Biographien Elisabeth Badinter
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(geb. Bleustein-Blanchet)
geboren am 5. März 1944 in Boulogne-Billancourt
französische Philosophin, Schriftstellerin, Feministin
80. Geburtstag am 5. März 2024
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Als am 24. Juni 2022 das Oberste US-Gericht das Bundesrecht auf Abtreibung widerrief, war die Philosophin und Schriftstellerin Élisabeth Badinter eine der ersten, die vom französischen Fernsehen um eine Stellungnahme gebeten wurde. Ihre spontane Reaktion: „Empörung“ und „Hoffnungslosigkeit“. In Frankreich allerdings, so meinte sie, sei ein solcher Rückfall hinter die Errungenschaften von 50 Jahren Frauenbewegung dank der laïcité schwer vorstellbar. Diese in der Verfassung verankerte Trennung von Religion und Staat gilt ihr als wichtigste Garantin für die Rechte der Frauen, weshalb sie sie auch in strittigen Fragen, z.B. ob das Tragen des islamischen Kopftuchs an Schulen verboten bleiben sollte, stets verteidigte.
Élisabeth Badinter ist eine der bekanntesten französischen Feministinnen ihrer Generation. Kaum eine die Frauen betreffende Frage, zu der sie nicht in den vergangenen Jahrzehnten öffentlich Stellung bezog, in ihren Schriften, in den Medien, sogar mit Expertisen vor dem französischen Parlament. Die JournalistInnen begegnen ihr immer mit einer gewissen Verehrung – was sicherlich mit ihrer beeindruckenden akademischen Leistung, aber auch mit ihrer großbürgerlichen Herkunft zu tun hat. Grande Dame des französischen Feminismus, wie die Presse sie gerne tituliert, passt ganz gut.
Élisabeth Badinter wuchs in einer sehr wohlhabenden, liberalen, jüdischen Familie als mittlere von drei Töchtern auf. Ihr Vater, Marcel Bleustein-Blanchet, Gründer der international erfolgreichen Werbefirma Publicis mit 77.000 Angestellten, ermutigte seine Töchter zu Ehrgeiz und Selbständigkeit. Élisabeth studierte an der Pariser Sorbonne Philosophie und Soziologie. 22jährig heiratete sie den 16 Jahre älteren Rechtsanwalt Robert Badinter, der ihre Begeisterung für das Gedankengut der Aufklärung teilte und 1981, von Mitterand zum Justizminister berufen, die Abschaffung der Todesstrafe in Frankreich durchsetzte. Robert Badinter starb am 9. Februar 2024 95-jährig nach knapp 60 Jahren Ehe.
Nachdem sie in 3,5 Jahren drei Kinder geboren hatte, arbeitete Badinter einige Jahre als Philosophielehrerin am Gymnasium, dann als Professorin an der Eliteuniversiät École Polytechnique. Zum Feminismus kam sie, ähnlich wie ihr großes Vorbild Simone de Beauvoir, weniger durch selbst erlittene Unterdrückung, als vielmehr durch Forschen und Nachdenken.
Die Liste ihrer Veröffentlichungen ist lang – Abhandlungen über verschiedene Fragen der Geschlechteridentität und –beziehungen, über die Philosophie der Aufklärung, Biographien über die Mathematikerin Émilie du Châtelet, über den Aufklärer Condorcet, den „ersten Feministen“, über die österreichische Monarchin Maria Theresia, an deren Leben sie v.a. die Frage interessierte, wie sie ihre Machtpolitik und die Geburt von 16 Kindern unter einen Hut brachte. Am erfolgreichsten blieb bis heute ihr erstes, 1980 erschienenes Buch, ein echter Bestseller, in viele Sprachen übersetzt: L’amour en plus (dt. 1981 Die Mutterliebe), in dem sie die weit verbreitete Vorstellung von einem angeborenen Mutterinstinkt widerlegte. „Die Mutterliebe … ist möglicherweise kein Grundbestandteil der weiblichen Natur“, so ihre provokante These, sondern sei ein durchaus schwankendes Gefühl, abhängig von den Lebensumständen, dem Wunsch der Mütter nach einem eigenständigen Leben, letztlich dem gesellschaftlichen Druck, der auf die Frauen ausgeübt wird.
