Biographien Elisabeth Freundlich
(Ehename: Elisabeth Anders, Pseudonym: Elisabeth Lanzer)
geboren am 21. Juli 1906 in Wien, Österreich-Ungarn
gestorben am 25. Januar 2001 Wien, Österreich
österreichische Schriftstellerin, Bibliothekarin, Journalistin, Übersetzerin und Literaturwissenschaftlerin
Biografie • Zitate • Literatur & Quellen
Biografie
„Aber ich muß bekennen, wenn ich gewußt hätte, wie schwierig es werden wird durch den Kalten Krieg, die Ablehnung und all das … Wenn ich das gewußt hätte, hätte ich den Mut nicht aufgebracht. Aber rückblickend bin ich froh, daß ich es getan habe, denn ich bin die geblieben, als die ich angetreten bin: eine politisch bewußte, aber unabhängige Schriftstellerin.“ (in: Gabriele Kreis: Frauen im Exil, S. 73)
Wien
Elisabeth Freundlich wuchs in Wien in einer großbürgerlichen jüdischen Familie auf, die gut in links-intellektuellen Kreisen vernetzt war. Ihre Mutter war Olga Freundlich, geborene Lanzer (diesen Namen sollte sie später als Pseudonym wählen), ihr Vater der sozialdemokratische Rechtsanwalt Dr. Jacques (genannt Jakob) Freundlich, der Mitglied des Verfassungsgerichtshofes war sowie Mitbegründer und Präsident der Arbeiter-Zentral-Bank-AG. Gleich zu Beginn der Diktatur 1934 wurde er festgenommen, kam erst in Untersuchungshaft und wurde danach unter Hausarrest gestellt, was zu einer Politisierung seiner Tochter führte.
Bis dahin hatte sich ihr Leben vor allem um Literatur, Theater und Kunst gedreht. Von 1928 bis 1932 studierte sie Germanistik, Romanistik und Kunstgeschichte in Wien. Während dieser Zeit war sie Mitglied des „Verbands Sozialistischer Studenten Österreichs“.
Praktische Regieerfahrungen am Theater wie auch beim Film sammelte sie sowohl in Wien 1930-1931 am Neuen Wiener Schauspielhaus als auch in Berlin. Und sie begann in dieser Zeit auch zu schreiben. So war sie von 1932 bis 1933 Mitarbeiterin der Zeitschrift Die Wiener Weltbühne, einem Schwesterorgan der Berliner Weltbühne.
Überstürzt flüchtete sie am 11. März 1938 nach der Annexion Österreichs durch Deutschland mit ihren Eltern und ihrem Hund (denn wo hätte sie den auf die Schnelle unterbringen sollen, fragte sie sich) nach Zürich und von dort aus nach Paris.
Zwei Schwestern der Mutter wurden über Theresienstadt nach Auschwitz deportiert, von ihrer jüngeren Schwester in Berlin fehlte später jede Spur.
Frankreich
Bereits zwischen 1934 und 1938 war Elisabeth Freundlich mehrmals nach Paris gereist. Schon in dieser Zeit hatte sie Kontakte mit dem Schutzverband deutscher Schriftsteller im Ausland, der nach der Gleichschaltung des Schutzverbands deutscher Schriftsteller in Deutschland 1933 von nach Frankreich emigrierten SchriftstellerInnen in Paris neu gegründet worden war.
Ab 1937 war sie zudem auch für spanische Hilfskomitees tätig. Außerdem kämpfte sie für die Aufrechterhaltung der österreichischen Kultur; beispielsweise in der von Emil Alphons Reinhardt ins Leben gerufenen Ligue de l´Autriche vivante (Liga für das geistige Österreich) in Paris, deren Sekretärin sie war. Nach Kriegsausbruch 1939 schrieb sie Beiträge für die Österreich-Sendungen des Deutschland-Programms im französischen Rundfunk und für die zweisprachige Exilzeitschrift Nouvelles d´Autriche. Wie Elisabeth Freundlich in ihren Erinnerungen Die Fahrenden Jahre schreiben sollte, war dies eine der wichtigsten Epochen in ihrem Leben, in der sie auch mit WiderstandskämpferInnen zusammenarbeitete, und weit entscheidender als ihre Universitätsjahre.
