geboren am 6. August 1926 in Berlin
gestorben am 30. September 2008 in München
deutsche Schriftstellerin
15. Todestag am 30. September 2023
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Als 60jährige zog Christa Reinig im Gespräch mit der Literaturprofessorin Marie Luise Gansberg Bilanz über ihr Leben und Werk:
„Aber ich bin lesbische Schriftstellerin, so gut wie ich weibliche Schriftstellerin bin, das ist eine Entwicklung.“
Und:
„Auch die Umwelt, auf die ich einwirken wollte und die mich geformt hat, verändert sich von Jahrzehnt zu Jahrzehnt so, als hätte ich von Zeit zu Zeit den Planeten gewechselt. Und vor allem: es änderten sich meine literarischen Kriterien.“ (1986)
Die Stationen ihres Lebens gleichen tatsächlich Planetenwechseln: Im Osten Berlins als Tochter der Putzfrau Wilhelmine Reinig in der Weimarer Republik geboren, erlebte Reinig als Kind die Machtübernahme der Nazis und als 19jährige die Zerschlagung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Nach dem Krieg arbeitete sie zunächst als Trümmerfrau und Fabrikarbeiterin, bis sie in den 1950er Jahren in der DDR das Abitur nachholte, Kunstgeschichte studierte und als Assistentin am Märkischen Museum arbeitete. Zusammen mit ihrer Mutter lebte sie in Ost-Berlin, engagierte sich jedoch in einer Gruppe Zukunftsachlicher Dichter in West-Berlin. Nach dem Tod ihrer Mutter nutzte Reinig die Reise zur Entgegennahme des Bremer Literaturpreises 1963 dazu, im Westen zu bleiben. Sie lebte seither in München.
In den ersten publizierten Erzählungen von 1949/51 wählte Reinig kühn ein Thema, das sie erst ein Vierteljahrhundert später wieder aufgriff, nämlich das Arbeiten und Leben von Frauen ohne Männer. In den nächsten 25 Jahren standen jedoch Männer im Zentrum ihrer Gedichte, Erzählungen und Hörspiele. Erst dank und mit der Frauenbewegung wurde es Reinig möglich, Frauen – auch Lesben – in ihren Werken zu schildern: Nach einem Unfall, durch den sie zur schwer Behinderten wurde, schrieb Reinig den autobiografischen Roman Die himmlische und die irdische Geometrie (1975). Darin legte sie die männlichen Masken ab und entwickelte eine weibliche Erzählposition, aus der sie souverän über den Stoff verfügte und grosse Bögen in Raum und Zeit spannte. Ein Thema blieb jedoch ausgespart: die Liebe – weil Reinig für ihre lesbische Erfahrung keine Sprache fand.
Im anschliessenden Roman Entmannung (1976) entlarvte Reinig mittels Satire die patriarchalische Ideologie im Bewusstsein von Frauen wie Männern.
Erst danach brachte sie in dem Gedichtzyklus Müssiggang ist aller Liebe Anfang (1979) lesbische Liebe in Form eines lyrischen Tagebuchs zum Ausdruck.
Von Mitte der 1970er bis Mitte der 1980er Jahre, als Reinig sich zur Frauenbewegung zählte, war sie literarisch am produktivsten: Drei Romane, zwei Bände Erzählungen, ein Lyrikband sowie zahlreiche Artikel und Gedichte in feministischen Zeitschriften wurden publiziert. Vom Literaturbetrieb wurde Reinig jedoch als Folge ihrer feministischen Positionsbestimmung marginalisiert, ihre Texte wurden weniger rezensiert und kaum noch mit Preisen bedacht.
Nachdem sich Reinig Ende der 1980er Jahre aus der Frauenbewegung zurückgezogen hatte, publizierte sie vier weitere Erzählungsbände und erhielt drei Literaturpreise.
(Text von 2005)
Verfasserin: Madeleine Marti
Lena Vandrey: Christa Reinig oder Der Kopf-Stand. Eine Anekdotenbiographie (2011)
Zitate
Märkisches Museum
Seufzen wird weiter das Wasser.
Im Moorgrund die Sandader wandert weiter,
und weiter ertönt klirrend die Uhr an der Wand,
weiter will singen das Spielwerk,
es ist noch die Feder gezogen -
nur die euch hörte, ging fort,
Glocken und Pfeifen, schweigt still.(Johannes Bobrowski zum Weggang Christa Reinigs aus der DDR)
Links
Christa Reinig in der Deutschen Nationalbibliothek
Literatur & Quellen
Werke von Christa Reinig
(Das meiste ist vergriffen, aber vieles wird im antiquarischen Online-Handel günstig angeboten.)
Erzählungen
“Eine Ruine” (1949) und “Ein Fischerdorf” (1951), in Anthologien der DDR
der traum meiner verkommenheit, Vietkau Verlag Berlin 1961
Drei Schiffe, Fischer Verlag 1965
Orion trat aus dem Haus, Eremitenpresse 1969
Das grosse Bechterew-Tantra, Eremitenpresse 1970
Hantipanti, Eremitenpresse 1972 Der Wolf und die Witwen, Eremiten Presse und Frauenoffensive 1980
Die ewige Schule, Frauenoffensive 1982
Nobody, Eremitenpresse 1989
Glück und Glas, Eremitenpresse 1991
Simsalabim, Eremitenpresse 1991
Der Frosch im Glas, Eremitenpresse 1994
Gedichte
Die Steine von Finisterre, 1961
Gedichte, Frankfurt/M.: Fischer 1963
Schwabinger Marterln, Eremitenpresse 1969
Schwalbe von Olevano, Eremitenpresse 1969
Papantscha-Vielerlei, Eremitenpresse 1971
Die Ballade vom Blutigen Bomme, Eremitenpresse 1972
Müssiggang ist aller Liebe Anfang, Frauenoffensive 1979
Romane
Die himmlische und die irdische Geometrie, Eremiten Presse, 1975
Entmannung, Eremiten Presse, 1976
Die Frau im Brunnen, Frauenoffensive, 1984
Hörspiele
Kleine Chronik der Osterwoche, 1965
Tenakeh,1965 Wisper, 1967
Das Aquarium, 1967
Quellen
Gansberg, Marie Luise. 1986. “Erkennen, was die Rettung ist”: Marie Luise Gansberg im Gespräch mit Christa Reinig. München. Frauenoffensive.
Gansberg, Marie Luise. 1991. “Christa Reinig 'Müßiggang ist aller Liebe Anfang' (1979): Ästhetische Taktlosigkeit als weibliche Schreibstrategie”, In: Stephan, Inge, Sigrid Weigel & Kerstin Wilhelms. Hg. Wen kümmert's, wer spricht? Köln; Wien. Böhlau. S. 185-194.
Marti, Madeleine. 1992. Hinterlegte Botschaften: Die Darstellung lesbischer Frauen in der deutschsprachigen Literatur seit 1945. Stuttgart. Metzler.
Scheßwendter, Sibylle. 2001. Darstellung und Auflösung von Lebensproblemen im Werk: Christa Reinig. Diss. Univ. Siegen.
Winsloe, Christa.1983 [1934]. Mädchen in Uniform. Nachwort: Christa Reinig. München. Frauenoffensive.
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