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(Elizabeth Cleghorn Gaskell, geb. Stevenson)
geboren am 29. September 1810 in Chelsea, London
gestorben am 12. November 1865 in Holybourne, Hampshire
englische Schriftstellerin
Biografie • Literatur & Quellen
Biografie
Elizabeth Cleghorn Gaskell (1810-1865), geb. Stevenson, war eine im viktorianischen Zeitalter sehr beliebte englische Autorin, die aber ihr Ansehen nach dessen Ende verlor. Erst in den späten Fünfziger- und frühen Sechzigerjahren des zwanzigsten Jahrhunders erfuhr sie im Zusammenhang mit marxistischen, feministischen und neueren erzähltechnischen Überlegungen eine Neubewertung, die sie neben ihre großen ZeitgenossInnen George Eliot und Charlotte und Emily Brontё stellte. Erfolgreiche BBC-Verfilmungungen von Gaskells Romanen Frauen und Töchter (1999) Norden und Süden (2004) und Cranford (2007) machten sie auch einem breiteren Fernsehpublikum bekannt.
Was sie von den berühmten Schriftstellerinnen ihrer Zeit unterschied, war nicht nur enorme Produktivität – sie schrieb sieben Romane, eine Biographie, vier längere Novellen und mehr als vierzig Erzählungen, Essays, Reiseberichte und Erinnerungen – sondern mehr noch die Vielfalt der Themen, Perspektiven und Genres, für die sie auf ein übervolles, vielseitiges Leben zurückgreifen und eigene Erfahrungen verwenden und variieren konnte. Sie liebte auch lokale, gruselige und phantastische Geschichten und war eine genaue Beobachterin von Gebräuchen, Menschen, Landschaften – und Regionaldialekten.
In Chelsea geboren, verlor Elizabeth ihre Mutter sehr früh und wuchs bei deren verwitweter Schwester in der ländlichen Marktgemeinde Knutsford, Cheshire, in einer weitverzweigten unitarischen Familie auf, die ihr ein geistig und gesellschaftlich aufgeschlosenes Umfeld bot, das die zum hübschen Mädchen Heranwachsende wesentlich prägte. Sie liebte ihren Vater und ihren einzigen, älteren Bruder, doch verlor sie den einen an eine zweite Ehe, den anderen im britischen Kolonialreich. 1832 heiratete sie William Gaskell, einen unitarischen Pfarrer an der Cross Street Chapel in Manchester, wo er es mit seinen vielen wohltätigen und intellektuellen Tätigkeiten zu hohem Ansehen brachte. Das Paar führte ein sozial aktives und intellektuell anregendes Leben in einem weiten Kreis von Gemeindemitgliedern, Familien und Bekannten, der von Mittellosen über FabrikarbeiterInnen bis zu Fabrikanten, LiteratInnen und AristokratInnen das ganze Spektrum der zeitgenössischen Gesellschaft umfasste. Zahlreiche Reisen führten die Beiden gemeinsam oder Mrs. Gaskell in weiblicher Begleitung durch England, Wales und Schottland sowie nach Belgien, Frankreich, Italien und Deutschland. Sie liebte diese Reisen und Urlaube, die ihr erlaubten, Manchester und ihrem anstrengenden Leben da zu entfliehen und Erholung wie Anregung zu finden.
Gaskell gebar sieben Kinder, von denen vier Töchter überlebten, führte immer größer werdende Häuser, hatte viele BesucherInnen und nahm ihre Pflichten als Frau und Mutter sehr wichtig, wollte aber auch schreiben. Sie erlebte das als einen Konflikt, dem, wie sie meinte, keine Schriftstellerin entgehen konnte.
Zunächst verfasste sie gemeinsam mit ihrem Mann „Sketches among the Poor“ und begann dann ein Tagebuch über die Entwicklung ihrer Tochter Marianne zu führen und eigene kleinere Texte zu schreiben. Sie wollte ursprünglich anynym bleiben, was ihr mit ihrem ersten Roman, der nach dem Tod ihres kleinen Sohnes entstand, aber nicht mehr gelang. Mary Barton (1848) handelt von den Zuständen in Manchester, der schrecklichen Armut in der rauchigen Industriestadt und den Auseinandersetzungen der Arbeiter mit den Fabrikherren. Gaskell kannte die Verhältnisse und Menschen aus eigener Anschauung, wurde aber kritisiert, dass sie zu parteiisch für die Armen eintrete und nicht genug von Wirtschaft verstehe. Der Roman war jedoch ein großer Erfolg und machte Mrs. Gaskell, wie sie meist und gern genannt wurde, berühmt und mit vielen literarischen Größen ihrer Zeit bekannt. Charles Dicken z. B. bat sie immer wieder um Erzählungen für seine Zeitschrift Household Words und nannte sie Scheherazade. Sie selbst interessierte sich sehr für Schriftstellerinnen, korrespondierte mit vielen und unterstützte sie. Auch mit Charlotte Brontё freundete sie sich an und schrieb auf Wunsch des Vaters deren Biographie, The Life of Charlotte Brontё (1857), zu der ihr Briefe und Berichte aus erster Hand zur Verfügung standen. Sie ging behutsam damit um, verschwieg manches, konnte aber Klagen über Verfälschungen nicht vermeiden.
