Biographien Caroline Louise Rudolphi
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geboren am 24. August 1753 vermutlich in Magdeburg
gestorben am 15. April 1811 in Heidelberg
deutsche deutsche Pionierin der Mädchenbildung und Schriftstellerin
Biografie • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Für die Mädchenerziehung, die dialogische Unterrichtsgestaltung und die Gleichberechtigung der Frauen setzt Caroline Rudolphi frühe Maßstäbe. Ihre Wirkung auf die Pädagogik und die Frauenbewegung ist nicht zu unterschätzen; trotzdem ist sie auch als Lyrikerin – sie versteht sich als solche – fast vollständig vergessen, wenn man die direkten Wirkungsstätten Hamburg-Barmbek und Heidelberg, wo sie denn auch wieder im nicht nur die Bibliotheca Palatina und die Romantik betreffenden Literatur-Dschungel untergeht, einmal außer Acht lässt.
Caroline Louise Rudolphis Eltern leben in ärmlichen Umständen in Magdeburg. Die Mutter Friederike Christiane ist die zweite, sehr viel jüngere Frau des Georg Christian Rudolphi, der am Ende des Siebenjährigen Krieges in Potsdam stirbt, wo er wohl als Lehrer in der zweiten Klasse eines Waisenhauses für Mädchen eine bescheidene Anstellung hatte. Er lässt die kleine Familie in schwierigen Verhältnissen zurück. Vor dem von ihr verehrten Vater sind schon der geliebte kleine Bruder Fritz an Blattern und die Halbschwester im Wochenbett gestorben, einschneidende Erlebnisse, die das beim Tod des Vaters zehnjährige Mädchen prägen. Caroline hat schon als Sechsjährige Lesen und Schreiben gelernt und durch den Vater auch sonst einiges an Wissen erhalten. Nun prägt harte Arbeit – „auf Spinnrädchen und Nährahmen beschränkt“ – das Leben der Heranwachsenden, die durch ihr handwerkliches Geschick zum Lebensunterhalt der Mutter beiträgt, die sich wiederum in pietistisch-frömmelnde Untätigkeit versenkt. Der ältere Bruder Ludwig hat schon zuvor in Halle in den Francke’schen Anstalten einen Freiplatz erhalten und darf die dortige Lateinschule besuchen.
Wahrscheinlich sind die frühen positiven väterlichen Erlebnisse der Kinderzeit und die folgende Jugendzeit, die das phantasiebegabte, aufgeweckte Kind massiv einschränken, bestimmend für ihr späteres Leben als Erzieherin, Lehrerin, Pädagogin und Dichterin. Dieses Ziel muss sie sich allerdings mit großer Energie erarbeiten.
Sie arbeitet einerseits im Haushalt für ihre Mutter und andererseits als Gesellschafterin und „Kinderbonne“ bei kindergesegneten Damen der besseren Kreise. Sie beginnt Gedichte zu schreiben, von denen einige 1776/77 von Johann Friedrich Reichardt und seiner Frau vertont werden. 1778 folgt die entscheidende Anstellung als Erzieherin der fünf vier- bis elfjährigen Kinder der Familie von Röpert auf dem Brandenburgischen Gut Trollenhagen. Ihr Bruder Ludwig ist inzwischen Lehrer am „Philantropin“ des Joachim Heinrich Campe in Hamburg-Hamm, einer frühen reformpädagogischen Erziehungsanstalt für Söhne gehobener Schichten. Als Campe sich 1783 stärker auf seine Schriftstellerei konzentrieren möchte, zieht er mit Ludwig Rudolphi als einzigem Lehrer und vier Schülern ins ländliche Trittau, wohin auch Caroline mit vier Röperts-Töchtern wechselt, um deren Erziehung zu vervollkommnen. Dies markiert den kleinen Beginn des später in Hamburg und Heidelberg berühmten Erziehungsinstituts Rudolphi für Mädchen. Sie lebt in der Umgebung ihres Bruders und vor allem des verehrten Dichters und Erziehers Campe auf, das ist ihre Welt.
