Wikimedia.org
geboren am 15. Dezember 1930 in Tuamgraney, County Clare, Ireland
gestorben am 27. Juli 2024
irische Schriftstellerin
Biografie • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Einleitung
2024 Update: Edna O’Brien starb am 27. Juli 2024. Sie wurde 93 Jahre alt.
—————-
2017: Die irische Schriftstellerin Edna O'Brien wird 87 Jahre alt und schreibt immer noch. Auf der Frankfurter Buchmesse kündigt ihr Verleger Faber an, dass er sich sehr darauf freut, ihr neues Buch Girl 2019 zu veröffentlichen:
»Ich war einst ein Mädchen, jetzt bin ich es nicht mehr.« So beginnt der grandiose neue Roman von Edna O'Brien, so Faber-Redakteur Lee Brackstone.»Es ist eine brutale Geschichte von Gefangenschaft, Horror und Hunger; eine Flucht in die Schrecken des Waldes; und ein Abstieg in die labyrinthische Bürokratie und Feindseligkeit, die ein Mädchen erlebt, das mit einem Kind nach Hause zurückkehrt, welches durch das Blut des Feindes verdorben ist. Wie können wir in einer barbarischen und unversöhnlichen Welt überleben und die Liebe am Leben erhalten? In Girl erweist sich Edna O'Brien einmal mehr als eine unserer einfühlsamsten, stilsichersten und unerschrockensten Romanautorinnen… Im neunten Jahrzehnt ihres Lebens schreibt sie das größte Werk ihrer erstaunlichen Karriere. Kein Schriftsteller arbeitet heute mit größerer Eindringlichkeit.«
Edna O'Brien hat mehr als zwanzig belletristische Werke geschrieben und erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den irischen PEN Lifetime Achievement Award, die amerikanische National Arts Gold Medal und den Frank O'Connor Prize.
Man fragt sich, was für ein unbeugsamer Geist Edna O'Brien, die in den 1930er und 1940er Jahren in Irland aufwuchs, Antrieb und Mut gab, später diese repressive Welt so darzustellen, wie sie sie erlebt hatte. In Armut im katholischen ländlichen Irland aufgewachsen und in einer Klosterschule ausgebildet, wurde Edna O'Brien in Irland böse beschimpft, als sie ihre Erlebnisse schilderte.
Als jüngstes von vier Kindern wurde sie als Tochter eines verschwenderischen, trinkfesten Vaters und einer standhaften, hart arbeitenden Mutter geboren. Literatur galt als böse, und die Hölle war realer als der Himmel. Ihre Familie fühlte sich durch ihr erstes Buch, The Country Girls (1960), das sie mit 30 Jahren schrieb, sehr gedemütigt. Einige wollten es verbrennen und nannten es »totalen Schund“, »die schreckliche Geschichte zweier irischer Nymphomaninnen«. Die örtliche Postbeamtin sagte, O'Brien sollte »nackt durch die Stadt getreten und dann gesteinigt werden«.
Es überrascht wohl nicht, dass Edna O'Brien in eine lieblose Ehe flüchtete und 1958 in einen »trostlosen« Vorort von London zog, wo sie sich zumindest frei fühlte, zu schreiben. Dort »fielen die Worte heraus, wie der Hafer am Dreschtag«. Die »Flut der Erinnerungen und etwas Stärkeres als das Erinnern” trieben sie zum Schreiben. Sie weinte dabei, aber es waren »gute Tränen«, die Gefühle berührten, von denen sie nicht einmal gewusst hatte, dass es sie gab, und ihre Liebe für das Land, in dem sie aufgewachsen war. Sie schloss The Country Girls in drei Wochen ab. Wie James Joyce, der ebenfalls ins Exil ging, blieb Irland ihr Thema, und ihre Sehnsucht nach dem Land, in dem sie aufgewachsen war, hinterließ eine bleibende Traurigkeit.
Biografie
Edna O'Briens Mutter kam aus einer Bauernfamilie, ihr Vater entstammte einer Familie von Grundbesitzern, wobei der Familienbesitz bei ihrer Geburt bereits verzockt war. Ihr doppeltes Erbe, so glaubt sie, zeigt sich in ihren »zwei Seiten«: Sie ist Partylöwin und Einsiedlerin zugleich; eine sexuell unabhängige Frau. Ihr Leben ist geteilt zwischen England, wo sie seit mehr als 50 Jahren lebt, und Irland, aus dem sich ihr Schreiben speist und zu dem es immer wieder zurückkehrt. »Das ist das Rätsel des Schreibens«, erklärt sie, »es entspringt dem Leiden, der Zeit, in der das Herz aufgerissen wird«.
Als Kind richtete sich O'Briens Sehnsucht auf Frauen, zuerst auf ihre Mutter – »alles an ihr faszinierte mich: ihr Körper, ihr Wesen, ihr rosa Korsett« – und dann auf eine blasse Nonne, in die sie sich in ihrer Klosterschule verliebte. Ed Vuillamy schrieb, dass ihr besonderer Feminismus, auch wenn er mitunter verletzt, nicht einem theoretischen Denkgebäude entstammt, sondern dem Beobachten der Männer und Frauen um sie herum. »Unser Land war wirklich ein Land der Schande«, schrieb sie, »ein Land des Mordes und ein Land fremder, erdrosselter, geopferter Frauen«.
