Biographien Franziska Gräfin zu Reventlow
(gesch. Lübke, verh. von Rechenberg-Linten)
geboren am 18. Mai 1871 in Husum
gestorben am 26. Juli 1918 in Locarno, Schweiz
deutsche Schriftstellerin
105. Todestag am 26. Juli 2023
Biografie • Zitate • Literatur & Quellen
Biografie
Franziska Gräfin zu Reventlow, deren Lebensdaten - 1871 bis 1918 - mit denen des wilhelminischen Kaiserreichs übereinstimmen, wird traditionell als skandalumwitterte Bohèmienne der Schwabinger Kreise in München um die Jahrhundertwende dargestellt. Die öffentliche Aufmerksamkeit konzentrierte sich vor allem auf ihre trotzige persönliche Ablehnung der konventionellen Moral, da sie sich als Anhängerin der freien Liebe und alleinerziehende Mutter präsentierte. Doch sie war auch eine Autorin, die mit ihren Werken die Spannungen der Vorkriegsgeneration einfing und zur lebhaften Debatte um die Frauenbefreiung um 1900 beitrug.
Fanny, wie sie als Kind genannt wurde, wurde in eine norddeutsche Adelsfamilie mit traditioneller Moral und steifer Etikette hineingeboren. Ihre rebellische Natur verhinderte, dass sie den erwarteten Weg einschlug, sich wie eine junge Dame zu verhalten, einen standesgemäßen Adligen zu heiraten und sich in der deutschen High Society zu bewegen. Stattdessen lag sie in ständigem Konflikt mit ihrer Mutter und schaffte es, wegen schlechten Benehmens und mangelndem Respekt vor der Obrigkeit aus dem Internat geworfen zu werden. Sie schloss sich einem Kreis gleichgesinnter junger Rebellen an, die sich für Ibsens revolutionäre Familiendramen begeisterten, Bebels Buch über Frauen und Sozialismus leidenschaftlich diskutierten und Nietzsches Forderung nach einer “Umwertung aller Werte” aus vollem Herzen unterstützten.
Reventlow lief gleich nach der Volljährigkeit von zu Hause weg, hatte zahlreiche Affären und heiratete in Hamburg einen Nicht-Aristokraten, der ihr den Besuch einer Kunstschule in München finanzierte. Ihre Ehe überlebte ihren wilden und exzentrischen Lebensstil im “deutschen Montmartre” nicht. Auch finanziell von ihrer Familie abgeschnitten, lebte Reventlow fortan permanent am Rande der Armut und schlug sich mit Jobs durch, die von erfolglosen Versuchen, Milch oder Versicherungen zu verkaufen, bis hin zu erfolgreicherer Prostitution in einem Edel-Bordell reichten. Oft spielte sie mit dem Gedanken, aus finanziellen Gründen eine luxuriös ausgehaltene Frau zu werden, konnte aber ihren überwältigenden, ja zwanghaften Wunsch nach Freiheit und Unabhängigkeit und ihre Abneigung gegen die Monogamie einfach nicht aufgeben: “Der Rausch verfliegt, und was dann? - Die Räusche verfliegen auch, aber es kommen neue”.
Ihre schwankenden Liebes- und Lebenssituationen führten Reventlow nach Griechenland, Italien und schließlich in die Schweiz. 1910 war ihre finanzielle Situation so desolat geworden, dass sie München verließ und nach Ascona ging, wo sie einer Scheinehe zustimmte, die ihrem zweiten Mann das Erbe sichern sollte. Leider ging das wenige Geld, das bei diesem Deal gewonnen wurde, verloren, als ihre Bank Pleite ging. Im Alter von siebenundvierzig Jahren starb Reventlow in Locarno an den Folgen eines Fahrradunfalls.
1897 hatte Reventlow ihren geliebten Sohn Rolf zur Welt gebracht. Mit einer beispiellosen Nonchalance gegenüber Konventionen und Vorurteilen zog sie ihn als alleinerziehende Mutter auf, wurde dafür von ihren “Kosmiker”-Freunden als heidnische Madonna mit Kind gefeiert und scheute auch nicht vor einem Meineid zurück, um der Zuweisung eines männlichen Vormunds zu entgehen. Gezielt hielt sie ihren Sohn sowohl aus dem patriarchalischen Schulsystem als auch aus dem vaterländischen Wehrdienst heraus: Mit ihrem Lehrerinnenexamen durfte sie Rolf zu Hause unterrichten, und 1917 half sie ihm zu desertieren, indem sie über den Bodensee in die Schweiz ruderte. Reventlow verherrlichte die Mutterschaft und eine symbiotische Mutter-Kind-Beziehung, da sie die perfekte Lösung für ihr Bedürfnis darstellte, die Wärme und Sicherheit einer einzigen stabilen menschlichen Bindung zu spüren, die jedoch die Freiheit ihres Liebeslebens nicht verletzte.