Ein Blick auf den Freund und Förderer, das pädagogische Vorbild Campe. Er ist eine der Größen zu Beginn einer wissenschaftlichen Pädagogik der Aufklärung aus dem Umfeld der Reformschule Johann Bernhard Basedows in Dessau. Seine Bücher über die deutsche Sprache, seine vielfältigen pädagogischen Schriften, seine Konzepte zur Schulreform u.a. im Auftrag des Fürsten von Braunschweig-Wolfenbüttel, seine Tätigkeit als Erzieher der Humboldt-Brüder und des späteren Königs Wilhelm III. von Preußen und seine vielfältigen belletristischen Kinder- und Jugendbücher mit den deutschsprachigen Robinson-Erzählungen im Mittelpunkt, mit denen er eine neue pädagogisch wertvolle Jugendbuchgattung ins Leben ruft, haben ihm einen bis heute nachhaltigen Ruf beschert. Seine kommentierte Ausgabe von Rousseaus „Émile ou De l’éducation“ in der Übersetzung von Carl Friedrich Cramer ist bis heute Standard. Die Schweizer Reformpädagogen Pestalozzi und Fröbel und eben auch unsere Caroline Rudolphi verdanken ihm viel.
Ihre bisherigen Gedichte werden 1781 in Berlin und 1787 in einer zweiten Auflage in Wolfenbüttel jeweils mit Melodien und einem kleinen Geleitwort von Reichardt herausgegeben, und machen Caroline Rudolphi als Lyrikerin bekannt.
Caroline zieht 1784 nach Billwerder und weiter nach Hamburg-Hamm und errichtet dort ihr Erziehungsinstitut für Mädchen, an dem ihr Bruder als erster Lehrer unterrichtet. In Campes aufgeklärten Hamburger Freundeskreis – u.a. Matthias Claudius, Friedrich Heinrich Jacobi, Carl Leonhard Reinhold, Jens Immanuel Baggesen, Friedrich Gottlieb Klopstock und Johann Heinrich Voß – wird sie schnell eingeführt.
Campe und seine Freunde verkehren häufig in ihrem Institut. Claudius schätzt sie als Dichter-Kollegin, mit Klopstock beginnt eine Freundschaft, die sich in einem ausgiebigen Briefwechsel niederschlägt. Zu Johann Heinrich Voß und seiner Frau Ernestine pflegt Caroline fast familiäre Kontakte. Deren Sohn Abraham wird in Heidelberg Lehrer an ihrem Institut und gibt nach ihrem Tod ihre autobiografischen Aufzeichnungen und nachgelassenen Schriften und Gedichte heraus. Wilhelm von Humboldt stattet ihr in Hamburg einen Besuch ab, sie hat ihn tief beeindruckt.
Wie schon angedeutet setzt Caroline Rudolphi ihre reformpädagogische Arbeit ab 1803 in Heidelberg fort; einige ihrer Schülerinnen begleiten sie. In Heidelberg blüht die Romantik, und Achim von Arnim sowie Clemens Brentano und seine Frau Sophie Mereau – deren Tochter Hulda sie nach Sophies Tod und dem Weggang Brentanos aus Heidelberg in ihr Institut aufnimmt – pflegen engen Kontakt. Friedrich Creuzer, den wir als Grund für den Freitod der Günderode erinnern, sowie der Vater der Romantik, Ludwig Tieck, sind wichtige Besucher.
Sie veröffentlicht während der Hamburger Zeit zwei weitere Lyrikbände, 1787 in Braunschweig von Campe herausgegeben mit Melodien, und 1796 in Leipzig bei Göschen. 1807 erscheinen die zwei Bände „Gemälde weiblicher Erziehung“ in Heidelberg; hier gestaltet sie ihr Erziehungskonzept in einem Briefroman aus Briefen der Erzieherin Selma an ihre ehemalige Schülerin Emma. Und im „Journal für deutsche Frauen geschrieben von deutschen Frauen“ veröffentlicht sie anonym Aufsätze zur Emanzipation der Frauen durch eine Erziehung und Bildung, die der der Männer entspricht.
