(Anda Frida Piazza; Frida Prinoth [Geburtsname])
* 31. Januar 1922 in St. Ulrich
+ 3. November 2011 in St. Ulrich
ladinische Schriftstellerin und Sprachforscherin
100. Geburtstag am 31. Januar 2022
Biografie • Literatur & Quellen • Bildquellen
Biografie
Die Sprachforscherin und Schriftstellerin Frida Piazza war eine Pionierin der ladinischen Sprachpflege und Literatur. Ihr unbeirrtes Forschen nach verloren gegangenen und vergessenen Worten, das Bergen dieser Worte aus der Vergessenheit und das Beleben des alten, aber auch des neuen und erneuerten, des abgeleiteten und adaptierten Sprachmaterials waren ein Akt des Gebärens von Sprache, ein schöpferischer und wohl auch künstlerischer Akt. Frida Piazza war für das Ladinische wie eine Mutter und eine Hebamme zugleich. Sie pflegte und hegte es, als wäre es ihr Kind, und wehe, wer diesem Kind etwas anhaben wollte.
Frida Prinoth wurde am 31. Januar 1922 als 15. von 18 Kindern in St. Ulrich geboren. Sie war ein aufgewecktes Mädchen, dem die dörfliche Realität, in der sie lebte und die ihr wenige interessante Perspektiven zu bieten schien, bald zu eng wurde. So nahm sie im Alter von 17 Jahren die Gelegenheit wahr, zu ihrer in Deutschland verheirateten Schwester zu reisen, um ihr im Haushalt und mit den Kindern zu helfen. Es war die Zeit kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, eine Zeit der Diktaturen, geprägt von geistiger Enge und menschenverachtenden Ideologien: In Italien stellten die Faschisten seit fast zwei Jahrzehnten die Regierung, in Deutschland waren 1933 die noch um einiges brutaleren Nationalsozialisten an die Macht gelangt. Während Frida Prinoth an einem Krankenhaus in Karlsruhe eine Ausbildung zur Krankenschwester absolvierte und danach in diesem Beruf arbeitete, wurde ihr nach und nach die allseits herrschende Atmosphäre des Misstrauens und der Angst bewusst und immer unheimlicher. Ihre Erlebnisse und Gedanken in dieser Zeit, die Sorgen, die auf ihr lasteten und die scheinbar unbedeutenden Ereignisse, die sie prägten, beschreibt sie in ihrer Erzählung Adelia.
Als sie zu Kriegsende nach Gröden zurückkehrte, besuchte sie die dortige Kunstschule, um Holzschnitzerei zu lernen. Nach der Heirat mit ihrem Lehrer Luis Piazza kamen ihre vier Kinder, Roswitha, Leander, Costanza und Fidelio, zur Welt. Als diese noch klein waren, arbeitete sie mit ihrem Mann in der gemeinsamen Werkstatt. Sie war eine begabte Bildhauerin, doch schon bald begann sie, sich mehr für das Ladinische zu interessieren und sich intensiv damit zu beschäftigen. Tatsächlich war sie eine der Ersten, die die Erforschung der ladinischen Sprache und deren literarische Gestaltung systematisch und mit großer Leidenschaft betrieb. Es stand damals schlecht um das Ladinische, zumal um das Grödnerische, das vielfach als minderwertig angesehen wurde. Wem sollte so eine kleine, für den alltäglichen Gebrauch als immer unzulänglicher erachtete Sprache schon dienen? Immer mehr schien es, als würden ihr die Worte für eine sich immer schneller verändernde Realität fehlen. Es war die Sprache der einfachen Leute. Die, die sich für »gebildet« hielten, zogen es vor, Deutsch zu sprechen. Eltern meinten ihre Kinder zu fördern, indem sie mit ihnen Deutsch sprachen.