Franziska zu Reventlows künstlerische, aber unerfüllte Leidenschaft war die Malerei, nicht das Schreiben. Obwohl sie eine eifrige Korrespondentin und Tagebuchschreiberin war, sah sie in ihrer schriftstellerischen Begabung nicht mehr als einen weiteren Weg, über die Runden zu kommen. Sie übersetzte 8000 Seiten Maupassant, Prévost und France und verkaufte Witze und kurze Prosastücke an die berühmte Satirezeitschrift Simplicissimus. Heute ist Reventlow bekannt für ihre halb-autobiografischen Romane und veröffentlichten Briefe und Tagebücher, die die unkonventionelle Seite des wilhelminischen Deutschlands beleuchten. Reventlows autobiografischer Roman Ellen Olestjerne (1903) beschreibt die Kindheit und Jugend der Autorin und den schmerzhaften Konflikt zwischen einer repressiven Erziehung und ihrem unstillbaren Lebenshunger (Nietzsche'scher Vitalismus). Ein weiteres Werk - nach Briefen der berühmten französischen Kurtisane Ninon de Lenclos aus dem 17. Jahrhundert - zeigt Reventlows umstrittene Philosophie der freien Liebe, die die Frau aus der Rolle des bloßen Objekts der männlichen Begierde befreit und ironisch mit den Möglichkeiten des Rollentauschs spielt, indem eine Frau verschiedene Typen von Liebhabern in Betracht zieht, z. B. den Erlöser, die “elegante Begleitdogge” oder den gentlemanhaften, charmanten Fremden. Weitere Werke zeigen satirische Beobachtungen der Münchner Bohème um 1900.
Indem sie über Tabuthemen wie das erotische Begehren von Frauen, die alleinerziehende Mutterschaft und die erschütternden Erfahrungen von Mädchen in einem hierarchischen Erziehungssystem publizierte, lenkte Reventlow die öffentliche Aufmerksamkeit auf die privaten Erfahrungen von Frauen und trug so zur Neubewertung und Politisierung dieser scheinbar unpolitischen Themen bei. Obwohl sich einige ihrer Themen mit denen der zeitgenössischen Frauenbewegung überschneiden, distanzierte sie sich von den “Bewegungsweibern”, die sie für ihren “prüden Puritanismus” verabscheute, und lehnte jede Verbindung mit ihnen ab. Sie war befreundet mit engagierten Feministinnen wie der Rechtsanwältin, Schauspielerin und Gründerin der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit, Anita Augspurg; sie unterstützte jedoch weder das Frauenwahlrecht noch den Wunsch der Frauen, mit den Männern beruflich zu konkurrieren.
Und anstatt wie große Teile der bürgerlichen Frauenbewegung die Sexualität der Männer durch die Abschaffung der Prostitution einschränken zu wollen, betrachtete Reventlow die traditionelle Ehe als die ultimative Form der Prostitution und forderte provokativ den gleichen Respekt für die freie Entfaltung der sexuellen Wünsche der Frauen wie für die der Männer. Die Diskrepanz zwischen Reventlows praktischem Beharren auf absoluter Unabhängigkeit und Selbstbestimmung einerseits und ihrem Eintreten für die erotische, aber nicht ökonomische Emanzipation der Frau andererseits führt zu einer widersprüchlichen Haltung gegenüber traditionellen und avantgardistischen Frauenrollen. Daher passt sie nicht in die Kategorien der emanzipierten oder unemanzipierten Frauen. Viele Kritiker haben Reventlow als Vertreterin einer bloß erotischen Rebellion abgetan. Doch sie ging über das bloße Ausleben einer selbstbewussten Bejahung der weiblichen Sexualität hinaus. Ihre Schriften über persönliche Erfahrungen, nonkonformistische Ansichten und kontroverses Verhalten stellen wichtige Beiträge zum öffentlichen Diskurs über Geschlechterrollen dar und erweitern das Thema des literarischen Hedonismus, das bisher nur männlichen Autoren wie Wedekind oder Schnitzler vorbehalten war, um die Perspektive der Frau.