Gerne wäre sie in Frankreich der Kommunistischen Partei beigetreten, aber während des Exils nahm diese keine Neuzugänge auf. In ihren Erinnerungen hielt sie später fest, „daß die Kommunisten in der Emigration die besten Organisatoren, auch die hilfsbereitesten Menschen – selbst gegenüber Nicht-Parteigenossen gewesen sind“.
Als schlimmste Bedrohung sah sie den Waffenstillstand an, den Hitler 1940 mit Pétain schloss und durch den Frankreich zweigeteilt wurde.
Mit Hilfe eines US-Notvisums des Emergency Rescue Commitees, das sie durch Zufall über einen Parteifreund ihres Vaters erhalten hatten, gelang ihr mit ihren Eltern im Herbst 1940 die Ausreise in die USA. Wie bekanntlich zahlreiche andere mussten sie dazu über die Pyrenäen nach Spanien flüchten – auch diesmal wieder mit Hund, den sie die letzte Strecke sogar tragen musste. Warum die Behörden bei der Flucht so kulant waren, sollte sie erst später erfahren: Genau am Tag zuvor hatte Walter Benjamin dort Suizid begangen. In Portugal wurden ihnen zwar erst (Gast-)Professuren für wenigstens ein Jahr angeboten, aber die Behörden erlaubten nicht, dass sie diese annahmen.
USA
Am 26. November 1940 traf die Familie in New York ein. Dort arbeitete Elisabeth Freundlich erst eine Zeitlang als „lecturer“ für Literatur- und Theaterwissenschaften an verschiedenen Colleges und Universitäten.
Ab 1941 folgte ihr Studium der “Library Science” (Bibliothekarin) an der Columbia University, das kürzeste Studium, das angeboten wurde, und im gleichen Jahr erhielt sie eine Stelle als Sachbearbeiterin am Metropolitan Museum in New York, aber die Katalogarbeit dort langweilte sie.
Nebenbei baute sie ab 1943 unter dem Mädchennamen ihrer Mutter das Feuilleton der Exilzeitschrift „Austro-American Tribune“ auf, die monatlich von 1943 bis 1948 erschien, und von „Les Nouvelles d’Autriche“. Laut Viktoria Hertling (in: Wall, S. 99) zeichnet sich in Fachkreisen zunehmend die Meinung ab, „daß die Austro-American Tribune über eines der bestredigierten Feuilletons der deutschsprachigen Exilpresse verfügte“.
Nach dem Krieg erhielt sie eine Vertretungsstelle als Dozentin für Deutsch am Wheaton College in Illinois, wo ihre eindringliche Erzählung Invasion Day (Titel der Neuauflage: Wir waren ja wahnsinnig, damals) entstand, die erstmals 1948 in Deutschland veröffentlicht wurde. Darin blickt eine Fotografin aus Österreich auf ihre Zeit im antifaschistischen Widerstand in Europa zurück und fragt sich, ob die Opfer der Widerstandskämpfer vergeblich waren.
1945 heiratete Elisabeth Freundlich den aus Breslau stammenden Schriftsteller und Philosophen Günther Anders, Ex-Mann von Hannah Arendt, der ebenfalls in die USA ins Exil gegangen war.
Wien
Im Mai 1950 kehrte Elisabeth Freundlich mit Günther Anders aus dem Exil in New York nach Wien zurück. Sie ließ sich 1955 von ihm scheiden, aber die beiden blieben rinander freundschaftlich verbunden.
Sie hatte sich das Leben in ihrer alten Heimatstat jedoch anders vorgestellt: „Hätte ich gewußt, mit welchen Schwierigkeiten ich nach meiner Rückkehr zu kämpfen haben würde, vielleicht hätte ich nicht den Mut aufgebracht, diesen Schritt zu tun“, wie sie am Ende ihres Erinnerungsbuches Die Fahrenden Jahre (1992) schreibt.
