geboren am 2. März 1865 in Wien
gestorben am 21. Juni 1943 im KZ Theresienstadt
österreichische Romanistin
80. Todestag am 21. Juni 2023
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen • Bildquellen
Biografie
Elise Richter wächst in einem sehr kultivierten, liberalen, großbürgerlichen Elternhaus auf. Sie liest viel und stößt bei der Lektüre von Mommsens Römischer Geschichte auf sprachwissenschaftliche Probleme. Nun wünscht sie sich nichts sehnlicher, als Indogermanistik zu studieren oder doch zumindest ein Lateinlehrbuch geschenkt zu bekommen. »Ja, wenn du ein Bub wärst!« heißt es dazu. »Wir haßten unser Geschlecht!« schreibt Elise. Mit 20 Jahren bekommt sie dann doch eine griechische Grammatik. Nach fünf Monaten liest sie bereits Homer im Original.
1896 gestattet man den Frauen, Matura (Abitur) zu machen. Elise Richter legt 1897, immerhin 32jährig, als Externe die Matura ab und beginnt sofort als ordentliche Hörerin Romanistik, Sprachwissenschaft, klassische Philologie und Germanistik zu studieren. 1901 wird sie als erste Frau in Österreich und Deutschland zur Dr. phil. promoviert. Die Dissertation erregt in der Fachwelt Aufsehen.
Elise Richter strebt die wissenschaftliche Laufbahn an: » ... ich hatte oft die Empfindung, wenn ich nicht (wissenschaftlich) arbeiten könnte, würde ich zerspringen.« 1905 besteht sie, wieder als erste Frau in Österreich, glanzvoll das Habilkolloquium, muss allerdings noch zwei Jahre auf die Lehrbefugnis warten. Antisemitismus und Sexismus sind Ursachen dieser Verzögerung.
Sie wird zur begeisterten und begeisternden Universitätslehrerin; ihre Publikationen sind von internationalem Rang. Und doch bekommt sie 1921 nur den Titel einer außerordentlichen Professorin.
Sie sei nie darauf angewiesen gewesen, als Frauenrechtlerin zu kämpfen, meinte Elise Richter, fungierte jedoch von 1922 bis 1930 als Vorsitzende des von ihr mitbegründeten Verbandes der akademischen Frauen Österreichs.
Unentgeltlich lehrt und forscht sie, bis sie 1938 als Jüdin von der Universität gewiesen wird.
Das Herz krampft sich einer zusammen bei dem Gedanken an die letzten Lebensjahre dieser hochgelehrten Frau. Unermüdlich wissenschaftlich forschend bietet sie auf ihre Weise den körperlichen Nöten und der politischen Barbarei die Stirn. Nach einem Zwangsaufenthalt in einem Altersheim wird Elise Richter mit ihrer 80jährigen Schwester am 9. September 1942 in einen Zug gesetzt, der um 20 Uhr 25 Wien in Richtung Theresienstadt verlässt.
Verfasserin: Sibylle Duda
Zitate
Ich war zweiunddreißig Jahre alt, als ich Matura machte, aber erst zweiundvierzigjährig konnte ich im Hörsaal 35, am 23. Oktober 1907, die erste Vorlesung halten. Als nach allen Fährlichkeiten das Datum feststand, machte ich in offener Karl-Ludwig-Straße einen hohen Luftsprung vor Freude, so daß Helene erschrak, ich werde mir den Fuß verstauchen. Die Fährlichkeiten bezogen sich, nachdem endlich die zur Ankündigung der Vorlesungen nötige Bestätigung aus dem Ministerium ins Dekanat gelangt war, darauf, das Klatschinteresse des »Publikums«, der Kaffeegesellschaft hintanzuhalten, zu verhüten, daß die weibliche Antrittsvorlesung zum gesellschaftlichen Ereignis herabgewürdigt würde und eine Gegendemonstration der klerikalen und nationalen Studenten auslöse. Ich selbst hütete leidenschaftlich mein Heiligtum – das war mir die Venia – und übte bis zur Meisterschaft die Kunst, Journalisten hinauszuwerfen und hinters Licht zu führen. …
