstützten. Laut Bülows Buch Reisescizzen und Tagebuchblätter aus Deutsch-Ostafrika (1889) wurde die Baronin von Bülow als standesgemäßes Mitglied in dieser Welt, in der es wenige weiße Frauen gab, willkommen geheißen und in ihrem karitativen Vorhaben wohlwollend unterstützt, nicht zuletzt von ihrem Geliebten Carl Peters, der als Leiter der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft die “Eroberung” der Kolonie Deutsch-Ostafrika für Deutschland initiiert hatte und nun mit allen Mitteln der Diplomatie und Gewalt durchsetzte.
In der Liebe zu Peters verband sich für Bülow ein hohes Maß an Gefühl, der gemeinsame Glaube an den Wert der kolonialen Sache für die Weltmachtstellung der deutschen Nation und damit der gemeinsame patriotische Einsatz zum Wohle dessen, was sie als deutsches Vaterland betrachteten. Obwohl sich Bülow und Peters im Dezember 1887 trennten, blieben sie in brieflichem Austausch. Und selbst nachdem Peters wegen politischer Eigenmächtigkeit und Brutalität gegenüber kolonisierten AfrikanerInnen (bei denen er den unrühmlichen Spitznamen “Mann mit den blutigen Händen” erhielt) beim deutschen Auswärtigen Amt, im Reichstag (besonders bei August Bebel) und in der deutschen Presse in Ungnade gefallen und schließlich seines Amtes enthoben worden war, setzte Bülow sich in einigen ihrer Schriften weiter für diesen “genialen Mann”, wie sie ihn nannte, ein. Lange nach ihrem Tod wurde ihr Roman Im Lande der Verheißung (1899) in der Nazi-Zeit, die sich der Hoffnung hingab, die 1918 durch den Versailler Vertrag verlorenen deutschen Kolonien in Afrika wiederzuerlangen, mit dem Zusatztitel Ein deutscher Kolonialroman um Carl Peters mehrfach neu aufgelegt; und Carl Peters wurde 1941 in dem Nazi-Propagandafilm “Carl Peters” mit Hans Albers in der Hauptrolle zum Helden verewigt.
Doch zurück zu Ostafrika im Jahr 1887: Die Liebe zu Peters wurde für Frieda von Bülow zum beruflichen Fallstrick. Zwischen ihr und der Missionsgesellschaft und dem Deutsch-nationalen Frauenbund kam es zwar ohnehin zu Zerwürfnissen über zu hohe Geldausgaben, über die Standorte der Krankenstationen, über ihre schriftstellerisch-journalistischen Publikationen in deutschen Zeitschriften; nicht zuletzt aber wurde ihr vorgeworfen, einen zu vertraulichen Umgang mit führenden Männern der im Entstehen begriffenen Kolonie Deutsch-Ostafrika zu pflegen. Selbständige Entscheidungen auf Managerinnenebene, öffentliches Auftreten in der Presse, geselliges Leben und schon gar unverheiratete Liebe gehörten nicht ins Bild der züchtigen Krankenpflegerin – sei es in Deutschland oder Afrika. Bülow wurde in absentia ihres Amtes enthoben und kehrte im April 1888 nach heftiger Malariaerkrankung über Bombay zurück zu Mutter und Schwester Sophie in Freiburg. Ihr Versuch, sich mit dem Vorstand des Deutsch-nationalen Frauenbundes für Krankenpflege in den Kolonien auszusöhnen, blieb ohne Erfolg.
Eine zweite Reise nach Deutsch-Ostafrika unternahm Frieda von Bülow vom Mai 1893 bis April 1894. Diesmal reiste sie ganz allein und wieder mit einem bahnbrechenden Vorhaben: sie wollte – als erste Frau mit einem solchen Ansinnen – die Leitung der von ihrem Bruder Albrecht ererbten Palmenplantage und seines Kalkbruchs in der Nähe des Küstenortes Tanga übernehmen und hoffte, sich nach dem Muster eines deutschen Gutsbetriebs ein Landgut in Afrika aufzubauen. Trotz eigentlich erfolgreicher Arbeit scheiterte Bülow als alleinstehende Frau und relative Kleinunternehmerin. Ihre Biographin Sophie Hoechstetter, die im Jahr vor Bülows Tod viel Zeit mit ihr verbrachte, schreibt 1910 in ihrem etwas ans Hagiographische grenzenden Buch Frieda Freiin v. Bülow: “Obwohl damals das [ostafrikanische] Land ja längst unter dem Schutze des Reiches stand, ließ das Auswärtige Amt Frieda v. Bülow erklären, daß es den Schutz von Privateigentum nicht übernehmen könne, daß vor allem für den Schutz einer einzelnen Persönlichkeit keine Garantie geleistet würde. [...] man wünschte vorläufig nicht kleineren Privatbesitz dort” (S. 169).
