(Christine Madeleine Odette Lallouette [Geburtsname])
geboren am 1. Januar 1956
französische Juristin, Politikerin, Chefin des IWF (2011-2019), Präsidentin der Europäischen Zentralbank (seit Nov. 2019)
65. Geburtstag am 1. Januar 2021
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Christine Lagarde ist ein Star. In der von Männern dominierten internationalen Finanzwelt bewegt sich die hochgewachsene, elegante und durchsetzungsfähige Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) von Anfang an selbstbewusst und souverän. Die erste Frau auf dem Chefsessel zu sein ist sie gewohnt.
»Mächtiger, kritischer, aktiver«, so sieht das Handelsblatt den IWF unter Lagarde. Sie steuere den IWF mit Charme, habe aber auch den Mut zum Risiko. Es wird ihr nachgesagt, dass sie zuhören könne und den Rat ihrer internationalen Finanzexperten geschickt zu nutzen wisse. Sei es auf dem Podium beim Wirtschaftsforum in Davos oder im Gespräch mit JournalistInnen, Lagarde spricht gut informiert und klar über komplexe finanzpolitische Probleme. Dabei nimmt sie kein Blatt vor den Mund und legt sich auch schon einmal mit Angela Merkel an, wie in der Griechenlandfrage.
Auf ihren internationalen Reisen für den IWF wird sie häufig wie eine Staatschefin empfangen. Auf der ganzen Welt kennt sie MinisterInnen und RegierungschefInnen persönlich und weiß sich Gehör zu verschaffen. An jedem Ort lässt sie auch Treffen nur mit Frauen arrangieren, weil Frauen – so Lagarde – ehrlicher reden, wenn sie untereinander sprechen. Manchmal begleitet sie ihr Lebensgefährte, der Marseiller Unternehmer Xavier Giocanti, ein Studienfreund, den sie 2006 wiedertraf.
Aufgewachsen in einem bildungsbürgerlichen, katholischen Elternhaus in Le Havre, lernte Lagarde schon früh, sich Herausforderungen zu stellen. Ihre Jugend ist geprägt von der strengen Disziplin des Synchronschwimmens, wobei sie es bis zu einer Bronzemedaille bei den französischen Nationalmeisterschaften brachte. »Die Zähne zusammenbeißen und lächeln«, das habe sie dabei gelernt.
Diese Jahre waren außerdem überschattet von der langen Krankheit und dem frühen Tod des bewunderten Vaters, eines Professors für englische Literatur mit engen Verbindungen in die USA. Als Älteste half sie ihrer Mutter, einer Lateinlehrerin, mit den drei jüngeren Brüdern und jobbte nebenher. Die Stärke ihrer Mutter, die mit 38 für vier Kinder allein verantwortlich war, ist ihr ein lebenslanges Vorbild. Erste Grundsteine für ihre spätere internationale Karriere sind ein Schuljahr als AFS-Stipendiatin in Bethesda bei Washington in einer Eliteprivatschule und ein Praktikum im Kongress zur Watergatezeit.
In ihrem ursprünglichen Beruf war Lagarde eine höchst erfolgreiche, auf Arbeits- und Wettbewerbsrecht spezialisierte Anwältin, die es als erste Frau an die Spitze von Baker & McKenzie schaffte. In der weltweit zweitgrößten Kanzlei für internationales Wirtschaftsrecht mit einem Umsatz von über 1 Mrd. Dollar unterstanden ihr mehr als 3000 JuristInnen. Zu dem Pariser Büro des amerikanischen Unternehmens kam sie 1981, nachdem sie eine Stelle bei einer angesehenen Pariser Kanzlei abgelehnt hatte, weil diese Frauen nur untergeordnete Positionen anbot.
Bei Baker & McKenzie hatte sie eine hochkompetente Chefin, die ihr ein Vorbild war und die sie vorsichtig aus dem Hintergrund förderte – Frauenförderung war damals noch nicht üblich. Lagardes Fähigkeiten und ihr Verhandlungsgeschick trugen zu ihrem schnellen Aufstieg bei. Innerhalb von sechs Jahren wurde sie Partnerin, leitete dann die europäischen Büros, bis sie schließlich 1999 als Vorstandsvorsitzende nach Chicago kam.
Als Mutter zweier Söhne, Pierre-Henri und Thomas, die 1986 und 1988 geboren wurden, kennt Lagarde die Situation einer arbeitenden Mutter, auch die damit verbundenen Schuldgefühle, aus eigener Erfahrung. Sie arbeitete jeweils bis kurz vor der Geburt – zu dieser Zeit wurde sie gerade Partnerin bei Baker & McKenzie – und kehrte nach einigen Sommermonaten des Stillens in die Kanzlei zurück. Die gute Kinderbetreuungssituation in Frankreich half dabei. Während ihrer Jahre in Chicago blieben die Söhne in Paris bei ihrem Vater, von dem sie inzwischen geschieden war. Sie selbst behielt ihre Pariser Wohnung und jettete so häufig wie möglich zu ihren Kindern.
