Biographien Ernesta Bittanti Battisti
geboren am 5. Mai 1871 in Brescia
gestorben am 5. Oktober 1957 in Trient
Journalistin, Lehrerin, Intellektuelle und Mitfrau der italienischen Widerstandsbewegung
65. Todestag am 5. Oktober 2022
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Biografie
“Siora Battisti mi non capiso perché Ela la se mete sempre con quei che le ciapa.” (Frau Battisti, warum gesellen Sie sich bloß immer zu denjenigen, die auf der Verliererseite stehen?). Diese Worte im Trentiner Dialekt stammen von Faustina, Haushälterin der Familie Battisti, die sie stets wiederholte. Im Laufe der Zeit wurden sie zu einem festen Bestandteil des familiären Wortschatzes und sind es noch heute.
Ernesta verbrachte ihre Kindheit zwischen Brescia, Cremona und Cagliari. Ihrem Vater, der Mathematik unterrichtete und Schuldirektor war, verdankte sie die Liebe zum Studium: 1882 war sie das erste Mädchen in Cagliari, das ein staatliches Gymnasium besuchte. 1890 schrieb sie sich an der Fakultät für Literatur und Philosophie in Florenz ein, wohin sie mit ihren beiden Schwestern und ihrem Bruder gezogen war. Bald wurde das Haus der Bittanti zu einem Treffpunkt junger Intellektueller. Gaetano Salvemini, Ugo Guido, Guglielmo Mondolfo, Alfredo Galletti, Assunto Mori und Cesare Battisti trafen sich hier, um über Politik, Literatur und soziale Fragen zu diskutieren. Als Salvemini 1949 als Dozent an die Universität Florenz zurückkehrte, beschrieb er seinen Freundeskreis, und besonders Ernesta Bittanti, mit folgenden Worten: „Es wäre undankbar, wenn ich mich nicht meiner Kollegen besinnen würde …Am meisten beeinflusst hat mich eine Kollegin aus Cremona […]. Ich nannte sie „Ernestina” und so nenne ich sie auch heute noch. […] Ernestina war viel gebildeter als ich. Sie war es, die mich auf die russischen Romanciers brachte. Dank ihr lernte ich die Rivista di Filosofia scientifica kennen.“
Ernesta promovierte 1896 und gehörte zu den der ersten 20 Frauen in Italien mit einem Universitätsabschluss. Sie unterrichtete, wurde 1898 aber wegen ihres politischen Aktivismus aus allen Schulen des italienischen Reichs ausgeschlossen. 1899 gab sie im Palazzo Vecchio in einer standesamtlichen Trauung Cesare Battisti das Jawort. Mit ihm zog sie nach Trient. Beim zweiten Parteikongress der Sozialistischen Partei des Trentino hatte sie die Idee, eine Zeitung zu gründen, die als Plattform für Vorschläge und Programme für eine modernere und besser organisierte Partei dienen sollte. Am 7. April 1900 erschien erstmals das sozialistische Tagblatt Il Popolo. Gedruckt wurde die Zeitung in einer kleinen Druckerei, die Cesare Battisti allen Widrigkeiten zum Trotz aufgekauft hatte. 14 Jahre lang betrieben Ernesta und Cesare mit viel Hingabe ihr gemeinsames politisches und kulturelles Zeitungsprojekt. Nach Hunderten von Beschlagnahmeversuchen und unter großen finanziellen Schwierigkeiten musste es am 25. August 1914 eingestellt werden.
Il Popolo war weit mehr als eine Parteizeitung. Es handelte sich um eine echte Tageszeitung, die der Überzeugung entsprang, dass alle Menschen am Wissen teilhaben sollen. Neben Politik und Zeitgeschehen wurden in der Zeitung demnach auch Fragen der Wissenschaft, der Kultur, der Literatur, der Kunst und brennende soziale Themen abgehandelt. Ernesta Battisti zeichnete sich durch eine brillante und spitze Feder aus. Sie engagierte sich an den unterschiedlichsten politischen und sozialen Fronten. Seit dem Jahr 1900 veröffentlichte sie im Popolo regelmäßig Kolumnen, in denen sie die Lage des weiblichen Dienstpersonals eingehend analysierte. Der Arbeiterkammer schlug sie vor, Rechte und Pflichten dieser Berufskategorie festzulegen und eine Berufsschule einzurichten, damit der Arbeit der Dienstmädchen dieselbe Würde zuteil würde wie anderen Berufen auch.