Nach der zweiten Rückkehr aus Afrika zog sich Bülow aus dem öffentlichen und aktivistischen Leben zurück und verlegte sich ganz auf das Schreiben. Sie veröffentlichte zahlreiche Skizzen, Essays, Erzählungen, Novellen und viele Romane zu Themen, die vom Leben in den Kolonien über das ihr ebenfalls bestens vertraute Landleben im deutschen Adelsmilieu bis hin zu “Frauenthemen” wie freier Liebe, modernem Frauenleben und dem grundsätzlichen Verhältnis zwischen Frau und Mann reichen. Bekannt wurde Frieda von Bülow als erste Autorin von Kolonialromanen in deutscher Sprache, darunter Am anderen Ende der Welt (1890), Deutsch-Ostafrikanische Novellen (1892), Tropenkoller. Episode aus dem deutschen Kolonialleben (1896) und einige mehr. Ihre literarischen und autobiographischen Schriften über Afrika ergänzten die deutsche Afrikaliteratur erstmalig um die Perspektive einer Frau. Weitere Afrikadarstellungen aus Frauenfeder – insbesondere aus der Kolonie Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia) – sollten folgen, so die Werke von Clara Brockmann, Ada Cramer, Margarethe von Eckenbrecher, Helene von Falkenhausen, Elsa Sonnenberg nach 1900.
Bülow verstand ihre Werke, die sie zumeist für ein weiblich-patriotisches Publikum schrieb, und in denen sich kolonial-rassistische Einstellungen mit deutsch-nationalem Feminismus mischen, nicht zuletzt als Werbeträger für die koloniale Idee und expansionistische deutsche Herrschaft über einen Teil Afrikas und dessen BewohnerInnen. Deshalb finden wir in Bülows Romanen und persönlichen Berichten eine recht unterhaltliche Mischung aus “bildender” Information über Land und Leute und vielen lebendigen Einsprengseln ihrer persönlichen Erlebnisse und Einschätzungen. Mit Liebe vermittelt Bülow ein Bild vom “geheimnisvolle[n] Reiz des Lebens in einer jungen Kolonie,” deren “Wachsen und Entstehen” ihr offensichtlich am Herzen lag, wie sie 1894 in einem Zeitschriftenaufsatz mit dem Titel “Allerhand Alltägliches aus Deutsch-Ostafrika” schrieb. Dieses Bild setzt sich zusammen aus malerischen Dörfern, portugiesischen Schloßruinen, von Mangroven umgebenen Koralleninselchen, Palmenhainen. In ihren Beschreibungen treten die Einheimischen den deutschen KolonialistInnen keineswegs rebellierend entgegen, sondern heißen sie neugierig willkommen und bieten ihnen bereitwillig Kokosnüsse, frische Milch und Blumen dar; nur selten verdrücken sie eine Träne, wenn sie beobachten müssen, wie die Deutschen mit Hinblick auf künftigen Plantagenanbau Bodenproben entnehmen, was für die Einheimischen natürlich bedeutet, dass sie freiwillig oder unfreiwillig Land verkaufen oder abgeben müssen. Dazu enthalten Bülows Werke einige Prisen glamouröser Exklusivität, Exotik und Gefahr: ein Blick auf das arabisch ausstaffierte Segelschiff des Sultans von Sansibar, auf die elegante Kolonialgesellschaft beim rustikalen Picknick unter der tropischen Sonne, auf Schwerterkämpfe zu Ehren der Autorin. Zur Notwehr gegen mögliche Übergriffe von doch einmal aufmüpfigen Einheimischen oder wilden Tieren trägt sie auf Wunsch ihres fürsorglichen Bruders einen geladenen Revolver bei sich, doch werden die Gefahren zugleich auf vorwitzige Ratten, Unfug stiftende Affenhunde und als “grimmige Angreifer” ironisierte Beißameisen reduziert. Selbst die Löwen fressen bei Bülow nur Schwarze. Nur ein einziges Mal habe sie, Bülow, sich in einer wirklichen Gefahr gefühlt, denn ein versehentlich gereiztes Flusspferd könne schon einmal unter ein Boot tauchen, es umwerfen und auf den Insassen herumtrampeln. “Den Rest besorgen dann die Krokodile”, heißt es lakonisch im “Allerhand Alltägliches aus Deutsch-Ostafrika.”
