(eigtl. Dr. Charlotte Puhl, geb. Klemp)
geboren am 20. Mai 1925 in Essen
gestorben am 13. Januar 1978 in Bonn-Bad Godesberg
deutsche Schriftstellerin
45. Todestag am 13. Januar 2023
Biografie • Zitate • Literatur & Quellen
Biografie
Caroline Muhr gehört, mit ihrem schmalen Werk, zu den großen deutschen Schriftstellerinnen. Sie wurde allerdings bisher weder von der etablierten Literaturkritik noch von der Frauenbewegung angemessen gewürdigt - nur der feministischen Literaturkritik beginnt es langsam zu dämmern (vgl. Weigel 1987). Dabei erfüllt Muhr eine der wichtigsten Voraussetzungen für literarischen Ruhm: Sie ist tot, seit über 30 Jahren.
Bei einer anderen Großen der deutschsprachigen Literatur, Marlen Haushofer, brauchte es 15 Jahre Totsein, bis sie “entdeckt” wurde. Mit ihr hat Muhr überhaupt einiges gemeinsam. Fast Altersgenossinnen, starben beide viel zu früh - Haushofer 1970 im Alter von 49 und Muhr acht Jahre später im Alter von 52 Jahren. Beide setzen sich gründlich mit dem “ganz normalen Elend ganz normaler Frauen”, oft Hausfrauen, auseinander, in einer klaren, scheinbar einfachen Sprache (daher vielleicht auch die lange Verkennung: Zu viele verwechseln Einfachheit mit Kunstlosigkeit). Illusionslose Texte von fast penibler, oft quälender Genauigkeit:
Die ganze Kunst, die Literatur: alles Betrug, alles Scheiße. In der Wirklichkeit ist alles ganz anders. In der Wirklichkeit dauert alles sehr lang, was weh tut. Es ist nicht nach zwanzig Minuten oder zwei Stunden vorbei. Es ist auch nicht wie ein einziger Augenblick, der auf einem Stück Leinwand festgehalten werden kann. Eine schlaflose Nacht dauert sechs oder acht Stunden und nicht so lang, wie ein paar Sätze darüber geschrieben oder gelesen werden. (Freundinnen)
Den Klappentexten ist etwa folgendes zu entnehmen: Muhr (eigtl. Charlotte Puhl) studierte in Marburg und Köln Philosophie, Soziologie und Psychologie und promovierte 1954 über “Nietzsche und die Transzendenz”. Anschließend widmete sie sich der politischen Meinungsforschung und der Synchronisation amerikanischer Dokumentarfilme. Heirat, häufige Studienaufenthalte in England. Hörspiele für den Saarländ. Rundfunk. 1970 erschien ihr erfolgreicher erster Roman Depressionen, der auch verfilmt wurde. 1974 folgte der Roman Freundinnen und 1978 Huberts Reise. Engagiert in der Frauenbewegung, schrieb sie außerdem feministische Lyrik und Liedertexte, u.a. für die Schallplatte Die Bonner Blaustrümpfe singen Protest- und Spottlieder (1977). Lebte als freie Schriftstellerin in Bonn-Bad Godesberg. Nicht mitgeteilt wird, daß Caroline Muhr sich erhängte. Sie hatte nicht nur immer wieder an quälenden Depressionen gelitten, sondern nach einer Gehirntumorentfernung, bei dem der Gesichtsnerv verletzt wurde, auch an einer Gesichtslähmung.
“Was, die Muhr ist schon tot?” riefen die meisten betroffen aus, als ich mehr über ihr Leben herauszubekommen versuchte als auf den knappen Begleittexten ihrer drei Taschenbücher zu finden ist. Ja - und anscheinend ist es nur wenigen aufgefallen. Frau kannte wohl ihren Namen, irgendwie, aber vermißt wurde ihre klare Stimme offenbar - noch - nicht.
