Biographien Erika Giovanna Klien
geboren am 12. April 1900 in Borgo/Valsugana im Trentino
gestorben am 19. Juli 1957 in New York
österr.-US-amerikanische bildende Künstlerin und Kunstpädagogin, wichtigste Vertreterin des Wiener Kinetismus
65. Todestag am 19. Juli 2022
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen • Bildquellen
Biografie
Für Erika Giovanna Klien bildeten Kunst und Leben eine Einheit. Die Tochter aus behütetem kleinbürgerlichem Beamtenhaus verwischte früh die Grenzen zwischen künstlerischer Arbeit und Alltagsleben. Ihren Traum vom Theater und von der Schauspielerei konnte sie als Jugendliche ihrem Vater gegenüber nicht durchsetzen - wahrscheinlich wegen ihrer schlechten Schulnoten. Da sie sich zum Zeichnen ebenfalls stark hingezogen fühlte, wurde ihr ab 1919 der Besuch der Kunstgewerbeschule in Wien zugestanden. An dieser Schule, der späteren Hochschule für Angewandte Kunst, herrschte in der Aufbruchsstimmung der ersten Nachkriegszeit ein enormer Reformwille. Es unterrichteten bedeutende Künstler, die sich mit den Strömungen der europäischen Avantgarde, dem Futurismus und Kubismus, dem Konstruktivismus und den Lehren des Bauhaus auseinandersetzten und die Grenzen zwischen Kunst und Kunstgewerbe aufzuheben versuchten.
Besonders wichtig für Erika Giovanna Klien sollte der charismatische Reformpädagoge Franz Cizek werden. Mit der Aufforderung »Stülpen Sie heute Ihre Seele nach außen« versuchte er jenseits von Stilkonventionen das schöpferische Potential seiner SchülerInnen zu befreien. Bei diesem Lehrer konnte sich das Ausdrucksbedürfnis der verhinderten Schauspielerin frei entfalten. Cizeks ganzheitliche Auffassung, die bildende Kunst, Literatur, Musik, Theater, Tanz und Architektur als gleichbedeutende künstlerische Ausdrucksmittel ansah, kam der vielseitigen Erika Giovanna Klien entgegen. Sie schrieb Gedichte und verarbeitete sie zu Schriftbildern und comicartigen Aufzeichnungen, gestaltete ihre Handschrift zu einer künstlerischen Geste, ersetzte die ihr lästigen Satzzeichen in ihrer privaten Korrespondenz konsequent durch Gedankenstriche. Dem Theater blieb Erika Giovanna Klien auf ihre Art treu. Sie liebte dramatische Auftritte, kleidete sich exzentrisch, theatralisierte ihr Privatleben, unterhielt zahlreiche Liebesaffären und besuchte 1922/23 die Wiener Schauspielschule, die in der Nähe der Kunstgewerbeschule untergebracht war. Sie arbeitete als Laienschauspielerin, beschäftigte sich intensiv mit ihrem Aussehen und mit ihrem Körper und fühlte sich stark zum Tanz hingezogen. Sie schuf ein vollständig erhaltenes Marionettentheater mit neuartiger Bühne, Kulissen und Figurinen und schrieb ein Stück dafür. Die innovative Theatervision, in welcher der Mensch durch Objekte ersetzt wird, trägt den Stempel der 1920er Jahre: Faszination der Großstadt, Abstraktion, Mechanik und Tempo.
Vor allem aber ist das Marionettentheater der Erika Giovanna Klien vom Wiener Kinetismus geprägt, einer Kunst der Bewegung im Raum, als deren Begründer Franz Cizek gilt und die nichts weniger anstrebte als eine rhythmische Schulung des Empfindens. Cizeks begabteste Schülerin entwickelte als einzige seine Ideen auf eigenständige Weise bis an ihr Lebensende weiter und gestaltete prozesshafte Bewegungsabläufe: Tanz, Vogelflug, abstrakte Bewegungsrhythmen ziehen sich als bestimmende Bildthemen durch ihr gesamtes Werk. Früh sorgte Cizek auch im eigenen Interesse für die Beteiligung der Künstlerin an wichtigen Ausstellungen, so 1925 an der Kunstgewerbeausstellung in Paris, 1926 an der Internationalen Ausstellung moderner künstlerischer Schrift im Österreichischen Museum für Kunst und Industrie, 1927 in Katherine Dreiers International Exhibition of Modern Art 1926/27 in New York. Hier war Erika Giovanna Klien neben Größen wie Arp, Duchamp, Kandinsky, Klee, O’Keeffe die einzige Vertreterin der österreichischen Moderne und im Katalog als einzige nicht als Künstlerin für sich angeführt, sondern unter der Bezeichnung »Cizek Method« .
