Wikimedia Commons; Charke in einer Hosenrolle, 1740. Gemälde von Willliam James (Ausschnitt)
geboren am 13. Januar 1713 in London
gestorben am 6. April 1760 in Haymarket, London
englische Schauspielerin, Theaterautorin, Schriftstellerin und Transvestitin
Biografie • Literatur & Quellen
Biografie
The author to herself
Charlotte Charke geborene Cibber alias Charles Brown beginnt ihre Autobiografie (1755) augenzwinkernd mit der Widmung: „The author to herself“. Darin spricht sie sich selbst als „nonpareil of the age“ und als „denkwürdigste Kuriosität“ ihrer Zeit an, „die jemals Anlass zum allergrößten Erstaunen gab“. Ihr Lebensbericht ist nicht nur die erste Autobiografie einer Schauspielerin, sondern auch die erste nicht religiös motivierte Autobiografie einer Frau in England.
Charkes Großvater war von Flensburg über Kopenhagen nach England emigriert, ihre Eltern waren beide SchauspielerInnen. Ihre Mutter, Katherine Shore, stammte aus einer Musikerfamilie und erhielt ihre Gesangsausbildung von Henry Purcell. Ihr Vater, Colley Cibber, war Theaterleiter und berühmt für sein komisches Talent: Als königlicher Hofdichter „Poet Laureate“ hatte er eine machtvolle Position inne.
Lady Macheath
Charlotte erhält eine Bildung, von der sie sagt, dass sie einem Sohn und nicht einer Tochter angemessen wäre. 1730 heiratet sie auf ihren eigenen Wunsch, gibt kurz danach ihr Bühnendebüt und wird noch im selben Jahr Mutter. Das Eheglück währt allerdings nur kurz, denn ihr Mann lässt sich mit anderen Frauen ein, was ihn nicht daran hindert, Anspruch auf ihr Einkommen zu erheben. Wenige Jahre darauf flieht er vor seinen Spielschulden in die englischen Kolonien, wo er später stirbt.
Neben weiblichen Hauptrollen spielt Charke ab 1732 auch Männerrollen, u.a. den Falstaff und Captain Macheath in Gays Beggar’s Opera. 1735 kommt es zum Streit mit ihrem Vater und einer Schwester, unter anderem weil sie in aller Öffentlichkeit und außerhalb der Bühne Männerkleider trägt. Der Streit eskaliert, und sie wird aus dem Haus geworfen; zudem entlässt sie der Leiter des königlichen Drury Lane Theaters. Charke gründet daraufhin als eine der ersten und jüngsten Frauen Englands ihre eigene Theaterkompanie und tritt weiterhin vornehmlich in Männerrollen auf.
The Art of Management
Ebenfalls 1735 erscheinen ihr Theaterstücke The Carnival und The Art of Management, or Tragedy Expell'd, in dem sie einen Theatermanager unter dem Namen „Hirnlos“ karikiert. Nicht genug: Sie wechselt zur Kompanie Henry Fieldings, einem Rivalen Colley Cibbers, und parodiert ihren Vater in einer von Fieldings Satiren. Das Londoner Publikum ist begeistert und feiert die Tochter des Hofdichters in dieser Paraderolle. Nicht zuletzt ergeht wegen der Kritik an Politik und Adel, die sich auf den englischen Bühnen dieser Zeit immer deutlicher manifestiert, 1737 ein Verbot für die meisten öffentlichen Theater.
Wie viele ihrer Kolleginnen und Kollegen gerät Charke daraufhin in Existenznöte und schlägt sich – stets in Männerkleidern – mit verschiedenen Jobs durch. Sie arbeitet als Puppentheaterspieler, Kellner, Kammerdiener und Lebensmittelhändler und zieht sogar mit ihrer Tochter Catherine von Haus zu Haus, um Würste zu verkaufen. Letztendlich ist ihr mangelnder Sinn für Finanzen der Grund dafür, dass sie selten mehr als ihr knappes Überleben sichern kann. Immer wieder macht sie Schulden und wird schließlich dafür verhaftet. Neben ehemaligen Kolleginnen sind es auch Prostituierte, die Charke finanzielle Unterstützung gewähren und sie gerne ihren „Master Charles“ nennen.