Ein weiterer Roman, Ruth (1853), stieß ebenfalls auf Bewunderung und Tadel, weil er eine „Gefallene“ zur Hauptfigur machte und mit großer Sympathie zeichnete. Gleichzeitig zu Ruth schrieb Gaskell, angeregt durch einen erholsamen Besuch in Knutsford, die heitere Erzählung „Our Society at Cranford“ (1851), die sie in Fortsetzungen weiterführte und schließlich als episodischen Roman Cranford (1853) in Buchform herausbrachte. Er ist Ihr meistveröffentlichtes Werk, wird aber oft als eine aus Nostalgie und Ironie gemischte ländliche Idylle missverstanden. Tatsächlich gelingt es Gaskell darin, verschiedene Erinnerungsebenen und Erzählperspektiven auf subtile Weise zu verbinden, um ihre Zeit im Wandel darzustellen. Den Mittelpunkt bilden alternde, allein lebende Frauen, die mit der Beschränktheit ihrer Sitten und Meinungen zum Schmunzeln einladen, sich aber mit ihrer Warmherzigkeit und ihrem Gemeinschaftssinn letztendlich an Veränderungn beteiligen. Sie betreiben „elegant economy“ (elegante Sparsamkeit), sind jedoch immer bereit einander und anderen zu helfen. Bei Gaskell spielen „alte Jungfern“ und früh verwitwete Frauen eine relativ große, keineswegs nur belächelnswerte Rolle. Obwohl ihnen das Leben vieles, vor allem Kinder, vorenthält, kann es ein erfülltes sein. Allgemein stellt sie sehr verscheidenartige Frauen und Mädchen in den Mittelpunkt, doch Männer bilden einen wichtigen Rückhalt. Patriarchalische Härte zeichnet sie negativ und karikiert Standesdünkel bei Männern wie Frauen. Gaskell war eine „vorsichtige Feministin“, die traditionell weiblich konnotierte Eigenschaften wie Liebe, Fürsorge und Opferbereitschaft als Stärken darstellte, aber Eigenständigkeit lebte und schätzte.
Mit North and South (1855) schrieb sie einen zweiten Industrieroman, in dem sie tiefer auf die ökonomischen und psychologischen Probleme einer rapiden Industrialisierung einging, mit Sylvia‘s Lovers (1863) (Sylvias Liebhaber) einen historischen Roman. Wives and Daughters: An Everyday Story (1863) (Frauen und Töchter: Eine alltägliche Geschichte), ihr letztes durch ihren plötzlichen Tod nicht ganz abgeschlossenes Werk, gilt als ihr bestes, mit souveräner Sicherheit erzähltes.
Gaskells Romane erschienen zunächst als Fortsetzungen in zeitgenösschischen Zeitschriften, in denen auch ihre anderen Texte herauskamen – im In- und Ausland. Mit ihrer Tatkraft als Frau und Schriftstellerin war Mrs. Gaskell nicht nur eine gewöhnlich/außergewöhnliche Repräsentantin des viktorianischen Zeitalters, sondern Beschrieb und kritisierte dieses mit bemerkenswerter Einsicht und erzählerischem Können.
(Text von 2022)
Verfasserin: Christiane Zehl-Romero
Literatur & Quellen
Es gibt keine deutschsprachige Biographie von Elizabeth Gaskell, nur zahlreiche Übersetzungen ihrer Werke.
Die Standardausgabe ihrer Werke im Englischen ist: The Works of Mrs. Gaskell, 8 vols. London: John Murray, 1906. The Knutsford Edition.
Gaskell schrieb zahreiche lebendige Briefe, von denen viele auf ihren Wunsch vernichtet wurden. Die wichtigsten erhaltenen sind:
Chapple, J. A. V, and Arthur Pollard, eds. The Letters of Mrs Gaskell. Manchester: Manchester UP, 1997.
Chapple, J. A. V, and Alan Shelston, eds. Further Letters of Mrs Gaskell. Manchester: Manchester UP, 2000.
Biographien u.a.:
Foster, Shirley. Elizabeth Gaskell. A Literary Life (Houndmills and New York: Palgrave Macmillan, 2002).
Jenny Uglow. Elizabeth Gaskell: A Habit of Stories (London: Faber and Faber, 1993).
Die Gaskell Society gibt das Gaskell Society Journal mit vielen Einzelanalysen heraus.
Eine wichtige Sammlung von Aufsätzen zu Gaskell ist außerdem:
Jill L. Matus, ed. The Cambridge Companion to Elizabeth Gaskell. Cambridge: Cambridge U. Press, 2007.
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