Der Anteil der Frauen an der Kunstgewerbeschule war hoch. Ihr künstlerischer Durchbruch gestaltete sich aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen als schwierig. Sie arbeiteten als Lehrerinnen oder Kunstgewerblerinnen. So auch Erika Giovanna Klien. Sie schaffte trotz erfolgreicher Ausstellungstätigkeit nach ihrem Abschluss an der Kunstgewerbeschule ihren Durchbruch als freie Künstlerin nicht, verstand aber wie Cizek die pädagogische Tätigkeit als schöpferisches Künstlertum und engagierte sich in Theorie und Praxis intensiv für ihr Pädagogik-Projekt. Neben ihrer Tätigkeit als Gebrauchsgraphikerin unterrichtete sie von 1926 bis 1928 an der Elizabeth-Duncan-Schule in Klessheim bei Salzburg, die den Idealen der Tänzerin Isadora Duncan von einer geistig und körperlich befreiten Weiblichkeit verpflichtet war. Erfolgreich führte Erika Giovanna Klien ihre pädagogische Tätigkeit an der New Yorker Stuyvesant School weiter, unterrichtete in Amerika an mindestens sieben Schulen, unter anderem an so bedeutenden Kunstinstitutionen wie der Spence School, der Dalton School und der Walt Whitman School. Zwischen 1930 und 1940 unterrichtete sie an drei Instituten gleichzeitig, um sich das Existenzminimum zu sichern. In dieser Phase entstanden einige ihrer bedeutendsten Werke. 1938 wird Erika Giovanna Klien amerikanische Staatsbürgerin.
Zu dem Schritt, Österreich im Jahr 1929 zu verlassen und nach New York zu ziehen, mögen Erika Giovanna Klien mehrere Gründe bewogen haben: die Anziehungskraft und der pulsierende Rhythmus der Großstadt, die Hoffnung, sich als Künstlerin durchzusetzen, die Geburt ihres unehelichen Sohnes, die sie ihrer Mutter zeitlebens verschwieg, die verstärkt notwendig gewordene finanzielle Unabhängigkeit. Die erste große Begeisterung weicht bald der Zermürbung durch den Überlebenskampf. Seit Mitte der 40-er Jahre ist Erika Giovanna Klien gesundheitlich schwer angeschlagen, erschöpft vom ständigen Zwang zu unterrichten und sich als alleinstehende Frau in den Zeiten der wirtschaftlichen Depression in den USA gesellschaftlich und ökonomisch zu behaupten. Der Durchbruch als Künstlerin gelang ihr auch in Amerika nur ansatzweise.
Erika Giovanna Klien stirbt 57-jährig in New York an einem Herzinfarkt. Sie hat ein sehr umfangreiches Oeuvre hinterlassen, das seit 1975 zunehmend erforscht, in seiner künstlerischen Bedeutung erkannt und öffentlich zugänglich gemacht wird.
Verfasserin: Margit Oberhammer
Zitate
Es gibt eine Liebe – die über jede Definition erhaben ist.