Insgesamt lernt Bülows Leserschaft in ihren Werken ein friedliches Afrika kennen: deutsche KolonistInnen, die bei heimatlichem Weihnachtsstollen, deutscher Mettwurst und Münchner Hofbräu im Gedenken an Vater Rhein ein Stück Deutschtum an den Äquator importieren. Von den Einheimischen werden im Wesentlichen drei ethnische Gruppen vorgestellt: Araber von edler Statur als Klasse der bisherigen lokalen Herrschenden, die sich aber mit den neuen deutschen Herrschern arrangieren müssen; Schwarze als liebenswürdig-arbeitsscheue Diener, Träger, Ruderknechte; und “Indier” als eine als materialistisch hingestellte Klasse der Kaufleute und Händler. Diese Stereotypisierungen suggerieren klare Unterscheidungen zwischen deutschen Werten und Fähigkeiten und der/dem arabischen/afrikanischen/indischen Anderen und rechtfertigen durch die angebliche deutsche Überlegenheit die koloniale Vereinnahmung Ostafrikas.
Von Frauensolidarität über die “rassischen” Grenzen hinweg kann – bis auf ganz wenige Ausnahmen – bei Bülow keine Rede sein. In offensichtlicher Konkurrenz zu den arabischen und schwarzen Frauen, denen sie in Übereinstimmung mit der europäisch-kolonialen Gemeinde erotische Ausstrahlung konzediert, Intelligenz aber abspricht, propagiert sie ein Frauenbild, das Bülows eigene Bildung, Selbständigkeit und kameradschaftliche Unverwüstlichkeit im Einsatz für die koloniale und nationale Sache betont. Damit setzt sie sich allerdings zugleich auch vom engen, häuslichen Weiblichkeitsideal im kaiserlichen Deutschland des ausgehenden 19. Jahrhunderts ab.
Die Kolonie Deutsch-Ostafrika und das Konzept des europäischen Kolonialismus, das weiße EuropäerInnen – einschließlich der Deutschen – aufgrund ihrer Hautfarbe und angeblich höheren Zivilisationsstufe am oberen Ende der Stufenleiter menschlicher Entwicklung und menschlichen Wertes ansiedelte, eröffneten für Frieda von Bülow kurzfristig Möglichkeiten, in einer Weise selbständig zu leben und zu handeln, wie sie einer Frau innerhalb des deutschen Reiches gegen Ende des 19. Jahrhunderts verwehrt waren. Voraussetzung für diesen Freiraum der weißen Frau in Afrika waren freilich eben jene rassistischen Vorstellungen von einem natürlichen Gefälle zwischen den kulturell angeblich überlegenen, aber “guten” Kolonialherren und -damen und den kulturell angeblich unterlegenen, “primitiven,” aber friedlich-willigen Kolonisierten. Et voilà! Da haben wir die Erklärung für diese um 1900 unter ehrgeizigen, teils frauenbewegten Frauen gar nicht so seltene Kombination aus Rassismus und Feminismus. Nur als Mitglied der als überlegen definierten Rasse konnte ein Mitglied des als unterlegen abgestempelten Geschlechts hoffen (vgl. Frances Gouda), wenigstens in den Kolonien zu einer Position der Selbstverantwortlichkeit und Macht – eben über die Kolonisierten – zu gelangen. Während die Über- und Unterordnung der Klassen im 19. Jahrhundert in Europa längst ins Wanken geraten war, wurde die Über- und Unterordnung der “Rassen” (die heute selbstverständlich nicht mehr als biologische Differenzkategorien, sondern als soziale Konstrukte verstanden werden) als biologisch bedingt und damit unveränderlich erklärt und eröffnete der weißen Frau bei entsprechendem Elan den Spielraum für die verantwortungsvolle Mitarbeit am Großprojekt Kolonialismus.