Ihre eng mit den pädagogischen Überlegungen Rousseaus, Campes und Pestalozzis verbundenen Erziehungsprinzipien gehen vom entdeckenden Lernen, vom Erwecken der im Kind schlummernden Begabungen, der freien Entfaltung der in allen Kindern vorhandenen natürlichen Kräfte aus. Sie bekommt den Beinamen „Deutscher Sokrates“, weil sie die sokratische Methode der Mäeutik, der Hebammenkunst des Lehrens im fragend-entwickelnden Unterrichtsgespräch zur obersten Maxime erklärt.
Wie bekannt sie als Pädagogin im 19. Jahrhundert war, mag man daran ermessen, dass ihr „Gemälde weiblicher Erziehung“ vom Ersterscheinen 1807 bis 1857 vier Auflagen erlebt, dass ihr Wirken v.a. in der Schweiz neben Pestalozzi und Fröbel in der Lehrerinnenbildung eine Rolle spielt, und dass sie als Autorin über Mädchenschulen in Meyers und ihr Heidelberger Institut in Pierers Konversationslexikon erwähnt wird.
Helmina von Chézy, die Enkelin der Karschin und Tochter Karoline von Klenckes, berichtet in den köstlichen Lebenserinnerungen als „Denkwürdigkeit“ von ihrem Aufenthalt in Heidelberg über die Todesumstände Caroline Rudolphis:
»Gehen Sie nicht nach Heidelberg!« hatte der berühmte Arzt Koreff zu mir gesagt. »Heidelberg ist ein Zugnest und ein Klatschnest.« […] Mehr noch that mir die Anwesenheit von Schiller’s Witwe und Kindern wohl. Jene sagte unter anderm: in Heidelbergs Gegend könne ein wundes Herz genesen. […] Wir wohnten in demselben Gasthof und sahen uns oft.
Sulpice und Melchior Boisserée mit ihrem Freunde Bertram suchten mich am Morgen nach meiner Ankunft auf. Karoline Rudolphi hatte ich für Pflicht gehalten, noch denselben Abend zu besuchen. Ich fand sie kränkelnd. Ihre Reise nach der Schweiz war ihr Tod. Sie, die Sechzigerin, war mit einem zwanzigjährigen Herzen dort gewesen. Die übermenschlichen Anstrengungen beim Bergsteigen zerstörten sie. Sie kam leidend zurück. Doch es hat etwas Schönes, wenn der Mensch für etwas Schönes stirbt. Ihre blühende Erziehungsanstalt gedieh fort […].
Ach ja, und dann ist da noch das berühmte Gedicht „Das Bächlein“, das als vermeintliches Goethe-Gedicht mehrfach vertont – unter anderem von Richard Strauss als op. 88,1 – und häufig abgedruckt wurde. Wir wissen heute, es ist auf alle Fälle nicht von Goethe, sondern mit hoher Wahrscheinlichkeit von Caroline Rudolphi.
(Text von 2024 aus dem Buch “...immer Luise”; mit freundlicher Genehmigung des Verfassers).
Verfasserin: Siegfried Carl
Links
http://www.wortblume.de/dichterinnen/rudolp_i.htm
Literatur & Quellen
Scheidle, Ilona. 2006. Heidelbergerinnen, die Geschichte schrieben: Frauenporträts aus fünf Jahrhunderten. Kreuzlingen, München. Hugendubel.
Schindel, Carl von. 1978 [1823-25]. Die deutschen Schriftstellerinnen des neunzehnten Jahrhunderts. Nachdr. d. Ausg. Leipzig, Brockhaus, 1823 - 25. Hildesheim; New York. Olms.
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