In der Politik ist Lagarde eine Quereinsteigerin. Sie kam nicht von der ENA, der französischen Kaderschmiede, hatte vielmehr zweimal die Aufnahmeprüfung für diese Elitehochschule nicht geschafft. Erste Regierungserfahrungen sammelte sie im Außenhandelsministerium und später als Landwirtschaftsministerin unter Präsident Chirac. 2007 dann ernannte sie der neu gewählte Staatspräsident Sarkozy zur Wirtschafts- und Finanzministerin. Damit war Lagarde die erste Frau an der Spitze eines Finanzministeriums der G-8 Staaten.
Als junge Frau eher links und Anhängerin von Mitterand, gehört sie als Ministerin der konservativen UMP an. Sie gilt als Liberale »mit einem Herzen für Regulierung«. Die internationale Finanzkrise fiel genau in ihre Amtszeit. Es ging um den umstrittenen Euro-Rettungsschirm und die heftig kritisierten Sparprogramme für Länder wie Spanien und Griechenland. Ihre internationale Erfahrung, ihr kühler Kopf und ihre Zähigkeit bewährten sich bei den oft nächtelangen Verhandlungen. 2009 kürte die Financial Times sie für ihr erfolgreiches Krisenmanagement zur »besten Finanzministerin Europas«. Mehr als einmal hat sie geäußert, dass die von Männern dominierte, Testosteron-getriebene Kultur in den internationalen Großbanken mit ein Grund für die schwere Finanzkrise gewesen sei.
Nachtrag 2020:
Im November 2019 kam Lagarde nach acht Jahren an der Spitze des IWF nach Europa zurück, um in einer schwierigen Zeit das Amt der Präsidentin der Europäischen Zentralbank zu übernehmen.
Zur Stabilisierung der Wirtschaft während der Covid-19-Pandemie führt Lagarde die umstrittene Niedrigzinspolitik ihres Vorgängers Mario Draghi fort. Sie setzt sich auch dafür ein, dass aus dem milliardenschweren Wiederaufbaufond der EU möglichst viele Gelder als Zuschüsse und nicht als Kredite gezahlt werden, um die am stärksten von Corona betroffenen Länder wie Spanien und Italien solidarisch zu unterstützen.
Als Mutter und Großmutter sieht Lagarde den Kampf gegen den Klimawandel als eine zentrale Aufgabe aller, auch der EZB. Sie weist auf den Einfluss des Klimawandels auf die Preisstabilität hin und regt den Kauf grüner Anleihen durch die EZB an.
Quelle:
Khalaf, Roula. 7.7.2020. Video Interview mit Christine Lagarde. Financial Times. https://www.youtube.com/watch?v=-bZy-2GO67Y
Verfasserin: Gabriele Koch
Zitate
»Ich habe lange geglaubt, dass Arbeit und Kompetenz genügen, damit sich Frauen in der Gesellschaft und in Unternehmen durchsetzen. Das denke ich heute nicht mehr. Allerdings ist Erfolg niemals endgültig. Jeden Morgen muss man seine Fähigkeiten aufs Neue beweisen.« Lagarde in Sichtermann & Rose. 2013.
» Die steigende Ungleichheit ist ebenfalls eine Wachstumsbremse und könnte die Demokratie und die Menschenrechte untergraben. « Lagarde 2014, Quelle)
»Armut ist sexistisch. Wir müssen sicherstellen, dass Frauen nicht vergessen werden.« Lagarde 2015, Quelle
Links
Offizielle Seiten
Christine Lagarde | iMFdirect - The IMF Blog on WordPress.com. Online verfügbar unter http://blog-imfdirect.imf.org/bloggers/christine-lagarde/, abgerufen am 21.12.2015.
Facebook: Christine Lagarde. Online verfügbar unter https://www.facebook.com/christinelagarde, abgerufen am 21.12.2015.
International Monetary Fund: Christine Lagarde, Eleventh Managing Director of IMF—Biographical Information. Online verfügbar unter http://www.imf.org/external/np/omd/bios/cl.htm, abgerufen am 21.12.2015. WebCite®-Archivfassung: http://www.webcitation.org/6dwg0eZTT.
Twitter: Christine Lagarde (@Lagarde). Online verfügbar unter https://twitter.com/lagarde?lang=de, abgerufen am 21.12.2015.