Obwohl sie als Baby so hässlich war, dass ihre Mutter versuchte, sie zu verstecken, ist sie dennoch später für ihre Eleganz und Schönheit bekannt. In ihren 40er Jahren wurde sie beschrieben als »schön auf eine feine, schwermütige Art, mit rotblondem Haar, grünen Augen und einem wilden Sinn für Humor«. Sie sagte, sie habe »einen Hang zur versteckten Rebellion«, dem sie nie nachgekommen ist. »Ich war wirklich zu ängstlich, zu schwach.«
In ihren 20er Jahren und eben in Dublin angekommen, um sich zur Apothekerin ausbilden zu lassen, zog O'Brien untergehakt mit ihren Freundinnen durch die Straßen. Bald schon wurde diese »Mädchenhaftigkeit«, wie Emma Tennant es nennt, durch eine Faszination für die sonderbare Andersartigkeit der Männer ersetzt, z.B. als der »Crooner« mit dem »umwerfenden Lächeln« ihren BH aufhakte und ihr versicherte, dass »er wie Butter durch sie hindurchgehen könne«.
Bald darauf holte sie der charismatische Ernest Gebler hinter der Theke ihrer Apotheke hervor und machte sie zu seiner »Kindsbraut«. Gebler, ein Ire tschechischer und deutscher Abstammung mit starker Ausstrahlung, der ein Buch veröffentlicht hatte und in Hollywood gewesen war: O'Brien erschien er als Fahrschein aus dem luftleeren Katholizismus Irlands in die literarische Welt Londons, aber sie hatte ein Gefängnis gegen ein anderes getauscht. Sie bekommt zwei Söhne, aber ihre Ehe zerbricht – ihr Mann ist ein eifersüchtiger und aufstrebender Schriftsteller, der ihr Talent weder zu schätzen weiß noch sich darüber freuen kann.
Ihre Bücher werden zunächst in Irland ähnlich aufgenommen wie die von James Joyce . Sie empfindet eine besondere Liebe für Joyce, aber auch für seine Frau Nora, die selbst ein Mädchen vom Lande ist. Sie lobt die Briefe von Joyce an Nora, in denen es um »ihre eigenen sexuellen Fähigkeiten geht, keine Kleinigkeit für ein Klostermädchen aus Galway und eine radikale Sache, die der männlichen Illusion trotzt, wonach von Frauen erwartet wird, ein geheimnisvolles Wesen zu bewahren und ihre tiefsten sexuellen Triebe zu verbergen«. (Kiberd)
The Country Girls war der erste von sechs Romanen O'Briens, die die irische Zensurbehörde als »unanständig und obszön gemäß Abschnitt 7(a) des Gesetzes über die Zensur von Veröffentlichungen von 1946« beurteilt. Dennoch war das Buch immer erhältlich. Es ist die Geschichte zweier Mädchen, die auf dem irischen Land aufwachsen, eine Klosterschule besuchen (aus der sie vertrieben werden) und die auf der Suche nach Liebe und Abenteuer nach Dublin und London reisen. O'Briens folgende Romane - The Lonely Girl, Girls in Their Married Bliss, August is a Wicked Month und Night - erkunden die Beziehung zwischen den Geschlechtern weiter, oft aus der Sicht von Frauen, die sich in der Liebe verlieren und später darum kämpfen müssen, ihre Eigenständigkeit wiederzuerlangen.
Noch 1972 zählte man ihre Werke zur Pornografie: Der Longford-Bericht – eine offizielle Publikation der britischen Regierung! – nennt sie eine »führende Lieferantin heimtückisch pornografischer und perverser Ansichten über Sex«, doch ihr internationaler Erfolg (sie wurde in mehr als ein Dutzend Sprachen übersetzt) hat wenig mit Skandal oder ihrem Ruf als Autorin »anrüchiger« Romane zu tun. Von Anfang an gewann sie wichtige internationale Literaturpreise. Unter den irischen Schriftstellern bezeichnete Derek Mahon sie als »Kulturheldin«; Seamus Heaney applaudierte ihrem »ausgeprägten Sinn für das irische Idiom«, und Declan Kiberd erkannte die Tatsache an, dass »O'Brien wohl die Schriftstellerin war, die viele der späteren Fortschritte im Schreiben der irischen Frauen möglich machte, und ... eine Prosa von überragender Schönheit und Exaktheit schuf«.