Wie auch von anderen ExilantInnen bzw. RemigrantInnen bekannt, hatte Elisabeth Freundlich Schwierigkeiten, ihre Werke unterzubringen. Erst einmal arbeitete sie als Kulturkorrespondentin für die Tageszeitung Mannheimer Morgen sowie als Übersetzerin englischsprachiger Werke beispielsweise des irischen Dramatikers Sean O´Casey, außerdem als Übersetzerin und Mitarbeiterin verschiedener Rundfunkanstalten.
Sie war zudem Gerichtsreporterin für NS-Prozesse in Österreich und der BRD für Die Gemeinde sowie ab 1954 Mitarbeiterin der Frankfurter Hefte.
Seit 1958 war sie Mitglied im Österreichischen PEN. Aber es sollte viele Jahre dauern, bis sich der Literaturbetrieb entschied, ihre literarischen Arbeiten zu veröffentlichen. Und erst ab 1978 konnte sie sich ausschließlich ihren schriftstellerischen Tätigkeiten widmen. Nach der Veröffentlichung von Invasion Day (1948) gab es eine lange Pause bis 1960 ihr Roman Der eherne Reiter erschien. Ihr großer Familienroman Der Seelenvogel, den sie bereits im Exil verfasst hatte, erschien sogar erst 1986.
1981 wurde ihre Sammlung von Lebensbildern bedeutender Frauen aus drei Jahrhunderten und sechs Ländern unter dem Titel Sie wußten, was sie wollten veröffentlicht, in der sie über Aphra Behn, Dorothea Christiane Erxleben, Hesther Lucy Stanhope, Anne J. Théroigne de Méricourt, Anna Luise Karsch, Angelika Kauffmann, Margaret Fuller, Harriet Beecher Stowe, Charlotte Brontë und Olive Schreiner schreibt.
Die NS-Vernichtungspolitik in Polen 1939-1945 arbeitete sie in ihrem Buch Die Ermordung einer Stadt namens Stanislau auf, während weitere Erzählungen aus der Zeit des Exils 1986 unter dem Titel Finstere Zeiten erschienen und 1992 ihr Erinnerungsbuch Die Fahrenden Jahre. Immer wieder geht es ihr um Bewusstmachung, um das Nicht-Vergessen, um die Tragweite der Judenverfolgung und -vernichtung.
Elisabeth Freundlich starb 2001 in einem Wiener Pflegeheim, in dem sie ihre letzten Lebensjahre verbracht hatte.
2009 wurde in Wien im 22. Bezirk der Elisabeth-Freundlich-Weg nach ihr benannt.
(Text von 2022)
Verfasserin: Doris Hermanns
Zitate
„Tatsächlich hat sich die Kluft zwischen den Hiergebliebenen – und damit sind auch solche gemeint, die ein reines Gewissen haben dürfen – und denen, die man davon gejagt hatte, nie wieder ganz geschlossen.“ (in: Stadler: Vertriebene Vernunft II, S. 526)
„Ich bekomme viele Briefe von jüngeren Leuten, die mir schreiben, weder von ihren Eltern noch von ihren Großeltern könnten sie etwas darüber erfahren, was in den Jahren zwischen der Annexion und dem Kriegsende eigentlich vor sich gegangen sei und zu wessen Nutzen. Das ist immer eine große Ermutigung für mich, denn für diese jungen Leute zu schreiben, sie darüber aufzuklären, was damals geschehen ist, ist mein einziges Streben.“ (in: Stadler: Vertriebene Vernunft II, S. 527)
„Noch 1980 nannte sich eine an sich verdienstvolle Ausstellung im oberen Belvedere »Die uns verließen«. Zahlreiche Beamte des Belvedere waren mit dieser Ausstellung befaßt; keinem ist es eingefallen, gegen den Titel zu protestieren. »Die wir verstießen« hätte es doch wohl heißen sollen.“ (in: Stadler: Vertriebene Vernunft II, S. 528)