Zwischen 1907 und 1913 erschienen drei Artikel über die Abschaffung der Todesstrafe. Im Nachhinein mutet ihre Botschaft angesichts der Ereignisse, die sich noch zutragen sollten, besonders bitter an. Im März 1906 startete Ernesta Bittanti Battisti im Il Popolo ihre Kampagne für die Scheidung und stellte sich damit offen gegen die katholische Moral. Ihre antiklerikale Einstellung rührte von ihrer laizistisch und positivistisch geprägten Weltanschauung her, aber auch von ihrem Studium der Pädagogik. Viele Jahre danach noch erinnerten sich ihre Enkelkinder, wie sie bewegungslos und ungerührt hinter den heruntergelassenen Jalousien am Fenster ihres Hauses in Trient stand, während die Madonnenprozession darunter Halt machte und Gottes Vergebung für die „Ungläubige” erbeten wurde.
1901, 1907 und 1910 gebar sie ihre drei Kinder Gigino, Camillo und Livia. Nichtsdestotrotz schrieb sie weiter und nahm aktiv am politischen und gesellschaftlichen Leben teil. Am 31. Dezember 1908 reiste sie sogar nach Messina, um den Erdbebenopfern Hilfe zu leisten.
Im August 1914 erhielt sie eine besondere Postkarte von Cesare Battisti. Unter der Briefmarke stand ganz klein geschrieben: „Der Krieg ist sicher. Ich bestehe darauf: Stell den Popolo ein und komm ins Königreich”. So stellte Ernesta die Zeitung ein und verließ gemeinsam mit ihrer Familie Trient. Um den Lebensunterhalt für ihre Lieben zu sichern, begann sie wieder zu unterrichten. Als Cesare Battisti am 12. Juli 1916 hingerichtet wurde, war Ernesta in Padua. Die Nachrichten, die sie dort erreichten, waren verwirrend, erfüllten sie mit Angst und bösen Vorahnungen: Zunächst ging die Rede davon, dass Cesare Battisti an der Front gefallen, dann dass er in Gefangenschaft geraten sei. Erst am 17. Juli erfuhr sie schließlich von seiner Hinrichtung.
Die Beziehung zwischen Ernestina und Cesare war eine besondere: es war eine seltene Seelenverwandtschaft, intellektuell wie spirituell. Es war nicht nur eine große Liebe, sondern auch ein selten enger Bund, der der Verwirklichung eines großen gemeinsamen Ideals diente. Ernesta litt unendlich unter dem Verlust ihres Mannes. Verschlimmert wurde das ganze durch dessen posthume Erniedrigung: der ehemalige Abgeordnete des Kaiserlichen Rats und des Trentiner Landtags wurde als Verräter, Subversiver, Irredentist angeprangert. Die verleumderischen Attacken bekam auch die Witwe zu spüren, die von ihren klerikalen Widersachern abschätzig Ernesta Bittanti genannt wurde. Damit wollte man ihr die Anerkennung der standesamtlichen Trauung mit Battisti verweigern.
In den darauffolgenden Jahren machte die politische Propaganda aus Cesare Battisti einen Helden und Märtyrer, und sein Gedankengut wurde zuerst für die faschistischen Ideale zweckentfremdet und später für die utilitaristischen der Nachkriegszeit. Dies obwohl Ernesta Bittanti Battisti und ihre Nachkommen darum gebeten hatten, dass das Andenken an Cesare Battisti nicht mit einer Ideologie in Verbindung gebracht werden möge, die seiner eigenen völlig fremd war. Nach dem Tod ihres Mannes machte es sich Ernesta zur Aufgabe, die Authentizität des battistischen Gedankenguts zu wahren. Sie wurde beauftragt, die politischen Schriften Cesares auf gesamtstaatlicher Ebene herauszugeben. Das Werk erschien 1923 im Verlag Le Monnier.
