Biographien Elisabeth Borchers
geboren am 27. Februar 1926 in Homberg-Niederrhein (heute zu Duisburg)
gestorben am 25. September 2013 in Frankfurt/Main
deutsche Lyrikerin, Lektorin, Autorin, Übersetzerin
10. Todestag am 25. September 2023
Biografie • Literatur & Quellen
Biografie
„Ein Gedicht ist nicht diktierbar. Es setzt nicht Kenntnisse voraus, sondern Erfahrung,“ schreibt Elisabeth Borchers in Wie entsteht ein Gedicht. Gedichte gehören für sie erklärtermaßen zum „Existenzminimum“: Sie ist eine Frau des Wortes und führte ein Leben aus, mit und vor allem in Worten, als Lyrikerin, Lektorin, Autorin, Übersetzerin. Aber: „Mein Kernpunkt ist die Lyrik.“ Doch die Lyrik war nicht der Anfang, davor kam etliches andere, immer den Worten und der Literatur verpflichtet.
Elisabeth Borchers wurde am 27. Februar 1926 am Niederrhein geboren und verbrachte dort ihre Kindheit. 1940 floh sie mit ihrer Familie zu den Großeltern ins Elsass, um dem Krieg so gut wie möglich zu entgehen. Ihre französisch geprägte Jugend hinterließ deutliche Spuren. Zum einen arbeitete sie von 1945 bis 1954 in der französischen Besatzungszone als Dolmetscherin. Darüberhinaus wurde ihre Mehrsprachigkeit Teil ihrer lebenslangen Auseinandersetzung mit Texten: Sie begann, französische (später auch englische, russische, italienische) Romane und Kinderbücher zu übersetzen, Texte von Marcel Proust und Marguerite Duras genauso wie Bilderbücher.
Nach einem zweijährigen Aufenthalt in den USA begann sie 1960 schließlich als Lektorin für Luchterhand, 1971 wechselte sie nach Frankfurt zu Suhrkamp. Allerdings verlief ihre engagierte Arbeit an den Texten anderer, wie etwa Jurek Becker oder Arnold Stadler, von Anfang an parallel zu ihren eigenen Schreibprojekten. Auch wenn sie selbst der Lyrik den zentralen Stellenwert einräumt, so offenbart ein Blick auf ihr Schaffen eine außergewöhnliche Vielfalt. Sie hat Bände mit fast vergessenen Märchen herausgegeben, Texte fürs Fernsehen verfaßt, vielbeachtete Hörspiele geschrieben und in den späten 60ern gar ein Libretto für eine „Multi-Media-Oper“, Titel: Wenn die Kälte frierend in die Hütte tritt, um sich bei den Frierenden zu wärmen, weiss einer die Geschichte von einem Feuer.
Der Titel sagt viel über ihren Stil und ihr Interesse am Verspielten. Dieses märchenhaft Absurde, die surrealistischen Anklänge finden sich in ihren Kinderbüchern und vor allem in den frühen Gedichten, wie etwa eia wasser regnet schlaf, ihre erste lyrische Veröffentlichung. Das wiegenliedhafte Stück mit dem zart grotesken Zungenschlag löste seinerzeit einen regelrechten Skandal aus, als es 1960 in der FAZ vorab erschien. Im Rahmen ihrer Poetikdozentur an der Frankfurter Johann Wolfgang Goethe-Universität im Jahr 2003 kommentierte Elisabeth Borchers den damaligen Leserbriefsturm mit den Worten: “Was erwarten die Leute eigentlich von einem Gedicht?” Ein paar Zeilen, “die der Realität entfliehen und ihre eigene unnütze Realität bauen”. Sie ist bekannt für jenen lakonischen Tonfall, der sich vor allem in ihrem lyrischen Werk immer stärker durchgesetzt hat. Sie sei „von allen Dichterinnen die spektakulär Unspektakulärste,“ meint Arnold Stadler, eine “Dichterin der Lautlosigkeit,“ so Karl Krolow.
Diese unspektakuläre und leider oft vergessene Grande Dame der deutschen Lyrik war Mitglied bei P.E.N., bei der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, sie ist Friedrich-Hölderlin-Preisträgerin (1986) und Mutter zweier Kinder. Jedes ihrer Worte scheint akribisch erwogen und mit Präzision gesetzt, im ausgewogenen Spiel mit den ebenso klaren, bedachten Pausen. Vor allem in ihrem letzten Gedichtband, Eine Geschichte auf Erden, beschwört sie unscharfe Bilder aus Kindheitstagen herauf, in scharf-verschwommene Worte gepackt und aufs Papier gestellt: vom verspielt-verrückten Tonfall ihrer lyrischen Anfänge ist nichts mehr zu spüren. Ihre Gedichte seien „Schmerzmittel“, erklärt Arnold Stadler, und: „Wenn sie einen Raum betritt, mag dem Betrachter der Gedanke kommen, dass wir nun vollzählig sind.“
(Text von 2005)
Verfasserin: Anne Haeming
Literatur & Quellen
Elm, Theo. 2003. “Weibliche Lyrik in der deutschen Gegenwartsliteratur”. In: Frauenliteraturgeschichte: Schreibende Frauen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Hg. Hiltrud Gnüg. Frankfurt /M. Suhrkamp) 341-351.
Frank, Alexander. 2002. “Große und kleine Credos“. In: NDL 50.5 (2002): 172-176.
Greiner, Ulrich. 2000. “Schlafenangst, Ertrinkenangst“. Frankfurter Anthologie 23. Frankfurt/M.Insel. 193-197.
Hauser, Magdalena. 2001. “Gespräch mit Elisabeth Borchers“. In: Deutsche Bücher 31.1 (2001) 9-16.
Stadler, Arnold. 2001.“Die alte Sehnsucht zu Elisabeth Borchers”. In: Elisabeth Borchers: Alles redet, schweigt und ruft. Frankfurt/M. Suhrkamp. 273-285
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