Das Buch The Country Girls beschreibt lebendig und bewegend die Natur, kindliche Unschuld, die allumfassende Liebe zwischen Mutter und Kind, die aufregenden Versuchungen Dublins, die Lust, vom ersten Rausch der Unabhängigkeit ergriffen zu werden, sowie die Freuden und Schrecken des Frauseins. Vor allem berichtet es oft rasend komisch und respektlos über alle körperlichen Erfahrungen: Schlafen, Essen, Ausscheiden und Sex in vielen Formen. Trotz seines Rufs ist der Roman weder anzüglich noch blasphemisch, auch wenn die Mädchen Gotteslästerung unschuldig ausprobieren, aber das einzige verehrte Objekt, das er nicht ernst nimmt, ist die Heiligkeit der irischen Frau. In O'Briens Roman ist die irische Ehefrau und Mutter eine verärgerte, unfreiwillige Sklavin sexueller Forderungen und häuslicher Schinderei. Ältere Männer machen Jagd auf irische Mädchen, exponieren sich vor Frauen und Mädchen, streicheln sie, verlangen Küsse von ihnen und drohen mit schlimmeren Angriffen. Mädchen erfahren sexuelles Begehren füreinander, für ältere Mädchen in der Schule, für Nonnen, für ferne, idealisierte Männer. Der weibliche Körper, den O'Brien zum ersten Mal in der irischen Belletristik vorstellt, ist geprägt von seinem Irischsein mit einer unerbittlichen Aufmerksamkeit für jedes Detail dieses Körpers, schmutzig und lieblich, leidenschaftlich und aufregend, wodurch diese Mädchen vom Lande für alle Mädchen stehen können. Anne Enright sagt, das eigentlich Bemerkenswerte an O'Briens Schreiben sei überhaupt nicht der Sex, sondern die Ehrlichkeit.
Mit der Zeit entwickelte sich ihre Thematik vom Persönlichen zum Politischen: House of Splendid Isolation (1994) handelt von einem Terroristen auf der Flucht; Down by the River (1996) von einem jugendlichen irischen Vergewaltigungsopfer, das in England eine Abtreibung sucht; In the Forest (2002) wurde durch den realen Fall eines jungen Mannes inspiriert, der eine Frau, ihren dreijährigen Sohn und einen Priester ermordete. The Little Red Chairs, sagt sie, sei lose an den Serben Radovan Karadzic angelehnt, der wegen Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu 40 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. (Zum 20. Jahrestag des Beginns der Belagerung von Sarajevo im April 2012 wurden an der Gedenkstätte Stühle stellvertretend für die Ermordeten aufgestellt – daher der Romantitel.) Dieses Buch, sagt sie, fiel ihr besonders schwer: »Sie können nicht über Massenmord und diese schrecklichen Ereignisse schreiben und dann zum Abendessen ausgehen… Unsere Bildschirme sind voll von Leichen, Immigranten, zerstörten Gebäuden, zerstörten Städten. Diejenigen, die Kriege beginnen und fortsetzen, werden sich durch mein Buch nicht ändern, doch ich wollte eine Geschichte schreiben, die das Dämonische und das Menschliche miteinander verbindet.«
Für Edna O’Brien ist Schreiben so wichtig wie Atmen, »nur weniger einfach«. »Ich wäre so einsam auf der Erde, wenn ich nicht die Möglichkeit und die Freiheit zu schreiben hätte. Noch auf dem Weg zum Grab werde ich ein Wort ändern. Und es gibt immer das Wort, das genau richtig ist.«Weitere Informationen finden Sie in der englischen Version.
Übersetzung aus dem Englischen: Almut Nitzsche, 2020
Verfasserin: Mary Adams
Links
Glückwünsche und Würdigungen für Edna O’Brien zum 90. Geburtstag:
Literatur & Quellen
Carlson, Julia. 1990. Banned in Ireland. Censorship and the Irish Writer. Univ. Georgia Press.
Cooke, Rachel. 2011. “Edna O'Brien: A writer's imaginative life commences in childhood.” The Observer. February 6, 2011.
Eckley, Grace. 1974. Edna O’Brien. (Irish Writers Series). Lewisburg, Pa.: Bucknell Univ Press.
Enright, Anne. 2012. Review of Country Girl. The Guardian. October 12, 2012
Kiberd, Declan. 1995. Inventing Ireland: The Literature of the Modern Nation. Cape.
Kiberd, Declan. 2005. “Growing Up Absurd: Edna O’Brien and The Country Girls.” In Munira H. Mutran & Laura P. Z. Izarra, eds. Irish Studies in Brazil. Sao Paolo: Associação Editorial Humanitas.
McBride, Eimear. 2015. “In praise of Edna O’Brien.” Irish Times. March 7, 2015.
—————————. 2017. “Edna O’Brien’s ‘rigorous, beautiful’ The Country Girls.” Irish Times. September 16, 2017.
O’Brien, Edna. 1984. Interview by Shusha Guppy. Paris Review. Issue 92, Summer 1984.
O’Connor, Maureen. 2017. “Girl Trouble.” Dublin Review of Books. July, 2017.
Roth, Philip. 1984. “A Conversation with Edna O’Brien.” The New York Times. November 18, 1984. |
Vulliamy, Ed. 2015. “Edna O’Brien: from Ireland’s cultural outcast to literary darling.” The Observer. October 10, 2015.
Wilson, Frances. 2012. “Country Girl: a Memoir by Edna O’Brien: review.” The Telegraph. October 8, 2012.
Sollten Sie RechteinhaberIn eines Bildes und mit der Verwendung auf dieser Seite nicht einverstanden sein, setzen Sie sich bitte mit Fembio in Verbindung.