Im Januar 1923 beantwortete sie die Weihnachtsgrüße Mussolinis, der kurzzeitig auch für Il Popolo gearbeitet hatte, mit folgenden Worten: „…ich weiß nicht, wie viele der Vertreter des italienischen Volkes, die Sie mit ihrer Missachtung erniedrigt haben, […] sich des Abgrunds und des Niedergangs bewusst sind. Die Gründer unseres Vaterlandes, die Denker und Soldaten, die ein Jahrhundert lang ihr Leben für Italien geopfert haben, sind auf jeden Fall entsetzt! Der Geschichte kann man keine Gesetze aufzwingen: Aber sie hat Euch als Ausdruck eines erschreckenden Schicksals erwählt, das Land zu regieren […] durch Ketten und durch die Erstickung seiner Lebenskraft!”
Am 22. Juni 1924, nach dem Mord an Matteotti bei einem Faschistenaufmarsch in Trient, begab sich Ernesta in Begleitung von Pietro Calamandrei in einem Akt des Widerstands zum „Graben der Märtyrer” beim Castello del Buonconsiglio, um dort zu verweilen. Über den Gedenkstein, welcher auf den Ort der Hinrichtung ihres Mannes verwies, legte sie ein schwarzes Tuch als Zeichen der Trauer.
1930 zog die Familie nach Mailand. Dort war Ernesta weniger ausgesetzt und erkennbar. Ihr Engagement und ihr unbändiger Geist aber blieben unverändert. Als 1939 die Rassengesetze ausgerufen wurden, reagierte sie sofort und bestimmt. Enkelin Mimma besitzt noch ein Foto, das zeigt, wie sie mit ihrer Großmutter im Garten spielt. Die Großmutter trägt auf ihrem Mantel aus Solidarität den gelben Davidstern. Im Tagebuch Israel-Antisrael hielt Ernesta Battisti das antisemitische Drama fest, die Abreise ihrer Freunde. Als Ingenieur Augusto Morpurgo ganz plötzlich verstarb, ließ sie im Corriere della Sera vom 18. Februar 1939 (Jahr XVII im faschistischen Zeitalter) eine Todesanzeige veröffentlichen. Dass Ernesta den Namen der Battisti neben jene des italienischen Judentums gestellt und es auch noch gewagt hatte, für einen „Juden“ eine Todesanzeige zu veröffentlichen, war ein symbolischer Akt von großer Tragweite. „Verrückt”, so beschimpfte sie Telesio Interlandi, Direktor der Zeitung Difesa della Razza (Verteidigung der Rasse).
Nach dem 8. September 1943 musste die Familie in die Schweiz fliehen. Von Lugano aus arbeitete Ernesta mit den Partisanen der Val d’Ossola zusammen, in deren Reihen auch ihr Sohn Gigino kämpfte. Am 24. September 1943 schrieb sie dem Präsidenten der Helvetischen Konföderation und bedankte sich für die Gastfreundschaft. Gleichzeitig zeigte sie sich äußerst besorgt über – sie hoffe haltlose – Meldungen, wonach israelischen Gruppen das Asylrecht verweigert werde. Nach dem Kriegsende kehrte Ernesta nach Trient zurück. Doch bald ereilte sie ein weiterer schwerer Schicksalsschlag. Am 13. Dezember 1946 verlor ihr Erstgeborener Luigi, den alle Gigino nannten, bei einem tragischen Zugunglück das Leben. Er hatte nach seinem Kampf in den Reihen der Widerstandsbewegung gerade eine politische Laufbahn eingeschlagen: als erster sozialistischer vom Befreiungskomitee unterstützter Bürgermeister, als vom Volk gewählter Abgeordneter bei den ersten Wahlen der Italienischen Republik und als Schriftführer der verfassunggebenden Versammlung.
Trotz der erlittenen Schicksalsschläge hielt Ernesta Bittanti Battisti nach ihrer Rückkehr nach Italien den Kontakt zu ihren alten Freunden aufrecht, insbesondere zu Salvemini. Im Büro, das sie mit ihrem Mann geteilt hatte, standen immer noch die zwei Schreibtische. Von hier aus arbeitete sie weiterhin als Schriftstellerin und Publizistin und verfolgte aufmerksam die politischen Entwicklungen und aktuellen Geschehnisse. Sie veröffentlichte 28 Abhandlungen über das Thema der Autonomie und die Südtirolfrage und polemisierte offen gegen das Vorgehen De Gasperis. Sie war gegen die Gründung einer autonomen Region und überzeugt davon, dass das Abkommen zwischen Gruber und De Gasperi nur für Südtirol hätte gelten sollen.
