geboren am 27. Juli 1853 in Brighton
gestorben am 19. Dezember 1922 in Barnes/London
englische Gewerkschaftsaktivistin, Frauenrechtlerin, Schriftstellerin
170. Geburtstag am 27. Juli 2023
Biografie • Literatur & Quellen
Biografie
Im Jahr 1891 erschien Thomas Hardys Tess of the D'Urbervilles. Der Roman mit dem Untertitel A Pure Woman löste beim bürgerlichen Publikum wenig Freude aus. Umso überraschender eine Rezension in der Illustrated London News im Januar 1892. Deren Verfasserin verteidigt Untertitel und Autor, sie beklagt die vorherrschende Doppelmoral und die gesellschaftlichen Tabus, sie spricht über „die ironische Wahrheit, die wir im Herzen alle kennen und die wir doch nicht laut sagen dürfen“. Ihr Name: Clementina Black.
Im Winter 1892/93 macht eine neue Zeitschrift, The Young Woman, gleich im ersten Heft auf den bevorstehenden 40. Geburtstag dieser Autorin aufmerksam: „Clementina Black: A Character Sketch.“ 1922 bringt der Manchester Guardian statt eines Nachrufs Blacks eigenen neuesten Artikel „Things I Have Seen“. Darin findet sich diese Anekdote:
I have been kissed by Karl Marx. About this, the largest pearl in my collection, I must reluctantly admit that the kiss was not intended for me, nor hardly for anybody, but was the most perfunctory and casual thing in the world, so that even the most self-conscious of Victorian maidens could hardly have called up a blush to meet it.
Wer war diese Frau?
Clementina Black wächst mit drei Brüdern und vier jüngeren Schwestern in Brighton auf. Der Vater, ein Rechtsanwalt, hatte lange im Ausland gelebt. Die Mutter kam aus einer kunstorientierten Familie und stand nun einem Haushalt vor, in dem von der Ausbildung der Töchter bis zum Bierbrauen noch alles selbst erledigt wurde. Black wird sich später erinnern, wie die erste Nähmaschine angeschafft wird und die Mutter im Nu grausig steife Unterröcke näht. Religion spielte in der Familie keine Rolle, wohl aber Fremdsprachen und Literatur. Die älteste Tochter muss früh Haushaltspflichten und die Sorge für die Geschwister übernehmen, gleichzeitig verdient sie Geld mit Unterrichten. Ebenfalls gleichzeitig schreibt sie ihre ersten Erzählungen. Die kleine zierliche Person ist ständig physisch überfordert und wird es ihr Leben lang sein.
Ab den späten 1870ern lebt Black mit zwei Schwestern in London, verdient Geld mit Romanen und Kurzgeschichten. Ihre Texte handeln vom Alltagsleben starker, junger, lernfähiger Frauen, von ihrer Bewährung in der Gesellschaft. Es sind - weibliche wie männliche – Initiationsgeschichten. Obwohl sie die gesellschaftliche Stigmatisierung von Frauen thematisieren, sind sie doch erstaunlich privatistisch und heute eher von historischem Interesse. Nur ein Roman, An Agitator (1894), greift ein politisches Thema auf, den Wahlkampf eines Labour-Abgeordneten. Blacks besonderes Interesse gilt dem 18. Jahrhundert, das sie ausführlich erforscht. Die Schwestern wohnen in der Nähe des British Museum, dessen Leseraum so etwas wie das kulturelle und soziale Zentrum der Zeit ist, ein Ort des networking. Hier treffen sich alle, Schriftstellerinnen ebenso wie Politiker. Die Freundin aus Brighton-Tagen, Amy Levy, ist wieder dabei, ebenso wie Olive Schreiner oder Eleanor Marx.
Mitte der 1880er verschärfen sich die sozialen Unruhen in London, die hohe Arbeitslosigkeit führt zu Streiks und zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Für Black Zeit zu handeln. Die Literatin wird zur politischen Aktivistin. Ihre Schwester Constance führt sie in die Fabian Society ein, von der GB Shaw sagt: Das sind Mittelschicht-Philanthropen, die sich für Sozialisten halten. Das ist auch Blacks Meinung. Sie wird die erlernten bürgerlichen Werte nie aufgeben, aber eines steht für sie außer Frage: Charity schadet. Was nottut, ist Hilfe zur Selbsthilfe. Die Arbeiterinnen müssen dabei unterstützt werden, sich selbst zu organisieren. 1886 stellt sie sich bei einer solchen Organisation vor, der Women's Protective and Provident League, und diese Arbeit wird fortan ihr Leben bestimmen.
Mit unglaublicher Energie arbeitet sie sich in das neue Feld ein und tut das, was sie am besten kann: Aufklären, Überzeugen durch Reden, durch Schreiben, durch die ganz alltägliche Routine einer politischen Aktivistin. Zeitungs- und Zeitschriftenartikel, Gewerkschaftsreden, Streikaufrufe, sogar Haushaltsstipps (1916 z. B. über energiesparendes Kochen in der Heukiste) oder Vorschläge für hausfrauengerechten Wohnungsbau und kommunales Kochen. Daneben immer ihre literarischen Produktionen, Rezensionen, Übersetzungen aus dem Deutschen und Französischen. Sie unternimmt Reisen, in England ebenso wie auf dem Kontinent; sie nimmt eine Nichte als Adoptivtochter an – dies alles unter Alltagsbedingungen, die wir Heutigen uns kaum noch vorzustellen vermögen.
Blacks Wirkung und ihr Nachruhm beruhen auf ihrem sozialpolitischen Engagement, ihrem entschiedenen Kampf an der Seite der Arbeiterinnen (sie erhält ab 1913 dafür sogar eine Staatspension) und ihrem unbedingten Willen, zur „Reform des Allgemeinwohls und zum menschlichen Fortschritt“ beizutragen.
(Text von 2013)
Verfasserin: Liselotte Glage
Literatur & Quellen
Bernstein, Susan David. „Radical Readers at the British Museum: Eleanor Marx, Clementina Black, Amy Levy.“ Nineteenth-Century Gender Studies 3,2 (Summer 2007). www.ncgsjournal.com/issue 32/bernstein.htm
Glage, Liselotte. 1981. Clementina Black. A study in social history and literature. Heidelberg: Winter.
Glage, Liselotte. 1980. „Clementina Black: Ein Beitrag zur Geschichte der englischen Arbeiterinnenbewegung.“ Englisch Amerikanische Studien 2 (1980), 214-222.
Pullen, Christine. 2010. The Woman Who Dared. A Biography of Amy Levy. Kingston: Kingston University Press.
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