„Die österreichischen politischen Parteien hatten nicht das geringste Interesse an Rückkehrern, ja nicht einmal an solchen aus ihren eigenen Reihen. Alle wollten heraus aus der Trümmerwelt, wollten wieder ein geregeltes Familienleben führen, wollten nicht unter den drängenden Fragen ihrer Kinder, wie es denn damals gewesen sei, verlegen werden müssen. So bekamen die Kinder auch in der Schule nichts von den finsteren Zeiten zu hören, was sich bald bitter rächen sollte.“ (in: Stadler: Vertriebene Vernunft II, S. 527)
„Ich bin überhaupt erst im Exil zu meiner eigentlichen Person geworden. Diese Jahre waren für mich entscheidend. Man ist natürlich herausgerissen gewesen aus seiner Laufbahn … Aber das, was man statt dessen erlebt hat, war prägender. Seither fühle ich mich als Antifaschistin.“ (in: Kreis: Frauen im Exil, S. 72f)
Literatur & Quellen
Literatur über Elisabeth Freundlich:
Bahr, Raimund: Elisabeth Freundlich Werkbibliographie. Wien, Ed. Art Science, 2009. Materialien, Band 4
Hertling, Viktoria: Elisabeth Freundlich. In: Renate Wall: Lexikon deutschsprachiger Schriftstellerinnen im Exil 1933-1945. Band 1. Freiburg i. Br., Kore, 1995, S. 98-101
Schulte, Sanne: Vom Schreiben als Fliegen und vom Flüchten mit Flügeln. Über „Vögel mit Wurzeln“ in der Exilliteratur. In: Ursula Seeber, Veronika Zwerger, Doerte Bischoff, Carla Swiderski (Hg.): Mensch und Tier in Reflexionen des Exils. Berlin/Boston, Walter de Gruyter, 2021. Exilforschung – Ein internationales Jahrbuch; Band 39/2021, S. 53-67
Stadler, Friedrich Stadler (Hg.): Vertriebene Vernunft II. Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft 1930-1940. Münster, LIT Verlag, 2004. Reihe: Emigration – Exil – Kontinuität. Schriften zur zeitgeschichtlichen Kultur- und Wissenschaftsforschung. S. 525-528
Ziegler, Edda: Verboten verfemt vertrieben. Schriftstellerinnen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. München, dtv, 2010
Elisabeth Freundlich in der biografiA
Elisabeth Freundlich in der Deutschen National Bibliothek
Elisabeth Freundlich in der Österreichischen National Bibliothek
Werke von Elisabeth Freundlich:
Invasion-Day. Eine Erzählung. Überlingen am Bodensee, Wulff, 1948. (unter dem Pseudonym Elisabeth Lanzer) Neuauflage unter dem Titel Wir waren ja wahnsinnig, damals. Erzählung. Mannheim, persona, 2022. Hg. und mit einem Nachwort von Andreas F. Kelletat
Der eherne Reiter. Ein historischer Roman. Wien, Forum Verlag, 1960. Neuauflage: Frankfurt am Main, Insel Verlag, 1982
Sie wußten, was sie wollten. Lebensbilder bedeutender Frauen aus drei Jahrhunderten und sechs Ländern. Freiburg, Herder Verlag, 1981
Der Seelenvogel. Wien, Zsolnay Verlag, 1986. Neuauflage: Berlin, Ullstein, 1982
Die Ermordung einer Stadt namens Stanislau. NS-Vernichtungspolitik in Polen 1939-45. Wien, Österreichischer Bundesverlag, 1986. Neuauflage: Wien, Verlag der Theodor Kramer Gesellschaft, 2016
Finstere Zeiten. Vier Erzählungen. Mannheim, persona, 1986. Mit einem Nachwort von Werner Fuld
Die Fahrenden Jahre. Erinnerungen. Salzburg, Müller, 1992. Hg. und mit einem Nachwort von Susanne Alge
Der Onkel aus Triest. Erzählungen und Betrachtungen. Wien, Ed. Art Science, 2009
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