Frida Piazza wollte dies nicht einfach hinnehmen. Sie erkannte das Potential ihrer Sprache und wollte zeigen, dass diese viel mehr vermochte als gemeinhin angenommen. Sie begann nach alten, beinahe vergessenen Wörtern zu suchen und sie zu sammeln. Sie experimentierte, versuchte aus den noch bestehenden Wörtern andere abzuleiten sowie internationalen Bezeichnungen eine ladinische Form zu geben und sie der ladinischen Grammatik anzupassen. Ihr großes Anliegen war es, das Ladinische und insbesondere das Grödnerische zu bereichern. Sie legte tausende Dateien an, zuerst per Hand und auf Papier, später in ihrem Computer, den sie als Siebzigjährige zu bedienen lernte. Dabei wurde Piazza, die ihrer Zeit voraus war, von ihren Zeitgenossinnen kaum verstanden. Als Frau, die keiner Lobby, keiner bestehenden Institution - weder einer Schule, noch Kommission, weder einem Amt noch Vereinsgremium - angehörte, wurde sie oft belächelt und herabgesetzt. Ihre Vorschläge und Ansichten wurden ignoriert. Da half es nichts, dass sie zuweilen ihre Stimme laut erhob, um sich Gehör zu verschaffen. Manchmal schrie sie förmlich auf, schrieb Klage- und Anklagebriefe, empörte und verärgerte Briefe.
Sprachregelungen, die ihr unsinnig erschienen, betrachtete sie als systematische Zerstörungsmaßnahmen gegen das Ladinische. Und eine, ihrer Meinung nach fehlerhafte Verwendung der Sprache bereitete ihr ein geradezu physisches Unwohl sein. Wenn sie von einer Sache überzeugt war, verteidigte sie sie bis zuletzt. Damit eckte sie an. Zugegeben: Teamgeist war nicht ihre Stärke. Und Diplomatie auch nicht. Sie wurde als »schwierig« und wenig umgänglich abgetan und zunehmend ausgeschlossen. Doch mehr als die Geringschätzung und das Hinausgedrängtwerden schmerzte sie der Spott, dem »man« sie aussetzte.
Dennoch: Frida Piazza gehörte nicht zu jenen Personen, die leicht zum Schweigen gebracht werden können. Jahrelang versuchte sie sich am Diskurs über das Ladinische und seine Entwicklung zu beteiligen. Sie forschte, schrieb, dichtete, übersetzte, publizierte. Neben ganz unterschiedlichen literarischen Übersetzungen von Prosa und Lyrik aus der Weltliteratur, z.B. von Tschechow, Dante, Verlaine und zahlreichen anderen Autoren, neben der Produktion von Sachliteratur, wie etwa der Publikation La marueies de nosc albierch, widmete sich Piazza auch intensiv der ladinischen Terminologiearbeit auf verschiedenen Gebieten, insbesondere aber im Rahmen der Botanik. Ihr Roman L Nost, der 1988 von Walter Belardi herausgegeben wurde, ist der erste Roman in ladinischer Sprache. Damit setzte die Autorin neue Maßstäbe und forderte auch eine jüngere Generation von Schriftstellerinnen auf, ihrem Weg zu folgen. Durch die Gestaltung von Radiosendungen und im Rahmen mehrerer Ladinischkurse versuchte Piazza das Niveau des Grödnerischen bei einem breiteren Publikum zu heben und ihren ladinischsprachigen Mitbürgerinnen den Reichtum ihrer Muttersprache vorzuführen.
Piazza war ungemein belesen. Franz Prugger, der Präsident der Union di Ladins, des ladinischen Kulturvereins, in dessen Bibliothek sie zu studieren pflegte, attestierte ihr, dass alle Einwohnerinnen des Grödentals zusammen nicht so viel Zeit in der Bibliothek verbracht hätten wie sie. Tatsächlich interessierte sich Frida Piazza für jeden Wissensbereich - von den Wissenschaften und den Künsten bis hin zum Sport. Nichts war ihr zu unbedeutend, im Gegenteil: Sie liebte es, gerade in den oft vernachlässigten oder tabuisierten Bereichen wie etwa in jenem der menschlichen Körperfunktionen, zu forschen, um auch dort wertvolle Terminologiearbeit zu leisten. Überhaupt war alles, was sie tat, auch ihre literarische und übersetzerische Tätigkeit, auf einen linguistischen Zweck hin ausgerichtet.