Neben Frieda von Bülows Lebensthema Kolonialismus beschäftigte sie sich literarisch immer wieder und durchaus kritisch-humorvoll-satirisch “mit dem Adel in seinen Konflikten mit der modernen Zeit,” wie die Frauenrechtlerin Gertrud Bäumer 1909 in ihrem Nekrolog auf Bülow in der Zeitschrift Die Frau – dem Organ des Bundes deutscher Frauenvereine – schreibt. Vor allem aber befasste sie sich mit der gesellschaftlichen Stellung und psychologischen Verfaßtheit der Frau – etwa in Einsame Frauen (1897), Die stilisierte Frau (1902), Frauentreue (1910) oder den Essays “Das Weib in seiner Geschlechtsindividualität” (1897) und “Das Männerurtheil über Frauendichtung” (1899). Einflußreich war hier sicherlich ab 1891 die Freundschaft mit der Schriftstellerin, Essayistin und späteren Psychoanalytikerin Lou Andreas-Salomé, mit der sie sich in Paris traf und 1894 nach St. Petersburg und Wien reiste, wo sie einige Schriftsteller des avantgardistischen Jungen Wiens wie Hermann Bahr, Richard Beer-Hofmann und Hugo von Hofmannsthal kennenlernte. An den Schriften des mit Andreas-Salomé eng befreundeten und seine ganze Generation bewegenden Philosophen Friedrich Nietzsche störte Bülow das Pathos und die Subjektivität. Näher verwandt fühlte sie sich in der deutschen Literatur – wie so viele – dem Klassiker Johann Wolfgang von Goethe. Den geistig anregenden Austausch mit Andreas-Salomé nannte Bülow den “Sonntag” ihres Lebens und setzte dieser Verbindung in einigen Novellen ein Denkmal, die heute unter dem Titel Die schönsten Novellen der Frieda von Bülow über Lou Andreas-Salomé und andere Frauen (1990) zu finden sind. Durch Andreas-Salomé lernte Frieda von Bülow weitere Figuren der Frauenbewegung kennen, beispielsweise Ika Freudenberg – Künstlerin, Frauenrechtlerin und Begründerin des Münchner Vereins für Fraueninteressen und der Gesellschaft zur Förderung geistiger Interessen der Frauen – sowie deren Freundin Sophie Goudstikker, die mit Anita Augspurg das berühmte Fotostudio “Hofatelier Elvira” in München gegründet hatte. Unter den Freunden Lou Andreas-Salomés wurde Bülow von dem Schriftsteller Rainer Maria Rilke bewundert, der nachdenklich über sie schreibt: “es war ein großer Wille zum Endgültigen eingeboren in ihrem Wesen, durch den sie vielleicht auch sich selbst einschränkte, [...] es war zu viel rasche und klare Aktion in ihrem erfahrenen, weitherkommenden Blut, um das gleichsam Handlungslose mancher Übergänge abzuwarten. Sie wünschte das Deutliche, Sichtbare, Eindeutige und glaubte daran, dass so immer das Große war” (zit. Hoechstetter, S. 216).