(Erika Giovanna Klien, gefunden hier)
Links
basis wien: Klien, Erika Giovanna. Linksammlung (Ausstellungen, Literatur, Werk), noch nicht sehr ausgebaut. (Link aufrufen)
Sammlung Pabst: Erika Giovanna Klien. Kurze biografische Angaben, Ausstellungen, einzelne Werke. (Link aufrufen)
Kunst-Auktionen im Kinsky: Klien Erika Giovanna. (Link aufrufen)
Links geprüft und korrigiert am 7. April 2020 (AN)
Literatur & Quellen
Baum, Peter (1983): Künstlerinnen: Österreich – 20. Jahrhundert. Erika Giovanna Klien (1900-1957), Broncia Koller (1863-1934), Birgit Jürgenssen, Elfriede Trautner, Barbara Pflaum. Ausstellungskatalog. Darin: Mautner Markhof, Marietta: Der Wiener Kinetismus und Erika Giovanna Klien (1900 – 1957). S. 8-23. Linz. Neue Galerie. (Suchen bei Eurobuch | WorldCat)
Erika Giovanna Klien (1900-1957) (1987). Eine Ausstellung des Museums Moderner Kunst im Museum des 20. Jahrhunderts. Ausstellungskatalog. Wissenschaftliche Bearbeitung: Marietta Mautner Markhof. Redaktion und Koordination der Ausstellung: Susanne Neuburger. Wien. Museum Moderner Kunst. (Suchen bei Eurobuch | WorldCat)
Erika Giovanna Klien (1992). Ölbilder, Aquarelle, Zeichnungen und Grafiken der 20er bis 50er Jahre. Ausstellungskatalog. München. Galerie Michael Pabst. (Suchen bei Eurobuch | WorldCat)
Kaak, Joachim; Pabst, Michael (1999): Erika Giovanna Klien 1900-1957. Ausstellungskatalog. München. Staatsgalerie Moderner Kunst. (Suchen bei Eurobuch | WorldCat)
Krammer, Marion; Platzer, Monika (2006): Kinetismus. Wien entdeckt die Avantgarde. Ausstellungskatalog. Ostfildern. Hatje Cantz (Sonderausstellung). ISBN 978-3-7757-1797-7. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Leitner, Bernhard (Hg.) (2001): Erika Giovanna Klien. Wien New York 1900 – 1957. Ausstellungskatalog. Texte: Dieter Bogner, Bernhard Leitner, L.W. Rochowanski, Andreas Hapkemeyer. Ostfildern-Ruit. Hatje Cantz. ISBN 3-7757-9069-1. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Mautner Markhof, Marietta (2001): Erika Giovanna Klien. Wien 1900 – 1957 New York. Katalog. Wien. Gemäldegalerie M. Kovacek. ISBN 3-900605-08-4. (Suchen bei Eurobuch | WorldCat)
Orlando, Susanne (2008): Expressionismus, Kubofuturismus, Kinetismus. Von Kirchner bis Klien, von El Lissitzky bis Popowa. Ausstellungskatalog. Mit einem Text von Marietta Mautner Markhof. Zürich. Orlando. ISBN 978-3-905647-31-0. (Suchen bei Eurobuch)
Pabst, Michael (1975): Erika Giovanna Klien (1900-1957). Die Wiener Schule des Kinetismus. Verkaufskatalog. Wien. Galerie Michael Pabst (Katalog. Galerie Michael Pabst, 6). (Suchen bei Eurobuch | WorldCat)
Schnitzler, Andreas (1999): Erika Giovanna Klien und der Wiener Kinetismus. Eine kunstgeschichtliche Positionierung des in Österreich entstandenen Œuvre der Künstlerin. Diplomarbeit. Graz. Universität.
Winter, Alfred (2001): Schule der bewegten Körper. Isadora & Elizabeth Duncan und Erika Giovanna Klien in Salzburg. Ausstellungskatalog. Salzburg. Verlag Schatzkammer Land Salzburg.
Witzleben, Sigrid von; Pabst, Michael et al. (1986): Wiener Kinetismus, E.G. Klien. E.G. Klien und 10 Künstler des Wiener Kinetismus. Ausstellungskatalog. München. Galerie Michael Pabst. Katalog. Galerie Michael Pabst, Bd. 16. (Suchen bei Eurobuch | WorldCat)
Bildquellen
- Artnet.de
- Stadt-Wien.at
- Galerie Pabst
- Kunst-Auktionen im Kinsky
- Kunsthandel Wienerroither & Kohlbacher
- Museion Museum fuer moderne und zeitgenoessische Kunst Bozen
- Österreichische Nationalbank
Sollten Sie RechteinhaberIn eines Bildes und mit der Verwendung auf dieser Seite nicht einverstanden sein, setzen Sie sich bitte mit Fembio in Verbindung.