Während im Tal Wenige verstanden, sie für das anzuerkennen, was sie leistete, wurde sie umso mehr von gewissen Professoren, die die Zusammenarbeit mit ihr gesucht hatten, geschätzt. Als sie sich einmal verzweifelt und entmutigt ob der vielen Arbeit und der mangelnden Resonanz bei einem dieser Professoren beklagte und meinte, alles hinwerfen zu wollen, antwortete ihr dieser: »Seien Sie olympisch! Machen Sie weiter. Sie sollen es nicht nur tun, Sie sind dazu verpflichtet!« Und sie machte weiter: 1997 wurde sie von der Universität Innsbruck für ihre Verdienste in der Erforschung und Pflege der ladinischen Sprache ausgezeichnet. Die Gemeinde St. Ulrich verlieh ihr einen goldenen Ring.
Frida Piazza bezeichnete ihre Arbeit mit der ladinischen Sprache zuweilen scherzhaft als ihre Droge. Tatsächlich verbrachte sie unzählige Stunden vor ihrem Computer, den sie mit ladinischen Wörtern fütterte, mit akribischen Erörterungen, mit Geschichten, mit komplizierten sprachtechnischen Überlegungen, aus denen sie Regeln zu filtern versuchte. Sie liebte die Freiheit, war empfindlich gegen jede Bevormundung, jedes von oben erlassene Diktat. Sie, die während des Zweiten Weltkriegs die Diktatur des Naziregimes persönlich kennengelernt hatte, ja, die anfänglich wohl auch von einiger Begeisterung für jenes System erfasst worden war, distanzierte sich danach wie kaum jemand davon. Sie prangerte jede soziale, rassische, sprachliche, religiöse, politische Diskriminierung an. Unter den von ihr am meisten geschätzten Persönlichkeiten war der Südtiroler Landtagsabgeordnete und spätere Europaparlamentarier Alexander Langer, den sie in den 1970er Jahren, kennengelernt hatte und dessen Ideale sie teilte.
Piazza liebte die Natur und die Künste, die sie vor allem mit ihrem Mann, dem Bildhauer Luis Piazza, kennenlernte. Ein kleiner Bergsee in den Westalpen vermochte sie ebenso zu ergreifen wie das Gemälde des Jüngsten Gerichts in der Basilica von Santa Maria Assunta in Torcello. Doch ihre bedingungslose Liebe galt den Tieren. Das ihnen von uns Menschen zugefügte Leid erregte ihr ganzes Mitgefühl und ihre Entrüstung. Und natürlich waren da noch die Berge. Von ihrer Grandiosität war sie immer von Neuem überwältigt. Sie hatte zahllose Wanderungen im gesamten Alpenraum unternommen, außer in den Dolomiten. Sie kannte die entlegensten Gebiete von den Ligu-rischen bis zu den Karnischen Alpen, die sie gewöhnlich mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichte. Von allen Bergen blieb jedoch stets der Sellastock, den sie tagaus, tagein von ihrem Fenster aus sehen konnte, ihr absoluter Favorit. Sie zog ihn sogar dem von seiner Form her markanteren Langkofel vor:»Wenn es im Paradies keinen Sellastock geben sollte, weiß ich nicht, ob ich dort überhaupt sein möchte”, pflegte sie zu sagen.
Frida Piazza war zwar olympisch, aber sie blieb stets auch Realistin. Sie machte sich keine Illusionen, weder in Bezug auf ihre Arbeit noch auf die Zukunft des Ladinischen. Sie sah »ihr Ladi-nisch”, das Grödnerische, in gar nicht allzu ferner Zukunft wie einen archäologischen Fund als Kuriosität in einem Museum enden. Das verlieh ihr eine gewisse Gelassenheit, denn schließlich seien all ihre Mühen doch nur »für die Katz”.
Der Tod der Autorin und autodidaktischen Sprachforscherin Frida Piazza ist ein Verlust für die ladinische Kultur. Sie war eine unversiegliche Quelle von Impulsen, Ideen und Wissen. Ihre schöpferische Phantasie, ihr Forschergeist, ihre Einfälle, ihre profunden Sprachkenntnisse bleiben unübertroffen. Ohne sie wäre das Ladinische heute zweifelsohne nicht das, was es ist. Frida Piazza starb am 3. November 2011. Am 31. Januar wäre sie 90 Jahre alt geworden.