Mit zunehmendem Alter soll Bülow, die zeitlebens auf Reisen unterwegs und geistig immer in Bewegung war, meditativer geworden sein. Ab 1894 lebte sie in teils jahreszeitlich wechselnden Wohnungen in Großlichterfelde bei Berlin, im Winter gern in Bärenfels im Erzgebirge, auf Schloss Lauenstein in Sachsen und ab 1907 mit ihrer Schwester Sophie auf Schloss Dornburg an der Saale. Den frühen Verlust ihrer Lebenskräfte fühlte sie sehr wohl: “Aber für Menschen mit übererregbaren Nerven, zu denen ich leider von Geburt an gehört habe, zieht das Übermaß an Erregung und Gemütserschütterung unweigerlich eine schwere Reaktion nach sich, wie ein hohes Fieber. Auf die Steigerung und Spannung aller Seelenkräfte folgt ein Verfall. Und während die Steigerung eine flüchtige, vorübergehende war, ist die Abnahme der Nervenkraft hinterher tief und dauernd. Und damit ist die ganze Lebensfähigkeit gefährdet” (Bülow an Fräulein Toni Schwabe, 29. Dezember 1906; Hoechstetter, S. 207). Nach längerer Krankheit auf Schloß Dornburg, wo sie bis kurz vor ihrem Tod schriftstellerisch arbeitete, starb Frieda von Bülow am 12. März 1909 im Alter von nur 51 Jahren in Jena.
In ihrem leidenschaftlichen und durchaus auch leidens- da verlustreichen Engagement für Ideen und Menschen, an die sie glaubte, und mit ihrem Leben voller Energie, Erfolge, Misserfolge, Unruhe und Kämpfe ist sie ein Beispiel für den bunten und durchaus ambivalenten Facettenreichtum unter unseren feministischen Vorgängerinnen und Vorkämpferinnen.
(Text von 2006)
Verfasserin: Katharina von Hammerstein
Frieda von Bülow, von Siegfried Carl
Zitate
Solange das Leben noch dauert, will ich nicht Sklave sein, sondern Herr.
(Frieda von Bülow, vermutl. 1884).
Ich kann aber in Wahrheit versichern, daß ich mich, so weit meine Erinnerung reicht, noch nie so frisch und geistig wohl befunden habe, wie hier in diesen ganz primitiven Verhältnissen. Frei und leicht wird es dem geplagten Kulturmenschen zu Mute, wenn er einige Dutzende der Sclavenketten, die wir ‘Bedürfnisse’ nennen, abzuwerfen genötigt ist.
(Frieda von Bülow, 1889)
Wo ist der Kampf, ich will ihn wagen.
(Frieda von Bülow, 1885)
Vaterlandsbegeisterung ist unter den intellektuellen Frauen unserer Zeit wohl ein nicht häufiger Zug. Da die Frauen von jedem politischen Leben so gut wie ausgeschlossen sind und ihnen nur die indirekte Einwirkung durch Gatten und Söhne zusteht, könnten sie sich ja auch nur untätig und in Nebendingen begeistern. Frieda v. Bülow [aber] hatte die Möglichkeit, sich in den direkten Dienst einer großen nationalen Sache zu stellen. Und sie tat dies mit der ganzen Leidenschaftlichkeit ihrer Natur.
(Biographin Sophie Hoechstetter, 1910)
Es drängte sie [Frieda von Bülow], ihre Erlebnisse und Eindrücke aus Afrika schriftlich niederzulegen. War dies zunächst ein persönliches Bedürfnis, so wurde es bald zu einer bewußten Arbeit: sie wollte ihre Feder in den Dienst der geliebten Kolonialsache stellen und für die Idee Freunde werben.
(Biographin Sophie Hoechstetter, 1910)
Herr, schütze mich vor großen Erfolgen beim Publikum. Dagegen ist Anerkennung von seiten derer, auf deren Urteil es ankommt, allerdings eine große Wohltat, die keiner ganz entbehren kann.
(Frieda von Bülow, 1904)
… daß sie [Frieda von Bülow] sich ganz und gar zum Großen verpflichtet hielt, ja aus dem einzigen geraden Pflichtgefühl heraus lebte, das war vielleicht mein frühester Eindruck von ihr und der erste Anlaß zu jener Bewunderung, die mich noch jetzt erwärmt, wenn ich mich der schönen hohen Gestalt erinnere.
(Rainer Maria Rilke)
Links
Besser, Stephan: Tropenkoller. Zur Psychopathologie des deutschen Kolonialismus. Sven Ehlers, Marcus Hawel, Oliver Heins.
Online verfügbar unter http://www.sopos.org/aufsaetze/469c207f2308e/1.phtml, zuletzt geprüft am 04.10.2017.
Brasch, Anna Sophie (2007): Der Deutsche Kolonialroman der Kaiserzeit. Frieda von Bülows “Tropenkoller” und “Im Lande der Verheißung”. RUDAR - Roskilde University Digital Archive.
