wikimedia commons; Robert Sennecke
(Clara Eleonore Stinnes(-Söderström))
geboren am 21. Januar 1901 in Mülheim an der Ruhr
gestorben am 7. September 1989 in Björnlunda, Schweden
deutsch-schwedische Rennfahrerin; Landwirtin; umrundete - gemeinsam mit ihrem Fahrer und späteren Ehemann - als erster Mensch die Erde mit dem Auto
Biografie • Literatur & Quellen
Biografie
Clärenore Stinnes machte von 1927 bis 1929 international Furore mit der ersten Autofahrt um die Welt. Selbstbewusst, sportlich und weltgewandt wollte sie die Welt mit eigenen Augen kennenlernen. „Ich fahre in den Osten und komme aus dem Westen wieder zurück.“ Das scheinbar Unmögliche wurde wahr, obgleich es außerhalb der USA und der europäischen Großstädte kaum autotaugliche Landstraßen und Tankstellen gab. Sie wollte beweisen, was ein Auto deutscher Bauart aushalten kann. Dieser Antrieb hatte nicht nur mit ihrer Herkunft, sondern auch mit ihrer Frustration zu tun, weil der Handel mit Deutschland von vielen Ländern in den Zwanzigerjahren bewusst vermieden wurde. Vor allem aber war sie eine sehr mutige und unerschrockene Rennfahrerin.
Clärenore Stinnes wuchs als älteste Tochter in einer angesehenen Familie in Mülheim an der Ruhr auf. Ihre Mutter Cläre Stinnes-Wagenknecht (1872-1973) führte den Haushalt, ihr Vater Hugo Stinnes (1870-1924) gehörte im Ruhrgebiet zu den Großindustriellen und war als DVP-Abgeordneter im Reichstag politisch aktiv. Trotz dieser hohen Position wurden die sieben Kinder zur Selbständigkeit angehalten und erfuhren eine verhältnismäßig spartanische Erziehung. Clärenore war die selbstbewusste Tochter, die zu Hause genau die gleiche Behandlung wie ihre drei Brüder von den Eltern einforderte.
Sie passte nicht genau in das klassische Muster einer “Tochter aus gutem Hause”. „So wuchs ich in Freiheit und bei Jungenspielen auf, die Schule nur als einen drückenden Zwang empfindend. Soldaten, Kanonen, Burgen und Eisenbahnen waren mein Spielzeug bei schlechtem Wetter. Oft musste ich hören, dass ich mich gar nicht wie ein Mädchen zu benehmen wüsste und noch schlimmer als die Jungen sei.“
Nach der Schule sammelte Clärenore Stinnes, weit entfernt von den damaligen politischen Unruhen im Ruhrgebiet, Berufserfahrungen in einem der landwirtschaftlichen Betriebe ihrer Eltern. Sie liebte es, draußen zu sein, Tiere zu pflegen mit allem was dazu gehört und vor allem zu reiten. Auch für das Autofahren - sie machte mit 18 den Führerschein - empfand sie eine große Leidenschaft. Anschließend reiste sie im Auftrag ihres Vaters neun Monate durch Südamerika, um über die dortigen Besitztümer (Schifffahrtslinien, Landwirtschaftsbetriebe, Wälder) Bericht zu erstatten. Danach arbeitete sie als Sekretärin in seinem Büro in Berlin; sie wünschte sich einen beruflichen Werdegang in seiner Firma. Ihr Leben nahm jedoch eine völlig unerwartete Wendung, als ihr so geliebter Vater 1924 mit 54 Jahre starb. Unmittelbar danach wurde Clärenore von ihrer Mutter, die die Leitung des Konzerns übernahm, aus der Firma ausgeschlossen, denn sie war der Meinung, dass ihre Tochter heiraten sollte, um eine Familie zu gründen.