Verfasserin: lngrid Runggaldier
Literatur & Quellen
Runggaldier, Ingrid: Frida Piazza. Ein Nachruf. In: Tageszeitung, 08.11.2011. S. 20–21.
Runggaldier, Ingrid; Thomaseth, Wolfgang: Frida Piazza. Worte im Kopf. Dokumentarfilm, 35 min; lad/dt.
Werke
Piazza, Frida (1968): Stories de Anton Cechov. Urtiëij. Cumissèr dl Guviern. (WorldCat-Suche)
Piazza, Frida (1968): Taialonges y taiacurtes per majri y mendri. Urtijei. Stamparia Typak. (WorldCat-Suche)
Piazza, Frida (1972): Filza dë curëc. A Malia da Cudan n gra dë cuër për 1 cunlaurè. Urtiëij. Cumissèr dl Guviern. (WorldCat-Suche)
Piazza, Frida (1975): La cater sajons. Urtijëi. Union di Ladins de Gherdëina. (WorldCat-Suche)
Piazza, Frida (1976): La Val da la Salieries. Liejënda për nosc mëndri ; desënies dë Roswitha Piazza. Bulsan. Stamparia Presel. (WorldCat-Suche)
Piazza, Frida (1977): Pitla ustoria dla eves. Bulsan. Stamparia Presel. (WorldCat-Suche)
Piazza, Frida (1978): Luis Piazza, si lëures. (WorldCat-Suche)
Piazza, Frida (1981): L mont di Vichings. Sterzing. Stamparia Artigraf. (WorldCat-Suche)
Piazza, Frida (1982): La Tiritituia. Bulsan. Presel. (WorldCat-Suche)
Piazza, Frida (1985): Poesies/Gedichte. In: Belardi, Walter (Hg.): Antologia della lirica ladina dolomitica. Roma. Bonacci (L'ippogrifo, 36). ISBN 88-7573-142-X (WorldCat-Suche)
Piazza, Frida (1988): L Nost. Roman. In: Belardi, Walter (Hg.): Narrativa gardenese. Roma. Univ. ›La Sapienza‹ (Biblioteca di ricerche linguistiche e filologiche, 21) (WorldCat-Suche)
Piazza, Frida (1988): La marueies de nosc Albierch. Urtijei. Union di Ladins de Gherdëina. (WorldCat-Suche)
Piazza, Frida (1990): Ustories d'Avënt per mendri y majri. Bulsan. Stamparia Presel. (WorldCat-Suche)
Piazza, Frida (1991): La udera da la Duleda. Urtijei. Union di Ladins de Gherdëina. (WorldCat-Suche)
Piazza, Frida (1992): Esop, fabules y sentenzes. Fabules ciancedes da libri de scola ; storia y vita de Esop senteda adum ora de dut l giatà da liejer sun chesc filosof. Urtijei. Union di Ladins de Gherdëina. (WorldCat-Suche)
Piazza, Frida (1992): L deluv universel. Erjete su! Tan tier po ne sares plu! Urtijëi. Union di Ladins de Gherdëina. (WorldCat-Suche)
Piazza, Frida (1993): Per montes y per meres. Dat ora da la Union di ladins de Gherdeina. Bulsan. Stamparia Presel. (WorldCat-Suche)
Piazza, Frida (1999): Dejmazeda per n dizioner dl gherdeina. Urtijei. Chemun. (WorldCat-Suche)
Piazza, Frida (1999): Menizles. Tradujedes de poesies curtes o pertes de poesies de n puë' dut i stii y tempes. Urtijei. Chemun. (WorldCat-Suche)
Piazza, Frida (2000): Ranunculazes dla Elpes. (=Ranunculacee delle Alpi/Hahnenfussgewächse der Alpen) Bulsan. Athesiadruck. (WorldCat-Suche)
Piazza, Frida (2002): Mitologia. L mont fantast di dieis si saviëza y si trangujënza. Union di Ladins de Gherdëina. (WorldCat-Suche)
Piazza, Frida (2006): Ustories de vivudes, de cuédes ora, sun bandafurnel madurides. Herausgegeben von Ingrid Runggaldier. Bulsan. Raetia. ISBN 88-7283-261-6. (Amazon-SucheWorldCat-Suche)
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