Online verfügbar unter http://hdl.handle.net/1800/2712, zuletzt geprüft am 04.10.2017.
Bülow, Frieda von: Novellen (Zwei Menschen; Dem Puck zu eigen!; Sie und Er). Projekt Gutenberg.
Online verfügbar unter http://gutenberg.spiegel.de/?id=5&xid=264&kapitel=1, zuletzt geprüft am 04.10.2017.
Katalog der Deutschen Nationalbibliothek: Bülow, Frieda von, 1857-1909.
Online verfügbar unter http://dispatch.opac.d-nb.de/REL?PPN=11706646X, zuletzt geprüft am 04.10.2017.
SOPHIE Literature: Frieda Freiin von Bülow. Texte von Frieda von Bülow in digitaler Form.
Online verfügbar unter http://sophie.byu.edu/literature/index.php?p=author.php&authorid=27, zuletzt geprüft am 04.10.2017.
Wikisource: Frieda von Bülow.
Online verfügbar unter http://de.wikisource.org/wiki/Frieda_von_B%C3%BClow, zuletzt geprüft am 04.10.2017.
Literatur & Quellen
Werke
Bülow, Frieda von (1889): Reiseskizzen und Tagebuchblätter aus Deutsch-Ostafrika. Berlin. Walther & Apolant.
Bülow, Frieda von (1890): Am anderen Ende der Welt. Roman. Berlin.
Bülow, Frieda von (1890): Der Konsul. Vaterländischer Roman aus unseren Tagen. Berlin. Fontane.
Bülow, Frieda von (1891): Deutsch-Ostafrikanische Novellen. Berlin. Fontane.
Bülow, Frieda von (1892): Ludwig von Rosen. Eine Erzählung aus zwei Welten. Berlin.
Bülow, Frieda von (1894): Margarete und Ludwig. Roman. 2 Bände. Stuttgart. Engelhorn (Engelhorns Allgemeine Romanbibliothek, Jg. 10, Bd 13 und 14).
Bülow, Frieda von (1896): Tropenkoller. Episode aus dem deutschen Kolonialleben. Berlin. Fontane.
Bülow, Frieda von (1897): Einsame Frauen. Novellen. Berlin. Fontane.
Bülow, Frieda von (1897): Kara. Roman in drei Büchern. Stuttgart. Verl. der J. G. Cotta'schen Buchhandlung.
Bülow, Frieda von (1898): Anna Stern. Roman in 2 Büchern. Dresden & Leipzig. Reißner.
Bülow, Frieda von (1898): Wir von heute. Zwei Erzählungen. Dresden. Reißner.
Bülow, Frieda von (1899): Im Lande der Verheissung. Ein deutscher Kolonial-Roman. Dresden & Leipzig. Reißner.
Bülow, Frieda von (1900): Abendkinder. Roman. Dresden. Reißner.
Bülow, Frieda von (1901): Im Hexenring. Eine Sommergeschichte vom Lande. Stuttgart. Engelhorn (Engelhorns Allgemeine Romanbibliothek, Jg. 18. Bd 4).
Bülow, Frieda von (1902): Die stilisierte Frau. Sie und Er. Zwei Novellen. Dresden. Reißner.
Bülow, Frieda von (1902): Hüter der Schwelle. Roman. Dresden. Reißner.
Bülow, Frieda von (1903): Allein ich will! Roman. 2 Bände. Dresden, Leipzig. Reißner.
Bülow, Frieda von (1904): Im Zeichen der Ernte. Italienisches Landleben von heute. Roman. Dresden. Reißner.
Bülow, Frieda von (1905): Die Tochter. Roman. Bielefeld, Leipzig. Velhagen & Klasing (Velhagen u. Klasings Romanbibliothek, 16).
Bülow, Frieda von (1905): Irdische Liebe. Eine Alltagsgeschichte. Dresden. Reißner.
Bülow, Frieda von (1907): Das Portugiesenschloß. Eine Erzählung von der ostafrikanischen Küste. Berlin & Leipzig. Hillger (1001 Erzählungen für Jung und Alt, 6).