Die Verwandlung
Clärenore zog die Konsequenzen und ging auf Distanz zu ihrer Familie. Sie verwandelte sich in kurzer Zeit zu einer selbstbewussten, modernen Frau mit kurzem Haar, am liebsten trug sie Anzug mit Krawatte. Im Herbst 1924 wurde sie von den Dinos Autowerken, einem Tochterunternehmen von Stinnes, eingeladen, an einer Autorallye in Essen teilzunehmen. Die Sportart passte zu ihr, sie erreichte direkt den dritten Platz. Clärenore Stinnes: „Von da an setzte ich fast jedes Wochenende mein Leben aufs Spiel, um eine Autorally zu gewinnen.“ Sie nahm an den schwierigsten Bergrallyes in Österreich und der Schweiz teil und entwickelte sich zu einer erfolgreichen Rennfahrerin. Mit 17 Rennsiegen in ihrer Klasse machte sie den Männern erhebliche Konkurrenz. 1925 gewann sie - als einzige Frau - die Allrussische Prüfungsfahrt. Diese ging 2600 km querfeldein durch West-Russland. Während dieser Fahrt entstand die Idee, mit dem Auto die Welt zu umrunden. Sie wollte beweisen, dass man auf den Boykott Deutschlands verzichten könne, weil die deutschen Produkte hochwertig genug seien.
Im Auto durch zwei Welten
Clärenore Stinnes überzeugte mehrere Betriebe in der Autobranche, eine Serienlimousine Adler 6 (50 PS, 6 Zylinder, max. 120 km/h) und einen Adler LKW für Vorräte und Werkzeuge zur Verfügung zu stellen, sowie Ersatzteile, Brennstoff, zwei Mechaniker und 100.000 Reichsmark. Außenminister Stresemann stellte einen Diplomatenpass aus, mit der sie weltweit Zugang zu den deutschen Gesandtschaften bekam, um dort im Voraus Vorräte an Öl und Benzin zu lagern. Mit diesem Dokument konnte sie in Berlin Visa für 23 Länder beschaffen. Außerdem sollte die Reise filmisch und fotografisch dokumentiert werden. Wenige Tage bevor es an den Start ging, entschied sie sich für den schwedischen Filmemacher Carl-Axel Söderström (1893-1976), der sich bereits mit Stummfilmen einen internationalen Namen gemacht hatte. Er schien künstlerisch und sportlich für das ganze Unterfangen geeignet zu sein.
Im Mai 1927 startete Stinnes mit Söderström und den Mechanikern in Frankfurt am Main. Ihre Fahrt führte sie zunächst über den Balkan durch die Türkei bis nach Damaskus in Syrien. Dann durchquerten sie die Wüste Richtung Bagdad, um dann durch den Kaukakus nach Moskau, und durch endlos viel Schlamm und über gefährliche sibirische Eisflächen nach China zu gelangen. Nachdem die beiden Mechaniker bereits in Russland absprangen, meisterten Stinnes und Söderström noch eine Vielzahl von weiteren natürlichen Hindernissen, wie Wüsten, Gebirgsketten, Moraste und alle möglichen extremen Wetterlagen. Sie überstanden zudem zahlreiche Pannen, Unfälle, Durst, Krankheit, Hunger und Erschöpfung, Begegnungen mit Betrunkenen, Wölfen, Räubern oder autoritären örtlichen Beamten. Aber es gab mindestens ebenso viele positive Begegnungen es auf dieser Reise, mit Fürsten und chinesischer Noblesse, mit Henry Ford und Herbert Hoover, dem Präsidenten der USA, aber vor allem auch mit “Menschen wie du und ich” auf allen Kontinenten:
Clärenore Stinnes: „…ich erregte dabei immer allgemeine Aufmerksamkeit bei der Frauenwelt. Sei es in Kleinasien oder China, sei es der Journalist in den Vereinigten Staaten oder die Bauern im Inneren Perus, immer bildeten Alter und Ehe den Kernpunkt der Fragen. Aber nett waren die Indianerfrauen Perus bei allem Wissensdurst und aller Verständnislosigkeit für meinem ledigen Stand, und wenn ich von ihnen wegging, sagten sie: ‚Lass es dir gut gehen nettes Mädchen! Vergiß uns nicht!“
Großes Kino
Gut zwei Jahre nach dem Start, im Juni 1929, erreichten Clärenore Stinnes und Carl-Axel Söderström Berlin, wo sie mit großer Begeisterung auf der AVUS, Vorläuferin der Autobahn, empfangen wurden. Sie waren mit der Standardlimousine 46758 km gefahren. Bis auf das Getriebe hatten sie nahezu eigenständig alle Teile der Standardlimousine ein- oder mehrmals ersetzt. Noch im gleichen Jahr erschien Clärenore Stinnes' Reisetagebuch Im Auto durch zwei Welten, wunderbar geschrieben und ein bis heute in vielerlei Hinsicht beeindruckendes Dokument. In Berlin hatte 1927-1929 die Zeit nicht stillgestanden, und der Stummfilm hatte dem Tonfilm platzgemacht. Söderström und Stinnes produzierten deshalb einen Dokumentarfilm, den sie mit Musik und selbst gesprochenen Kommentaren unterlegten. Anschließend wurde er in den großen Kinos gezeigt und fand seinen Weg ins Ausland.