Wenn ich die Summe des Lebens ziehen soll, so möchte ich sagen: Als Mensch habe ich unendlich mehr empfangen als gegeben: Kunst, Natur, Liebe – ich kann nur dankbares Genießen als Gegenleistung anführen. Als Lehrer habe ich mehr gegeben als empfangen, wenn ich mir auch bewußt bin, nicht selten vom Fluidum des Mitgehens der Hörer getragen worden zu sein. Aber ich habe keine Schüler im wirklichen Sinne des Wortes. Wenn ich allerdings die Freude am Beruf betrachte, so hat er mir Unsägliches gebracht. Als Wissenschaftler? Das unermeßliche, von den erlesensten Geistern im Laufe der Jahrtausende aufgehäufte Gut hat sich in seinem ganz unausschöpfbaren Reichtum über mich ergossen, und ich habe – vielleicht? – dafür ein kleines Haferkörnchen, mehr Samen als Frucht, hinzugefügt. Ich habe viel gewollt, aber in der Wissenschaft gilt nicht, wie in der Ethik, das Voluisse. Ich schätze meine Leistung so ein – möge sie dem objektiven Beurteiler nicht zu aufgebläht erscheinen! …
Als Frau habe ich jedenfalls so viel gegeben als empfangen. Ich empfing den Weg, was gewiß nicht gering zu schätzen ist, aber ich ging ihn, und hier darf ich wohl sagen, in vorbildlicher Weise. Denn ich war mir bewußt, daß von dem ersten Eindruck der Maturantin, der Studentin, der Dozentin, viel abhing. Ich gab den Frauenrechtlerinnen das erste Beweisstück, auf das sie sich stützen konnten, eben weil ich alles Frauenrechtlerische und »Kriegerische« ganz vermied und mich rein sachlich vorarbeitete. In der Geschichte der Frauenbewegung wird daher mein Name eine gewisse Bedeutung behalten. Sehr leidvoll gewiß, aber auch sehr freudvoll, kampfbewegt, reich an Inhalt war dieses Leben. Es war wert, gelebt zu werden.
(Aus der Autobiographie »Summe des Lebens«)
Links
Elise Richter Preis.
Online verfügbar unter http://www.deutscher-romanistenverband.de/preise-und-foerderlinien/elise-richter-preis/, zuletzt geprüft am 24.05.2023.
Elise und Helene Richter - Weblog.
Online verfügbar unter http://richter.twoday.net/, zuletzt geprüft am 24.05.2023.
Virtuelle Bibliothek Elise und Helene Richter.
Online verfügbar unter http://richterbibliothek.ub.uni-koeln.de/portal/home.html?l=de, zuletzt geprüft am 24.05.2023.
ARIADNE - Projekt »Frauen in Bewegung«: Elise Richter. Informationen zu Leben und Werk, Fotos, Nachlassangaben.
Online verfügbar unter https://fraueninbewegung.onb.ac.at/node/1459, zuletzt geprüft am 24.05.2023.
Deutsche Nationalbibliothek: Richter, Elise 1865-1943 / Philologin (GND 118600389). Publikationen.
Online verfügbar unter https://portal.dnb.de/opac.htm?method=simpleSearch&cqlMode=true&query=idn%3D118600389, zuletzt geprüft am 24.05.2023.
Hausmann, Frank-Rutger (2003): Richter, Elise. In: Neue Deutsche Biographie 21 (2003), S. 525-526.
Online verfügbar unter http://www.deutsche-biographie.de/pnd118600389.html, zuletzt geprüft am 24.05.2023.
holocaust.cz: Richter Elise: Todesfallanzeige, Ghetto Theresienstadt.
Online verfügbar unter https://www.holocaust.cz/databaze-obeti/obet/56878-elise-richter/, zuletzt geprüft am 24.05.2023.
Hurch, Bernhard (2008): Apropos Elise Richter. In: DER STANDARD, 29./30.11.2008).
Online verfügbar unter http://diestandard.at/1227287400094, zuletzt geprüft am 24.05.2023.
Maas, Utz: Verfolgung und Auswanderung deutschsprachiger Sprachforscher 1933-1945: Richter, Elise.
Online verfügbar unter https://zflprojekte.de/sprachforscher-im-exil/index.php/catalog/r/389-richter-elise, zuletzt geprüft am 24.05.2023.
Messinger, Irene: Gedenken und Mahnen / Wien XI (Uni-Campus Altes AKH / Romanist. Institut). Gedenktafel mit Porträtrelief – Elise Richter.
Online verfügbar unter http://www.nachkriegsjustiz.at/vgew/1090_romanistischesinstitut.php, zuletzt geprüft am 24.05.2023.
Universität Wien: Elise-Richter-Programme.
Online verfügbar unter https://rs-lifesci.univie.ac.at/details/news/fwf-elise-richter-programme-1/, zuletzt geprüft am 24.05.2023.