Ich danke Barbelies Wiegmann, früher bei den Bonner Blaustrümpfen, für ein Gespräch über ihre Freundin. Barbelies: “Sie war ihrer Zeit in der Schärfe ihrer feministischen Analyse immer weit voraus. Aber alle, die sie kannten, Männer und Frauen, liebten sie. Nach ihrem Tod löste unsere Gruppe sich auf. Ihre Gedichte sollten endlich veröffentlicht werden. Eigentlich sind wir Caroline nie gerecht geworden, konnten es wohl auch nicht. Sie war eine große Frau und große Schriftstellerin.”
(Text von 1990, geringfügig aktualisiert).
Verfasserin: Luise F. Pusch
Zitate
“Natürlich, sie konnte im entscheidenden Moment die Brille absetzen, oder noch besser, sie absetzen lassen. Man sah das ja oft, daß ein Mann durch das Lösen eines strengen Haarknotens oder das liebevolle Abnehmen einer Brille eine bis dahin fragwürdige weibliche Gestalt in ein seiner Liebe würdiges Objekt verwandelte.” (Huberts Reise, S. 19)
“Ich sah mir noch an, wie der nackte Mann zur Lockerung seine Arme und Beine und seinen Kopf schüttelte. Das Ding zwischen seinen Beinen schüttelte mit, sah harmlos aus wie ein Weichtier. Nach der Geburt von vier Kindern findet man dieses Weichtier allerdings nicht mehr harmlos… Im leichtfertigen Tanz um die Lust tut man so, als hätte das alles nichts mit Blut und Schmerzen, mit Angst und Demütigungen zu tun. Allerdings bleiben die männlichen Initiatoren dieses Tanzes ungeschoren. Es geht ihnen höchsten an die Brieftasche oder die Freiheit, aber niemals an den eigenen kostbaren Leib.” (Freundinnen, S. 57).
Drei Gedichte von Caroline Muhr:
Emanzipation
Welche Verheißung warst du am Anfang.
Doch jetzt bist du ausgeschlachtet,
ausgebeutet, missbraucht wie eine Hure,
die durch sämtliche Journalistenfedern
gegangen ist. Missgeburten holte man
aus deinem Schoß: Emanzen, einen Haufen schriller,
strenger Weiber, die das gesunde Volksempfinden
störten. Vorzeitig bist du abgetan
vom Überdruss, noch ehe du
mit der Wirklichkeit ein glückliches
Verhältnis eingehen konntest.
Die Lebensjahre einer Frau
Ich bin fünfzig, sagte sie,
als müsste sie nach langen bitteren
Verhören nun doch gestehen. Und
sie entnahm den Augen ihrer Richter:
Für dein Verbrechen
gibt es kein Pardon.
Vorfrühling
Warum bricht der Frühling wieder aus?
Lieber wäre mir, wir würden endlich
aus diesem Kreis entlassen. Ich möchte
auf einer geraden Linie weitergehen. Ich möchte
in diesen noch vorhandenen Winter
weiter hineingehen. Bis ins Eis
der tödlichen Erstarrung. Ich möchte,
dass einmal etwas bis ans Ende geht
und keinen neuen Anfang hat.
Ich möchte endlich einmal
angekommen sein.
Literatur & Quellen
Muhr, Caroline. 1970. Depressionen: Tagebuch einer Krankheit. Köln, Berlin. Kiepenheuer & Witsch pocket 14.
Muhr, Caroline. 1980 [1978]. Huberts Reise oder Kein Übel ist größer als die Angst davor. Frankfurt/M. Fischer TB 2209.
Muhr, Caroline. 1982 [1974]. Freundinnen: Roman. Frankfurt/M.; Berlin; Wien. Ullstein TB 26006.
Vogt, Marianne. 1981. Autobiographik bürgerlicher Frauen: Zur Geschichte weiblicher Selbstbewußtwerdung. Würzburg. Vlg. Königshausen & Neumann.
Weigel, Sigrid. 1987. Die Stimme der Medusa: Schreibweisen in der Gegenwartsliteratur von Frauen. Dülmen-Hiddingsel. tende Vlg. S.33-35.
Sollten Sie RechteinhaberIn eines Bildes und mit der Verwendung auf dieser Seite nicht einverstanden sein, setzen Sie sich bitte mit Fembio in Verbindung.