Von schwerer Krankheit gezeichnet, veröffentlichte Ernesta auch in ihren letzten Lebensjahren Artikel und Monografien über Kultur, Literatur, Geschichte und Pädagogik, darunter einen viel gepriesenen Essay mit dem Titel „Primavera” über den Maler Botticelli.
Ernesta Bittanti Battisti starb am 5. Oktober 1957 in Trient, einen Monat nach ihrem Freund Salvemini. Sie hatte eine weltliche Trauerfeier angeordnet. Ferruccio Parri hatte folgende Inschrift für sie verfasst: „[…] kühne unbeugsame Kämpferin / aller Freiheitskämpfe.”
Von ihrer feingliedrigen rechten Hand fertigte Winkler posthum einen Bronzeabdruck an. Die Perfektion jeder einzelnen Vene, des Profils ihrer gepflegten kurzen Fingernägel und ihres feinen Pulses erinnert an die Vollkommenheit der Studien von Michelangelo und Leonardo. Unverkennbar zu spüren und zu sehen war jedoch die Hornhaut auf ihrem Mittelfinger, jenes typische Merkmal, das die Feder auf den Fingergliedern jener Menschen hinterlässt, die viel schreiben. Ein Zeichen, das bezeugt, dass Ernestina Bittanti Battisti den Weg, den sie gemeinsam mit Cesare Battisti begonnen hatte, stets weitergegangen ist. Bis ans Ende ihrer Zeit.
(Text von 2013)
Übersetzung aus dem Ital. von Claudia Messner
Verfasserin: Anna Vittorio
Links
Fondazione Museo Storico del Trentino.
Online verfügbar unter http://fondazione.museostorico.it/index.php, zuletzt geprüft am 01.05.2021.
In ricordo di Ernesta Bittanti Battisti.
Online verfügbar unter https://www.andrialive.it/news/cultura/210543/in-ricordo-di-ernesta-bittanti-battisti-una-silenziosa-eroina-del-nostro-risorgimento, zuletzt geprüft am 01.05.2021.
Micheli, Walter: Una donna contro le leggi razziali: Ernesta Battisti Bittanti. Centro Risorse DIDAweb. Ernesta Battisti Bittanti unter den Gerechten Israels (it.).
Online verfügbar unter http://www.didaweb.net/risorse/scheda.php?id=3105, zuletzt geprüft am 01.05.2021.
Literatur & Quellen
Quellen
Battisti, Camillo (1971): Ernesta Bittanti Battisti. Collaboratrice di Cesare Battisti. Trento. VDTT. (Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Battisti, Cesare (1966): Epistolario. 2 Bände. Firenze. La nuova Italia. (Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Biguzzi, Stefano (2008): Cesare Battisti. Torino. UTET. ISBN 978-88-02-07784-0. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Bittanti Battisti, Ernesta (1957): Italianità di De Gasperi. Lettera aperta all'on. Meda. Firenze. Parenti. (Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Bittanti Battisti, Ernesta (1984): Israel-Antisrael. Diario 1938-1943. Studio storico di Antonino Radice. Calliano. Manfrini. ISBN 88-7024-246-3. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Dongilli, Annalia. (2006): Un giornale per “Il popolo”. L'impresa culturale dei coniugi Battisti : (1900-1914). Trento. UCT. (Teseo) (Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Primerano, Beatrice (2010): Ernesta Bittanti e le leggi razziali del 1938. Con l'edizione critica del diario Israel-Antisrael e delle Lettere (1938-1951). Trento. Fondazione Museo storico del Trentino. (Opere e fonti battistiane, 2) ISBN 978-88-7197-131-5. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Salvemini, Gaetano (1954): Che cosa è la coltura? Parma. Guanda. (Collana clandestina, 9) (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Weiterführende Literatur
Anzalone, Lina (2011): Ernesta Bittanti Battisti. L'ultima donna del Risorgimento italiano. Ravagnese Reggio Calabria. Città del sole. (tempi della storia, 17) ISBN 978-88-7351-436-7. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Hürter, Johannes. und Rusconi, Gian Enrico (Hg.) (2007): Der Kriegseintritt Italiens im Mai 1915. München. R. Oldenbourg. (Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Sondernummer) ISBN 978-3-486-58278-9. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Bildquellen
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