Literatur & Quellen
Werke
Pius II (1914): Eurialus und Lukrezia. L'histoire de Eurialus et Lucresse vrays amoureux selon pape Pie. Übersetzt von Octovien de Saint-Gelais, nebst Bruchstücken der Anthitus-Übersetzung. Mit Einleitung, Anmerkungen und Glossar herausgegeben von Elise Richter. Halle a. S. Niemeyer. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Richter, Elise (1903): Zur Entwicklung der romanischen Wortstellung aus der lateinischen. Dissertation. Halle a. S. Niemeyer. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Richter, Elise (1904): Ab im Romanischen. Halle a. S. Niemeyer. (Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Richter, Elise (1905): Bausteine zur romanischen Philologie. Festgabe f. Adolfo Mussafia zum 15.2.1905. Halle a.d.S. Niemeyer. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Richter, Elise (1908): Die Bedeutungsgeschichte der romanischen Wortsippe bur(d). Wien. Hölder. (Sitzungsberichte der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien Philosophisch-Historische Klasse, 156,5) (Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Richter, Elise (1912): Wie wir sprechen. Sechs volkstümliche Vorträge. Leipzig. Teubner. (Aus Natur und Geisteswelt, 354) (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Richter, Elise (1919): Fremdwortkunde. Leipzig. Teubner. (Aus Natur und Geisteswelt, 570) (Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Richter, Elise (1922): Lautbildungskunde. Einführung in die Phonetik. Leipzig. Teubner. (Teubners philologische studienbücher) (Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Richter, Elise (1933): Die Entwicklung des neuesten Französischen. Bielefeld. Velhagen & Klasing. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Richter, Elise (1934): Beiträge zur Geschichte der Romanismen. Chronologische Phonetik des Französischen bis zum Ende des 8. Jahrhunderts. Halle/Saale. Niemeyer. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Richter, Elise (1937): Sprachwissenschaft in der Schule. Wien, Leipzig. Deutscher Verlag für Jugend und Volk. (Schriften des Pädagogischen Institutes der Stadt Wien, 14) (Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Richter, Elise (1977): Kleinere Schriften zur allgemeinen und romanischen Sprachwissenschaft. Ausgewählt, eingeleitet und kommentiert von Yakov Malkiel. Mit einer Bibliografie von B. M. Woodbridge. Innsbruck. Inst. für Sprachwiss. der Univ. Innsbruck. (Innsbrucker Beiträge zur Sprachwissenschaft, 21) ISBN 3-85124-541-5. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Richter, Elise (1997): Summe des Lebens. Wien. WUV-Univ.-Verl. ISBN 3-85114-355-8. (WorldCat-Suche)
Quellen
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Keckeis, Gustav (Hg.) (1953/54): Lexikon der Frau in zwei Bänden. 2 Bände. Zürich. Encyclios. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Kern, Elga (1929): Führende Frauen Europas. In sechzehn Selbstschilderungen. 3. Aufl. München. Reinhardt. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Kerschbaumer, Marie-Thérèse (1982): Der weibliche Name des Widerstands. 7 Berichte. München. Deutscher Taschenbuch-Verlag. (dtv, 6338) ISBN 3-530-44570-3. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Weiterführende Literatur
Alker, Stefan; Köstner, Christina et al. (2008): Bibliotheken in der NS-Zeit. Provenienzforschung und Bibliotheksgeschichte. Göttingen. V & R Unipress Vienna Univ. Press. ISBN 978-3-89971-450-0. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Brehmer, Ilse und Simon, Gertrud (Hg.) (1997): Geschichte der Frauenbildung und Mädchenerziehung in Österreich. Ein Überblick. Graz. Leykam. ISBN 3-7011-7369-9. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Christmann, Hans Helmut (1980): Frau und “Jüdin” an der Universität. Die Romanistin Elise Richter ; Wien 1865 - Theresienstadt 1943. Wiesbaden. Steiner. (Akademie der Wissenschaften und der Literatur
Hoffrath, Christiane (2009): Bücherspuren. Das Schicksal von Elise und Helene Richter und ihrer Bibliothek im “Dritten Reich”. Köln. Böhlau. (Schriften der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln, 19) ISBN 978-3-412-20284-2. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Hurch, Bernhard (2009): Caroline Michaëlis de Vasconcellos, Elise Richter, Hugo Schuchardt und Leo Spitzer. Graz. Inst. für Sprachwiss. der Univ. Graz. (Grazer linguistische Studien, 72) (Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Seebauer, Renate (2007): Frauen, die Schule machten. Wien. Lit. (Schul- und Hochschulgeschichte, 1) ISBN 978-3-8258-0227-1. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Stekl, Hannes (1999): »Höhere Töchter« und »Söhne aus gutem Haus«. Bürgerliche Jugend in Monarchie und Republik. Wien. Böhlau. (Damit es nicht verlorengeht ., 44) ISBN 3-205-99059-5. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Szapor, Judith; Peto, Andrea et al. (2012): Jewish Intellectual Women in Central Europe 1860-2000. Twelve Biographical Essays. Lewiston. Edwin Mellen Press. ISBN 9780773429338. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Bildquellen
Österreichische Nationalbibliothek
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