Im Dezember 1930 heirateten Clärenore Stinnes und Carl-Axel Söderström und ließen sich in Schweden nieder, wo sie die Bewirtschaftung eines Gutshofs der Familie Stinnes übernahmen. Sie bekamen drei Kinder und wurden zudem Pflegeeltern. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Gutshof der Familie Stinnes enteignet. Sie zogen nach Björnlunda und bewirtschafteten dort bis in die Sechzigerjahre einen Bauernhof. Clärenore Söderström entwickelte sich zu einer verdienstvollen Führungskraft beim schwedischen Roten Kreuz. Bis ins hohe Alter fuhr sie gerne mit einem Volvo lange Autostrecken.
(Text von 2021)
Verfasserin: Barbara C. de Jong
Literatur & Quellen
Quellen
Clärenore Stinnes, Im Auto durch zwei Welten. Berlin, 1929.
Clärenore Söderström-Stinnes, Michael Kuball (Hrg.), Söderströms Phototagebuch, 1927-1929, Die erste Autofahrt einer Frau um die Welt. Frankfurt, 1981.
Weltreise auf Rädern. In: Berliner Tageblatt, 26.06.1929, Siehe: Hamburgisches-Welts-Wirtschafts-Archiv http://webopac0.hwwa.de/PresseMappe20/PM20.cfm?T=P&qt=171909&CFID=29952821&CFTOKEN=77247752 am 26.09.2020.
Sekundarliteratur
Gabriele Habinger, Vorwort in Im Auto durch zwei Welten. Wien, 2007, S. 5-14.
Florentine Hoffmann, Die Frau die nie das Fürchten lernte. In: Brigitte, 20, 23.09.1981, S. 102-107.
Katharina Kellermann, Heroinnen der Technik zwischen 1918 und 1945. Selbstinszenierung – Funktionalisierung – Einschreibung ins deutsche kulturelle Gedächtnis. Bamberg, 2017.
Monika Pöschke-Schröder, Die erste Weltumrundung mit dem Auto. Am Steuer eine Frau: Clärenore Stinnes, Industriellentochter aus Mülheim an der Ruhr. In: Mülheim an der Ruhr, Jahrbuch 2003, S.161-170.
Heinrich August Winkler, Weimar 1918-1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie. München, 2018 (2. Auflage).
Film und Links
Clärenore Stinnes/Carl-Axel Söderström: Der Film: Im Auto durch zwei Welten. Deutschland, 1931. https://www.youtube.com/watch?v=jj5aImYW1f0&t=127s (abgerufen am 06.11.2020).
Clärenore Stinnes: Das Interview. https://www.youtube.com/watch?v=7PCXCryNqWo&t=984s (abgerufen am 06.11.2020).
Erica von Moeller (Regie), Dokudrama Fräulein Clärenore fährt um die Welt. https://www.youtube.com/watch?v=ePdH50i-Dkg (abgerufen am 11.10.2020).
www.delpher.nl: De Lokomotief, 02.01.1926, Het Algemeen Handelsblad, 10.02.1927 (abgerufen am 21.12.2020), Haagsche Courant, 04.05.1931 (abgerufen am 01.04.2021).
Fotos: wikipedia und twitter.
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