(geb. Tiefenbacher)
geboren am 19. September 1917 in Hamburg
gestorben am 28. März 2013 in Berlin
deutsche Widerstandskämpferin; Ärztin und Psychoanalytikerin
10. Todestag am 28. März 2023
Biografie • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Clarita von Trott war bei Hitlers Machtergreifung im Januar 1933 knapp fünfzehn. Der Tochter des vielseitig interessierten, erfolgreichen Hamburger Rechtanwalts Max Tiefenbacher und der eifrigen Briefschreiberin Clarita Tiefenbacher hat sich der Hass der Eltern gegen den Nationalsozialismus tief eingeprägt. Sie fand den BDM grässlich, stieg aus und verzichtete damit aufs Studium. Sie erinnert sich an gute Pädagogen, die 1933 umkippten. Rechtsstaatlichkeit war dahin: “Alle sehen das, dachte ich mir, und keiner unternimmt etwas dagegen” (Meding 185). Ein Jahr Arbeitsdienst auf einem Obstgut, ein Stenografiekurs in Berlin, ein Englischkurs in Cambridge kommen ihr zugute, als sie sich mit dem nach England orientierten Adam von Trott einlässt. Ende 1935 lernt sie ihn bei der Hochzeit des gemeinsamen Freundes Fritz Schuhmacher (in der Emigration als E.F. Schuhmacher bekannt) kennen und gerät damit in die politischen Gespräche des Freundeskreises: “Inzwischen taumelte unser ganzes Volk einem Abgrund zu. Und nun begegnete ich zum ersten Mal Menschen, die etwas dagegen unternehmen wollten” (Meding 182).
Im Sommer 1939 geht Clarita nach Berlin, erlebt das Engagement von Freunden wie Christabel und Peter Bielenberg. “Politik war nicht mehr etwas, dem man ausgesetzt war.” In den intensiven vier Jahren Ehe von Clarita und Adam werden die Töchter Verena (1942) und Clarita (1943) geboren. Auf Adams Bitte kann Clarita bei Berliner Treffen des “Kreisauer Kreises” stenografisch Themen notieren, die sie nachher bereden. Wegen der Bombardierung Berlins zieht Clarita mit Verena im Frühjahr 1943 in Adams Elternhaus in Imshausen (Hessen). Zensierte Briefe, z.T. in Code, abgehörte Telefonate und kurze Besuche müssen ausreichen, um sich gegenseitig zu informieren. Pfingsten 1944 sind sie zum letzten Mal zusammen. Dass Adam oft einen “einarmigen Offizier” bei sich hat, erfährt Clarita, hört aber den Namen Stauffenberg erst nach dem Attentat.
Die Zeit nach der Ermordung der am Attentat des 20. Juli Beteiligten beginnt für die Angehörigen mit Sippenhaft und Kinderverschleppung. Auf dem Weg zum Volksgerichtshof - Clarita hofft, Adam noch zu sehen - erfährt sie von seinem Bruder Werner, die Gestapo habe die beiden Kleinen aus Imshausen verschleppt. Erst später weiß man wohin: das SS-Kinderheim in Bad Sachsa (Thüringen) sollte den “Verräterkindern” die Identität rauben (Madelung/Scholtyseck). Clarita sitzt sechs Wochen (August-Oktober 1944) im Frauengefängnis Moabit, wo bleibende Verbindungen zwischen den Widerstandsfrauen entstehen. Dem Tegeler Gefängnispfarrer Harald Poelchau, der Briefe und Essen hinein- und herausschmuggelt, gelingt es, auch ins Moabiter Gefängnis zu kommen, um Clarita von Trott, Marion Yorck, Barbara von Haeften und Rosemarie (“Romai”) Reichwein die Nachricht von der Hinrichtung ihrer Männer zu bringen (Harpprecht 155f.).
Adam ist bei seiner Ermordung in Plötzensee am 26. August 1944 gerade 35, Clarita 7 Jahre jünger. Sie wird im Oktober 1944 entlassen und mit den inzwischen heimgeholten Töchtern vereint. Freunde und Verwandte kümmern sich um sie, denn der Staat gönnt den Witwen keine Hilfe. Die Freundschaften unter den damals als “Verräterkinder” Beschimpften helfen ihnen auch als Erwachsenen bei der Auseinandersetzung mit ihrem Trauma (Madelung/Scholtyseck 9-12; Weisenborn). Nach ihrer eigenen Aufarbeitung des Traumas gefragt, erzählt Clarita, sie erfahre bei Waldspaziergängen Trost durch die Natur. Und den Weg in die Psychiatrie-Ausbildung - schon mit Adam ein Thema - habe sie durch Gespräche mit einer engen Freundin gefunden. Nach der medizinischen Promotion in Heidelberg zieht Clarita mit den Kindern nach Hamburg zur Fachausbildung in Neurologie und Psychiatrie. Mit 50 gründet sie ihre psychiatrische Praxis in Berlin. Als eine der ersten diagnostiziert sie psychosomatische Erkrankungen und und nutzt ihre Erfahrungen und Einsichten bei der Behandlung an posttraumatischer Not leidender PatientInnen.