Quellen
Lagarde Christine. You have to pick your Fights and really persist. Fortune Magazine. 15.10. 2013. Online verfügbar unter https://www.youtube.com/watch?v=9p1wJhUjINk.
Erfolg für IWF-Chefin: Staatsanwälte wollen Verfahren gegen Lagarde einstellen. Spiegel online, 23.09.2015 (2015). Online verfügbar unter http://www.spiegel.de/wirtschaft/christine-lagarde-verfahren-soll-eingestellt-werden-a-1054295.html. WebCite®-Archivfassung: http://www.webcitation.org/6dweyKq80.
Chotiner, Isaac (2015): Lagarde-ian of the Galaxy: The first female chief of the IMF on the Greek meltdown, a historic refugee crisis and one thing Hillary Clinton has in common with an »old crocodile«. Interview mit Lagarde. Huffington Post, 10.2.2015. Online verfügbar unter http://highline.huffingtonpost.com/articles/en/lagarde-interview/, abgerufen am 21.12.2015. WebCite®-Archivfassung: http://www.webcitation.org/6dwf4Qicu.
Hujer, Marc (2013): Karrieren - Unter Männern. In: Der Spiegel, 10/2013. Online verfügbar unter http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-91346559.html, abgerufen am 21.12.2015. WebCite®-Archivfassung: http://www.webcitation.org/6dwf7Azsa.
Lagarde, Christine: Rede beim Global Citizen 2015 Earth Day Concert. IMF. 18.4.2015. Online verfügbar unter http://www.imf.org/external/mmedia/view.aspx?vid=4184529576001, abgerufen am 21.12.2015.
Louis, Chantal (2011): Christine Lagarde: Das Finanzgenie. In: EMMA, Sommer 2011. Online verfügbar unter http://www.emma.de/artikel/christine-lagarde-das-finanzgenie-265638, abgerufen am 21.12.2015.
Monaghan, Angela (2014): IMF chief says banks haven't changed since financial crisis. Christine Lagarde tells London conference banking sector is still resisting reform and taking excessive risks. In: The Guardian, 27. Mai 2014. Online verfügbar unter http://www.theguardian.com/business/2014/may/27/imf-chief-lagarde-bankers-ethics-risks. WebCite®-Archivfassung: http://www.webcitation.org/6dwfRKFFj.
Nowotny, Katinka (2013): The inside story of Christine Lagarde’s meteoric rise to the head of the IMF. ORF 5814. Journeyman Pictures. 03.06.2013. Online verfügbar unter https://www.youtube.com/watch?v=xW2gyj_KWqg.
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Letzte Linkprüfung durchgeführt am 21.12.2015 (AN)
Literatur & Quellen
Quellen
Afhüppe, Sven; Koch, Moritz et al. (2014): Christine Lagarde: Die Sicherheit in Europa ist trügerisch. In: Handelsblatt, Nr. 90 vom 12.05.2014. . S. 4–9.
Sichtermann, Barbara; Rose, Ingo (2013): Madame Chairman: Christine Lagarde. In: Sichtermann, Barbara; Rose, Ingo: Die Erste. Mutige Frauen verändern die Welt. Dt. Originalausg. München. Knesebeck. ISBN 3-86873-520-8. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Tett, Gillian (2011): Christine Lagarde, Managing director, IMF: Power. In: FT Weekend Magazine. Women of 2011, 10.-11.12.2011. . S. 16–20.
Weiterführende Literatur
Dieterle, David A. (Hg.) (2013): Economic Thinkers. A Biographical Encyclopedia. Santa Barbara. ABC-CLIO. (EBL-Schweitzer) ISBN 9780313397462. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Lachèvre, Cyrille; Visot, Marie (2010): Christine Lagarde. Enquête sur la femme la plus puissante de France. Neuilly-sur-Seine. Lafon. ISBN 978-2-7499-1269-1. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Navidi, Sandra; Roubini, Nouriel (2016): Super-hubs. Wie die Finanzelite und ihre Netzwerke die Welt regieren. München. FinanzBuch Verlag. ISBN 389879959X. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Sichtermann, Barbara; Rose, Ingo et al. (2013): Die Erste. Mutige Frauen verändern die Welt. Gesprochen von Julia Fischer. 2 CDs, ca. 152 min. München, Schwäbisch Hall. Steinbach Sprechende Bücher. ISBN 9783956160004. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
You, Martial (2010): Christine Lagarde. “Serre les dents et souris !” ; itinéraire d'une femme d'influence ; biographie. Monaco. Alphée. ISBN 978-2-7538-0637-5. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
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