Als historische Belege dienten ihr Quellen aus dem 17. und 18. Jahrhundert, wonach nur etwa 10 Prozent der in Paris geborenen Kinder von ihren Müttern oder – in den reichen Familien – von bezahlten Ammen im Haus gestillt und versorgt wurden. Die überwältigende Mehrheit der Neugeborenen wurde zu Pflegemüttern aufs Land geschickt, die oft selbst kaum genug zum Leben hatten. Viele Kinder überlebten diese Tortur nicht; ihr Tod wurde sozusagen in Kauf genommen, was vielleicht sogar ein unbewusstes Mittel der Geburtenregulierung darstellte. Es bedurfte erst einer groß angelegten ideologischen Kampagne, um im Laufe des 19. Jahrhunderts das Bild der „liebenden Mutter“ durchzusetzen und die Frauen davon zu überzeugen, dass Hingabe und Opferbereitschaft für ihre Kinder ihre „natürliche Bestimmung“ seien.
30 Jahre später kam Badinter 2010 in Der Konflikt auf die Mütterfrage zurück. Beunruhigt beobachtete sie in Frankreich zu Beginn des 21. Jahrhunderts gewisse rückwärts gewandte Tendenzen – die Vollzeitberufstätigkeit von Müttern nähme ab, wodurch sich auch in Frankreich der gender pay gap verstärke, die relativ gut ausgebaute, bisher für selbstverständlich gehaltene öffentliche Kinderbetreuung geriete zunehmend in die Kritik, immer mehr Frauen neigten dazu, die Erziehung ihrer Kinder wieder als ihr „Meisterwerk“ zu betrachten – kurz eine Entwicklung hin zu „deutschen Verhältnissen“, die Badinter im Vorwort zur deutschsprachigen Ausgabe ziemlich kritisch beschreibt. Bei aller Warnung vor Rückschritten bleibt sie aber insgesamt optimistisch. Sie sieht eine zunehmende Auflösung starrer Geschlechterrollen, eine Angleichung der Geschlechter, wodurch sich auch für Männer mehr Chancen ergeben, ihre weibliche Seite auszuleben (z.B. als liebende Väter). Die Frauenbewegung bleibt, davon ist sie überzeugt, „eine der wenigen Revolutionen in der Geschichte … auf dem Weg zum Erfolg.“
(Text von 2023)
Verfasserin: Andrea Schweers
Zitate
Ein ungewolltes Kind bedeutet Unglück für gleich zwei Menschen – die Mutter und das Kind.
(E.B. zur Abtreibungsdebatte)
Links
https://www.youtube.com/watch?v=N-pYLoqRnuE (Interview anlässlich der Publikation von Le pouvoir au féminin: Maria Theresia)
https://www.youtube.com/watch?v=ni7dXC2OKQE (Ausführliches Interview mit Cathérine Ceylac)
https://www.youtube.com/watch?v=QsKlNXZQ7Wg (A contrecourant: Élisabeth Badinter)
https://www.youtube.com/watch?v=ZYf-izRnn1k (Élisabeth Badinter. Une vie. )
Literatur & Quellen
Badinter, Elisabeth. 1980. Die Mutterliebe: Geschichte eines Gefühls vom 17. Jahrhundert bis heute [= L'amour en plus]. Aus dem Frz. von Friedrich Griese. München. dtv.
Badinter, Élisabeth. 1987. Die neue Beziehung zwischen Mann und Frau oder Die androgyne Revolution. Aus dem Frz. von Friedrich Giese. München.
Badinter, Élisabeth. 1993. XY. Die Identität des Mannes. Aus dem Frz. von Inge Leipold. München, Zürich.
Badinter, Élisabeth. 2005. Die Wiederentdeckung der Gleichheit: Schwache Frauen, gefährliche Männer und andere feministische Irrtümer. Aus dem Frz. von Petra Willim. Berlin.
Badinter, Élisabeth. 2010. Der Konflikt: Die Frau und die Mutter. Aus dem Frz. von Ursula Held und Stephanie Singh. München.
Badinter, Élisabeth. 2017. Maria Theresia. Die Macht der Frau. Aus dem Frz. von Horst Brühmann und Petra Willim. Wien.
Kohlmaier, Rita. 2020. Frauen 70+: Cool, rebellisch, weise. Von Nancy Pelosi über Helen Mirren bis Élisabeth Badinter. München. Elisabeth Sandmann.
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