Neben dem Beruf ist Clarita aktiv im Evangelischen Hilfswerk 20. Juli. Sie wehrt sich gegen politisch motivierte Instrumentalisierung und Falschdarstellungen des Widerstandes und fragt, weshalb ehemalige Nazis immer noch Regierungsämter bekleiden. Noch in den 50er Jahren beginnt sie, Zeitzeugenberichte und Korrespondenz zu sammeln, um den Weg Adam von Trotts, seine Freundschaften und deren Rolle im Widerstand sachlich darzustellen. Jahrelang öffnet sie ForscherInnen ihr Archiv, nimmt sich neben Praxis, Familie, Freunden und Aktivismus (z.B. bei den Internationalen Ärzten zur Verhinderung des nuklearen Krieges, IPPNW) Zeit für Interviews und Korrespondenz. Ihr Buch: Adam von Trott zu Solz: Eine Lebensbeschreibung (1994) erscheint in erweiterter Ausgabe 2009. Die grenz- und disziplinüberschreitende Arbeit der Stiftung Adam von Trott - Imshausen fördert Clarita als Ehrenvorsitzende. Ihr lebenslanger Einsatz gilt sowohl dem Erinnern und Gedenken als auch der Ermutigung von Jüngeren, die sich antidemokratischen Tendenzen zum Trotz einer europäischen und globalen Friedensordnung widmen. Clarita von Trott stirbt mit 95 Jahren als letzte der 20.-Juli-Witwen am 28. März 2013. (Text von 2017)
Verfasserin: Nancy Lukens
Links
Janßen, Ute (2013): Nachruf Clarita von Trott zu Solz. PDF-Datei. IPPNW.
Online verfügbar unter http://ippnw.de/commonFiles/pdfs/Forum/Clarita_von_Trott_web.pdf, zuletzt geprüft am 23.03.2023.
Lustiger, Gila (2017): Die Leidenschaft zur Helle. Zum 100. Geburtstag von Clarita von Trott zu Solz. Hg. v. Stiftung Adam von Trott Imshausen.
Online verfügbar unter https://stiftung-adam-von-trott.de/fileadmin/media/images/veranstaltung/2017/2017-09-15-Den-Schatz-des-Widerstands-bewahren-Rede-Gila-Lustiger_1_.pdf, zuletzt geprüft am 23.03.2023.
Stiftung Adam von Trott Imshausen (2013): Clarita von Trott zu Solz in Berlin gestorben.
Online verfügbar unter https://stiftung-adam-von-trott.de/veranstaltungsdetails?tx_news_pi1%5Baction%5D=detail&tx_news_pi1%5Bcontroller%5D=News&tx_news_pi1%5Bnews%5D=122&cHash=a845574f4c0964f89863851bd26459e5, zuletzt geprüft am 23.03.2023.
Literatur & Quellen
Bielenberg, Christabel (1969): Als ich Deutsche war. 1934-1945 ; eine Engländerin erzählt. (=The past is myself) Übersetzung: Christian Spiel. Unveränd. Nachdr., 9. Aufl. München. Beck. 2014 (Beck'sche Reihe, 326 : C.-H.-Beck-Paperback) ISBN 9783406669248.
(Suche in Almuts Buchhandlung | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Friedrich, Sabine (2021): Was sich lohnt. Roman. München. dtv. (Widerstands-Trilogie, 2) ISBN 9783423282574.
(Suche in Almuts Buchhandlung | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Harpprecht, Klaus (2004): Harald Poelchau. Ein Leben im Widerstand. 2. Aufl. Reinbek. Rowohlt. ISBN 9783498029692.
(Suche in Almuts Buchhandlung | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Madelung, Eva; Scholtyseck, Joachim (2007): Heldenkinder, Verräterkinder. Wenn die Eltern im Widerstand waren. Unter Mitarbeit von Christine Blumenberg-Lampe und Petra Schneiderheinze. München. Beck. ISBN 9783406563195.
(Suche in Almuts Buchhandlung | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Meding, Dorothee von (1997): Mit dem Mut des Herzens. Die Frauen des 20. Juli. Genehmigte Taschenbuchausg., 3. Aufl. [Munich]. Btb; Goldmann. (Goldmann btb, 72171) ISBN 9783442721719.
(Suche in Almuts Buchhandlung | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Stiftung Adam von Trott Imshausen (Hg.) (2017): Der unsichtbare Teil des Widerstands - auf dem Weg zu Frieden, Verständigung und Rechtsstaat. Gedenkschrift zum 100. Geburtstag von Clarita von Trott zu Solz 1917-2013. Imshausen. Stiftung Adam von Trott, Imshausen e.V. ISBN 9783-00-056965-4.
(Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Trott zu Solz, Clarita von (1955): Der Einfluß gebräuchlicher Fixationsmittel auf die Ultraviolettabsorption von Serumeiweißkörpern. Hamburg, Medizinische Fakultät, Dissertation vom 30. Sept. 1955. Hamburg.
(WorldCat-Suche)
Trott zu Solz, Clarita von (2009): Adam von Trott zu Solz. Eine Lebensbeschreibung. Erstausg., 1. Aufl. Berlin. Lukas-Verl. ISBN 9783867320634.
(Suche in Almuts Buchhandlung | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Weisenborn, Christian (2014): Verräterkinder. Dokumentarfilm.
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