Bülow, Frieda von (1908): Wenn Männer schwach sind. Roman. Berlin. Schall (Veröffentlichungen des Vereins der Bücherfreunde, [18,1).
Bülow, Frieda von (1909): Die Schwestern. Geschichte einer Mädchenjugend. Roman. 3. Aufl. Dresden. Reißner.
Bülow, Frieda von (1909): Freie Liebe. Dresden. Reißner (Deutsche Novellen, Bd 1).
Bülow, Frieda von (1937): Im Lande der Verheißung. Ein Kolonialroman um Carl Peters. Neuausgabe. Dresden. Reißner.Frankfurt/M. Ullstein (Die Frau in der Literatur, 30239).
Quellen
Bäumer, Gertrud: Frieda von Bülow. In: Die Frau: Monatsschrift für das gesamte Frauenleben unserer Zeit 16.7 (April): 407-12.
Berman, Russell A. (1998): Enlightenment of empire. Colonial discourse in German culture. S. 172-202. Lincoln. Univ. of Nebraska Press (Modern German culture and literature).
Eigler, Frederike (1998): Engendering German Nationalism and Race in Frieda von Bülow’s Colonial Writings. In: Friedrichsmeyer, Sara; Lennox, Sara; Zantop, Susanne (Hg.) (1998): The imperialist imagination. German colonialism and its legacy. Ann Arbor. University of Michigan Press.
Gouda, Frances (1993): Das ‘unterlegene’ Geschlecht der ‘überlegenen’ Rasse. Kolonialgeschichte und Geschlechterverhältnisse. In: Schissler, Hanna (Hg.) (1993): Geschlechterverhältnisse im historischen Wandel. Frankfurt am Main. Campus-Verl. (Reihe Geschichte und Geschlechter, 3).
Hammerstein, Katharina von (2007): Einleitung zu Frieda von Bülow. ‘Eine unblutige Eroberungsfahrt an der ostafrikanischen Küste’ und ‘Allerhand Alltägliches aus Deutsch-Ostafrika. In: Heyden, Ulrich van der (Hg.): Kolonialer Alltag in Ostafrika in Dokumenten. Berlin: trafo (Im Druck).
Hoechstetter, Sophie (1910): Frieda Freiin von Bülow. Ein Lebensbild. Dresden. Reißner.
Klotz, Marcia (1994): White women and the dark continent. Gender and sexuality in German colonial discourse from the sentimental novel to the fascist film. Ph.D. Dissertation. Stanford University.
Laurien, Ingrid (2003): ‘A Land of Promise?’ Autobiography and Fiction in Frieda von Bülow’s East-African Novels. In: Maltzan, Carlotta von (Hg.) (2003): Africa and Europe. Encountering myths. Essays on literature and cultural politics. Frankfurt am Main, New York. P. Lang.
Warmbold, Joachim (1982): “Ein Stückchen neudeutsche Erd'… “. Deutsche Kolonial-Literatur ; Aspekte ihrer Geschichte, Eigenart und Wirkung, dargestellt am Beispiel Afrikas. S. 68-94. Frankfurt a. M. Haag + Herchen.
Wildenthal, Lora (2001): German women for empire, 1884-1945. S. 13-78. Durham. Duke University Press.
Weiterführende Literatur
Heimatmuseum Ingersleben: Zwei Blüten an einem Zweig. Beiträge zu Leben und Wirken der Schriftstellerinnen Frieda und Margarethe von Bülow. Mit einem Vorwort von Maria Helene von Hatzfeldt (o. J. [2000]). Ingersleben. Heimatmuseum.
Shumannfang, Barbara Ann (1998): Envisioning empire. Jewishness, blackness and gender in German colonial discourse from Frieda von Bülow to the Nazi “Kolonie und Heimat”. Dissertation. Durham. Duke University.
Warmbold, Joachim (1986): Germania in Afrika. Frieda Freiin von Bülow, “Schöpferin des deutschen Kolonialromans”. In: Jahrbuch des Instituts für Deutsche Geschichte, Jg. 15 (1986), S. 309–336.
Bildquellen
http://www.lou-andreas-salome.de/web/von-buelow.htm
http://sonner.antville.org/topics/fieldwork/
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