geboren am 12. Oktober 1904 in Linli, Provinz Hunan, China
gestorben am 4. März 1986 in Peking, China
chinesische Schriftstellerin und Kulturfunktionärin
120. Geburtstag am 12. Oktober 2024
Biografie • Zitate • Literatur & Quellen
Biografie
Über Ding Lings Leben existieren widersprüchliche Versionen. Geboren als Gutsbesitzerstochter Jiang Bingzhi, die - anders als die meisten Frauen ihrer Generation - die Höhere Schule und Universität besuchen konnte, besaß sie aus der Sicht der Partei einen negativen Klassenhintergrund. Im Jahrzehnt nach der StudentInnenrevolte von 1919 schließt sie sich der Liga linker SchriftstellerInnen an und lebt in freier Ehe mit dem Dichter Hu Yepin zusammen.
Dings literarisches Frühwerk (1926-1929) betont weiblich-individualistische Züge, oft wählt sie die Tagebuchform. Bekannt (und heute weltberühmt) wird sie mit der Erzählung Tagebuch des Fräulein Sophie (1928), worin sie, wie in anderen Arbeiten dieser Zeit, die Frustration einer leidenschaftlichen jungen Frau unter den Zwängen einer konfuzianisch orientierten Männergesellschaft schildert.
Angesichts der seit 1927 zunehmenden Repressionen durch das nationalistische Regime (Hu Yepin wird hingerichtet) tritt Ding 1931 der Kommunistischen Partei bei. Ihre Texte stellen nun das Individuelle zugunsten des Klassentypischen in den Hintergrund; sie bemüht sich um Darstellungen aus dem (ihr fremden) Arbeiter- und Bauernmilieu.
1933 wird sie verhaftet und eingekerkert, vermutlich gefoltert. Ihr gelingt die Flucht. Auf Umwegen erreicht sie die Enklave der Kommunisten in Yen’an. Doch schon hier wird sie kritisiert, teils (von gewissen männlichen “Genossen”) aus höchst persönlichen Gründen. Zwar steigt sie nach Gründung der Volksrepublik (1949) zu hohen Staatsämtern auf, doch schon bald beginnen ihre partei-internen (männlichen) Neider gegen sie zu intrigieren. Sie weigert sich, die damals obligatorische Selbstkritik zu üben.
Seit 1958 ist sie “verschwunden”. Erst 1978, nach dem Ende der Kulturrevolution, darf sie wieder in Peking leben. Wie sie die dazwischenliegenden zwanzig Jahre durchlebte, ist Gegenstand wilder Gerüchte: Schweinehirtin in der Mandschurei, Gefängnisinsassin, Verbannte in entlegenen Bergdörfern… Nach dem Ende des Terrors rehabilitiert, wird sie 1980 zur Stellvertretenden Vorsitzenden des Allchinesischen Schriftstellerverbandes ernannt. In den folgenden Jahren kommen zahlreiche weitere (Ehren-)Ämter hinzu. Doch Ding schweigt über ihr Schicksal und nutzt ihre späte Macht lediglich zu Intrigen gegen ihre einstigen “Feinde”.
(Text von 1995)
Verfasserin: Ursula Ballin
Zitate
Immer bin ich von dem Wunsche nach einem Menschen beseelt, der mich vollkommen versteht. Was sollen mir Liebe und Mitleid ohne Verständnis? Mein Vater, meine Schwestern und meine Freunde vermögen mich nur auf ihre blinde Art zu lieben. Aber was lieben sie eigentlich an mir? Lieben sie meinen Hochmut, lieben sie mein Temperament, lieben sie meine Tuberkulose? Manchmal werde ich darüber zornig und betrübt, aber sie ... lieben mich nur noch mehr. Ihr Trost ist so falsch, daß ich sie schlagen könnte.
Ding Ling, Das Tagebuch der Sophie
Literatur & Quellen
Bartke, Wolfgang. 1985. Die großen Chinesen der Gegenwart: Ein Lexikon 100 bedeutender Persönlichkeiten Chinas im 20. Jahrhundert. Frankfurt/M. suhrkamp TB 1144.
Ding Ling. 1980. Das Tagebuch der Sophia. Übs. aus d. Chin. vom Arb.kreis mod. chin. Lit. am Ostasiat. Sem. d. FU Berlin. Frankfurt/M. Bibliothek Suhrkamp 670.
Feuerwerker, Yi-tsi M.1977. “The changing relationship between literature and life: Aspects of the writer´s role in Ding Ling”, in: Goldman, Merle. Hg. Modern Chinese literature in the May Fourth era. Cambridge, MA. Harvard UP.
Hsia, C. T.1961. A History of Modern Chinese Fiction, 1917-1957. New Haven, CT. Yale University Press.
Shen Congwen. 1940. Ji Ding Ling. [=Erinnerungen an Ding Ling]. Shanghai.
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