Comedy and Tragedy at War
1743 erscheint Charkes Theaterstück Tit for Tat, or Comedy and Tragedy at War. Ab 1747 zieht sie unter dem Namen Charles Brown als fahrender Schauspieler durch England – an der Seite von Mrs. Brown, über die wenig bekannt ist. „While their fellow actors knew that they were two women, many of the outsiders they met thought that they were what they appeared to be, a married couple” (Shevelow 325). Wahrscheinlich bleiben die beiden ein Paar bis zu Charlotte Charkes Tod. Ab 1753 wendet sich Charke neben der Schauspielerei verstärkt dem Schreiben zu: 1755 erscheinen ihre Memoiren in mehreren Folgen, danach noch ein Roman und einige Erzählungen. Nachdem sie kurz zuvor noch auf der Bühne steht, erkrankt sie im Frühjahr 1760 ernsthaft und kann sich nicht mehr erholen. Grund dafür sind ihre chronisch schlechte Gesundheit sowie die ärmlichen Verhältnisse, in denen sie auch zuletzt leben muss.
A Gentlewoman remarkable for her Adventures
Im April 1760 erscheint in verschiedenen Londoner Zeitungen eine Notiz: „A few Days since died at her Lodgings in Haymarket, the celebrated Mrs. Charlotte Charke […]; a Gentlewoman remarkable for her Adventures and Misfortunes” (ebd., 376). Über Jahrhunderte fast vergessen, erhält ihr Wirken in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit, insbesondere für ihr selbstbewusstes Überschreiten traditioneller Geschlechterrollen.
(Text von 2018)
Verfasserin: Isabel Morgenstern
Literatur & Quellen
Primärliteratur
Charke, Charlotte (1735): The Art of Management; or, Tragedy Expell’d. London: W. Rayner.
Charke, Charlotte (1755): A Narrative of the Life of Mrs. Charlotte Charke, Youngest Daughter of Colley Cibber, Esq., Written by Herself. London: Whittaker, Treacher and Arnot. Hrsg. von Robert Rehder (1999). London: Pickering and Chatto.
Charke, Charlotte (o.J.): The Mercer, or Fatal Extravagance: Being a True Narrative of the Live of Mr. Wm. Dennis, Mercer, in Cheapside. London. [1755?]
Charke, Charlotte (1756): The History of Henry Dumont, Esq ; and Miss Charlotte Evelyn. Consisting of Variety of Entertaining Characters, and Very Interesting Subjects ; With Some Critical Remarks on Comick Actors. London: H. Slater, at the Circulating-Library, the Corner of Clare-Court, Drury-Lane.
Charke, Charlotte (o.J.): The Lover’s Treat; or, Unnatural Hatred. Being a True Narrative as delivere’d to the Autohor by one of the Family who was principally concern’d in the following Account. London. [1758?]
Charke, Charlotte (o.J.): The History of Chaley and Patty; or, The Friendly Strangers. London. [1759?]
Sekundärliteratur
Baruth, Philip E. (1998): Introducing Charlotte Charke: Actress, Author, Enigma. Urbana: University of Illinois Press.
Cloud, Christine (2009): The Chameleon, Cross-Dressed Autobiography of Charlotte Charke (1713-1760). Women’s Studies, 38(1), 857-71.
Fields, Polly S. (1999): Charlotte Charke and the Liminality of Bi-Genderings: A Study of Her Canonical Works. In Sigrid King (Hrsg.) Pilgrimage for Love: Essays in Early Modern Literature in Honor of Josephine A. Roberts, Medieval and Renaissance Texts and Studies Vol 213. Tempe, Arizona: Arizona Center for Medieval and Renaissance Studies, 221-248.
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Morris, Marilyn (2009): Objects of Desire, Identity, and Eros in the Writings of Lord Hervey and Charlotte Charke. In Julie Peakman (Hrsg.): Sexual Perversions, 1670-1890. Basingstoke: Palgrave Macmillan, 72-94.
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Schechter, Joel: A Lost Play Recovered? Charlotte Charke's Tit for Tat; or, Comedy and Tragedy at War. Hotreview.org, Hunter On-line Theater Review. http://www.hotreview.org/articles/lostplayrecovered.htm
Shevelow, Kathryn (2005): Charlotte: Being a True Account of an Actress’ Flamboyant Adventures in Eighteenth-Century London’s Wild and Wicked Theatrical World. New York: Picador.
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