Die Forschung hat sich mehr auf Reventlows Leben als auf ihre Schriften konzentriert und ihre ständig wechselnden Romanzen meist psychologisch gedeutet, als Resultat einer repressiven Kindheit und der Konflikte mit ihrer Mutter. So viel ist wahr: Reventlows persönliche Rebellion korrelierte nicht immer mit der kollektiven Rebellion der wachsenden Frauenbewegung, sie präsentierte sich nicht als politisch denkender Mensch, sie war ausdrücklich keine Feministin, und ihre gelegentliche Gesellschaftskritik war offenbar eher durch individuelle Bedürfnisse als durch gesellschaftliches Engagement motiviert. Dennoch haben ihre Schriften politische Implikationen. Indem sie in ihren literarischen Werken Tabuthemen öffentlich behandelte und Nietzsches Forderung nach einer Umwertung aller Werte explizit auf beide Geschlechter anwandte, lieferte sie Modelle für die Unabhängigkeit und Selbstbestimmung der Frau in Bezug auf Ehe, Sexualität und Mutterschaft und trug dazu bei, einen Teil des damals im kaiserlichen Deutschland vorherrschenden Anti-Hedonismus, Anti-Individualismus und blinden Gehorsams gegenüber Autoritäten zu untergraben.
(Original von 2013; Aus dem Engl. übersetzt mit www.DeepL.com/Translator (überprüft von Luise F. Pusch))
Verfasserin: Katharina von Hammerstein
Zitate
Ich will und muß einmal frei werden, es liegt nun einmal tief in meiner Natur, dieses maßlose Streben, Sehnen nach Freiheit. Die kleinste Fessel, die andere gar nicht als solche ansehen, drückt mich unerträglich, unaushaltbar und ich muß gegen alle Fesseln, alle Schranken ankämpfen. Ich habe das mein ganzes Leben gefühlt [...]. Muß ich mich nicht freimachen, muß ich mein Selbst nicht retten—ich weiß, daß ich sonst daran zugrundegehe.
Gottseidank, unsere christliche Gesellschaftsmoral hat sich mehr wie gründlich überlebt, die letzten Jahrzehnte, die moderne Bewegung, hat die junge Generation etwas von der mutigen Frohheit des Heidentums gelehrt. Wir haben angefangen, die alten Gesetzestafeln zu zerbrechen.
[...] in unserer Begeisterung und unserem Pathos, fühlten [wir] uns als die Vorkämpfer einer neuen Zeit—jeden Augenblick wären wir bereit gewesen, uns dafür zu opfern. [...] Aber wer mag so dafür geblutet haben wie ich?—Ja, 'der letzte Mut zu sich selbst'—ein blutiger Weg, der dahin führt—, der die Füße wund und müde macht.
Literatur & Quellen
Faber, Richard. Franziska zu Reventlow und die Schwabinger Gegenkultur. Köln/Germany: Böhlau, 1993.
Hammerstein, Katharina von. “Politisch ihrer selbst zum Trotz: Franziska Gräfin zu Reventlow,” Karin Tebben (ed.). Deutschsprachige Schriftstellerinnen des Fin de Siècle. Darmstadt/Germany: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1999. 290-312.
Kubitschek, Brigitta. Franziska Gräfin zu Reventlow. Leben und Werk. München/Germany: Profil Verlag, 1998. Reventlow, Franziska zu. Ellen Olestjerne. München: Marchlewski, 1903. Neuauflage. Mit einem Nachwort von Gisela Brinker-Gabler. Frankfurt a. M./Germany: Fischer, 1985.
“Wir üben uns jetzt wie Esel schreien…” - F. Gräfin zu Reventlow, Bohdan von Suchocki, Briefwechsel 1903-1909, hg. von Irene Weiser, Detlef Seydel & Jürgen Gutsch. Verlag Karl Stutz. Passau 2004
“Wir sehen uns ins Auge, das Leben und ich” - F. Gräfin zu Reventlow, Tagebücher 1895-1910, aus dem Autograph textkritisch neu herausgegeben und kommentiert von Irene Weiser & Jürgen Gutsch. Verlag Karl Stutz. Passau 2006.
Székely, Johannes. Franziska Gräfin zu Reventlow. Leben und Werk. Mit einer Franziska-Gräfin-zu-Reventlow-Bibliographie. Bonn/Germany: Bouvier, 1979.
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